Prediger von Buchenwald

Prediger von Buchenwald

Paul Robert Schneider (* 29. August 1897 in Pferdsfeld, heute zu Bad Sobernheim; † 18. Juli 1939 im KZ Buchenwald bei Weimar) war ein deutscher evangelischer Pfarrer, Mitglied der Bekennenden Kirche und Opfer des Nationalsozialismus. Er wird der „Prediger von Buchenwald“ genannt.

Paul Schneider als Student in Gießen

Inhaltsverzeichnis

Leben

1897–1915: Kindheit und Jugend

Paul Schneider wurde als zweiter von drei Söhnen am 29. August 1897 in Pferdsfeld auf dem Hunsrück geboren. Sein Vater Gustav-Adolf Schneider, ein reformierter Pfarrer der Evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen Preußens, hatte 1888 Elisabeth Schnorr geheiratet und die Pfarrstelle in Pferdsfeld angetreten. Die ersten 13 Jahre seines Lebens verbrachte Paul in der ländlichen Idylle des Hunsrücks, bis sich sein Vater gezwungen sah, wegen zunehmender Arthritis seiner Frau an einen anderen Ort mit vermeintlich trockenerem Klima umzuziehen. Zu Ostern 1910 trat der Vater die Pfarrstelle der pfarramtlich verbundenen Kirchengemeinden Hochelheim (zu Hüttenberg) und Dornholzhausen (Großgemeinde Langgöns) an, einer ebenfalls ländlichen Gegend bei Wetzlar in Mittelhessen. Dennoch verschlechterte sich der Gesundheitszustand seiner Mutter zunehmend. Paul wechselte vom Gymnasium in Bad Kreuznach nach Gießen. Kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges starb seine Mutter am 8. September. Am 29. Juni 1915 bestand er das Notabitur.

1915–1918: Als Soldat im Weltkrieg

Gleich nach dem Abitur meldete Schneider sich freiwillig zum Kriegsdienst. Beim Eintritt in die Kaserne gab er Arzt als Berufswunsch an. Er kam im November 1915 an die Ostfront, wurde dort am 16. März 1916 verwundet und mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Nach seiner Genesung wurde er wieder an die Front geschickt, diesmal nach Westen. Hier erlebte und überlebte er u.a. die Schlacht um Verdun. 1918 wurde er zum Leutnant der Reserve ernannt.

1918–1926: Studium, Vikariat und Hilfsdienst

Nach dem Ende des Krieges begann er in Gießen Evangelische Theologie zu studieren. Er trat wie sein Vater dem Gießener Wingolf, einer christlichen, nicht-schlagenden Studentenverbindung bei. Seine Hoffnung, dass ihm die Mitgliedschaft gegen seine Neigung, sich zurückzuziehen, helfen und ihm seine gesellschaftliche Unsicherheit nehmen würde, wurde enttäuscht. Seine Kritik an den Trinksitten des Marburger Wingolf, dem er gleichfalls angehörte, führte nach einem Jahr zu seinem Austritt. Als Mitglied des Marburger Studentencorps nahm er an den Kämpfen und Unruhen in Thüringen teil. Schließlich nahm er 1921 die Mitgliedschaft im Gießener Wingolf wieder auf, dem er bis zu seinem Tode angehörte. Das dritte Semester studierte er an der Philipps-Universität Marburg; anschließend ging er nach Tübingen, wo die Theologenausbildung noch eher konservativ geprägt war, was Paul entgegenkam. Die liberale Theologie hatte ihn in große innere Konflikte gebracht. Er zog nun bei der Pfarrersfamilie Dieterich in Weilheim (Tübingen) als Untermieter ein, später heiratete er dort deren jüngste Tochter, die am 8. Januar 1904 geborene Margarete Dieterich.

Am 29. August 1921 meldete Schneider sich beim Konsistorium der Rheinprovinz in Koblenz zum Ersten Theologischen Examen an. Nachdem er im Mai 1922 seine Prüfungen bestanden hatte, entschloss er sich zu einem Arbeitseinsatz am Hochofen in Stahlwerken in Dortmund-Aplerbeck und -Hörde. Im September 1922 wohnte er wieder bei seinem Vater in Hochelheim und verlobte sich mit Margarete. Am 31. Oktober 1922 begann er seine praktische Ausbildung als Vikar, verbunden mit dem Eintritt ins Predigerseminar Soest. Nachdem Paul Schneider das Zweite Theologische Examen bestanden hatte, ging er nach Berlin, um bei der dortigen Stadtmission zu arbeiten.

