- Politischer Realismus
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Der Realismus ist eine Denkschule innerhalb der Internationalen Beziehungen (IB), die sich mit dem Charakter und der Verteilung der Macht im internationalen System auseinandersetzt. Durch diese Betrachtungsweise ist er dem überwiegend optimistischen Ansatz des Liberalismus entgegengesetzt.
Der Realismus beherbergt drei große Strömungen, die ihrerseits unterteilt sind, und begründete die Internationalen Beziehungen als systematische Sozialwissenschaft und Forschungsgegenstand. Obwohl die IB vor allem seit dem Ende des Kalten Krieges eine größere Bandbreite an Erklärungsansätzen aufzubieten haben, herrscht der Realismus vor allem in den Vereinigten Staaten weiterhin vor.
Inhaltsverzeichnis
Definition
Grundlegende Theorie des politischen Realismus
Der Realismus fußt auf zwei Grundannahmen. Zum einen betrachtet er Staaten als monolithischen Block, die Innenpolitik spielt keine Rolle bei der Formulierung der Außenpolitik. Die "Realisten" gehen zum anderen davon aus, dass der Mensch in die Widersprüche von Norm und Realität, von schöpferischen und zerstörerischen Verwirklichungsmöglichkeiten der Freiheit eingebunden ist. Aus diesen Widersprüchen resultiert Angst, aus der Angst der Versuch durch Machterwerb Sicherheit zu gewinnen. Es herrscht ein offenes, multipolares Staatensystem ohne zentrale Entscheidungs- oder Sanktionsinstanz. Die souveränen Nationalstaaten befinden sich so in einem permanenten Überlebenskampf untereinander und ihre Außenpolitik ist ausschließlich von diesem Kampf bestimmt.
Das internationale System ist anarchisch und nicht in der Lage, dauerhafte übergeordnete Machtstrukturen auszubilden. Das wichtigste Staatsziel ist das eigene Überleben, und das lässt sich am besten dadurch erreichen, dass ein Staat mächtiger ist als die anderen (die potentiellen Gegner). Deshalb streben die Staaten nach Macht, und die zentralen Variablen für die Machtposition eines Staates sind seine Größe (bei einigen Autoren auch die territoriale Beschaffenheit), seine Wirtschaftskraft und seine militärische Kraft. Eine wichtige Annahme des Realismus ist, dass Macht auf internationaler Ebene ein Nullsummenspiel ist, das heißt was ein Staat an Macht dazugewinnt, muss ein (oder mehrere) anderer Staat verlieren. Bekannte Vertreter des Realismus, sowohl in Theorie als auch Praxis, sind Henry Kissinger und Hans Morgenthau.
Der Realismus stellt ebenfalls eine politische Ethik zur Verfügung, deren minimalistische Prinzipien die Selbstentwicklungsfähigkeit von Gesellschaften betonen und teleologische politische Praktiken als gefährlich einordnen.
Die 6 Punkte des klassischen Realismus
Mit der zweiten Auflage des Werks „Politics among Nations“ wurden von Hans Morgenthau die sechs Punkte des Politischen Realismus veröffentlicht:
- 1. Gesetz: Existenz objektiver sozialer Gesetze in der Politik:
- Das politische Verhalten und die Gesellschaft werden von objektiven Gesetzen bestimmt. Ihre Wurzel liegt in der Natur des Menschen. Um die Gesellschaft zu verbessern muss man diese Gesetze verstehen, denen sie gehorcht. So stellt die Beachtung der objektiv betrachteten Gesetze politischen Handelns die sicherste Strategie für politischen Erfolg dar. Die Theorie besteht darin, Tatsachen zu untersuchen und ihnen durch Vernunft Sinn zu verleihen.
- 2. Gesetz: Macht und Interesse als Prinzipien des Politischen:
- Der Leitfaden und Wegweiser durch die Internationale Politik, sowie durch die historisch-politische Wirklichkeit ist der im Sinne der Macht verstandene Begriff des Interesses. Der Begriff stellt das Bindeglied zwischen der Vernunft und den Tatsachen dar. Die Vernunft versucht, die Internationale Politik, sowie die historisch-politische Wirklichkeit zu begreifen.
