- Prosodik
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Prosodie ist die Gesamtheit spezifischer sprachlicher Eigenschaften wie Akzent, Intonation, Quantität und (Sprech-)Pausen. Prosodie (von griech.: πρός pros und ᾠδή ōdē = eigentlich das Hinzugesungene, Zugesang, besser übersetzt mit Wortakzent, Silbenbetonung oder Satzmelodie), auch als Prosodik (veraltet) bezeichnet, bezieht sich im Allgemeinen auf Einheiten, die größer sind als ein einzelnes Phonem. Die Prosodie beinhaltet auch die Untersuchung von Sprechtempo und -rhythmus. Konkret gehören zur Kategorie dieser spezifischen sprachlichen Eigenschaften der Akzent in Silben-, Wort-, Phrasen- und Satzakzenten via Lautheits- und/oder Tonhöhenunterschiede; die Intonation und die zeitliche Strukturierung mittels Sprechtempo, -rhythmus und -pausen. Die Untersuchung der Prosodie wird häufig nicht als eigenständiges Gebiet in der Linguistik angesehen wie zum Beispiel die Syntax, sondern als Teilgebiet der Phonetik betrachtet. Trotzdem ist die Prosodie mit vielen Teilgebieten der Sprachwissenschaft eng verknüpft.
Prosodie ist ein Begriff, der in mehrfacher Weise verwendet wird. Dabei wird Prosodie oft mit Intonation gleichgesetzt, dies ist jedoch nicht korrekt. Intonation ist ein Teilbereich, ein Merkmal der Prosodie.
Unterschied zwischen suprasegmentalen Merkmalen und der Prosodie
Suprasegmentalia sind Merkmale, welche lautübergreifendend sind, sich also nicht an der sequentiellen Abfolge der Segmente von lautsprachlichen Äußerungen ausrichten. Die Äußerungen kommen zum Ausdruck a) signalphonetisch im Verlauf von Grundfrequenz und Intensität sowie b) temporal bezüglich der Segmente und Pausen. Bei der Prosodie wiederum verlaufen segmentale Ebene und suprasegmentale Ebene synchron und können unabhängig voneinander wirken. Prosodie bezieht sich auf die Menge von suprasegmentalen Einheiten innerhalb eines bestimmten Bereiches im Sprechakt.
Prosodische, psychoakustische, akustische und schriftsprachliche Merkmale
Die prosodischen Merkmale (bzw. Teilgebiete) Intonation, Sprechrhythmus und Akzent werden generell mit psychoakustischen Merkmalen und akustischen, also physikalisch messbaren Merkmalen beschrieben. Zudem findet sich eine Korrelation der prosodischen Merkmale mit Hervorhebungsmöglichkeiten in der Schriftsprache.
Prosodie und Akustik
In der Akustik werden die Phänomene und Eigenschaften von Schallwellen untersucht. Da Sprache auf Schallübertragung basiert und Prosodie ein Teil der Sprache ist, müssen auch prosodische Merkmale mit akustischen Merkmalen korreliert sein. Untersuchungsgegenstand ist also das Sprachsignal. Akustisch messbare Eigenschaften können in der automatischen Prosodieerkennung, Sprechererkennung und Sprecherverifikation genutzt werden - die gemessenen Eigenschaften werden dann zu Merkmalen für eine Mustererkennung weiterverarbeitet.
Grundfrequenz
Die Intonation einer Sprache lässt sich akustisch gesehen mit der Grundfrequenz (Einheit ist Hertz) einer Stimme beschreiben (bzw. dem Verlauf der Grundfrequenz, sogenannten Grundfrequenzkonturen).
Dauer
Prosodische Dauermerkmale wie Rhythmus, Sprechgeschwindigkeit, Pausen, Gedehntheit etc. lassen sich durch Messung der zeitlichen Länge dieser Signalabschnitte oder durch Bildung von Mittelwerten (mittlere Sprechgeschwindigkeit) messen. Oft werden z.B. erst inkrementell Phonemlängen bestimmt und daraus dann Silbenlängen. Da sich diese Längen von Sprecher zu Sprecher unterscheiden können, müssen diese Längen normiert werden.
Energie
Energiemerkmale beschreiben die Schallintensität (in dB) eines Sprachsignals. In der Mustererkennung wird oft die Momentanenergie auf Frameebene berechnet, also die Energie in einem kleinen Ausschnitt des Sprachsignals. Mittels dieser Energiemerkmale kann z.B. erkannt werden, ob ein Sprachsignalabschnitt eine Stimme oder nur Stille enthält (Unterscheidung zwischen stimmhaft und stimmlos). In der Internettelefonie VoIP werden so Abschnitte, welche keine Stimme enthalten, gar nicht erst übertragen, um Bandbreite zu sparen.
Prosodie und Psychoakustik
In der Psychoakustik werden menschliche Wahrnehmungen in Vergleichsexperimenten mit akustischen Einheiten in Zusammenhang gebracht.
