Postille

Postille

Mit Hauspostille bezeichnete man ursprünglich eine Sammlung von Predigten oder ein Predigtbuch, das zur häuslichen Erbauung und unter Umständen auch zum Vorlesen in der Kirche bestimmt war. Sie war auch als Hilfe für die Pfarrer zur Vorbereitung eigener Predigten gedacht.

Vom Wortsinn her waren Postillen Erklärungen der Texte der Bibel, welche nach den Textesworten folgten. (lateinisch: post illa verba = nach jenen Worten).

Am bekanntesten wurde die katholische Hand-Postille des Steinfelder Prämonstratenser-Priesters Leonhard Goffiné, die 1690 in Mainz gedruckt wurde. Mit über 120 Neuauflagen und Übersetzungen in viele Sprachen gehört sie zu den am weitesten verbreiteten Werken der Weltliteratur.[1] Auch die doppelte Postille (auch Haus- und Kirchenpostille oder „Deutsche Postille“ genannt) von Martin Luther aus dem Jahr 1521 hat im protestantischen Raum weite Verbreitung gefunden. Der böhmische Denker und Schriftsteller der hussitischen Periode Petr Chelcicky verfasste eine Postille um 1435 in tschechischer Sprache, die 1522 gedruckt wurde. Schließlich ist noch die Postille des Johann Arndt, eines protestantischen Theologen aus dem Jahr 1615, erwähnenswert. Für das geistliche Überleben der Geheimprotestanten, z.B. in Österreich, waren die Postillen unverzichtbar. Bis zum Toleranzpatent 1781 entwickelte sich ein beständiger Schmuggel von Lutherbibeln und Andachtschriften, wie auch Predigtsammlungen – also Postillen – in die geheimprotestantischen Zentren in der Obersteiermark und Oberösterreich.

Heute werden zum Verlesen von Predigten für Lektoren bzw. Prädikanten Lesepredigten publiziert. Der Begriff Postille wandelte sich vom Andachtsbuch zur Erbauungsschrift. Im 20. Jahrhundert wanderte er schließlich – ironisiert – in die Literatur- und Umgangssprache. So trägt das 1927 erstmals gedruckt erschienene, jedoch bereits 1918 konzipierte Werk Bertolt Brechts den Titel Bertolt Brechts Hauspostille. Die vorgebliche Nähe zu einer christlichen Erbauungsschrift ist wie die Vorrede ein ironisch-distanzierendes Element dieser modernen Lyrik-Sammlung. Bekannt (mit einer Auflage von mehr als 200.000 Exemplaren) wurde auch die Halunkenpostille von Fritz Graßhoff, deren Texte oft im Kabarett rezitiert und als Chansons gesungen wurden.

In der heutigen Umgangssprache bezeichnet Postille eine nur wenige Seiten umfassende Zeitung oder Zeitschrift. Das Wort wird meist abschätzig gebraucht für Presseerzeugnisse von geringem journalistischem Wert (z. B. „Reklamepostille“ eines Unternehmens).

Einzelnachweise

  1. Goffiné im BBKL

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  • Postille — Sf Predigtbuch, Erbauungsbuch per. Wortschatz arch. (16. Jh.) Entlehnung. Entlehnt aus ml. postilla, univerbiert aus post illa verba sacrae scripturae nach diesen Worten der Heiligen Schrift , dem üblichen Anfang der Predigt nach dem zuvor… …   Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache

  • Postille — Postille, ein Predigtbuch, welches zum Vorlesen in der Kirche gebraucht u. vorzüglich von Schulmeistern auf Dörfern, als Stellvertretern der Prediger, benutzt wird. Ursprünglich waren sie Erklärungen der Texte der Heiligen Schrift, welche nach… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Postille — (lat.), ursprünglich eine Erklärung des Bibeltextes, die nach den Textesworten folgte, daher der Name: post illa (nach jenen), nämlich verba textus; dann ein zur häuslichen Erbauung oder zum Vorlesen in der Kirche bestimmtes Predigtbuch. Unter… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Postille — (lat.), im Mittelalter fortlaufende Auslegungen der Perikopen, an deren Verlesung sich anschließend (post illa); in der evang. Kirche Bezeichnung für die Ausgaben von Predigtjahrgängen, an berühmtesten Luthers doppelte (Kirchen und Haus ) P …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Postille — Postille, ein Predigtbuch, das Predigten enthält, die sich zum Vorlesen in der Kirche eignen. –s …   Damen Conversations Lexikon

  • postille — (po sti ll , ll mouillées) s. f. Glose littérale sur l Ancien Testament. HISTORIQUE    XIIIe s. •   Les paroles sont si soutilles [subtiles], Qu il n est nulz clers qui sans postilles Puisse le livre bien entendre, Hist. des trois Maries, ms. p.… …   Dictionnaire de la Langue Française d'Émile Littré

  • Postille — Pos|tịl|le 〈f. 19〉 1. 〈urspr.〉 abschnittsweise Erklärung von Bibelstellen (besonders als Einleitung zu Hausandachten, Meditationen, Predigten) 2. 〈danach〉 religiöses Erbauungsbuch [<mlat. post illa verba „nach jenen Worten“; urspr. Erklärung… …   Universal-Lexikon

  • Postille, die — Die Postílle, plur. die n, ein Buch, welches Predigten über die Evangelien und Episteln enthält; ein Predigtbuch. Die Kirchen Postille, wenn es Predigten enthält, welche der Gemeine in der Kirche vorgelesen werden sollen, zum Unterschiede von… …   Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

  • Postille — Pos|tịl|le 〈f.; Gen.: , Pl.: n〉 1. 〈urspr.〉 abschnittsweise Erklärung von Bibelstellen (bes. als Einleitung zu Hausandachten, Meditationen, Predigten) 2. 〈danach〉 religiöses Erbauungsbuch [Etym.: <mlat. post illa verba »nach jenen Worten«… …   Lexikalische Deutsches Wörterbuch

  • Postille — Postillef TageszeitungmitMillionenauflage.MeinteigentlichdasreligiöseErbauungsbuchfürdenHausgebrauch;hierauchdasDruckwerkfürdentäglichenLesestoff.1955ff …   Wörterbuch der deutschen Umgangssprache

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