Purgatorium

Purgatorium

Das Fegefeuer (lat.: purgatorium), auch Reinigungsort genannt, ist nach der römisch-katholischen Lehre ein Prozess der Läuterung, in dem die Seele eines Verstorbenen auf den Himmel vorbereitet wird.

Fegefeuer-Darstellung von 1519 in der Predella des Hochaltars der Stadtkirche Bad Wimpfen

Inhaltsverzeichnis

Funktion

Das Christentum lehrt ein Leben nach dem Tod. Wenn der Christ von Gott angenommen wird, wird dieses Leben nach dem Tod in Gottesnähe stattfinden. Der Ort bzw. der Zustand dieser Gottesnähe wird als Himmel, himmlisches Jerusalem, Paradies usw. bezeichnet. Da die katholische Kirche jedoch davon ausgeht, dass „nichts Unreines in den Himmel kommen kann“, ist die Vorstellung eines Ortes oder eines Prozesses der Läuterung entstanden, der „Fegefeuer“ genannt wird. Im Fegefeuer besteht die Qual darin, dass der Verstorbene zwar schon die vollkommene Gegenwart und Liebe Gottes spürt, sich aber auf Grund seiner Sünden dieser Liebe nicht würdig fühlt. Genau das macht den großen Schmerz aus. Der Mensch wird so von seinen letzten Sündenfolgen aus der zeitlichen Existenz durch seine Reue geläutert.

In der Kunst wurde der Zustand des Menschen im Fegefeuer immer mit Gott preisenden Gesten dargestellt, während in Höllendarstellungen der Mensch nur leidet.

Das Fegefeuer ist sozusagen Qual, die man über sich ergehen lassen muss, weil sie aus der eigenen Unwürdigkeit heraus entsteht. Die „Armen Seelen“ sind im Fegefeuer also nicht endgültig festgehalten, sondern sie haben immer die Gewissheit, daraus entlassen zu werden – und zwar stets in Richtung Himmel. Gebete von Lebenden, besonders im Rahmen des Memorialwesens, sollen helfen, diese Zeit zu verkürzen. Manche Christen beten zu den Armen Seelen um Beistand, wenngleich es der traditionellen Dogmatik schwer fällt, diese religiöse Praxis doktrinär zu integrieren, so Charles Journet.

Das Fegefeuer ist der Ort, an dem diejenigen, die im Stand der heiligmachenden Gnade sterben, noch zeitliche Sündenstrafen abbüßen sollen. Diejenigen, die nicht im Stand der heiligmachenden Gnade sterben, gehen gemäß der 1336 in der Bulle Benedictus Deus entfalteten Lehre für immer dem Himmel verloren. Sie kommen in die Hölle.

In der neueren Theologie wird der Gedanke des Fegefeuers als eines Ortes mit „zeitlichen Strafen“ im Sinne eines Zeitablaufs abgelehnt. Statt dessen sprechen die Theologen von einem Reinigungsgeschehen. Das Reinigungsgeschehen ist ein „Aspekt der Gottesbegegnung“[1] und ist somit ein Bild der Hoffnung des Gläubigen auf eine Läuterung und Reinigung durch Gott.

Geschichte

Die Vorstellung vom Feuer als Reinigungssymbol war bereits im Altertum verbreitet. Einer der Vorläufer des Fegefeuers ist ein Ort, der refrigerium interum genannt wird. Nach Tertullian (um 150–220), einem der ersten, die von einem refrigerium sprechen, können sich die Gerechten hier nach ihrem Tod erfrischen, solange sie auf die Seligkeit nach dem Jüngsten Gericht warten. Für Tertullian ist das refrigerium gleichbedeutend mit Abrahams Schoß. Die Seelen im refrigerium schlafen, erleiden keine Qualen und bleiben bis zu ihrer Auferstehung dort.

Im 6. Jahrhundert prägte Papst Gregor der Große die Vorstellung vom Fegefeuer. Er baute das Fegefeuer in das System seiner „Heilsmaschine“ ein, wodurch es mindestens bis zur Reformation große kultur- und sozialgeschichtliche Bedeutung erlangte.

