Quecksilber-Ausleitung

Quecksilber-Ausleitung
Klassifikation nach ICD-10
T56.1 Toxische Wirkung: Quecksilber und dessen Verbindungen
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Eine Quecksilbervergiftung ist eine Vergiftung mit dem Metall Quecksilber.

Quecksilber ist ein giftiges Schwermetall. Metallisches Quecksilber, das schon bei Raumtemperatur und normalen Druckverhältnissen flüssig ist, ist in diesem Aggregatzustand noch relativ ungefährlich. Es verdunstet jedoch bereits bei Raumtemperatur und bildet giftige Dämpfe. Besonders toxisch sind organische Verbindungen des Quecksilbers, zum Beispiel Methylquecksilber.

Mit Quecksilber in Kontakt kommen kann man z. B. durch Quecksilberthermometer, die beim Zerbrechen Quecksilber freisetzen. Moderne Ausdehnungsthermometer sind meist mit ungefährlichen Flüssigkeiten wie zum Beispiel Ethanol befüllt. Die Vergiftung wird oft durch die direkte Aufnahme der Dämpfe des Quecksilbers hervorgerufen. Man spricht dabei von einer akuten Vergiftung. Das Quecksilber blockiert im Organismus ein Enzym, das für die Reizübertragung nötig ist. Auch chronische Vergiftungen sind möglich, wenn man über längere Zeit geringen Mengen ausgesetzt ist.

Laut Pressemitteilung vom 15. Januar 2009 entschied das Umweltministerium in Schweden, den Gebrauch von Quecksilber generell zu verbieten. Das Verbot bedeutet, dass der Gebrauch von Amalgam in Zahnfüllungen eingestellt wird und dass quecksilberhaltige Produkte nicht mehr in Schweden vermarktet werden dürfen. Andreas Carlgren, der schwedische Umweltminister, sagte: „Das Verbot ist ein starkes Signal für andere Länder und der Beitrag Schwedens zu den Zielen von EU und UN, Gebrauch und Emission von Quecksilber zu reduzieren.“ Die neuen Regelungen treten am 1. Juni 2009 in Kraft.[1]


Inhaltsverzeichnis

Akute Vergiftung

Die ersten Symptome einer akuten Vergiftung sind:

  • Kopfschmerzen
  • Übelkeit
  • Schwindel
  • trockener Mund-Rachenraum

Es sollte sofort ein Arzt aufgesucht oder eine Giftnotrufstelle kontaktiert werden, da die Schäden meist irreparabel sind, wenn nicht sofort Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Als tödlich wird eine Menge von 150–300 mg angesehen. Langzeitschäden sind oft Nieren- und Leberschäden.

Bei einem zerbrochenen Quecksilberthermometer dürften die Menge der austretenden Dämpfe zu gering sein, um akute oder chronische Vergiftungserscheinungen zu verursachen.[2]

Chronische Vergiftung

Wesentlich häufiger sind chronische Vergiftungen durch geringe Dosen Quecksilber, das über die Nahrung aufgenommen wird (Minamata-Krankheit). Wird Quecksilber in einem geschlossenen Raum verschüttet, so kann es versickern und noch lange giftige Dämpfe bilden. Das in der Zahnmedizin verwendete Amalgam wird als weitere Ursache chronischer Quecksilbervergiftungen kontrovers diskutiert: Einige Wissenschaftler weisen auf seine Anfälligkeit gegenüber Verarbeitungsfehlern hin,[3] andere stufen es als unbedenklich ein.[4]

Im 18. Jahrhundert traten chronische Vergiftungen bei einigen Berufsgruppen auf, die häufigen Umgang mit Quecksilber- und Quecksilbersalzen hatten (→ „Hutmachersyndrom“). Zu dieser Zeit wurden noch viele und oft angewendete Quecksilber-haltige Arzneimittel hergestellt; heute gibt es nur noch wenige solche Mittel und meist ausschließlich zur äußeren Anwendung (Beispiel: Thiomersal).[5]

Ursachen für die chronische Vergiftung:

  • Aufnahme von Hg am Arbeitsplatz
  • Aufnahme von Hg über die Nahrung
  • Aufnahme von Hg über Zahnmetall
  • Aufnahme von Hg durch Unfälle (alte Fieberthermometer mit Hg)
  • Aufnahme von Hg durch zerbrochene Leuchtstofflampen (Hg-Dampf, 1-5 mg)

Fundstellen von Quecksilber im menschlichen Körper:

  • Gebiss (Zähne, Wurzeln, Kieferknochen)
  • Rückenmark
  • Gehirn
  • Organe
  • Nervenbahnen
  • Blut
  • Urin und Stuhl
  • Muttermilch

