Quintus Horatius

Quintus Horatius
Horaz (Phantasiedarstellung nach Anton von Werner)

Horaz (Aussprache: [hoˈʀats], * 8. Dezember 65 v. Chr. in Venusia; † 27. November 8 v. Chr.), eigentlich Quintus Horatius Flaccus, ist neben Vergil einer der bedeutendsten römischen Dichter der „Augusteischen Zeit“, das heißt der Zeit zwischen 43 v. Chr. und 14 n. Chr., also vom Tod Ciceros bis zum Tod des Augustus. Das cognomen „Flaccus“ bedeutet so viel wie Schlappohr.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Über das Leben des Dichters ist uns aus den Beschreibungen des Sueton sowie auch aus Selbstaussagen relativ viel bekannt. Geboren wurde Horaz im Jahre 65 v. Chr. in der lukanischen Stadt Venusia (Venosa). Sein Vater, ein ehemaliger Sklave, hatte es als coactor exactionum (Versteigerungsagent) zu einigem Wohlstand gebracht. Nach Sueton ist es auch möglich, dass der Vater ein salsamentarius (Salzfischhändler) gewesen ist. Nach einer Übersiedlung nach Rom erhielt Horaz eine Ausbildung in der angesehenen Rednerschule des Grammatikers Orbilius. Anschließend schickte ihn der Vater nach Athen, wo er griechische Philosophie und Literatur studierte [1]. Nach der Ermordung Caesars im Jahre 44 v. Chr. schloss sich Horaz in Athen den Truppen der Caesarmörder Brutus und Cassius an und wurde Militärtribun. Nach der Niederlage bei Philippi [2] (42 v. Chr.) konnte er zwar nach Rom zurückkehren, allerdings war es mit seinen Karrierehoffnungen zu Ende. Sein von seinem Vater ererbter Besitz und sein bei Venusia an der Grenze Lukaniens und Apuliens gelegenes Gut wurde enteignet, da Horaz Parteigänger des Brutus und Cassius war. Er erkaufte sich eine Sekretärsstellung und hatte nun viel Zeit sich der Dichtung zu widmen. Im Jahr 38 v. Chr. wurden Vergil und Varius auf Horaz aufmerksam und stellten ihn dem großen Gönner und Adeligen Maecenas vor. Dieser nahm sich des jungen Dichters an und es entstand eine große Freundschaft zwischen den sehr verschiedenen Männern. Doch Horaz war nicht gern in Rom, obwohl ihn Maecenas immer wieder einlud. Er schenkte Horaz ein Landgut in den Sabinerbergen beim heutigen Licenza, was der Dichter durch angestrengtes dichterisches Schaffen vergalt. Im Jahre 8 v. Chr. starb Maecenas und noch im selben Jahr, am 27. November, auch Horaz.

Lebenswerke

Die künstlerische Entwicklung des Horaz kann in drei Stufen unterteilt werden:

  • Das temperamentvolle und angriffslustige Frühwerk, mit den Satiren und Epoden (42-30 v. Chr.)
  • Die klassische Reife, mit den Oden I-III und den Episteln I (31-20 v. Chr.)
  • Die Abgeklärtheit des späten Werkes, mit dem Carmen saeculare, den Oden IV und den Episteln II (18-13 v. Chr.)

Satiren

Die zwei Bücher der Satiren bestehen aus zehn beziehungsweise acht teilweise recht umfangreichen Einzelgedichten in Hexametern. Horaz selbst nannte sie Sermones („Gespräche“). Er spricht darin mit Maecenas, mit dem Leser, mit sich selbst, und führt die Personen im Dialog vor. Ziel dieser nicht unbedingt harmlosen Plaudereien ist, dem Leser mit Humor die unangenehme Wahrheit aufzuzeigen. Vorbild war ihm der römische Satiriker Lucilius.

Horaz war stets um das Wesentliche und Straffheit bemüht. So lautete sein Kunstprinzip: Vielfalt in der Beschränktheit. Zentrales Thema ist die rechte Lebensgestaltung. Die meisten Gedichte geißeln Laster, die sozialen Unfrieden stiften oder zumindest die menschlichen Beziehungen beeinträchtigen, wie zum Beispiel: Habgier, Ehebruch, Aberglaube, Schlemmerei ... Im Gegensatz zu Lucilius, der schonungslos hochgestellte Zeitgenossen anprangerte, musste sich Horaz in dieser Beziehung zurückhalten. Seine Ausfälle beschränkten sich auf verstorbene Personen, einflusslose Leute und stadtbekannte Außenseiter. Nicht selten stellte er stellvertretend für den Normalbürger auch sich selbst und seine Schwächen dar.