„Man muß glauben, daß es vor dem Gericht für gewisse leichte Sünden noch ein Reinigungsfeuer gibt, weil die ewige Wahrheit sagt, dass, wenn jemand wider den Heiligen Geist lästert, ihm ‚weder in dieser noch in der zukünftigen Welt‘ vergeben wird (Mt 12,32). Aus diesem Ausspruch geht hervor, daß einige Sünden in dieser, andere in jener Welt nachgelassen werden können“.[2]

Jacques Le Goff datierte die „Geburt des Fegefeuers“ in die Zeit von 1170 bis 1200. Er untersuchte das Phänomen des Fegefeuers unter soziologischen Gesichtspunkten und wies nach, dass die Etablierung eines „dritten Ortes“ durch die Pariser Scholastik mit den sozialen Umwälzungen der Zeit in direktem Zusammenhang gesehen werden kann. Er konnte zudem zeigen, dass Bußpraxis und Fegefeuer in einem sehr engen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Konfrontiert mit dem Fegefeuer müssen die Gläubigen Abbitte leisten.

Die offizielle Bußpraxis erlebt dabei einen gewaltigen Aufschwung und führt das kirchliche Ablasswesen auf seinen Höhepunkt. Man glaubt dabei, dass man Verstorbene durch Gebete und gute Werke aus dem Fegefeuer erlösen könne. Als besonders nützlich wurde zum Beispiel die Stiftung eines Bades für Arme angesehen („Seelbad“). Allmählich bürgerte sich der Missbrauch ein, diese guten Werke mit Geldspenden an die Kirche abzulösen.

Römisch-katholische Lehre

Römisch-katholische Exegeten interpretieren bereits 2. Makkabäer 12,44–45 EU im Alten Testament als Hinweis auf eine Sühne nach dem Tod:

„Hätte er [Judas] … nicht erwartet, dass die Gefallenen auferstehen werden, wäre es nämlich überflüssig und sinnlos gewesen, für die Toten zu beten. Auch hielt er sich den herrlichen Lohn vor Augen, der für die hinterlegt ist, die in Frömmigkeit sterben. Ein heiliger und frommer Gedanke! Darum ließ er die Toten entsühnen, damit sie von der Sünde befreit werden.“
Darstellung in St. Lorenzen (Südtirol)

Die Lehre vom Fegefeuer knüpft biblisch an 1 Kor 3,13–15 EU an, wo die Werke des Einzelnen im Jüngsten Gericht im Feuer geprüft werden. Dies deutete Augustinus dahin, dass vielleicht nach dem Tode noch die Seelen einiger Gläubiger durch Feuer geläutert, also das Irdische aus ihnen ausgebrannt werde. Im 12. Jahrhundert war die Vorstellung eines Fegefeuers endgültig im Volksglauben verankert, und erst dann war auch die Bezeichnung Fegefeuer gebräuchlich. Der Ausdruck purgatorium ist erstmalig beim Erzbischof von Tours, Hildebert von Lavardin († 1133) nachweisbar. Seit dem 13. Jahrhundert ist das Gedankenmodell unter Theologen und in den Gemeinden allgemein bekannt, theologisch völlig ausgebildet findet sich die Lehre bei Thomas von Aquin.

Heute ist man in der römisch-katholischen Kirche von der Notwendigkeit der Läuterung überzeugt, allerdings umgehen viele Theologen die Mutmaßungen über zeitliche und räumliche Dimensionen dieses Geschehens. Bereits das Konzil von Trient hatte vor allzu drastischen Darstellungen gewarnt, die nur davon ablenken, dass die Lehre vom Purgatorium die Sorge vor der Verdammnis zu mildern bezweckt. Auch heute wird jedoch daran festgehalten, dass die Lebenden den Verstorbenen durch Gebet, Mitfeier der Messe und Taten der Nächstenliebe zu Hilfe kommen können. Wurde noch vor wenigen Jahrzehnten ausdrücklich gelehrt, dass „Gott solche Seelen in das Fegefeuer weist“, wo sie „große Pein leiden“, so geht die katholische Theologie heute im Allgemeinen davon aus, dass die Seele nach ihrer Selbsterkenntnis das Fegefeuer bereitwillig auf sich nimmt, um – von den schlechten Eigenschaften geläutert – in das Paradies eingehen zu können.

