Prognostizieren

Prognostizieren

Die Prognose (griechisch, πρóγνωσις – wörtlich „das Vorwissen“, die „Voraus-Kenntnis“), deutsch Vorhersage oder Voraussage, selten auch: Prädiktion (lat. praedicare „ im Voraus“ und „sagen“) bezeichnet die Aussagen über Ereignisse, Zustände oder Entwicklung in der Zukunft. Die Prädiktion hat einen anderen zeitlichen Verlauf als die Retrodiktion und Erklärung.

Wissenschaft und Methodologie der Prognosen ist die Prognostik, in weiterem Sinne die Futurologie.

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen

Die Basis einer validen Prognose bilden Fakten, die oft mit formalisierten Methoden (Messungen, zeitlich gegliederten Messreihen oder Simulationen) zur Erstellung von Datenmaterial erhoben werden. Auf diesen Grundlagen können dann mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit Voraussagen für die Zukunft gemacht und Entscheidungen getroffen werden. Hierbei werden Daten, auf die sich die Prognose stützt, als (bessere oder schlechtere) Prädiktoren bezeichnet. Im Gegensatz zur reinen Intuition zählen auch begründbares Erfahrungswissen und seine Extrapolation zu den anerkannten Prognosemethoden. Solche argumentierbaren Vorhersagen sind in allen Bereichen der Wissenschaft methodisch bedeutsam.

  • Ein wesentliches Merkmal der Entscheidungen in jedem Bereich ist ihre Zukunftsbezogenheit:
    • Entscheidungen beruhen stets auf Prognosen oder prognostischen Erwartungen.
    • Entscheidungen müssen objektiv unter Unsicherheit gefällt werden. Sie sind risikobelastet, da die Entscheider nur unvollkommene Informationen besitzen.
  • Dabei kommt es im Bereich sozialwissenschaftlicher Prognosen zu einer zusätzlichen Erschwernis: Die „Objekte“ der Voraussage sind selbst Akteure („Subjekte“) und könnten aufgrund der Prognose ihr Verhalten ändern. (Siehe dazu die „selbstzerstörerische“ und die „selbsterfüllende Prophezeiung“.)

Eng verbunden ist die wissenschaftstheoretische Betrachtung von Prognosen mit den Begriffen der Kausalität und der Voraussagbarkeit, in der Umsetzung auch mit grundsätzlichen Aspekten von Wahrscheinlichkeit und Zufall. In der empirischen Forschung stellt die Prognosevalidität ein wichtiges Qualitätskriterium bei der Operationalisierung von Konstrukten dar.

Anforderungen

Eine Anzahl Erfordernisse einer triftigen Prognose werden genannt, darunter:

  1. Nichttrivialität: Folgendes Aussagenschema sollte nicht vorkommen: „Morgen regnet es oder auch nicht.“
  2. Objektivität: Überprüfbarkeit der Methode, dazu gehört auch die vollständige Angabe und Spezifikation der Bedingungen (sogenannte Rahmenbedingungen), von denen das Eintreffen des prognostizierten Ergebnisses abhängig gemacht wird.
  3. Validität: Wird tatsächlich das prognostiziert, was prognostiziert werden soll?

Arten von Prognosetechniken

Ein Prognoseverfahren sollte besser sein als die Naive Prognose, da sich sonst der Mehraufwand gegenüber der Naiven Prognose nicht lohnt.

Prognosetechniken lassen sich auf verschiedene Arten einordnen. Bezüglich ihres Horizonts lassen sich kurz-, mittel- und langfristige Prognosen unterscheiden. Darüber hinaus unterscheidet man qualitative und quantitative Techniken. Zusätzlich lassen sie sich bezüglich ihrer Erstellungsperspektive in „Top-Down“ und „Bottom-Up“ unterscheiden. Das einfachste Prognoseverfahren ist die Naive Prognose.