Ende Januar 1925 wurde er in Hochelheim in der Kirche seines Vaters ordiniert und trat dann in Essen-Altstadt seine erste Stelle als Hilfsprediger an (heute Pfarrer zur Anstellung). Im Januar 1926 erlitt der Vater während der Predigt in Dornholzhausen einen Schlaganfall und starb drei Tage später, am 13. Januar.

1926–1934: Pfarrer von Hochelheim und Dornholzhausen

Hochelheim bei Wetzlar, evangelische Pfarrkirche

Auf Bitten der beiden Gemeinden erlaubte die Kirchenleitung Paul am 4. September 1926, die Nachfolge seines Vaters in Hochelheim und Dornholzhausen anzutreten. Die Besetzung einer Pfarrstelle erfolgt alternierend durch Pfarrwahl der Gemeinde oder Besetzung durch die Kirchenleitung.

Da seine berufliche Zukunft nun gesichert war, erlaubten Margaretes Eltern die Eheschließung der Brautleute. Noch vor seiner Amtseinführung heiratete er am 12. August 1926 in Weilheim Margarete Dieterich. Die Trauung vollzog sein Schwiegervater Pfarrer Karl Dieterich.

Die ersten Jahre im Pfarramt waren geprägt von den alltäglichen Problemen einer ländlichen Gemeinde. Erst Anfang der dreißiger Jahre erreichte die Weltwirtschaftskrise mit ihren Auswirkungen in Deutschland auch die Dörfer Hochelheim und Dornholzhausen. Als eine Folge davon bekam eine Partei mit Namen NSDAP immer mehr Zulauf. Auch wenn Paul Schneider am Anfang unschlüssig war, was von Hitler zu halten sei, war ihm spätestens nach der Machtergreifung klar, dass die Ziele der Nationalsozialisten nicht mit den Aussagen der Bibel in Einklang zu bringen waren, auch wenn dies manche Christen versuchten.

Da bereits im Laufe des Jahres 1933 den Kirchen erste Einschränkungen auferlegt wurden – u.a. sollten die Pfarrer dafür sorgen, dass keine Nichtarier an den Gottesdiensten teilnahmen – gründete sich im September 1933 der Pfarrernotbund, der auf der ersten Barmer Bekenntnissynode im Mai 1934 zur Bekennenden Kirche wurde. Gemeinsam wollte man den Einfluss, den die Nationalsozialisten auf die Kirche ausübten, zurückdrängen. Paul Schneider fand sofort seinen Platz in dieser Bewegung. Dabei ist von Anfang an klar gewesen, dass bei ihm auch die Maßstäbe des politischen Handelns ausschließlich vom Evangelium her gesetzt waren. Da er wegen seines „schriftgemäßen Verstandes der Abendmahlsfeier und der ernst zu nehmenden Beichtfrage“ im Konflikt mit seinem Presbyterium stand und zudem wegen freimütiger Äußerungen über ihm anstößig erscheinende Zeitungsartikel von Joseph Goebbels und Ernst Röhm auch dem Druck staatlicher Stellen ausgesetzt war, konnte er schließlich nach Ansicht der Kirchenleitung nicht länger in Hochelheim bleiben.

1934–1939: Pfarrer von Dickenschied und Womrath

Paul Schneider, der dem Coetus reformierter Prediger angehörte, bewarb sich auf die freie Pfarrstelle der zum Kirchenkreis Simmern gehörenden, pfarramtlich verbundenen, reformierten Evangelischen Kirchengemeinden Dickenschied und Womrath im Hunsrück und wurde von den dortigen Presbyterien gewählt. Der Simmerner Superintendent Gillmann führte Schneider am 8. Mai 1934 in sein Amt ein, das er bis zu seinem Tod am 18. Juli 1939 innehaben sollte. Für Schneider war es die Rückkehr in die Hunsrücker Heimat, die er sehr genoss, zumal er Dickenschied aus seiner Kindheit, als Walter Schneider, ein Bruder seines Vaters die Stelle innehatte, noch gut kannte.

