- Proletarier
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Das Proletariat (von lat. proles = die Nachkommenschaft) bezeichnet die gesellschaftliche Schicht der Landlosen und Lohnabhängigen (Besitzlosen), die aber nicht versklavt waren. Zur Sicherung ihrer materiellen Existenz sind die Mitglieder der Arbeiterklasse gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Aus der marxistischen Weltsicht stehen sie in einer kapitalistischen Gesellschaft im unversöhnlichen Gegensatz zur besitzenden Klasse der Bourgeoisie. Der Begriff wird auch so verstanden, dass die Proletarier diejenigen sind, die als Besitz nur ihre Nachkommen (lat. proles) haben.
In der Geschichte wird der Begriff Proletariat einerseits auf die Landlosen des alten Rom, andererseits auf die Industriearbeiterschaft in der Zeit der Industriellen Revolution angewendet.
Während in der Soziologie heute von dem neuen Proletariat gesprochen wird, kommt im alltäglichen Sprachgebrauch der Begriff Proletariat selbst kaum mehr vor. Allerdings sind in der einfachen Umgangssprache die davon abgeleiteten Begriffe „Proll“ und „Prolet“ als Schimpfwörter bzw. diskriminierende Bezeichnungen gebräuchlich. Dahinter verbergen sich Klischee-artige abwertende Zuschreibungen. Der Begriff Prolet und insbesondere der Begriff Proll sind vergleichsweise unscharf und entfernen sich in der Benutzung teilweise erheblich von der Bezeichnung einer gesellschaftlichen Gruppe im soziologischen Sinne (Schicht, Klasse, Milieu), sondern assoziieren (anstelle ökonomischer Ungleichheit) meist eher kulturelle Wertungen im Sinne von derb, vulgär, nicht kultiviert, ungebildet oder sogar barbarisch oder kulturlos, manchmal auch in Abgrenzung zu intellektuell. Näheres dazu ist im zugehörigen Artikel unter Prolet zu finden.
Inhaltsverzeichnis
Etymologie
Der deutsche Begriff Proletariat stammt vom lateinischen Begriff proletarius. Der ursprünglichen Wortbedeutung folgend bedeutet proletarius die Nachkommenschaft betreffend. Abgeleitet davon erschließt sich die heutige Wortbedeutung: Das Proletariat ist die Bevölkerungsgruppe, die den Staat nur mit ihrer Nachkommenschaft trägt und nicht mit ihrem Vermögen.[1]
Das Proletariat im alten Rom
Durch die Ausdehnung des sich entwickelnden Imperium Romanum strömten Sklaven (als Kriegsbeute) nach Rom und wurden in Großgrundbesitzungen als Landarbeiter eingesetzt. Da diese großen landwirtschaftlichen Betriebe wesentlich effizienter produzieren konnten als das bis dahin vorherrschende Kleinbauerntum, verlor dieses seine Existenz, und zog als landlose aber dennoch freie römische Bürgerschaft in die Hauptstadt, wo sie neben den adligen Patriziern und den nichtadligen aber dennoch besitzenden Plebejern (welche mit dem Klein- und Großbürgertum späterer Zeiten vergleichbar sind) einen dritten Stand bildeten.
Da sie außer ihrem Stimmrecht nichts mehr besaßen, verkauften sie dieses gegen Lebensmittel an die reiche Oberschicht.
siehe auch antikes Rom
Das Arbeiterproletariat der Industriellen Revolution
Genau wie das antike Proletariat handelte es sich auch beim Proletariat der Zeit der Industriellen Revolution um Menschen, welche ihre bäuerlichen oder kleingewerblichen Existenzen aufgeben mussten und in die Städte zogen. Hier war der Grund die Industrialisierung, mit deren wesentlich effizienterer Produktionsweise das kleine Handwerk nicht mehr mithalten konnte. Auf der anderen Seite benötigten die neu entstehenden Fabriken Arbeitskräfte, so dass mehr und mehr die vormaligen Handwerker und Bauern unter Aufgabe ihres Landbesitzes oder ihrer Werkstatt in die Städte gingen und zu (Industrie-)Arbeitern wurden.
Dort wurden diese Menschen in einer bis dahin unbekannten Weise ausgebeutet, die Arbeitszeit betrug bis zu 18 Stunden am Tag, ohne Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen. Diese Missstände führten direkt zur Gründung von Gewerkschaften und zur Entstehung der Arbeiterbewegung wie des Marxismus.
Proletariat im Marxismus
Proletariat oder Arbeiterklasse ist im Marxismus diejenige Klasse, die als die Klasse der Lohnarbeiter ihre Arbeitskraft verkauft. Der erfolgreiche Verkauf dieser Ware Arbeitskraft ist für sie nötig, um zu überleben. Der Marxismus setzt große Hoffnungen in sie und geht davon aus, dass die Selbstbefreiung des Proletariats – über die Diktatur des Proletariats – zur Befreiung der gesamten Gesellschaft und somit schlussendlich zu einer klassenlosen Gesellschaft führe. Karl Heinz Roth spricht, im Zuge einer Neuprojektierung revolutionärer Praxis von der (neuen) Proletarität.