Qualitative Prognosetechniken

  • sind subjektive Einschätzungen, die von Experten mit einem gereiftem Fachwissen intuitiv erstellt werden
  • eine mögliche Variante ist die Lineare Extrapolation --> Vergangenheitswerte werden grob in die Zukunft projiziert
  • weitere Varianten --> Meinungsbefragungen oder Lebenszyklusanalysen
  • versuchen Trends vorherzusehen
  • sind aufwendiger
  • liefern eher wenig konkrete Zahlen
  • (z. B. Aktienkurse, technische Entwicklung, längerfristige Wettervorhersage)

Quantitative Prognosetechniken

Top-Down/Bottom-Up-Prognose

Der Top-Down-Prognoseansatz ist zentralistisch und eignet sich vor allem für stabile Nachfragesituationen. Hat ein Unternehmen beispielsweise 4 Vertriebszentren, deren Bedarf in der Vergangenheit 4:3:2:1 verteilt war, so würde eine aggregierte Bedarfsmenge auf Basis der Nachfrage des gesamten Marktes in entsprechenden Verhältnis an die Vertriebszentren verteilt werden.

Bei der Bottom-Up-Prognosemethode würde jedes Vertriebszentrum seine Prognosen selbst erstellen und an die Produktionsstätte übermitteln, wo sie aggregiert würden. Die Methode berücksichtigt die regionalen Marktentwicklungen, ist aber schwieriger zu organisieren.

Prognosefehler

Trotz aller Bemühungen, Prognosen technisch zu optimieren, werden zwischen der Prognose und dem tatsächlich eintretenden Ereignis immer größere oder kleinere Abweichungen bestehen. Es ist daher – auch bei der Wahl des richtigen Prognosemodells – sehr wichtig, die Güte des gewählten oder des betrachteten Verfahrens durch Ermittlung der Prognosefehler zu bewerten.

Im Rahmen des qualitativen Prognostizierens lassen sich Prognosefehler nicht von vornherein quantifizieren. Fehlerursachen sind u.a.:

  • Jüngere Werte werden überbewertet.
  • Scheinbare Muster werden erkannt, die jedoch heuristisch nicht existent sind.
  • Besondere Ereignisse bleiben im Gedächtnis, während normale schnell vergessen werden.
  • Wunschvorstellungen können in Prognosen einfließen.

Beim quantitativen Prognostizieren wird mit dem ermittelten Prognosefehler die Prognosegenauigkeit bewertet. Die gängigsten Verfahren sind im Folgendem kurz aufgeführt:

  • Mean squared error (MSE)
  • Median absolute deviation (MAD)
  • Mean absolute percentage error (MAPE)

MAPE gibt einen relativen Wert an, wodurch er andere Vergleichsmöglichkeiten eröffnet als der MSE und MAD, die in absoluten Zahlen angegeben werden.

Prognosefehler im Haushaltsplan werden als überplanmäßige oder außerplanmäßige Ausgaben bzw. Einnahmen durch die Kameralistik abgebildet.

Beispiele für wichtige quantitative Prognosetechniken

Bei den quantitativen Verfahren, die auf Heuristiken und Rechenverfahren basieren, werden eindimensionale und multidimensionale Verfahren unterschieden.

  • Eindimensionale Verfahren benötigen eine große Datenmenge, sie liefern schlechtere Werte bei langfristigen Prognosen und liefern auch bei starken Absatzschwankungen häufig schlechte Prognosen. Sie lassen sich allerdings gut systematisieren und bei einer großen Produktanzahl einsetzen. Darüber hinaus sind sie leicht verständlich. Bekannte eindimensionale Verfahren sind: Exponentielle Glättung, Trendprognose, Gleitende Durchschnitte; hier werden rollierende Durchschnittswerte benutzt.
  • Multidimensionale Verfahren basieren auf der Kausalität der Absatzzahlen zu verschiedenen Variablen, wie z. B. Preis und Promotionen. Es wird unterstellt, dass der Absatz mit Faktoren, wie z. B. dem Wetter beim Eis oder der Jahreszeit beim Mineralwasser in direkter Beziehung steht. Bekannte multidimensionale Verfahren sind: Ökonometrische Modelle und Regressionsanalyse.

Verfahren im Einzelnen:

  • mathematisch-Statistikstatistische Grundmethoden sind Extrapolation und Hochrechnung
  • Trendprognose: Projizierung einer Wertereihe in die Zukunft.
  • Exponentielle Glättung: Bei der exponentiellen Glättung handelt es sich um ein Prognoseverfahren, mit dem Zukunftswerte auf der Basis vergangener Werte vorhergesagt werden.
  • Regressionsrechnung: Analyse funktionaler Zusammenhänge zwischen mindestens zwei Größen.
  • Ökonometrische Modelle: Analyse wirtschaftswissenschaftlicher Zusammenhänge aufgrund der Bildung von Gesamtmodellen mit vielen Variablen und Aussagen über den Zusammenhang all dieser Variablen untereinander.
  • Portfolio-Analyse: Zumeist graphisch orientierte Analyse von zwei oder manchmal drei Größen.
  • Lebenszyklus-Analyse: Analyse des Verlaufs einer Entwicklung im Zeitablauf. Setzt genaue Marktbeobachtung und Marktforschung voraus.

