RU-KGD

RU-KGD
Oblast Kaliningrad
Lage
Wappen
Flagge
(Wappen) (Flagge)
Staat: Russland
Föderationskreis: Nordwestrussland
Fläche: 13.612 km²
Einwohner: 939.887 (1. Januar 2006)
Hauptstadt: Kaliningrad
Bevölkerungsdichte: 69 Einwohner je km²
Kfz-Kennzeichen: 39
Gliederung der Oblast: 19 Rajons
Website: [1]
Politik
Gouverneur: Georgi Boos

Die Oblast Kaliningrad oder auch das Gebiet Kaliningrad (russisch Калининградская область/Kaliningradskaja oblast) ist die westlichste, eine der kleinsten und die jüngste Oblast der Russischen Föderation mit 940.000 Einwohnern und 13.600 km². Sie ist damit etwas kleiner als das Land Schleswig-Holstein. In Russland wird sie häufig auch als Bernsteinland (russisch Янтарный Край/Jantarny Krai) bezeichnet, was auf ihren Reichtum an Bernstein hinweist. Die Hauptstadt ist Kaliningrad (früher Königsberg). Die Oblast umfasst etwa das nördliche Drittel der ehemaligen preußischen Provinz Ostpreußen (d. h. das ehemalige Gebiet der Provinz ohne das Memelland, Ermland, Masuren und das Oberland) und ist als russische Exklave räumlich durch litauisches sowie polnisches und darüber hinaus weißrussisches beziehungsweise lettisches Territorium vom restlichen Russland getrennt. Die wichtigste Landverbindung zum russischen Kernland verläuft durch Litauen und Weißrussland. Das Gebiet spielt für Russland eine wichtige Rolle als Sitz der Baltischen Flotte.

Inhaltsverzeichnis

Geographie

Landschaft auf der Kurischen Nehrung

Grenzen

Die Oblast Kaliningrad wird im Westen von der Ostsee begrenzt, durch die Memel im Norden, die Šešupė, Širvinta und Lipovka im Osten von Litauen. Dieser Grenzabschnitt entlang der Flüsschen Šešupė, Širvinta und Lipovka existiert in seinem Verlauf seit dem 13. Jahrhundert und zählt zu den traditionsreichsten Grenzen Europas. Im Süden grenzt die Oblast an Ermland-Masuren in Polen. Diese Grenze verläuft fast schnurgerade von der Frischen Nehrung nördlich von Krynica Morska (Kahlberg) nach Osten bis zur Südspitze des Wystiter Sees.

Städte

Die größte Stadt und Hauptstadt ist Kaliningrad (früher Königsberg), insgesamt gibt es 21 Städte sowie einige größere Siedlungen (sog. „städtische Siedlungen“; siehe auch: Liste der Städte in der Oblast Kaliningrad).

Städte und städtische Siedlungen

Stadt/Städt. Siedlung (*) Russischer Name Einwohner
1. Januar 2006
Kaliningrad (Königsberg) Калининград 423.651
Sowetsk (Tilsit) Советск 43.048
Tschernjachowsk (Insterburg) Черняховск 41.680
Baltijsk (Pillau) Балтийск 33.255
Gussew (Gumbinnen) Гусев 28.051
Swetly (Zimmerbude) Светлый 21.805
Gwardeisk (Tapiau) Гвардейск 13.552
Neman (Ragnit) Неман 12.320
Selenogradsk (Cranz) Зеленоградск 12.266
Pionerski (Neukuhren) Пионерский 11.761
Gurjewsk (Neuhausen) Гурьевск 11.132
Swetlogorsk (Rauschen) Светлогорск 10.918
Polessk (Labiau) Полесск 7.570
Mamonowo (Heiligenbeil) Мамоново 7.500
Bagrationowsk (Preußisch Eylau) Багратионовск 6.773
Osjorsk (Darkehmen) Озёрск 5.357
Jantarny* (Palmnicken) Янтарный 5.346
Slawsk (Heinrichswalde) Славск 4.979
Nesterow (Stallupönen) Нестеров 4.889
Prawdinsk (Friedland) Правдинск 4.439
Laduschkin (Ludwigsort) Ладушкин 3.802
Krasnosnamensk (Lasdehnen) Краснознаменск 3.518
Schelesnodoroschny* (Gerdauen) Железнодорожный 2.857
Primorsk* (Fischhausen) Приморск 2.118

Landschaft

Das Landschaftsbild wird von leicht gewelltem Flachland mit Moränenhügeln, größtenteils versteppten Wiesen und Feldern sowie viel Wald bestimmt, der von breiten Flussniederungen und Moorgebieten unterbrochen wird. Größte Flüsse sind der Pregel und die Memel, weitere Flüsse sind die Lawa (Alle), die Angrapa (Angerapp), die Krasnaja (Rominte) und die Dejma (Deime). Im Norden der Oblast befindet sich – angrenzend an das Kurische Haff – die Elchniederung (Losinaja Dolina) und das Große Moosbruch, eine Moorlandschaft, die zum Teil trockengelegt worden ist, jedoch in den letzten Jahren zunehmend wieder versumpft. Im Südosten liegt die Rominter Heide mit dem Wystiter See und dem Wystiter Hügelland, die mit bis zu 230 m Höhe die höchste Erhebung der Oblast bilden. Im Westen ragt das Samland als Halbinsel in die Ostsee. Im Südwesten liegt das Frische Haff. Die Oblast hat Anteil an der Kurischen Nehrung und an der Frischen Nehrung.