Tonhöhe
Die Tonhöhe oder die Tonlage beschreiben die wahrgenommene Höhe eines Tons verglichen mit einem 1-kHz-Ton einer bestimmten Schallintensität. Sie wird in Hörversuchen festgestellt. Die Tonhöhe steht in einem nichtlinearen Verhältnis zur Frequenz eines Tons. Bis 500 Hz ist auf der Zwickerskala noch ein lineares Verhältnis vorhanden, dann führt jedoch eine Verdopplung der Frequenz eines Tons nicht mehr zu einer Verdopplung der wahrgenommenen Tonhöhe. Die Einheit der Tonhöhe ist mel. Die Veränderungen in der Tonhöhe korrelieren in der Prosodie mit der Intonation.
Lautheit
Die Lautheit korreliert mit der Energie des Sprachsignals. Die Lautheit ist eine Empfindungsgröße, die ebenfalls in Hörversuchen festgestellt wird. Die Einheit der Lautheit ist sone. Ein sone ist definiert als die empfundene Lautstärke eines Schallereignisses mit einem Lautstärkepegel von 40 phon; das heißt, ein breitbandiger Schall, der genauso laut wahrgenommen wird wie ein 1000-Hz-Sinuston mit einem Schalldruckpegel von 40 dB SPL. Unterschiede in der wahrgenommenen Lautheit werden in der Prosodie oft zur Akzentuierung eingesetzt.
Prosodie und Schriftsprache
In der Schriftsprache korrelieren Schriftauszeichnung (kursiv, fett, Schriftgröße, Schriftart) mit dem prosodischen Merkmal Akzent und der Intonation, Interpunktion mit dem Sprechrhythmus sowie mit Pausen. So wird nach einem Punkt oder einem Komma oft auch eine sprachliche Pause eingelegt. Auch Bindestriche, die einen Satzteil einschieben, werden oft beim Lesen durch Pausen ersetzt und mit veränderter Intonation gelesen. Fragezeichen oder Rufzeichen markieren Frage- bzw. Ausrufesätze und werden ebenfalls durch spezielle Intonation am Ende des Satzes markiert.
Funktionen der Prosodie
Der prosodische Teil der Sprache hat unterschiedliche Funktionen. So ist es möglich, in natürlichsprachlicher Kommunikation die Sprache in sinnvolle Abschnitte einzuteilen. Emotionen können unter anderem durch Veränderungen in der Klangfarbe hervorgebracht werden. Die Prosodie einer menschlichen Stimme beinhaltet personalisierte Merkmale, die sich je nach Herkunft, Geschlecht, Alter, etc. unterscheiden. Fragesätze können von Aussagesätzen anhand des Intonationsverlaufes am Ende des Satzes unterschieden werden (Markierung des Satzmodus). Durch Veränderungen in der Prosodie kann unterschieden werden, ob etwas ironisch gemeint ist oder nicht. Außerdem können Mehrdeutigkeiten auf unterschiedlichen linguistischen Ebenen aufgelöst und bestimmte Teile (Silben, Wörter, Phrasen) eines Satzes speziell hervorgehoben werden (Akzentuierung).
Korrelation prosodischer Merkmale
Prosodische Eigenschaften wie Veränderungen in der Intonation, in der Lautstärke und im Rhythmus treten oft synchron auf statt einzeln, sind also korreliert. So wird die Hervorhebung eines Wortes zum Beispiel dadurch erreicht, dass die Intonation (bzw. die Tonhöhe) verändert wird, die Sprechgeschwindigkeit gleichzeitig reduziert wird (z.B. in dem vor dem Wort eine Sprechpause eingelegt wird) und das Wort mit erhöhter Lautstärke ausgesprochen wird.
Auflösung von semantischen Ambiguitäten
Mittels der Prosodie können auf unterschiedlichen linguistischen Ebenen Mehrdeutigkeiten (Ambiguitäten) aufgelöst werden. Hier zeigt sich, wie die Prosodie mit anderen linguistischen Ebenen (vgl.Semiotik im Abschnitt "Sprachwissenschaftliche Definition") verknüpft ist.
Syntaktische Ebene
"Die Maus fraß die Katze" kann ohne Akzentuierung missverstanden werden, da Mäuse keine Katzen fressen, sondern Katzen Mäuse. Durch Akzentuierung wird deutlich, dass "Die Maus" das Objekt des Satzes ist und "die Katze" das Subjekt:
Die Maus fraß die Katze.
Durch Veränderung des Satzakzents kann die Semantik des Satzes verdeutlicht werden:
- Der Mann sah die Frau mit dem Fernglas: Ein Mann sieht eine Frau, welche ein Fernglas besitzt.
- Der Mann sah die Frau mit dem Fernglas: Ein Mann sieht eine Frau durch ein Fernglas.
Lexikalische Ebene
Ebenso können einzelne Wörter (Lexeme), welche gleich geschrieben und ausgesprochen (identische phonemische Repräsentation) werden, durch den Silbenakzent unterschieden werden:
- Er wollte das Schild umfahren: Er wollte mit dem Auto gegen das Schild fahren und es somit niederreißen.
