Poststreptokokken-Glomerulonephritis

Poststreptokokken-Glomerulonephritis

Die Poststreptokokken-Glomerulonephritis (postinfektiöse Glomerulonephritis) ist eine akute Entzündung der Nierenkörperchen (Glomerulonephritis), die eine bis vier Wochen nach einem Infekt mit betahämolysierenden Streptokokken der Gruppe A auftreten kann. Ursache ist die Ablagerung von Immunkomplexen im Nierenkörperchen mit Aktivierung des Komplementsystems. Symptome sind dunkler Urin aufgrund einer (Hämaturie), erhöhte Eiweißausscheidung (Proteinurie), Abfall der Nierenfunktion, Abnahme der Urinproduktion (Oligurie), Wassereinlagerungen (Ödeme) und Bluthochdruck. Der Verlauf lässt sich durch eine medikamentöse Behandlung nicht beeinflussen. Bei Epidemien und für Haushaltskontakte wird eine Antibiotika-Prophylaxe empfohlen. Die Prognose ist im allgemeinen gut. Selten, insbesondere bei älteren Patienten oder zusätzlichen Risikofaktoren kann es zu einer bleibenden Nierenschädigung kommen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die postinfektiöse Glomerulonephritis ist eine der ältesten bekannten Nierenkrankheiten.

Vor zweihundert Jahren beobachtete C. D. Wells, dass während der Rekonvaleszenzphase nach Scharlach eine Wassersucht auftreten konnte, die einherging mit dunkel verfärbtem Urin und Abnahme oder Sistieren der Urinproduktion. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand man bei der feingeweblichen Untersuchung in den Nieren von Patienten, die an einem Nierenversagen nach Scharlach verstorben waren, eine Entzündung der Nierenkörperchen.

1903 vermutete Clemens von Pirquet anhand klinischer Beobachtungen eine pathologische, antikörpervermittelte Immunreaktion als Ursache der Erkrankung. Die veränderte Immunantwort bezeichnete er als Fremdreaktion, griechisch Allergie.

Als entdeckt wurde, dass Scharlach durch beta hämolysierende Streptokokken hervorgerufen wird, wurde der Begriff Poststreptokokken-Glomerulonephritis eingeführt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde entdeckt, dass es auch nach Infekten der oberen Luftwege und der Haut sowie Wundinfektionen zu einer akuten Glomerulonephritis kommen konnte, in der überwiegenden Mehrzahl fanden sich Streptokokken als Erreger. In der Folge konnte nachgewiesen werden, dass nicht alle Streptokokken-Stämme in der Lage waren, eine akute Nephritis auszulösen. Es wurde möglich nephritogene (Nephritis-auslösende) Streptokokken-Stämme zu isolieren und diese von Streptokokken-Stämmen zu unterscheiden, die für Rheumatisches Fieber verantwortlich waren.

Epidemiologie

In den Industrienationen ist die Poststreptokokken-Glomerulonephritis in den letzten Jahrzehnten selten geworden (0,3 Fälle pro 100.000 Personen pro Jahr) und tritt dort vorwiegend bei älteren Menschen auf, insbesondere wenn zusätzliche prädisponierende Faktoren vorliegen wie Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit. In Mitteleuropa und Chile ist das Krankheitsbild praktisch verschwunden, in Italien, China, Singapur, Mexiko und den USA ist ein erheblicher Rückgang der Neuerkrankungen (Inzidenz) zu beobachten. In unterprivilegierten Nationen ist die Erkrankung weit häufiger, pro Jahr treten zwischen 9,5 und 28,5 neue Fälle pro 100.000 Personen auf. Hohe Inzidenzen werden berichtet in ländlichen Regionen Australiens. In Valencia, Venezuela liegt die Erkrankung 70% der stationären Aufnahmen in der pädiatrischen Nephrologie zugrunde. In Indien besteht bei 73% der akuten Glomerulonephritiden älterer Menschen eine Poststreptokokken-Glomerulonephritis. In unterprivilegierten Ländern ist die Poststreptokokken-Glomerulonephritis eine wichtige Ursache des akuten Nierenversagens (30% der Fälle in Istanbul, 52% in Casablanca, 27% in Bombay, 33% in Asuncíon, 25% in Nigeria). Große epidemische Ausbrüche, mit 103 bis 760 Erkrankungsfällen wurden seit 1950 berichtet aus den USA (1951-1952, betroffen waren Rekruten), Venezuela, Trinidad, Cuba, Armenien, Costa Rica, Litauen, Brasilien und Peru. Kleinere Ausbrüche mit Fallzahlen unter 100 wurden auch in Industrienationen beobachtet. Zu Inzidenz der Poststreptokokken-Glomerulonephritis in unterentwickelten Ländern liegen keine Daten vor. Es wird geschätzt dass weltweit pro Jahr etwa 472.000 Fälle auftreten, davon 456.000 Fälle in weniger entwickelten Staaten.