Epoden

Als Epoden (griechisch ἐπῳδός „epodós“, Nachgesang, Refrain) werden die 17 Gedichte eines schmalen Buches bezeichnet. Epoden deshalb, weil jeweils ein Langvers mit einem refrainartigen Kurzvers abwechselt. Horaz nannte das Buch „Iambi“, obwohl nur elf Gedichte im iambischen und die übrigen sechs im daktylischen Rhythmus geschrieben sind. Urheber der Epodendichtung und Vorbild des Horaz war der Ionier Archilochos von Paros (um 650 v. Chr.). In Rom führte Horaz die Epodendichtung als Neuheit ein. Horaz dichtete einerseits für seinen Gönner Maecenas sowie andererseits für einen unbekannten Leserkreis. Deshalb waren wie schon bei den „Satiren“ auch hier Vorsicht und Rücksicht geboten. Selten nannte er Namen, und selbst dann waren es meist Decknamen. Die drei bekanntesten „Epoden“, die auch einen Übergang zur Dichtung der „Oden“ bilden, sind: „Sorge um Maecenas und den Ausgang des Krieges mit Antonius“, „Aufatmen über den Sieg bei Actium“ und „Winterliches Trinklied“.

Oden

Horaz an Septimius, Zitat aus Oden, 2. Buch, 6 - Gedenkplatte in Tarent in Süditalien

Nach seinem Erfolg mit den „Satiren“ und „Epoden“ widmete sich Horaz der frühgriechischen Lieddichtung, deren Blütezeit etwa von 670-450 v. Chr. dauerte. Während sich die griechischen Lieddichter selbst Sänger oder Musendiener nannten, bürgerte sich später der Begriff Lyriker nach ihrem Hauptinstrument, der siebensaitigen Lyra, ein. Horaz schrieb vier Lyrikbücher, die „Carmina“, die insgesamt 104 Gedichte enthalten. Die ersten drei verfasste er um 23 v. Chr. und das vierte um 13 v. Chr. Im Gegensatz zu den nicht immer ganz ausgereiften „Epoden“ stellen die „Oden“ (Odé, Gesang) eine vollendete Meisterleistung dar.

Themen sind wie schon bei den Griechen vor allem Liebe und Politik, aber auch Freundschaft, Alltäglichkeiten des Lebens und Fragen aus der Philosophie. Vorbild war unter anderem Alkaios von Lesbos, von dem er teilweise auch die Strophenform übernahm. Im großen Unterschied zu seinen griechischen Vorgängern war Horaz nur Dichter und nicht Musiker. Deshalb waren seine „Oden“ nicht vertont. Eine Ausnahme bildete nur das 17 v. Chr. für die Jahrhundertfeier, die den Beginn einer Friedensära einleiten sollte, verfasste „Carmen saeculare“. Wie auch schon die Chorlyriker liebte es Horaz, in einem Gedicht die verschiedensten Themen zusammenzufügen. Oft verwendete er verhaltene, hintergründige Aussagen. Mittel dazu waren treffende Bilder, Aussparungen, Offenlassungen und leise Untertöne. Viele seiner Gedichte beginnen wuchtig und klingen leicht und heiter aus. Beispiel: 1, 9.

Obwohl Horaz kurze Gedichte bevorzugte, sind auch zahlreiche längere Gedichte erhalten. Wichtig sind hier vor allem das „Carmen saeculare“ und die sechs „Römeroden“. Letztere mahnten das römische Volk an die alten mores maiorum: der Genügsamkeit, Tapferkeit, Treue, Standhaftigkeit, Gerechtigkeit und Ehrfurcht.

Episteln

Da die Oden nicht den erhofften Erfolg brachten, ließ Horaz ab 20 v. Chr. von der Lyrik ab und widmete sich dem ersten Buch der Epistulae („Episteln“). Zusammengesetzt aus 20 Briefgedichten in Hexametern, legte Horaz in diesem Buch seine Lebensphilosophie dar. Diese Lebensphilosophie geht nicht von abstrakten Begriffen aus, sondern vom einzelnen Menschen mit seinen Fehlern, Schwächen und Eigenheiten. Sie fordert nicht auf, über den eigenen Schatten zu springen, wohl aber, sich in der eigenen Art um ein rechtes Maß zu bemühen, damit das Zusammenleben der Menschen erträglich bleibt. Vorbild für die „Epistulae“ waren ihm wahrscheinlich die Briefe des attischen Philosophen Epikur.