Definition von Proletariat nach Immanuel Wallerstein
Nachdem Wallerstein die Bourgeoisie dadurch charakterisiert, dass sie über Mehrwerte verfügt, die sie nicht selbst erwirtschaftet hat und diese in der Lage ist in Kapitalgüter zu investieren, ergibt sich daraus für das Proletariat, dass es aus jenen besteht, die Teile des von ihnen erwirtschafteten Mehrwertes an andere abgeben. Der Erhalt von Lohnzahlungen ist an sich kein Merkmal des Proletariats. Denn der Produzent schafft den Wert, den er nicht im gesamten behält, sondern in Teilen oder im Ganzen an jemand anderen gibt, wofür er wiederum abhängig von der Arbeitsform nichts oder Güter oder eben einen Lohn erhält. Somit ergibt sich im Kapitalismus eine strukturelle Polarität zwischen der Bourgeoisie auf der einen und dem Proletariat auf der anderen Seite.
Den Prozess der Proletarisierung charakterisiert Wallerstein durch die Verbreitung der Lohnarbeit im Laufe der historischen Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft. Erklärt wird diese dadurch, dass die dem Kapitalismus innewohnende Notwendigkeit der Expansion regelmäßig Engpässe aufgrund mangelnder globaler Nachfrage zu überwinden hat, und eine Möglichkeit zur Überwindung solcher Engpässe stellt die Verbreitung von Lohnarbeit dar. Denn dadurch erhöht sich der Anteil des Mehrwertes, den der Produzent behält und über den er folglich zur Konsumtion verfügt. Entsprechend erhöht sich somit auch die globale Nachfrage. Stetige Expansion gelingt also nur durch Löhne, da diese Nachfrage erzeugen.
Die Lohnarbeit ist zudem von politischer Bedeutung. Denn mit steigendem Lohnniveau weiten sich auch die formellen Rechte der Proletarier und damit verbunden auch ihr Klassenbewusstsein aus. Dies geschieht jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt, dem nämlich an dem der Proletarier faktisch zu einem Bourgeois wird.
Quelle: Wallerstein, Immanuel (1998): Der Klassenkonflikt in der kapitalistischen Weltwirtschaft, in: Balibar, Etienne/Wallerstein, Immanuel (1998): Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg, S. 141-153
Konkurrierende Begriffe zum Begriff „Proletariat“
Der Hauptartikel hierzu befindet sich unter Sozialstruktur.
Die Begriffe „Proletariat“ und „Arbeiterklasse“ werden besonders stark im marxistischen Kontext verwendet und assoziieren besonders stark Ausbeutungsrealitäten sowie Emanzipationsbestrebungen (z.B. Revolution). Der Klassenbegriff grenzt sich dabei von Anfang an scharf ab gegen den Begriff des sozialen Standes. Seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Klassenbegriff auch in Konkurrenz zum Begriff Schicht sowie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch in Ergänzung und / oder Konkurrenz zum Begriff des sozialen Milieus zu sehen. Bezogen auf das Proletariat sind die konkurrierenden – wenn auch nicht deckungsgleichen – Begriffe Vierter Stand, Unterschicht und Arbeitermilieu. Dabei wird z.T. zwischen traditionellem und traditionslosem Arbeitermilieu unterschieden. Bei Gerhard Schulze treten an deren Stelle Harmoniemilieu und Unterhaltungsmilieu, also Milieus, die stärker über Freizeitgestaltung und gewähltem Lebensstil charakterisiert werden. Seit wenigen Jahren taucht in der Diskussion auch der Begriff der Neuen Unterschicht auf, der nun eher aus dem linken Lager eingebracht wird.
In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es auch Ansätze, die die Klassengegensätze gänzlich als obsolet betrachteten. Sie sprachen von der Nivellierten Mittelstandsgesellschaft. Dagegen hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Diskussion unter dem Begriff Prekariat neu begonnen.
Literatur
- Götz Briefs: Das gewerbliche Proletariat. In: Grundriss der Sozialökonomik, IX. Abteilung. Das soziale System des Kapitalismus, 1. Teil, S. 142-240, Tübingen 1926.
- Werner Conze: Vom 'Pöbel' zum 'Proletariat'. Sozialgeschichtliche Voraussetzungen für den Sozialismus in Deutschland. In: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte, Köln 1973.
- Peter Decker/Konrad Hecker: Das Proletariat. Politisch emanzipiert – Sozial diszipliniert – Global ausgenutzt – Nationalistisch verdorben – Die große Karriere der lohnarbeitenden Klasse kommt an ihr gerechtes Ende. GegenStandpunkt Verlag, München 2002, ISBN 3-929211-05-X.
- Marianne Feuersenger (Hrsg.): Gibt es noch ein Proletariat? (U.a. mit einem Beitrag von Walter Dirks.) Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1962.
- Chris Harman: Workers of the World – Die Arbeiterklasse im 21. Jahrhundert. Übersetzung aus dem Englischen von Thomas Walter. Edition aurora, Frankfurt am Main. ISBN 3-934536-08-5
- Karl Heinz Roth: Die neuen Klassenverhältnisse und die Perspektive der Linken - Schwächen und Stärken eines überfälligen Diskussionsvorschlags. In: Ders., (Hg.) Die Wiederkehr der Proletarität. Dokumentation der Debatte, Köln (1994)
- Edward P. Thompson: Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse. 2 Bände, Frankfurt a. M. 1987. Original: The Making of the English Working Class (1963, Neudruck als Penguin Book 1980).
- Michael Vester: Die Entstehung des Proletariats als Lernprozeß. Die Entstehung antikapitalistischer Theorie und Praxis in England 1792-1848. Frankfurt a. M. 1970.
Einzelnachweise
Siehe auch
Weblinks
- www.nadir.org/... – Text zur „neuen Proletarität“
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