Nicht zu verwechseln mit dem Fegefeuer ist der Limbus. Dieser war allerdings nie Teil der kirchlichen Lehre.

Der Katechismus der Katholischen Kirche behandelt das Fegefeuer im Artikel 12 „Ich glaube das ewige Leben“ unter III „Die abschließende Läuterung – das Purgatorium“.[3] Das Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche beschreibt das Purgatorium (Fegefeuer) so:

„Das Purgatorium ist der Zustand jener, die in der Freundschaft Gottes sterben, ihres ewigen Heils sicher sind, aber noch der Läuterung bedürfen, um in die himmlische Seligkeit eintreten zu können.“(209.)

Der von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1992 approbierte sog. Weltkatechismus bringt das oben genannte Zitat von Gregor dem Großen zur Verdeutlichung: „Man muß glauben, daß es vor dem Gericht für gewisse leichte Sünden noch ein Reinigungsfeuer gibt, weil die ewige Wahrheit sagt, daß, wenn jemand wider den Heiligen Geist lästert, ihm weder in dieser noch in der zukünftigen Welt‘ vergeben wird (Mt 12,32). Aus diesem Ausspruch geht hervor, daß einige Sünden in dieser, andere in jener Welt nachgelassen werden können.“

Orthodoxe Lehre

In den Ostkirchen sind diese Gedanken der westlichen Theologie weitgehend unbekannt geblieben. Die orthodoxe Ablehnung der westlichen Fegefeuerlehre war einer der Gründe für das letztliche Scheitern der versuchten Wiedervereinigungen der Kirchen auf dem Zweiten Konzil von Lyon 1274 und dem Konzil von Florenz (Ferrara-Florenz) 1438/39. Die Orthodoxie kennt das Gebet für die Seelen der Verstorbenen, aber keine offizielle Erklärung für seine Wirksamkeit. Im Volksglauben einiger orthodoxer Länder ist die Lehre von den „Zollhäusern“, die die Seele auf dem Weg in den Himmel zu passieren hat, und dem „Zoll“, denn sie dort zahlt, im Ansatz mit dem Fegefeuer vergleichbar; allerdings ist diese Lehre nie dogmatisiert worden.

Evangelische Lehre

In den evangelischenen Kirchen wird die Vorstellung eines Läuterungsortes nach dem Tode als unbiblisch abgelehnt. Aus demselben Grund lehnen evangelische Christen das Fegefeuer oder vergleichbare Lehren ab. Die beiden evangelischen Hauptargumente für die Ablehnung des Fegefeuers liegen in der mangelnden biblischen Bezeugung des Fegefeuers und in der reformatorischen Ansicht, dass der Mensch allein durch den Glauben vor Gott gerecht werde; wenn die Sünder also durch ihren Glauben an den Kreuzestod Christi gerechtfertigt seien, könne Gott sie nicht doch noch für ihre Sünden in ein Fegefeuer schicken.

Martin Luther schrieb in den Schmalkaldischen Artikel (1537): „Darum ist das Fegefeuer mit all seinem Gepränge, Gottesdienst und Gewerbe für lauter Teufelsgespinst zu achten.“ – Hier liegt aus katholischer Sicht eine Verwechslung von aus lässlichen Sünden herrührenden zeitlichen Sündenfolgen mit der das Urteil ewiger Verdammnis auslösenden schweren Sünde, der Todsünde, vor.

Aus evangelischer Sichtweise schmälert die Lehre vom Fegefeuer das Opfer Jesu Christi am Kreuz in seiner allumfassenden sündenvergebenden Wirkung und stellt es als „nicht ausreichend“ zur Vergebung der Sünden dar, da ja der Mensch noch seinen Teil zur Errettung durch das Ertragen des Fegefeuers beitragen müsste.

Fegefeuer in der Kunst

Darstellung in St. Lorenzen (Südtirol)

Auf mittelalterlichen Darstellungen wird das Fegefeuer oft als eine unangenehme, von Feuern aufgeheizte Höhle dargestellt, ähnlich der Hölle.