Im zweiten Buch der „Epistulae“ ab 13 v. Chr. betätigte sich Horaz als Literaturkritiker. Drei große Briefgedichte widmete er am Ende seiner Schaffenszeit diesem Thema. Zwei davon bilden das zweite Buch der „Epistulae“. Im ersten Brief an Augustus kritisiert der Dichter die gedankenlose Überbewertung der altrömischen Dichtung, vor allem des Dramas, und weist auf den Wert der neuen Klassik, mit den Werken von Vergil und Varius, hin. Im zweiten Brief (an Florus) entsagt er scheinbar der Dichtung zugunsten der Philosophie, nur um in Wahrheit auf die erdrückenden Anforderungen an einen Dichter hinzuweisen. Im dritten und längsten Literaturbrief (an die Pisonen), der als gesondertes Buch unter dem Titel De arte poetica überliefert ist, will Horaz als Dichter Rechenschaft ablegen und den Geschmack verständiger Leser bilden. Er will Dilettanten, Nachahmern und Modepoeten das Handwerk erschweren, aber echte Begabung auf ihrem harten Weg ermuntern. Horaz hat in seiner Epistula ad Pisones auch eine Gliederung des Dramas in fünf Akte gefordert (Ars Poetica, V. 189) (siehe Regeldrama), die Nützlichkeit des literarischen Werkes mit dem Aspekt der Freude und der Unterhaltung verknüpft (Ars Poetica, V. 333) und den Mimesischarakter literarischer Werke (Ars Poetica, V. 361) betont.

Wirkungsgeschichte

Horaz wurde bald Schulautor, erhielt aber nicht die Breitenwirkung wie Vergil oder Ovid. Dennoch war Horaz besonders für den Gelehrtenkreis um Karl den Großen und später für die Humanisten von Bedeutung. Von größter Bedeutung war Horaz aber für die französischen Klassiker des 16. und 17. Jahrhunderts. Insbesondere versuchten Dichter und Kritiker wie Boileau oder Opitz, aus dem Brief De arte poetica eine programmatische Poetik zu (re)konstruieren, wie sie in dieser Systematik von Horaz kaum beabsichtigt war.

Bekannte Zitate

Pulvis et umbra sumus

Staub und Schatten sind wir.

Aurea mediocritas

Goldener Mittelweg

Carpe diem, quam minimum credula postero! (carm. 1,11)

Nutze diesen Tag (wörtlich: Pflücke diesen Tag), nimmer traue dem nächsten!

Dona praesentis cape laetus horae ac linque severa.

Was die Stund anbietet, empfange mit Freud und lass von dem Ernst ab!

Misce stultitiam consiliis brevem: dulce est desipere in loco.

Mische ein wenig Torheit unter deine Gedanken: Albernheit zur rechten Zeit ist etwas Köstliches.

Sapere aude!

Wage es, den Verstand zu benutzen!

Odi profanum vulgus et arceo

Ich hasse den gemeinen Pöbel und meide ihn!

Iliacos intra muros peccatur et extra.

Verbrecher gibt es in- und außerhalb von Troja.

Dulce et decorum est pro patria mori.

Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben.

Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus.

Berge kreißen, doch sieh: heraus kriecht nur ein winziges Mäuschen.

Ut pictura poesis erit.

Dichtung ist wie Malerei. [3]

O matre pulchra filia pulchrior

O schönere Tochter einer schönen Mutter

Ille terrarum mihi praeter omnes angulus ridet

Dieser Winkel der Erde lacht mich mehr als jeder andere an. [4]

Aut prodesse volunt aut delectare poetae.

Die Dichter wollen entweder nützen oder unterhalten.

Sic quia perpetuus nulli datur usus, et heres heredem alterius velut unda supervenit undam, quid vici prosunt aut horrea?

Wenn also kein Besitztum ewig währet und, Wellen gleich, ein Erbe stets des andern Erben verschlingt, was helfen große Güter dir und volle Scheunen?

Graecia capta ferum victorem cepit et artes intulit agresti Latio

Das bezwungene Griechenland bezwang den rohen Sieger und brachte die Künste in das bäuerische Latium.

Si fractus inlabatur orbis inpavidum ferient ruinae.

Selbst wenn die Welt zerborsten einstürzt, werden die Trümmer einen Furchtlosen treffen.

Nunc est bibendum

Nun muss getrunken werden.