Beispiele für wichtige qualitative Prognosetechniken

  • Delphi-Methode: Dies ist eine schriftliche, mehrphasige Befragung von Experten, wobei diese bei jeder neuen Fragerunde über die Ergebnisse der vorherigen Runde informiert werden.
  • Szenario-Technik: Gedankliche Analyse der erwarteten Entwicklung einzelner Teilsysteme und Berechnung der Entwicklung des Gesamtsystems aufgrund dieser Einzelprognosen.
  • Relevanzbaum-Verfahren: Steht der Spieltheorie nahe. Retrograde Ableitung von Lösungsmöglichkeiten für gegebene Situationen aufgrund der Entscheidungstheorie.
  • Historische Analogie: Analyse einer Entwicklung im Zeitablauf. Marktspezifische Details werden in hohem Maße berücksichtigt.

Anwendungsgebiete im Bereich der naturwissenschaftlichen Modellierung

Prognose ist sowohl Inhalt jeder wissenschaftlichen Modellierung, wie auch jedes Experiments.

Anwendungsgebiete im Bereich der Humanwissenschaften

Politik und Politikwissenschaft

Neben den in ihrer Methodenwahl nicht immer öffentlichen Think Tanks von Parteien und Politikern existieren zu Prognosezwecken besondere Kommissionen – etwa bei der deutschen Bundesregierung der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung oder die Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, auch geben die Regierung selbst Prognosen ab, etwa ihre Jahreswirtschaftsberichte und den jährlichen Haushaltsplan, der in der Kameralistik die Prognose im Soll abbildet. Auch Internationale Organisationen wie OECD, IWF und EU-Kommission haben entsprechende Unterorganisationen bzw. Beiräte und geben ebenfalls Prognosen ab.

Auch in der Wahlforschung sind Wahlprognosen zentrales Thema

Demografie

In der Demografie spielen Prognosen in Form von Bevölkerungsprognosen auf der Grundlage von Annahmen über die zukünftige Entwicklung von Fertilität, Mortalität und Migration eine wichtige Rolle. Für Deutschland führt das Statistische Bundesamt solche Prognosen durch.

Betriebswirtschaft

Die Prognose wird in der Betriebswirtschaftslehre oft auch als Forecast (engl. ‚Vorhersage‘) bezeichnet.

  • Langfristige Vorhersage von Absatzmöglichkeiten und Marktpotentialen für neue Produkte im Rahmen der Produktionsplanung und -steuerung (z. B. Delphi-Methode).
  • Ableitung von Teilzielen und Strategien, zum Beispiel zur Entwicklung langfristiger Strategien (z. B. Relevanzbaum-Verfahren).
  • Vorhersage von Produktlebenszyklen für neue Produkte (z. B. Historische Analogie).
  • Lagerbestandsprognose (z. B. Trendprognose, Exponentielle Glättung).
  • Umsatzprognose bei stabilen Bedingungen (z. B. Trendprognose, Exponentielle Glättung).

Volkswirtschaft

Volkswirtschaftliche Prognosen[1] werden in der Regel im Frühjahr und im Herbst erstellt für das laufende und das kommende Jahr. Mittelfristige Prognosen umfassen einige weitere zukünftige Jahre. Langfristprognosen bemessen sich nach Jahrzehnten. Die meisten gesamtwirtschaftlichen Prognoseinstitutionen sind öffentlich-rechtlich, manche Firmen – z. B. Großbanken – haben auch eigene volkswirtschaftliche Abteilungen, die gesamtwirtschaftliche Prognosen erstellen.

Siehe:

Prognose spielt auch in der Logistik[2][3] der Produktionsplanung[4] und des Transports eine zentrale Rolle.