- 3. Gesetz: Das nationale Interesse:
- Der Begriff des Interesses, welches als Macht definiert wird, ist für den Realisten eine objektive Kategorie von universeller Validität. Diese Kategorie bleibt sowohl von zeitlichen, als auch von räumlichen Umständen unberührt. Jedoch muss der Begriff des Interesses immer unter den jeweils aktuellen politischen Umständen verstanden werden. In Betrachtung gezogen werden müssen hierfür die Ziele, welche von Staaten in ihrer Außenpolitik angestrebt werden und für deren Umsetzung sie Macht benötigen. Angestrebt werden kann eine militärische, bisweilen barbarische Eroberungspolitik oder auch eine aufgeklärte Ordnungspolitik.
- 4. Gesetz: Die Grenzen universaler Moral / Problem der Anwendbarkeit eines universalen Moralbegriffs in der komplexen Welt der Internationalen Politik.
- Staaten können nicht nach einer individuellen Moral handeln. Staatsmänner können sich nicht auf moralische Tugenden wie Vertrauen, Treue und Ehrlichkeit verlassen. Jedoch gibt es auch eine moralische Bedeutung im politischen Handeln. Diese Verfolgung von moralischen Zielen birgt oft die Gefahr, dass das Gegenteil dessen, was erreicht werden sollte, erreicht wird. Moralische Ziele müssen in der Politik in realistischer Weise verfolgt werden.
- 5. Gesetz: Die Differenz zwischen nationaler und der universalen Moral:
- Größtes politisches Unrecht ist, wenn sich Nationen anmaßen, ihren Moralbegriff für universell zu erklären. Moralische Ambitionen der Nationen sind oft vorgeschoben, deshalb müssen die dahinterstehenden Interessen analysiert werden, erst dann kann die Wertung über positive oder negative Folgen dieser Politik gefällt werden.
- 6. Gesetz: Politik der autonomen Sphäre:
- Die politische Sphäre soll als autonome Sinnsphäre gesehen werden. Diese Autonomie zählt mehr als das Ökonomische. Die Politik zählt also mehr als die Ökonomie. So werden die Gesetzmäßigkeiten der Politik mit der gleichen methodischen Strenge beurteilt und untersucht, wie Ökonomen die Wirtschaft untersuchen.
Realismus in Deutschland
In Deutschland bemühen sich Carlo Masala, Werner Link und Christian Hacke um eine empirische Anwendung des Realismus; Gottfried-Karl Kindermann, Alexander Siedschlag und Christoph Rohde erweitern den monovariablen Ansatz Morgenthaus mit Hilfe revisionsoffener Analysekategorien.
Abgrenzung zum Neorealismus
Auch wenn der Neorealismus als struktureller Realismus bezeichnet wird, weist er Unterschiede zum klassischen Realismus auf. Der wesentliche Unterschied liegt in der Begründung des Machtstrebens der Staaten. Der klassische Realismus sieht dieses Machtstreben anthropologisch begründet (diese Projektion von der Natur des Menschen auf das Verhalten wurde oftmals kritisiert): der Mensch wird als ein nach Sicherheit und Macht strebender Akteur betrachtet. Der Neorealismus geht vom anarchischen internationalen System aus, welches die Staaten vor ein Sicherheitsdilemma stellt. Um diesem zu begegnen, d.h. sein Überleben, seine Sicherheit und Unabhängigkeit zu wahren, versuchen Staaten ihre Macht zu erhalten, auszubauen oder auch nur zu demonstrieren. Während der klassischen Realismus auf der Erklärungsebene vom "Akteur" ausgeht, geht der Neorealismus hierbei vom "System der internationalen Beziehungen" aus.