Siehe auch: Liste lateinischer Phrasen

Philosophie des Horaz

Horaz bezeichnete sich selbst als ein Schüler Epikurs[5]. Dabei hängt er der epikureischen Lehre nicht auf orthodoxe Weise an, sondern hat für sich einige Grundprinzipien übernommen: Lust ist das einzige Gut und Schmerz das einzige Übel. Dabei ist die wahre Lust der Zustand vollkommener Ruhe und Ungestörtheit, das stille Glück im Garten (bzw. auf dem Lande), das sich aus dem Getriebe der Welt heraushält. Götter existieren, doch sie leben glückselig und abgesondert von der Welt und üben keinen Einfluss auf sie aus. Trotzdem muss man das Zitat aus Epistel 1, Vers 14 mitlesen, um Horazens Lebenshaltung zu verstehen: "Nullius addictus iurare in verba magistri." (Ich schulde den Worten keines Meisters blinden Gehorsam.) Er mag zwar in vieler Hinsichten Epikureer sein, aber er möchte sich trotzdem als Freidenker verstehen. Horaz urteilt also nicht immer als Epikureer, sondern z.B. auch als Anhänger der aristotelischen Philosophie (aurea mediocritas, Carminum liber II,10, "Rectius vives, Licini,...").

Anmerkungen

  1. Hor. epist. 2,2,44
  2. Hor. carm. 2,1
  3. Es ist dabei jedoch anzumerken, dass der programmatische Satz erst durch eine Änderung der interpunktuation während der Tradierung entstand: ursprünglich lautete er ut pictura poesis: erit quae … (ars poetica, 361-362) und bezeichnet nur eine deutlich schwächere Gleichstellung der Malerei mit der Dichtkunst; in seiner veränderten Form wurde er zum Programmsatz in der ut-pictura-poesis-Debatte von der Renaissance bis zur Aufklärung. Das Zitat ist angelehnt an den Ausspruch des Simonides: Dichtung als sprechende Malerei, Malerei als schweigende Dichtung (Plutarch).
  4. Später das Motto der dänischen Nationalhymne Der er et yndigt land.
  5. z.B. Hor. epist. 1,4,6: Epicuri de grege porcum

Literatur

Ausgaben

  • Q. Horati Flacci Opera, edidit D. R. Shackleton Bailey. Teubner, 3. Aufl. Stuttgart 1995. (konjekturfreudiger Umgang mit dem überlieferten Text)
  • Horatius opera, ed. S. Borzsák, Leipzig 1984, Teubner. (textkritisch behutsam und konservativ)
  • Quintus Horatius Flaccus: Opera, lat./dt. Mit einem Nachwort hrsg. von Bernhard Kytzler. Reclam, Stuttgart 1992 u.ö. – Handliche Prosaübersetzung

Sekundärliteratur

  • Paul Barié: Horaz "Carpe diem. Pflücke den Tag" Lebensweisheit in der Lyrik des Horaz Sonnenberg, Annweiler 2008 (Reihe: Exemplarische Reihe Literatur und Philosophie, 25) Literaturverz. ISBN 9783933264527
  • Andreas Heinrich Bucholtz: "Des vortreflichen Römischen Poeten Q. Horatius Flaccus", Universitätsdrucker Petrus Lucius Rinteln, 1639
  • Eduard Fraenkel: Horaz. Aus dem Engl. (Oxford 1957) von Gertrud und Erich Bayer. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1963, 6. Aufl. 1983 (Klassische Gesamtdarstellung der Dichtung des Horaz)
  • Niklas Holzberg: Horaz. Dichter und Werk. C.H. Beck Verlag, München 2009. ISBN 978-3-406-57962-2
  • Bernhard Kytzler: Horaz. Eine Einführung. Reclam, Stuttgart 1996, 2000 (Übersichtliche und gut verständliche Einführung)
  • Rensselaer Lee: ut pictura poesis. The Humanistic Theory of Painting, New York: 1967
  • Tino Licht: Horazüberlieferung im Frühmittelalter, in: Ex Praeteritis Praesentia, Heidelberg 2006, S. 109-134.
  • Nina Mindt: Die meta-sympotischen Oden und Epoden des Horaz, Vertumnus. Berliner Beiträge zur Klassischen Philologie und zu ihren Nachbargebieten, Band 3, Göttingen: Edition Ruprecht, 2008, ISBN 978-3-89744-257-3
  • Karl Numberger: Horaz, Lyrische Gedichte, Kommentar für Lehrer der Gymnasien und für Studierende, 3. Auflage, Aschendorff, Münster 1993
  • Hans Oppermann (Hrsg.): Wege zu Horaz. Darmstadt 1980.
  • Michael C. J. Putnam: Artifices of Eternity. Horace's Fourth Book of Odes. Cornell University Press, Ithaca und London 1986 (Glänzende 'Rehabilitation' des lange als zweitrangig betrachteten vierten Odenbuches)
  • Lindsay C. Watson: A commentary on Horace's Epodes. Oxford 2003

Weblinks


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