Pathogenese

Man nahm bislang an, dass Streptokokken der Gruppe A der einzige Stamm sind, der in der Lage ist, eine Glomerulonephritis auszulösen. In jüngster Zeit wurden aber Epidemien von Poststreptokokken-Glomerulonephritis beobachtet, die durch Streptokokken der Gruppe C, insbesondere S. zooepidemicus hervorgerufen wurde. Möglicherweise kommen nephritogene Antigene bei Streptokokken unterschiedlicher Gruppen vor.

Gegenwärtig werden vorwiegend zwei Streptokokken-Antigene untersucht, die als Auslöser der Poststreptokokken-Glomerulonephritis in Frage kommen: Nephritis assoziierter Plasmin Rezeptor (NAPR) und Streptokokken pyrogenes Exotoxin B (SPEB).

Nephritis assoziierter Plasmin Rezeptor (NAPR)

Der Nephritis assoziierte Plasmin Rezeptor ist eine Glyceraldehyde-3-Phosphat Dehydrogenase. Ablagerungen (Depots) dieses Antigens können früh in Gewebeproben (Nierenbiopsien) von Patienten mit Poststreptokokken Glomerulonephritis nachgewiesen werden, Antikörper gegen dieses Antigen finden sich in Japan im Serum von 92 % der Patienten mit Poststreptokokken-Glomerulonephritis und 60% der Patienten mit unkomplizierten Streptokokken-Infektionen. NAPR lagert sich im Nierenkörperchen zusammen mit Plasmin ab, nicht jedoch mit Immunglobulin G oder Komponenten des Komplementsystems.

Streptokokken pyrogenes Exotoxin B (SPEB)

Streptokokken pyrogenes Exotoxin B ist eine kationische Cystein Proteinase, die durch Proteolyse einer Enzymvorstufe (Zymogen), die als zSPBE bezeichnet wird, entsteht. Sowohl Streptokokken pyrogenes Exotoxin B (SPEB) als auch das Zymogen zSPBE aktivieren den alternativen Weg des Komplementsystems. SPBE wird von Streptokokken der Gruppe A produziert, Ablagerungen dieses Antigens sind in Nierenbiopsien von Patienten mit akuter Poststreptokokken-Glomerulonephritis nachweisbar. In Lateinamerika finden sich Antikörper gegen SPEB im Serum der meisten Patienten mit Poststreptokokken-Glomerulonephrits. In den Nierenkörperchen ist SPEB zusammen mit Komponenten des Komplementsystems in den elektronendichten Immundepots nachweisbar.

Hinweise auf weitere nephritogene Antigene

Pathogenen Stämmen von S. zooepidemicus fehlt das Gen für SPEB, es muss daher noch weitere Antigene geben, die in der Lage sind eine Poststreptokokken-Glomerulonephritis auszulösen. Ein möglicher Kandidat ist ein Protein mit der Bezeichnung Szp5058 M-Protein, das Phagozytose-hemmende Eigenschaften aufweist.

Pathomechanismus

Entzündung

SPEB und NAPI können im Nierenkörperchen eine Entzündungsreaktion auslösen. Wenn Mesangiumzellen des Nierenkörerchens mit SPEB und NAPI in Kontakt kommen, produzieren sie proinflammatorische Zytokine (Monocyte Chemoattractant Protein 1 und Interleukin 6) und exprimieren vermehrt Adhäsionsmoleküle, Monocyten werden angelockt und stoßen im Nierenkörperchen eine Entzündungsreaktion an. Auch Leukozyten des peripheren Blutes setzten proinflammatorische Zytokine frei, wenn sie mit SPEB in Kontakt kommen: IL-6, TNF-α, IL-8, und TGF-β.

Plasminbindung

Sowohl NAPI als auch SPEB sind in der Lage Plasmin zu binden. Dies weist auf eine mögliche Bedeutung von Plasminablagerungen in der Pathogenese der Poststreptokokken-Glomerulonephritis hin.

