Pontinische Sümpfe

Pontinische Sümpfe

Die Pontinische Ebene, italienisch Agro Pontino (Romano), ist ein ehemaliges Sumpfgebiet in der Region Latium (Mittelitalien) südöstlich von Rom. Sie erstreckt sich entlang der Küste des Tyrrhenischen Meers, von dem sie durch Sanddünen abgegrenzt ist, von Pomezia bis nach Terracina. Nach Nordosten wird sie von den Monti Lepini und den Monti Ausoni begrenzt. Die Fläche beträgt rund 775 km². Die Via Appia durchquert die Ebene seit der Antike.

Vor über 2.000 Jahren entstanden die Sümpfe durch eine Umweltkatastrophe, verursacht durch Kahlschlag und Raubbau der Wälder südlich von Rom. Bis zur Versumpfung bewohnten die Volsker diesen langgezogenen Landstrich. Plinius berichtet, dass die Volsker um 500 v. Chr. dort eine blühende Kulturlandschaft geschaffen hätten. Titus Livius überliefert die Namen von 33 Städten, derunter Suesse Pometia, die reiche, sagenumwobene Hauptstadt. 367 v. Chr.unterwarfen die Römer die Volsker, doch sie verloren die fruchtbare Ebene in den folgenden Jahrhunderten. Eine Zivilisation versank im Sumpf.

Wegen ihres enormen Holzbedarfs für den Schiffbau und die römische Warmwasserheizung holzten die Römer den Waldbestand auf den Berghängen systematisch ab mit der Folge, dass jeden Winter und Frühling der Humusboden von über 1.500 Bächen in die Ebene gespült wurde und der nackte Fels die Erosion beschleunigte. Die drei Flüsse Sisto, Uffente und Amazone wechselten dauernd ihr Bett und jede stürmische See staute die Wassermassen auf, so daß die Flüsse rückwärts in das Landesinnere strömten. Im Süden sank das Land bis zu 40cm unter den Meeresspiegel ab.

Die tropische Anopheles-Mücke, Überträgerin der Malaria, breitete sich aus. Da sie die ganze Ebene verseuchte, machte die tödliche Krankheit die Ebene weit über das eigentliche Sumpfgebiet hinaus unbewohnbar. Um das Jahr 1900 zählte man weniger als 1.000 Einwohner auf dem über 400 km² großem Küstenstrich.

Bereits Caesar und einige Kaiser nach ihm sowie mehrere Päpste und auch Napoleon versuchten die Sümpfe trocken zu legen. Alle Versuche scheiterten. Keinem gelang es, die Bodengewässer und die zuströmenden Wassermassen abzuleiten. Alle Pläne gingen davon aus, dass alles Wasser in der tiefsten Rinne der Ebene gesammelt werden müsse, um es ins Meer abfließen zu lassen. Da damals keine ausreichenden Pumpkapazitäten zur Verfügung standen, erwiesen sich die Pläne als technisch undurchführbar.

Am 17. Februar 1787 besuchte Goethe mit seinem Malerfreund Tischbein die Sümpfe und berichtet in seinem Buch Italienische Reise, dass sie "kein so übles Aussehen haben als man sie gemeiniglich in Rom beschreibt". Er interessiert sich für die Trockenlegungsversuche, nach seiner Beobachtung "ein großes und weitläufiges Unternehmen". Wahrscheinlich gewann er hier die Anregung zu der Szene in seinem Faust II:

Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
verpestet alles schon errungene;
den faulen Pfuhl auch abzuziehn,
das Letzte wär das Höchsterrungene.
Eröffn'ich Räume vielen Millionen.

Ende des 19. Jahrhunderts hatte ein preußischer Offizier, Major Fedor Maria von Donat (1847-1919), die entscheidende Idee. Er entwickelte den Plan, einen Ringkanal anzulegen, der am Fuß des Gebirges bis zu einem Dünendurchstich in der Höhe von Terracina führen und die Zuflüsse aus den Bergen auffangen sollte, bevor sie die Ebene erreichten. Danach wollte er innerhalb von 5 Jahren die Sümpfe austrocknen, indem er das Bodenwasser über ein Kanalsystem durch Pumpwerke hoch ins Meer drückte. Die dafür nötige Elektrizität plante er durch Talsperren im Gebirge mit Wasserkraftwerken zu gewinnen. Das Deutsche Patentamt patentierte das Projekt unter der Nummer 17 120.