Bei Schwangeren geht das Gift direkt auf den Fötus über: In Minamata kamen viele Säuglinge mit Behinderungen auf die Welt, nachdem ihre Mütter mit Methylquecksilber belasteten Fisch verzehrt hatten.[6]

Therapie der Quecksilbervergiftung

Eine Vergiftung mit Quecksilber wird therapiert, indem das inkorporierte Quecksilber möglichst rasch und vollständig aus dem Körper entfernt wird. Dieser Vorgang wird auch „Quecksilber-Ausleitung“ genannt. Zum Einsatz kommen sogenannte Komplexbildner, Substanzen, die einen Metallkomplex mit dem Quecksilber als Zentralatom eingehen. Solche Komplexe können von der Niere erheblich leichter aus dem Blut filtriert werden, was zu einer Hg-Entgiftung des Körpers führt. Die beiden Antidote („Gegengifte“), die hierfür eingesetzt werden, sind die (manchmal bei zerebralem Befall eingesetzte) Dimercaptobernsteinsäure (DMSA) und vor allem die besser wasserlösliche Dimercaptopropansulfonsäure (DMPS). Diese beiden Substanzen besitzen zwei benachbarte Sulfhydryl-Gruppen (-SH), die mit dem Quecksilberatom stabile Chelatkomplexe (griech. Χηλή „chele“ für „Krebsschere“)[7] bilden, indem sie wie die Greifer einer Krebsschere das Hg-Atom zwischen sich binden.

Der Gebrauch von Mineralstoffen zur Quecksilberausleitung ist medizinisch nicht etabliert. Für die Anwendung von Zink als Antidot der Quecksilber-Entgiftung existiert kein eindeutiger Nachweis eines medizinischen Vorteils. Selen hat zwar ein gewisses antioxidatives Potential gegen den oxidativen Stress[8], der durch die Quecksilber-Intoxikation ausgelöst wird. Es vermindert jedoch (zugeführt als Na-Selenit im Tierversuch) die Effektivität der Antidote DMSA und DMPS[9] und zeigt keinen medizinischen Nutzen[10] beim Einsatz gegen eine Hg-Intoxikation.

Ein weiteres wirksames Antidot bei Methylquecksilber-Vergiftungen ist Acetylcystein (NAC).[11] Im Gegensatz zu DMPS und DMSA entgiftet NAC selektiv Methylquecksilber über Urinausscheidung und weniger das anorganische Quecksilber. Der Vorteil des NAC gegenüber DMPS und DMSA liegt darin, dass der Mineralienhaushalt nicht dadurch beeinträchtigt wird.

Einzelnachweise

  1. http://www.sweden.gov.se/sb/d/11459/a/118550
  2. Umweltlexikon des Instituts für angewandte Umweltforschung in Köln
  3. O. Wassermann, N. Weitz, C. Alsen-Hinrichs: „Kieler Amalgam-Gutachten 1997. Medizinische, insbesondere toxische Feststellungen im Zusammenhang mit einer rechtlichen Beurteilung der Herstellung und des Vertriebs von Amalgam als Material für Zahnfüllungen. Institut für Toxikologie im Klinikum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel“, S. 93-105. ISBN 3-00-002089-6
  4. Dieter Melchart et al: „Treatment of health complaints attributed to amalgam..“ Journal of Dental Research 2008; April: S. 349-353 Abstract
  5. Max Daunderer: „Gifte im Alltag. Wo sie vorkommen. Wie sie wirken. Wie man sich dagegen schützt“. Verlag C. H. Beck, München 2005, S. 166f
  6. 10 Fakten über die Minamata-Krankheit, abgerufen am 6. Juli 2007
  7. W. Forth, D. Henschler, W.Rummel: „Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie“. Bibliographisches Institut 1975.
  8. Arabi M, Alaeddini MA: „Metal-ion-mediated oxidative stress in the gill homogenate of rainbow trout (Oncorhynchus mykiss): antioxidant potential of manganese, selenium, and albumin.“ Biol Trace Elem Res. 2005 Winter;108(1-3):155-68. PMID 16327069
  9. Juresa D, Blanusa M, Kostial K: „Simultaneous administration of sodium selenite and mercuric chloride decreases efficacy of DMSA and DMPS in mercury elimination in rats.“ Toxicol Lett. 2005 Jan 15;155(1):97-102. PMID 15585364
  10. Hansen JC: „Has selenium a beneficial role in human exposure to inorganic mercury?“ Med Hypotheses. 1988 Jan;25(1):45-53. PMID 3278198
  11. Ballatori N, Lieberman MW, Wang W: „N-acetylcysteine as an antidote in methylmercury poisoning.“ Environ Health Perspect. 1998 May;106(5):267-71. PMID 9520359

Weblinks

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