Symptome

Die Poststreptokokken-Glomerulonephtitis kann sporadisch auftreten oder im Rahmen einer Epidemie. Während einer Epidemie tritt etwa bei 5-10% der Kinder mit Racheninfektionen (Pharyngitis), eine Glomerulonephritis auf und bei etwa 25% der Kinder mit Hautinfektionen (Impetigo). Die Zeitspanne (Latenzzeit) zwischen Infektion und Ausbruch der Poststreptokokken-Glomerulonephritis beträgt bei Racheninfekten etwa 10 Tage, bei Hautinfektionen ca. drei Wochen.

Die Symptome können variieren von asymptomatischer Mikrohämaturie bis hin zum akuten nephritischen Syndrom mit durch Makrohämaturie rot bis braun gefärbten Urin, Proteinurie und nephrotischem Syndrom, verminderter Urinproduktion (Oligurie), Wassereinlagerungen (Ödemen), Bluthochdruck und akutem Nierenversagen.

Differentialdiagnose

Blutiger Urin im Anschluss an einen Infekt der oberen Luftwege kann sowohl auf eine Poststreptokokken-Glomerulonephritis als auch auf eine IgA-Nephritis hinweisen. In der Regel können die Krankheitsbilder aufgrund des klinischen Bildes unterschieden werden, so dass eine Nierenbiopsie nur in Ausnahmefällen erforderlich ist:

  • Eine Poststreptokokken-Glomerulonephritis tritt im Mittel 10 Tage nach Racheninfekten und drei Wochen nach Hautinfekten auf, eine IgA-Nephritis innerhalb von 5 Tagen.
  • Bei der IgA-Nephritis sind wiederholte Episoden von blutigem Urin (Makrohämaturie) häufig, bei der Poststreptokokken-Glomerulonephritis dagegen selten.
  • Bei Racheninfektionen spricht der Nachweis von Streptokokken der Gruppe A im Rachenabstrich oder ein erhöhter Antistreptolysin O - Titer für eine Poststreptokokken-Glomerulonephritis. Negative Befunde, insbesondere bei Hautinfektionen, schließen einen Streptokokken-Infekt aber nicht aus.
  • Die Postspreptokokken-Glomerulonephritis bessert sich nach Ausheilen der auslösenden Infektion, die Nierenfunktion beginnt sich nach 1 - 2 Wochen zu bessern, die zuvor erniedrigten Komplement-Spiegel im Serum normalisieren sich innerhalb von 6 Wochen, die Ausscheidung von roten Blutkörperchen im Urin (Mikrohämaturie) verschwindet innerhalb von 6 Monaten. Eine persistierende Mikrohämaturie weist auf eine IgA-Nephritis hin, auf Dauer erniedrige Komplement-Spiegel auf eine membranoproliferative Glomerulonephritis.

Histologie

Lichtmikroskopie

Bei Halbmondbildung in mehr als 75 % der Nierenkörperchen und anfänglicher Oligo-Anurie ist die Prognose bezüglich der Nierenfunktion sehr schlecht.

Immunhistolochemie

Bei der immunhistochemischen Untersuchung finden sich in den Kapillarschlingen der Nierenkörperchen zwischen glomerulärer Basalmembran und Podozyten (=subepithelial) gelegene Ablagerungen von Ig G und C3. Die Ablagerungen können unregelmäßige (Abb. [7]), girlandenförmige (Abb. [8]) oder körnelige (Abb. [9]) Muster bilden.

Elektronenmikroskopie

Die elektronenmikroskopische Untersuchung zeigt buckelförmige Immunkomplexablagerungen (Humps) zwischen Basalmembran und Podozyten (Abb. [10]).

Prophylaxe

Eine akute Poststreptokokken-Glomerulonephritis kann durch frühzeitige antibiotische Therapie eines Streptokokken-Infektes verhindert werden. Eine Ausbreitung nephritogener (=Nephritis auslösender) Streptokokken kann durch eine vorbeugende Gabe von Antibiotika (Antibiotikaprophylaxe) an Kontaktpersonen verhindert werden. Problematisch ist jedoch die sichere Diagnose einer Streptokokken-Infektion, um eine unnötige (und wegen der Gefahr der Resistenzentwicklung problematische) Antibiotika-Behandlung zu vermeiden.

Hautinfektionen

Aktive Hautinfektionen (Impetigo), die in der Regel durch Staphylokokken oder Streptokokken hervorgerufen werden, sollten mit Penicillin behandelt werden, außer bei gehäuftem Auftreten von multiresistenten Staphylokokken in der betroffenen Bevölkerungsgruppe.