Weitere Abgrenzungen
Der offensive Realismus (Vertreter: John Mearsheimer) sieht Macht als ein knappes Gut im internationalen System und Staaten sollen deshalb die Chance nützen, ein Maximum an Macht anzuhäufen. Denn dadurch stellt der Staat auf der einen Seite sicher, dass er nicht in Abhängigkeit von anderen Nationen gerät, und auf der anderen Seite, dass er möglichst viele andere Staaten in die Abhängigkeit von sich treibt. Der Staat versucht also im Internationalen System eine hegemoniale Position zu erwerben. Man könnte dies durchaus als vorherrschendes Denkmuster der Neokonservativen der USA bezeichnen.
Der defensive Realismus (Vertreter: Joseph Grieco) behauptet, Staaten sollen möglichst den Status Quo verteidigen und mächtige Staaten somit nicht permanent versuchen ihre Macht auszubauen, da eine solcher Versuch der hegemonialen Positionsgewinnung bei anderen Staaten eine "balance of threat" auslöst. Was zur Folge hat, dass andere Staaten sich zu Allianzen zusammenschließen (pooling) um gegen den aufkommenden Hegemon eine möglichst mächtige Gegenposition einnehmen zu können.
Bedeutung des Realismus in der Gegenwart
Der klassische, aber auch der neue Realismus hat seit dem Ende des Kalten Krieges stark an Bedeutung eingebüßt. Beide waren nicht in der Lage, das Ende des Kalten Krieges vorauszusehen - im Gegenteil: es wurde sogar davon ausgegangen, dass eine bipolare Machtverteilung äußerst stabil ist. Großer Gegenspieler des Realismus waren und sind der neoliberale Institutionalismus (auch: Liberalismus, früher: Idealismus) und die marxistisch-strukturellen Theorien. Seit Anfang der 1990er Jahre erwuchs mit dem Sozialkonstruktivismus eine weitere Großtheorie der Internationalen Beziehungen, welcher die realistische Schule zunehmend abzulösen vermag.
Der Unilateralismus der USA unter George W. Bush, die gespaltene außenpolitische Haltung der EU vor dem Irak-Krieg, die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen und andere Prozesse zeigen, dass der Realismus keine Konjunkturtheorie ist, sondern permanente historisch wirksame Kräfte aufzeigt. Der Konstruktivismus ist eher eine soziologische Theorie, die Steuerungsdynamik in Organisationen ohne Zielorientierung erklärt.
Der neoklassische Realismus zeigt, dass das Ende des Kalten Krieges nicht ohne die sowjetische Erkenntnis des eigenen Abstiegs erklärt werden kann. Ideen spielten eine wichtige Rolle. Diese Ideen gab es in der UdSSR schon seit den sechziger Jahren, ließen sich aber gegen die herrschende Elite nicht durchsetzen. Nur der Realismus erklärt, warum die USA eine Präventivdoktrin zur autonomen Gewährleistung ihrer Sicherheit bevorzugen. Im Gegensatz zu den US-Neokonservativen ist der Realismus als Instruktur dabei, den machtzentrierten Alleingang der USA kritisch zu betrachten. Joseph Nye hat den realistischen Begriff der weichen Macht geprägt.
Siehe auch
Literatur
- Krell, Gert: Weltbilder und Weltordnung. Einführung in die Theorie der internationalen Beziehungen. 2. Aufl. Baden- Baden (Nomos) 2003.
- Jacobs, Andreas: Realismus in: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela [Hrsg.]: Theorien der internationalen Beziehungen, Opladen 2003, S.35-60
- Alexander Siedschlag: Neorealismus, Neoliberalismus und postinternationale Politik. Opladen: Westdeutscher Verlag 1997.
- Alexander Siedschlag (Hg.): Realistische Perspektiven internationaler Politik.. Opladen: Leske+Budrich, 2001.
Weblinks
- Alexander Moseley: Eintrag in der Internet Encyclopedia of Philosophy (englisch, inklusive Literaturangaben)
- 1. Gesetz: Existenz objektiver sozialer Gesetze in der Politik:
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