Donat publizierte in Rom und Berlin seine Idee.[1] Es gelang ihm, Emil Rathenau für sein Vorhaben zu gewinnen, der als Generaldirektor der AEG in Berlin ein Interesse an dem Marktpotential für elektrische Investitionsgüter hatte. Rathenau und einige Berliner Industrielle und Finanziers gründeten 1900 die „Pontinische Syndikats GmbH“. 70 Millionen Goldmark wurden für das Entwicklungsprojekts der Trockenlegung bereitgestellt. Voraussetzung war, dass von italienischer Seite ein ähnlich hoher Betrag aufgewendet werden würde.[2]

1898 hatte Fedor von Donat seinen Abschied als Bataillonskommandeur genommen und war mit seiner Familie nach Rom umgezogen. Dort warb er für sein Vorhaben bei der Regierung, den vier Großgrundbesitzern, den Finanzkreisen und im Vatikan. Er pachtete in Terracina 240 Hektar Sumpf und legte in der Tenuta Ponte Maggiore ein Mustergut an. Mit Hilfe von drei durch Ochsen getriebenen altägyptischen Göpelwerken bonifizierte er das Land, das eine hohe Bodenqualität von über 70 Punkten aufwies, und führte den Nachweis, dass drei Ernten im Jahr möglich waren. Seine 80 Arbeiter schütze er durch eine tägliche Dosis Chinin vor der Malaria. Er lud die römischen Korrespondenten zu Pressebesuchen auf sein Gut ein. 1902 erschienen in den großen überregionalen deutschen Zeitungen, aber auch im Ausland, lange Artikel, oft getragen von nationalem Stolz, über dieses Entwicklungsprojekt.[3] Donat argumentierte vor allem mit der Ausrottung der Malaria im Umland der Hauptstadt, da die Malaria die Ausdehnung Roms nach Süden verhinderte, und mit dem Zugewinn einer neuen Provinz für Italien ohne einen Kolonialkrieg führen zu müssen. Die Urbanisierung der Sümpfe könne 200.000 Italiener vor der Auswanderung bewahren.

Donats Plan scheiterte. Diesmal war es nicht die technische Unzulänglichkeit wie bei den Vorgängern, sondern politische Erwägungen standen der Realisierung entgegen. Die liberale Regierung zögerte und gab dem Norden den Vorzug, wo in der Po-Ebene große Sumpfgebiete trocken gelegt werden mussten. Der heftige Widerstand der vier Großgrundbesitzer ergab sich aus der nötigen Enteignung und Verpachtung eines Großteil ihrer Sumpflandes an das deutsche Syndikat. Wahrscheinlich machten auch die Deutschen überzogene Erwartung an der Gewinnbeteiligung geltend. Jedenfalls verschleppte der Ko-Finanzier, die die von dem deutschen Bankier Otto Joel geleitete Banca Commerciale in Mailand, ständig die Aufnahme der Arbeiten. Donat, der seine Lobby-Arbeit und das Gut auf eigene Rechnung betrieb, hatte 1903 das Vermögen seiner Frau in Höhe von 75 000 Goldmark aufgebraucht und kehrte mittellos nach Deutschland zurück. Das „Pontinische Syndikat“ wurde am 4. September 1914 aufgelöst. Damit endete ein vorzeitiger, aber kühner Versuch einer transnationalen Gemeinschaftsinvestition, um neues Land zu erschließen.

1930 ließ der italienische Diktator Benito Mussolini die Arbeiten zur Trockenlegung des Gebiets wieder aufnehmen. Sie dauerten 10 Jahre. Mussolini nutzte das Arbeitsbeschaffungsprogramm (ähnlich wie später Adolf Hitler den Autobahnbau) für propagandistische Zwecke. So ließ er sich häufig zwischen den Arbeitern mit nacktem Oberkörper und Schippe in der Hand fotografieren. Da seine Ingenieure die Donatschen Pläne verwandt hatten, ließ Mussolini eine Straße im Zentrum der neuen Stadt Pontinia nach Donat benennen. Besiedelt wurde das damals nahezu menschenleere Gebiet durch arme, in der Landwirtschaft zumeist unerfahrene Familien aus der Emilia-Romagna, woraus sich viele der wirtschaftlichen Fehlschläge der ersten Jahre erklären.

Damals wurden auch die Städte Littoria/Latina, Sabaudia und Pontinia gegründet (città nuove, „neue Städte“). Heute durchzieht ein Kanalsystem das trockengelegte Gebiet. Angebaut werden hauptsächlich Weizen, Obst und Wein. Der Agro Pontino ist eine blühende Landschaft mit modernen Städten aus der Nachkriegszeit. Um das Jahr 2000 bewohnten 520.000 Einwohner den ehemals öden Landstrich.

Literatur

  • Steen Bo Frandsen: Syd for Rom. Kampen mod De pontinske sumpe. Sfinx, Aarhus 2006.
  • Graf von Rossi: Wanderung in den Pontinischen Sümpfen. In: Westermann's Illustrirte Deutsche Monatshefte Band 30,2, Nr. 82 (Juli 1871), S. 399-405 (mit Abb.)

Weblinks

Anmerkungen

  1. Vergl. Fedor von Donat: Le Paludi Pontine, Roma 1886; Die Pontinischen Sümpfe, Berlin 1892 und Cassel 1898. Auch: Der Große Brockhaus, Leipzig 1908, Bd.13, S. 270.
  2. Vergl. Bogdan Graf von Hutten-Czapski, 60 Jahre Politik und Gesellschaft, Berlin 1936.
  3. Vergl. auch Otto Julius Bierbaum, Eine empfindsame Reise mit dem Automobil, Berlin 1903, S. 194.

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