Dickenschied im Hunsrück, evangelische Pfarrkirche
Womrath im Hunsrück, evangelische Pfarrkirche
Womrath im Hunsrück, evangelische Pfarrkirche

1934–1936: Weitere Konflikte mit dem NS-Staat

Kurz nach Antritt der neuen Pfarrstelle ergab sich der nächste Konflikt zwischen ihm und der NSDAP: Bei der Beerdigung des Hitlerjungen Moog in der Nachbarkirchengemeinde Gemünden sagte der NS-Kreisleiter, dass der Verstorbene in den himmlischen Sturm Horst Wessel eingegangen sei. Darauf hin äußerte Paul Schneider, ob es einen himmlischen Sturm Horst Wessel gebe, wisse er nicht, aber Gott möge den Jungen segnen und ihn in sein Reich aufnehmen. Da trat der Kreisleiter noch einmal vor und wiederholte seine Aussage. Empört entgegnete Paul Schneider: „Ich lege Protest ein. Dies ist eine christliche Beerdigung, und ich bin als evangelischer Pfarrer verantwortlich dafür, dass das Wort Gottes unverfälscht verkündet wird!“ Schweigend ging man nun auseinander. Dieses Aufeinanderprallen von Staat und Kirche führte am Tag darauf, dem 13. Juni 1934 zu Schneiders erster Verhaftung. Diese als „Schutzhaft“ deklarierte Maßnahme sollte eine Woche dauern.

Schneider hatte sich mit seiner Gemeinde gleich zu Beginn seiner Amtszeit der Bekennenden Kirche angeschlossen. Die zweite Synode der Bekennenden Kirche (der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union) verabschiedete am 5. März 1935 ein Wort an die Gemeinden gegen das „Neuheidentum“ der „rassisch-völkischen Weltanschauung“, die von allen bekenntnistreuen Pfarrern am 17. März im Gottesdienst verlesen werden sollte. Das Reichsministerium des Innern verbot die Abkündigung und die Gestapo verlangte von allen Pfarrern entsprechende Erklärungen; Schneider verweigerte diese und wurde darum vom 16. März bis zum 19. März in Kirchberg inhaftiert.

Am Palmsonntag 1936 fand eine Reichstagswahl statt. Paul und Margarete Schneider gingen nicht zur Wahl, da auf dem Wahlzettel nur ein „Ja“ angekreuzt werden konnte. In der Nacht auf Ostern, also dem nächsten Sonntag, wurde das Pfarrhaus beschmiert: „Er hat nicht gewählt! Vaterland? Volk, was sagst du?!“ Noch vor dem Ostergottesdienst in Dickenschied beseitigten Gemeindeglieder die Schrift.

1936–1937: Konfrontationen in der Gemeinde

Seit 1933 unterrichteten die beiden Lehrer der evangelischen Volksschulen in Dickenschied und Womrath eine „deutsche Glaubenslehre“, die den nationalsozialistischen Lehren entsprach. Dazu gingen zwei Familienväter aus Womrath gegen Schneider vor und versuchten, ihre Kinder aus dem Kindergottesdienst und dem Konfirmandenunterricht herauszuholen bzw. in Gemünden, wo ein deutsch-christlicher Pfarrer amtierte, konfirmieren zu lassen. Versuche Schneiders, vermittelnde Gespräche zu führen, wurden abgewiesen, so dass sich die Presbyterien, die mit Schneider darin einig waren, dass die sich dem deutsch-christlichen unterstellende Gemeinde in Gemünden nicht mehr als Kirche angesehen werden können und so dem Wunsch nach einem Dimissoriale nicht entsprochen werden könne, entschlossen, die beiden Lehrer sowie die beiden Womrather Familienväter von allen kirchlichen Rechten, u.a. vom Abendmahl, auszuschließen; theologische Grundlage hierfür waren die Fragen 82–85 des Heidelberger Katechismus.[1] Für diese Kirchenzuchtmaßnahme bedurfte es außer dem Presbyteriumsbeschluss der dreimaligen Abkündigung im Gottesdienst. Das Dickenschieder Presbyterium zog im letzten Moment seinen Beschluss zurück. In Womrath kam es nur zu zwei gottesdienstlichen Abkündigungen, da Schneider vor der dritten verhaftet wurde. Zunächst wurde diese zurück gestellt, da er sich im März 1937 bei einem Motorradunfall ein Bein brach und im Krankenhaus lag. Doch am 31. Mai 1937 wurde der Haftbefehl vollzogen und man hielt ihn bis zum 24. Juli im Koblenzer Gestapo-Gefängnis in „Schutzhaft“.