Racheninfektionen

Nur in 10-20% der Fälle von Rachenentzündung lassen sich Streptokokken als Erreger nachweisen. Hinweise auf eine Streptokokken-Infektion sind Fieber über 38°C, fehlender Husten, schmerzhaft vergrößerte Lymphknoten, Mandelentzündung (Tonsillitis) und Alter zwischen 3 und 14 Jahren. In unklaren Fällen kann die Diagnose durch Streptokokken-Schnelltest oder Bakterienkultur aus einem Rachenabstrich gesichert werden. Eine antibiotische Behandlung sollte nur erfolgen, wenn vier der klinischen Kriterien erfüllt sind oder der Erreger gesichert werden konnte.

Poststreptokokken-Glomerulonephritis

Ist es bereits zu einer Poststreptokokken-Glomerulonephritis gekommen, sollte mit Antibiotika wie bei akuter Streptokokken-Infektion behandelt werden. Es gibt Hinweise, dass dadurch der Verlauf der Erkrankung abgemildert werden kann. Zudem wird eine Weiterverbreitung der Erreger verhindert.

Epidemische Poststreptokokken-Glomerulonephritis

Während einer Epidemie mit nephritogenen Streptokokken wird für Haushaltsangehörige von Patienten eine Antibiotika-Prophylaxe empfohlen.

Prognose

Kurzfristige Prognose

Bei Kindern ist die kurzfristige Prognose der akuten Poststreptokokken-Glomerulonephritis sehr gut. Im Gegensatz dazu liegen bei älteren Patienten häufig ernste Begleiterkrankungen vor wie Unterernährung (Malnutrition), Alkoholismus, Diabetes oder andere chronische Erkrankungen. Zudem sind die Krankheitsverläufe bei älteren Patienten schwerer mit Urämie, Herzversagen und Proteinurie im nephrotischen Bereich; die Mortalität kann bis zu 20-25% betragen.

Langzeit Prognose

In Langzeitbeobachtungen über 10 - 20 Jahre findet man bei ca. 20% der Kinder, die eine Poststreptokokken-Glomerulonephritis durchgemacht haben, Auffälligkeiten in der Urinuntersuchung wie Proteinurie oder Mikrohämaturie, ca. 3% entwickeln einen Bluthochdruck, jedoch weniger als 1% eine Urämie.

In bestimmten Populationen kann die Langzeitprognose jedoch deutlich schlechter ausfallen. Nach einer Epidemie in Minas Gerais, Brasilien entwickelten 8% der Patienten innerhalb von fünf Jahren ein chronisches Nierenversagen. In Gemeinschaften von Aborigines in Australien, in denen Risikofaktoren wie niedriges Geburtsgewicht, Diabetes und metabolisches Syndrom häufig vorkommen, ist die Langzeitprognose der Poststreptokokken-Glomerulonephritis ebenfalls schlechter mit einer erhöhten Inzidenz von Mikrohämaturie und Albuminurie sowie einem im Vergleich zur nicht-indigenen Bevölkerung mehrfach erhöhten Risiko der Urämie.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Endokapilläre Glomerulonephritis Pathologie Bilddatenbank Pathopic der Universität Basel
  2. Endokapilläre Proliferation - Agnes Fogo et al: Atlas of Renal Pathology. Am J Kidney Dis 31(5):E1, 1998
  3. Mesangioproliferative Glomerulonephritis Pathologie Bilddatenbank Pathopic der Universität Basel
  4. Subepitheliale Humps, Lichtmikroskopie Pathologie Bilddatenbank Pathopic der Universität Basel
  5. Extrakapillär betonte Glomerulonephritis: segmentaler Halbmond Pathologie Bilddatenbank Pathopic der Universität Basel
  6. Extrakapillär betonte Glomerulonephritis: globaler Halbmond Pathologie Bilddatenbank Pathopic der Universität Basel
  7. Irreguläre Immunkomplexablagerungen, Immunfluoreszenz - Agnes Fogo et al: Atlas of Renal Pathology. Am J Kidney Dis 31(5):E1, 1998
  8. Girlandenförmige Immunkomplexablagerungen, Immunfluoreszenz - Agnes Fogo et al: Atlas of Renal Pathology. Am J Kidney Dis 31(5):E1, 1998
  9. Körnelige Immunkomplexablagerungen, Immunfluoreszenz - Agnes Fogo et al: Atlas of Renal Pathology. Am J Kidney Dis 31(5):E1, 1998
  10. Subepitheliale Humps, Elektronenmikroskopie - Agnes Fogo et al: Atlas of Renal Pathology. Am J Kidney Dis 31(5):E1, 1998
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