Bei wirtschaftlichen Entscheidungsfindungsprozessen spricht man von Controlling.[5]

Medizin, Psychologie und Veterinärmedizin

siehe auch Hauptartikel Prognose (Psychologie)
siehe auch Liste lateinischer Phrasen/P#Prognosis

In der Medizin wird mit dem Begriff Prognose die Einschätzung des Krankheitsverlaufs beschrieben. Ist die Heilungswahrscheinlichkeit hoch, spricht man von einer guten, ist sie niedrig von einer schlechten Prognose. Bei fehlender kurz- bis mittelfristiger Überlebenswahrscheinlichkeit wird der Begriff infauste Prognose verwendet.

Die Prognose kann sich im Verlauf einer Erkrankung durch die Behandlung ändern. Sie ist von der zur Verfügung stehenden Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten abhängig. Im Weiteren spielen Begleiterkrankungen, Compliance und soziale Faktoren wie Bildung eine Rolle.

In der Veterinärmedizin wird bei Nutztieren zwischen einer Prognose quo ad vitam und einer Prognose quo ad usum unterschieden. Die Prognose quo ad vitam bezeichnet dabei die Chance, dass das Tier die Erkrankung überlebt, quo ad usum die Chance, dass das Tier nach erfolgter Heilung wieder als Nutztier (Reitpferd, Milchkuh, Brieftaube etc.) eingesetzt werden kann.

Rechtswissenschaft

In der rechtlichen Beurteilung von Fragestellungen können Prognoseentscheidungen der unterschiedlichsten Art erforderlich werden. Eine eigenständige Bedeutung kommt ihnen indes vor allem im Bereich des Strafrechts zu, weil etliche Entscheidungen insbesondere der Strafzumessung und der Strafvollstreckung auf der Basis einer Prognose des künftigen Verhaltens des Täters erfolgen müssen.

Religionswissenschaft

Die Religionsgeschichte bietet eine Vielzahl von Vergleichsfällen, die Religionssoziologie aktuelle Daten. Auf diesem Fundament beginnen Ansätze einer religionswissenschaftlichen Prognostik – z. B. über die Folgen von Diskriminierungen, über die Entwicklung von Institutionen oder über die Entwicklung fundamentalistischer Strömungen etc.

Soziologie

Wie alle Sozialwissenschaften hat auch die Soziologie das Problem, dass ihre Prognosen von den Objekten ihrer Prognose vernommen werden können, die dann entsprechend ihr folgen oder ihr entgegenarbeiten können. Hierzu siehe Selbsterfüllende Prophezeiung und Epignose.[6]

Weiteres

Siehe auch

Zitate

  • „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ (zugeschrieben Karl Valentin, Mark Twain, Winston Churchill u.a.)
  • „Die beste Art, die Zukunft vorauszusagen, ist, die Zukunft zu erfinden“ (Alan Kay, Computerwissenschaftler)
  • "Ein Prognostiker ist ein Mann, der in lichten Momenten düstere Ahnungen hat" (Tennessee Williams)

Literatur

  • Peter Mertens, Prognoserechnung, Pyhsica Verlag, Heidelberg, 2005, ISBN 3-7908-0216-6
  1. John E. Hanke, Business forecasting, 1998
  2. Donald J. Powersox, Logistical management, 1996
  3. Thomas Schneckenburger, Prognosen und Segmentierung in der Supply Chain , 2000
  4. Horst Tempelmeier, Material-Logistik – Modelle und Algorithmen for die Produktionsplanung und -steuerung in Advanced Planning-Systemen, 6. Aufl., Berlin (Springer) 2005
  5. Petér Horváth, Controlling, München 1998
  6. Lars Clausen, Zur Asymmetrie von Prognose und Epignose in den Sozialwissenschaften. In: Ders.: Krasser sozialer Wandel, Opladen 1994, ISBN 3-810-01141-X

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  • prognostizieren — prophezeien; prädizieren; weissagen; voraussagen; vorhersagen; abschätzen; vorausberechnen; vorhersehen; schätzen; vermuten * * * pro|gnos|ti|zie|ren [prognɔsti ts̮i:rən] <tr.; …   Universal-Lexikon

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  • prognostizieren — pro|gnostizi̲e̲|ren: den voraussichtlichen Verlauf einer Krankheit vorhersagen …   Das Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke

  • prognostizieren — pro|gnos|ti|zie|ren <aus gleichbed. mlat. prognosticare> den voraussichtlichen Verlauf einer zukünftigen Entwicklung (z. B. einer Krankheit) vorhersagen, vorhererkennen …   Das große Fremdwörterbuch

  • prognostizieren — pro|g|nos|ti|zie|ren …   Die deutsche Rechtschreibung

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