Sommer und Herbst 1937: Ausweisung und letzte Inhaftierung

Schneider wurde in Wiesbaden freigelassen. Man eröffnete ihm, dass er Aufenthaltsverbot für die Rheinprovinz habe, also auch für seine Gemeinden im Hunsrück. Nach seiner Entlassung hielt er sich deswegen zunächst eine Weile im hessischen Eschbach sowie in Baden-Baden auf. Als er aber von seinen Presbyterien gebeten wurde, zurück zu kommen, machte er sich auf den Weg nach Dickenschied zu seiner Frau und den sechs Kindern, nicht ohne gegenüber dem Regierungspräsidenten, dem Reichsinnenminister und sogar der Reichskanzlei seine Entscheidung ausführlich zu begründen. Es ging dabei um die Frage, ob der Staat das Recht habe, in die Kirche hinein zu regieren. Mit Ausweisungen von Christen aus ihren Provinzen unterlief der Staat die von Schneider faktisch vertretene Trennung von Staat und Kirche. – Schneider hielt am 3. Oktober 1937 den Gottesdienst zum Erntedankfest in Dickenschied. Auf dem Weg zum Gottesdienst in Womrath, der am Nachmittag stattfinden sollte, wurde er verhaftet, weil Dickenschieder zwischenzeitlich die Polizei in Kirchberg benachrichtigt hatten, und wieder in das Gefängnis der Geheimen Staatspolizei Koblenz gebracht.

1937–1939: KZ Buchenwald

Gedenkstätte Buchenwald, Arrestgebäude („Bunker“)
Gedenkstätte Buchenwald, Einzelzelle Paul Schneiders

Am 27. November 1937 wurde Paul Schneider dann nach Weimar ins neu errichtete KZ Buchenwald verlegt, wo er Zwangsarbeit verrichten musste. Der Arbeit im Steinbruch konnte er aufgrund seiner guten körperlichen Verfassung standhalten, manchmal gar für andere Arbeit mit übernehmen. Im Konzentrationslager, in dem zu jener Zeit politisch, religiös oder rassisch Verfolgte wie Kriminelle einsaßen – Juden kamen erst nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 hinzu –, wurde er für seine Mitgefangenen zum „Prediger von Buchenwald“.

Als er bei einem Fahnenappell anlässlich des Führergeburtstages am 20. April 1938 den Hitlergruß verweigerte, seine Mütze nicht abnahm und als Begründung angab: „Dieses Verbrechersymbol grüße ich nicht!“, wurde er öffentlich mit Stockschlägen bestraft und in eine Einzelzelle des Arrestgebäudes („Bunker“) gesperrt. Trotz schwerster Misshandlungen unterließ er es auch weiterhin nicht, aus seinem Gefängnis heraus das Evangelium zu verkünden. Am Ostersonntag soll er sich trotz größter Schmerzen an den Gitterstäben seiner Zelle hochgezogen und den tausenden von Häftlingen draußen auf dem Appellplatz zugerufen haben: „Kameraden, hört mich. Hier spricht Pfarrer Paul Schneider. Hier wird gefoltert und gemordet. So spricht der Herr: Ich bin die Auferstehung und das Leben!“. Weiter kam er nicht. Massive Stockschläge ließen den „Prediger von Buchenwald“ wieder verstummen.

Über ein Jahr lang wurde Paul Schneider in der Einzelzelle gefangengehalten und vor allem vom Aufseher Martin Sommer gequält, bis er körperlich nur noch ein Wrack und dem Tode nahe war. Alle gegen ihn bei einem Sondergericht in Köln anhängigen Verfahren waren am 10. Juni 1938 eingestellt worden, da nur eine geringe Strafe zu erwarten war. Er hätte das KZ auf der Stelle verlassen können, wenn er sich dem Ausweisungsbefehl aus der Rheinprovinz gebeugt hätte, was er aber nicht tat, da er sich unter Berufung auf Apg 5,29 LUT seinen Gemeinden in Dickenschied und Womrath verpflichtet fühlte. Er kam auf die Krankenstation, wo man ihm äußerlich ein wenig Pflege zukommen ließ. Am 18. Juli 1939 wurde Paul Schneider dort vermutlich durch eine Überdosis des Herzmedikaments Strophanthin ermordet. Seine Frau wurde über den Tod ihres Mannes informiert, und sie erhielt die – ansonsten nicht gewährte – Möglichkeit, den Leichnam nach Dickenschied zu holen. Mit Unterstützung reiste Margarete Schneider sofort nach Weimar und nahm den versiegelten Sarg in Empfang. Er wurde in das Ev. Krankenhaus Simmern gebracht, wo er unter Polizeiaufsicht bis zur Beisetzung verblieb.

