Polycythaemia Vera

Polycythaemia Vera
Klassifikation nach ICD-10
D45 Polycythaemia vera
ICD-O 9950/3
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Die Polycythaemia vera (PV, auch Polycythämie oder Polyzythämie genannt) ist eine seltene myeloproliferative Erkrankung, bei der sich alle Zellen im Blut übermäßig vermehren. Bei der PV sind vor allem die Erythrozyten betroffen, aber auch in geringerem Maße die Thrombozyten und Granulozyten.

Inhaltsverzeichnis

Vorkommen

Die Inzidenz der PV liegt bei 1-2:100.000. Der Altersgipfel liegt zwischen der 5. und 6. Lebensdekade. Das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Patienten beträgt 2:1.

Pathogenese, JAK2 V617F-Mutation

Das Krankheitsbild beruht auf einer noch nicht vollständig verstandenen Transformation multipotenter Stammzellen. Vor kurzem wurde eine Mutation im JAK2-Gen (JAK steht für „Januskinase“), einer Tyrosinkinase, beschrieben [1][2]. Diese Mutation der genomischen DNA führt zu einem Aminosäure-Austausch (Valin gegen Phenylalanin) an Position 617 des JAK2-Proteins ("V617F-Mutation"). Das JAK2-Protein spielt eine wichtige Rolle bei der Signaltransduktion in der Zelle. Durch die Mutation wird es aktiviert, so dass betroffene Zellen dauerhaft eine gesteigerte Zellteilungsrate haben. Die V617F-Mutation findet man bei verschiedenen hämatologischen Erkrankungen, aber besonders häufig (in mehr als 50 %) bei der Polycythaemia vera. Die betroffenen blutbildenden Stammzellen sind von der Stimulation durch Erythropoetin (Epo) unabhängig, und zeigen eine hundertfach erhöhte Sensitivität auf Wachstumsfaktoren wie IGF-1 (Insulinelike-Growth-Factor-1) und IL-3 (InterLeukin-3).

Klinische Symptome

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Durch die erhöhte Anzahl der Thrombozyten, Granulozyten und Erythrozyten wird das Blut dickflüssiger. Es kann zu Durchblutungsstörungen kommen. Es besteht die Gefahr einer Thrombose und in der Folge Embolie, gleichzeitig aber auch Blutungsgefahr, weil die Thrombozyten funktionsgestört sind.

Die klinischen Symptome umfassen:

  • rotes Gesicht (Plethora), die Patienten haben ein "blühendes" Aussehen
  • blaurote Schleimhäute
  • gehäufte arterielle und venöse thromboembolische Ereignisse
  • trotz Thrombozytose ist die Blutungsneigung gesteigert
  • Hepatosplenomegalie
  • Juckreiz besonders bei Wärme
  • Stechender Juckreiz nach Kontakt mit Wasser (Aquagener Pruritus)
  • "zähflüssiges" Blut kann führen zu:

Prognose

Die Krankheit kann in bis zu 10% langfristig in eine akute Leukämie oder eine Osteomyelofibrose übergehen.

Diagnostik, Diagnosekriterien der WHO und DGHO

Die Vermehrung der Erythrozyten lässt sich im Labor durch Messung des Hämatokrit oder des Hämoglobins nachweisen. Auch Leukozyten und Thrombozyten sind im Blutbild meist vermehrt. Die Blutsenkung (BSG) ist dagegen verlangsamt, häufig sind Harnsäure und LDH im Serum erhöht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die in der folgenden Tabelle zusammengestellten Diagnosekriterien aufgestellt, die hier mit einigen Modifikationen, entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) wiedergegeben sind.[3]

WHO-Diagnosekriterien, modifiziert nach DGHO[3]
Kriterium Bedingungen
A1 Erythrozytenzahl > 5,5 x 109 / bzw. > 5,0 x 109 bei Männern/Frauen oder
Hämoglobin > 18,5 g/dl / bzw. >16,5 g/dl bei Männern/Frauen oder
Hämatokrit über 52% / 49% bei Männern/Frauen
A2 keine sekundäre Erythrozytose:
keine familiäre Polyglobulie
keine Steigerung des Erythropoetin (EPO)-Wertes durch Hypoxie
keine gesteigerte EPO-Bildung durch Tumor
keine gesteigerte O2-Affinität des Hb
keine erhöhte EPO-Affinität durch Anomalie des EPO-Rezeptors
A3 Nachweis der JAK2-Mutation oder
Nachweis der PRV1-Überexpression in Granulozyten oder
klonale genetische Anomalie in den Zellen des Knochenmark außer Philadelphia-Chromosom oder BCR-ABL-Fusionsgen
A4 Splenomegalie
A5 Erythroide Koloniebildung in vivo
B1 Thrombozytenzahl > 450 x 109/l (450 000/µl, 450/nl)
B2 Leukozytenzahl > 12 x 109/l (12 000/µl, 12/nl)
B3 Proliferation des Knochenmarks mit Überwiegen der erythropoetischen und megakaryozytären Proliferation
B4 Niedriger Erythropoetinspiegel im Serum

Die Diagnose einer PV kann gestellt werden,
wenn erstens:

  • Kriterien A1 + A2 oder Kriterien A1 + A3 erfüllt sind,

und zweitens

  • ein weiteres A-Kriterium oder zwei B-Kriterien erfüllt sind.

Therapie

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Regelmäßige Aderlässe sind häufig zur Reduktion der hohen Erythrocytenzahl notwendig, helfen aber nicht gegen die Thrombozyten- und Leukozytenvermehrung. Diese kann durch eine Chemotherapie beeinflusst werden. Diese zytostatische Therapie kann mit oralem Hydroxycarbamid oder subkutanem Interferon alpha erfolgen. Bei älteren Patienten wird Busulfan eingesetzt. Das Auftreten von Thrombosen und Embolien aufgrund der erhöhten Thrombozytenzahl kann durch Acetylsalicylsäure vermindert werden. [4] In der Erprobung sind weitere Medikamente wie Anagrelide. Des Weiteren kann die Gabe von Allopurinol wegen eines erhöhten Harnsäureanfalls (besonders während der zytoreduktiven Therapie) zur Prophylaxe eines Gichtanfalls oder einer Uratnephropathie indiziert sein.

Quellenangaben

  1. Kralovics R, Passamonti F, Buser AS, et al. A gain-of-function mutation of JAK2 in myeloproliferative disorders. N Engl J Med 2005;352:1779-1790. Artikel
  2. James C, Ugo V, Le Couedic JP, et al. A unique clonal JAK2 mutation leading to constitutive signalling causes polycythaemia vera. Nature 2005;434:1144-1148 Artikel
  3. a b Griesshammer M, Gisslinger H, Heimpel H, Lengfelder E, Reiter A: Chronische myeloproliferative Erkrankungen. Leitlinien der DGHO
  4. Landolfi R, Marchioli R, Kutti J et al. Efficacy and safety of low-dose aspirin in polycythemia vera. N Engl J Med 2004; 350: 114-24 PMID 14711910

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