- Er wollte das Schild umfahren: Er wollte mit dem Auto dem Schild ausweichen.
Der unterschiedlichen Silbenbetonung in der gesprochenen Sprache entsprechen Unterschiede in der Getrennt- oder Zusammenschreibung in der Schriftsprache und Abweichungen bei der Bildung des Partizips. Bei Betonung der ersten Silbe wird das Verb in den verschiedenen Zeitformen getrennt geschrieben. Das Partizip wird im Allgemeinen mit -ge- gebildet.
Beispiel: Übersetzen
- Der Fährmann setzt den Fahrgast über. Er hat ihn übergesetzt. Lautliche Entsprechung übersetzen
- Der Dolmetscher übersetzt einen Text. Er hat ihn übersetzt. Lautliche Entsprechung übersetzen
Pragmatische Ebene
- Das ist aber kalt hier.
Je nach Aussprache des Satzes kann angedeutet werden, dass es nur eine Aussage über die Temperatur ist (monotone Stimme), eine Aufforderung, ein Fenster zu schließen (negative Klangfarbe, Betonung des Wortes "kalt") oder nur die Klage über diesen als negativ empfundenen Zustand, welcher nicht zu ändern ist. Somit kann die Funktion eines Sprechaktes besser verdeutlicht werden.
Dialogebene
Auf Dialogebene lassen sich Satz- oder Phrasengrenzen markieren, sodass Dialoge in sinnvolle Abschnitte unterteilt werden können. So können sprachliche Handlungen strukturiert werden. Bekannte Informationen werden dabei deakzentuiert (gleichbleibende Intonation), wichtige Informationen jedoch akzentuiert.
Prosodieebenen
Nach Tillmann unterscheidet man zwischen A-, B- und C-Prosodie.
A-Prosodie
Die A-Prosodie kann vom Sprecher willkürlich gesteuert werden. Parameter der A-Prosodie sind u. a. die Intonation, Pausen und Lautstärkeänderungen. Mit Hilfe der A-Prosodie werden beispielsweise die Satzintention übermittelt und Betonungen gesetzt. Des Weiteren dient sie der Auflösung von syntaktischen und lexikalischen Ambiguitäten. Auch die Gefühle und die körperliche Verfassung des Sprechers können durch die A-Prosodie übermittelt werden.
Sprache, aus der man die A-Prosodie entfernt, wird allgemein als Computerstimme empfunden.
B-Prosodie
Die B-Prosodie wird unwillkürlich erzeugt und bezeichnet den der Muttersprache eigenen Silbenrhythmus. Sie regelt die Abfolge von stimmhaften und stimmlosen Abschnitten. Durch die B-Prosodie erkennen wir ein Signal als Sprache.
C-Prosodie
Die C-Prosodie bezeichnet die intrinsische dynamische Struktur der Sprachlaute, d. h. beispielsweise die korrekten Übergänge zwischen benachbarten Lauten, die Abfolge von Pause, Burst und Aspiration bei Plosiven oder das Zusammenspiel von stimmhafter Anregung und Friktion bei stimmhaften Frikativen.
Mikroprosodie
Die Mikroprosodie betrachtet Schwankungen im Sprachsignal, wie zum Beispiel Jitter und Shimmer. Diese Schwankungen sind vor allem in verrauschten Sprachsignalen zu finden. In der Medizin lassen sich allein aus der Messung des jitter und des shimmer Rückschlüsse auf das Vorliegen von Rachenkrankheiten oder Kehlkopfentzündungen schließen (z.B. Kehlkopfkrebs im Frühstadium).
Antike Grammatik
In der antiken Grammatik ist Prosodie die Lehre von den Wortakzenten.
Versbau
In der Verslehre (Metrik) bezeichnet Prosodie das Silbengewicht, d.h. die Zeitdauer oder den melodischen (Tonhöhe) oder dynamischen (Lautstärke) Akzent der Silben.
Musik
In der Musik wird mit Prosodie das Verhältnis des Worts zum Ton bezeichnet: die Betonung von Wort- oder Versakzenten durch musikalische Mittel wie Rhythmus (Dauer) und Takt.
Siehe auch
- Aprosodie
- Chronem
- Satzakzent
- Akuem (Phonetik)
- Parasprache
- Linguistik
- Computerlinguistik
- Suprasegmentale Merkmale
- gesprochene Sprache
Literatur
- Hans G. Tillmann, Phil Mansell: Phonetik. Lautsprachliche Zeichen, Sprachsignale und lautsprachlicher Kommunikationsprozeß. Klett-Cotta, Stuttgart 1980
- Hadumod Bussmann: Lexikon der Sprachwissenschaft, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 3. Auflage.
- Wolfgang Hess: Prosodie
- Zwicker, E. und Fastl, H. (1999): "Psychoacoustics - Facts and Models"; Springer Verlag, 2. Auflage
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