Beisetzung

Der geschundene Leichnam des Pfarrers wurde nach Dickenschied überführt. Trotz Vorkehrungen seitens der Gestapo fand die Beisetzung, bei der Friedrich Langensiepen die Predigt hielt, unter sehr großer Anteilnahme der Bevölkerung statt. Es kamen Gäste von weit her und auch aus dem benachbarten Ausland angereist, unter ihnen etwa 200 Pfarrer. Katholische Gasthausbetreiber verwiesen Gestapo-Mitarbeiter zu deren Überraschung des Hauses, weil sie an der Beisetzung teilnehmen wollten. „So werden Könige begraben“, meinte einer der Gestapomänner angesichts der mehreren hundert Beerdigungsgäste, die seine Aufgabe, die Teilnehmer zu notieren, unmöglich machten. Paul Schneiders Grabmal wurde vom Bildhauer Wilhelm Groß gestaltet, der selbst aktives Mitglied der Bekennenden Kirche war.

Das von den Deutschen Christen beherrschte rheinische Konsistorium beschwerte sich in der Folge bei der Gestapo, dass sie die Angelegenheit nicht im Griff gehabt habe. Diese öffentlich weithin wirksame Begräbnisfeier hätte verhindert werden müssen.

1939–2002: Nach dem Tod Paul Schneiders

Dickenschied, Grab von Paul und Margarete Schneider

Margarete Schneider und ihre Kinder zogen im Herbst 1939 nach Wuppertal-Elberfeld, wo ihnen die Bekennende Kirche ein Haus besorgt hatte. Infolge von Fliegerangriffen brannte das Haus im Sommer 1943 aus, und die meisten Dokumente Schneiders wurden vernichtet. Danach lebte die Familie zunächst bei der Mutter in Tübingen; Margarete Schneider baute nach dem Krieg die Frauenarbeit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg mit auf. Sie gehörte 1952 wie Gustav Heinemann zu den Mitbegründern der Gesamtdeutschen Volkspartei. Seit 1960 lebte Margarete Schneider wieder in Dickenschied, während der letzten Jahre zunehmend auch in Liederbach. Sie starb am 27. Dezember 2002 in Schwalbach am Taunus. Sie engagierte sich in der gesamten Zeit nach dem Krieg versöhnend in den Dörfern Dickenschied und Womrath. Für ihr Engagement wurde sie durch die Ernennung zur Ehrenbürgerin von Dickenschied sowie noch kurz vor ihrem Tod durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes geehrt.

Gedenktafel in der Kirche von Womrath; eine identische befindet sich in der Kirche von Dickenschied.

Würdigungen

Dietrich Bonhoeffer sah Paul Schneider als den ersten evangelischen Märtyrer an.

Mit seinen Predigten im KZ und dem Hinausrufen von Bibelsprüchen auf den Appellplatz wusste er nicht nur Christen zu trösten, wie Ernst Cramer, der wie Schneider in Buchenwald inhaftiert war, noch im Jahr 2000 in dem Film Ihr Massenmörder – ich klage euch an bezeugte.

Papst Johannes Paul II. würdigte im Rahmen des Märtyrergedenkens am 7. Mai 2000 im Kolosseum zu Rom zwei Zeugen Christi namentlich. Einer davon war Paul Schneider. Er sagte: „Genauso überzeugt [wie der orthodoxe Metropolit von St. Petersburg Benjamin, 1922 ermordet] bekräftigte der … [evangelische] Pastor Paul Schneider aus seiner Zelle in Buchenwald gegenüber seinen Aufsehern: ‚So spricht der Herr: Ich bin die Auferstehung und das Leben!‘.“

Am 12. Oktober 2002 wurde die von Renata Sciachì und künstlerischen Mitarbeitern der Gemeinschaft Sant’Egidio gestaltete Ikone in der römischen Basilika San Bartolomeo eingeweiht. [2] Sie zeigt in der Bildmitte unmittelbar unterhalb der Osterkerze Paul Schneider als Prediger von Buchenwald in seiner Arrestzelle und bezieht sich damit auf die Predigt Johannes Pauls II., in der er auf Schneiders Zeugnis Predigt der Auferstehung verweist.