Trotz der gleichen oder sehr ähnlichen Darstellung von Fegefeuer und Hölle auf mittelalterlichen Bildern kann man sie unterscheiden: Die im Fegefeuer büßenden Seelen erheben ihre Hände und Gesichter flehend Richtung Himmel. Die Seelen in der Hölle haben keine Hoffnung auf Erlösung und suchen daher keine Verbindung nach oben, so z. B. in einer um 1410 entstandenen Glasmalerei in Kloster Ebstorf. In der Regel ist das Fegefeuer auf der linken Bildseite zu finden.

Die berühmteste literarische Darstellung des Fegefeuers findet sich in der Göttlichen Komödie von Dante.

Es gibt immer wieder auch säkulare Versionen des Fegefeuer-Themas, etwa in den Filmen Und täglich grüßt das Murmeltier, Wer früher stirbt ist länger tot oder Hinter dem Horizont. Wesentlich religiöser und für den Betrachter verstörender ist dagegen die filmische Betrachtung des Purgatoriums im mehrfach ausgezeichneten Film Jacob’s Ladder – In der Gewalt des Jenseits, in dem ein im Vietnamkrieg schwer verwundeter Soldat diesen Zustand als Realitätsfehler und -sprünge erlebt.

Literatur

  • Charles Journet: Die katholische Lehre über das Fegefeuer, 1931.
  • Jacques Le Goff: La naissance du purgatoire. Gallimard, Paris 1981 (dt. Die Geburt des Fegefeuers. Klett-Cotta, Stuttgart 1984, ISBN 3-608-93008-6)
  • Himmel – Hölle – Fegefeuer. Ausstellungskatalog. (Ausstellung: Schweizerisches Landesmuseum Zürich), Zürich 1994.
  • Sabine Pemsel-Maier: Himmel – Hölle – Fegefeuer.Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2001.
  • G. Pasquali S.S.P: Um den Himmel nicht zu verlieren. Gröbenzell b. München 1972. ISBN 3-87283-069-4 (Titel des ital. Originals: Per non perdere il Paradiso, Edizioni Paoline – Pescara, 1963)
  • Ludwig Ott: Grundriß der katholischen Dogmatik, 11.Auflage mit Literaturnachträgen. Bonn 2005 (Verlag nova & vetera). ISBN 3-936741-25-5; dort in Fünftes Hauptstück: Die Lehre von Gott dem Vollender (Die Lehre von den Letzten Dingen oder von der Vollendung (Eschatologie))
  • Ernst Koch: Fegefeuer. In: Theologische Realenzyklopädie 11 (1983), S. 69–78
  • Markus Mühling, Grundinformation Eschatologie. Systematische Theologie aus der Perspektive der Hoffnung, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-03619-8, 255–259
  • Eduard Winterhalter: Der Blick ins Fegefeuer! Was wir über das Fegefeuer und die Armen Seelen wissen sollten. Seewen: Theresia, 1994. (Die Schrift von Eduard Winterhalter erschien ursprünglich im Kanisius-Verlag. Die Rechte gingen an den Theresia-Verlag über. Die Ausgabe von 1994 ist vergriffen und wird nicht neu aufgelegt. Im Jahre 2002 erschien im Franziska-Verlag, CH-6424 Lauerz, die Schrift in einer erweiterten Form unter den beiden Autoren: Eduard Winterhalter, Paulus Deusdedit. Der Titel blieb unverändert.)
  • Helmut Vordermayer: Die Lehre vom Purgatorium und die Vollendung des Menschen. Ein moraltheologischer Beitrag zu einem umstrittenen Lehrstück aus der Eschatologie, STS-Band 27, Innsbruck: Tyrolia 2006. ISBN 978-3-7022-2755-5
  • Susanne Wegmann: Auf dem Weg zum Himmel. Das Fegefeuer in der deutschen Kunst des Mittelalters, Köln-Weimar-Wien: Böhlau, 2003. ISBN 3-412-11102-3

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. siehe Pemsel-Maier, Gisbert Greshake
  2. Gregor der Große: Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum, 4,39
  3. KKK 1030 ff: III Die abschließende Läuterung – das Purgatorium

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