Ikone der Märtyrer des 20. Jahrhundert aus der Basilika San Bartolomeo all’Isola in Rom

In mehreren deutschen Städten und Gemeinden sind Straßen, christliche Gemeindehäuser und Schulen nach ihm benannt.

Nach dem Jahr 2000 und der Würdigung von Paul Schneider durch Papst Johannes Paul II., der die ökumenische Dimension des Martyriums im 20. Jahrhundert betonte, wird sein Leben auch in der evangelischen Kirche mit größerer Aufmerksamkeit wahrgenommen und gewürdigt.


Medien

Literatur

Deutschsprachige Veröffentlichungen

  • Albrecht Aichelin: Paul Schneider. Ein radikales Glaubenszeugnis gegen die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus; Gütersloh: Kaiser, 1994; ISBN 3-579-01864-7
  • Claude R. Foster: Paul Schneider. Seine Lebensgeschichte. Der Prediger von Buchenwald; übersetzt von Brigitte Otterpohl; Holzgerlingen: Hänssler, 2001; ISBN 3-7751-3660-6
  • Markus Geiger: Pfarrer Paul Schneider und seine Rezeptionsgeschichte; Schriftenreihe der Pädagogischen Hochschule Heidelberg 49; Heidelberg: Mattes, 2007
  • Folkert Rickers: Widerstehen in schwerer Zeit. Erinnerung an Paul Schneider (1897–1939). Ein Arbeitsbuch für den Religionsunterricht in den Sekundarstufen und für die kirchliche Bildungsarbeit; Neukirchen-Vluyn: Verlag des Neukirchener Erziehungsvereins, 1998; ISBN 3-7887-1673-8
  • Margarete Schneider: Paul Schneider. Der Prediger von Buchenwald. Das Martyrium Paul Schneiders; neu herausgegeben von Elsa-Ulrike Ross, Paul Dieterich; Holzgerlingen: Hänssler-Verlag, 2009; ISBN 978-3-7751-4996-9
  • Rudolf Wentorf: Paul Schneider. Der Zeuge von Buchenwald; Gießen und Basel: Brunnen, 31987; ISBN 3-7655-3810-8
  • Rudolf Wentorf: Der Fall des Pfarrers Paul Schneider. Eine biographische Dokumentation; Neukirchen-Vluyn: Verlag des Neukirchener Erziehungsvereins, 1989; ISBN 3-7887-1327-5
Paul Schneider (bundesdeutsche Briefmarke, 1989)

Fremdsprachige Veröffentlichungen

  • Englisch:
    Claude R. Foster jr.: Paul Schneider, the Buchenwald apostle : a Christian martyr in Nazi Germany ; a sourcebook on the German Church struggle; Westchester, Pennsylvania: SSI Bookstore, West Chester University, 1995; ISBN 1-887732-01-2
  • Italienisch:
    Margarete Schneider (Hrsg.): Il predicatore di Buchenwald: il martirio del pastore Paul Schneider (1897–1939); übersetzt von Teresa Franzosi; Torino (Turin): Claudiana, 1996; ISBN 88-7016-245-1
  • Französisch:
    Philippe Noyer: Paul Schneider 1897–1939. Martyr de l’Eglise Confessante Allemande; Diplomarbeit am Institut Protestant de Théologie (Faculté de Théologie Protestante) à Montpellier / Paris 1983 (als Manuskript einsehbar in der Bibliothek des Institutes)

Filme

  • Sabine Steinwender, Folkert Rickers: „Ihr Massenmörder – ich klage euch an“. Pfarrer Paul Schneider (ein für Unterrichtszwecke konzipierter Film)
  • dies.: „You Mass Murderes – I accuse you“. Reverend Paul Schneider(englischsprachige Fassung des Filmes)
  • Südwestrundfunk: Der Vater und wir. Das Erbe des Paul Schneider

Beide Filme sind über den Medienverband der Evangelischen Kirche im Rheinland [1] zu beziehen.

Dia-Serie

  • Gerd Westermayer, Heinz-Günther Ney, Harald Kosub: Paul Schneider. Der Prediger von Buchenwald; Weimar: Pfarrer-Paul-Schneider-Gesellschaft, 2005

Weblinks

Fußnoten

  1. Die Fragen 82–85 des Heidelberger Katechismus.
  2. Renzo Giacomelli: Il Testimone – Il Pastore Luterano Tedesco Paul Schneider. Il “Predicatore Nel Bunker” Che Morì A Buchenwald

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