Politik und Verwaltung

Politik

Der derzeitige Gouverneur der Oblast, Georgi Walentinowitsch Boos, ist Mitglied der Putin-nahen Partei Jedinaja Rossija (Einiges Russland). Im Oblast-Sowjet (Parlament) befinden sich die gleichen politischen Kräfte wie im russischen Föderationsparlament (Duma): Stärkste Kraft ist das präsidententreue Lager, darauf folgen die Kommunisten, die in der Oblast sehr stark sind. Wichtigste politische Themen sind die hohe Arbeitslosigkeit und die sozialen/gesundheitspolitischen Probleme wie die Ausbreitung von Krankheiten wie AIDS und Tuberkulose. Hinzu kommen die wirtschaftlichen Probleme, die mit der Exklavensituation verbunden sind. Weitere große Schwierigkeiten ergeben sich durch den hohen Grad an organisierter Kriminalität und Korruption in der Verwaltung. Eine auch politisch nach wie vor starke Rolle spielt das Militär.

1991 wird die Exklave zur Sonderwirtschaftszone „Bernsteinland“ und seither von folgenden Gouverneuren geleitet:

  • 25. September 1991 – Juri Matotschkin
  • 5. November 1996 – Leonid Gorbenko
  • 7. Dezember 2000 – Wladimir Jegorow
  • 28. September 2005 – Georgi Boos

Exklavenstatus

Da die Oblast keine Verbindung zum russischen Mutterland hat, ergeben sich spezifische Probleme. Diese betreffen vor allem den Verkehr zwischen der Exklave und dem restlichen Russland (siehe unter Absatz „Verkehr“) und die Wirtschaft. So besteht ein großes Wohlstandsgefälle zu den EU-Nachbarn Polen und Litauen, zu denen restriktive Zoll- und Grenzbeschränkungen bestehen. Auch der russische Binnenmarkt ist für Produkte aus der Oblast schwer zugänglich, da ein teurer und langwieriger Transit durch andere Länder, v.a. durch Litauen und Weißrussland, notwendig ist. Hinderlich für eine weitere Entwicklung ist ferner die heruntergekommene Infrastruktur, überbordende Bürokratie und der hohe Militarisierungsgrad der Region (siehe auch Absätze „Wirtschaft“ und „Geschichte – 1990er-Jahre bis heute).

Verwaltung

Oblast Kaliningrad mit russisch-deutschen Namen

Die Oblast Kaliningrad wird in 19 Rajons und unabhängige Städte unterteilt (diese entsprechen den deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten).

(Einwohner am 1. Januar 2005)

Stadtkreis Deutscher Name Einwohner Stadtbevölkerung Dorfbevölkerung
Kaliningrad Königsberg 425.617 425.617 -
Baltisk Pillau 36.265 35.431 834
Pionerski Neukuhren 11.826 11.826 -
Sowetsk Tilsit 43.408 43.408 -
Swetlogorsk Rauschen 21.446 17.254 4.192
Swetly Zimmerbude 28.328 21.831 6.497
Rajon Deutscher Name Einwohner Stadtbevölkerung Dorfbevölkerung Verwaltungssitz
Bagrationowsk Preußisch Eylau 44.832 18.155 26.677 Bagrationowsk
Gurjewsk Neuhausen 48.814 11.151 37.663 Gurjewsk
Gussew Gumbinnen 37.130 28.130 9.000 Gussew
Gwardeisk Tapiau 30.530 17.814 12.716 Gwardeisk
Krasnosnamensk Lasdehnen 12.389 3.591 8.798 Krasnosnamensk (Kaliningrad)
Neman Ragnit 21.958 12.416 9.542 Neman
Nesterow Stallupönen 17.031 4.902 12.129 Nesterow
Osjorsk Darkehmen 16.656 5.517 11.139 Osjorsk
Polessk Labiau 18.997 7.631 11.366 Polessk
Prawdinsk Friedland 21.177 7.382 13.795 Prawdinsk
Selenogradsk Cranz 32.223 13.255 18.968 Selenogradsk
Slawsk Heinrichswalde 21.342 5.031 16.311 Slawsk
Tschernjachowsk Insterburg 55.010 42.441 12.569 Tschernjachowsk

Bevölkerung

Orthodoxe Christ-Erlöser-Kathedrale in Kaliningrad

Bei der letzten russischen Volkszählung im Jahr 2002 zählte die Oblast Kaliningrad 955.281 Einwohner. Die große Mehrheit davon waren Russen (786.885 = 82,37 %). Außerdem wurden damals 50.748 (= 5,31 %) Weißrussen, 47.229 (= 4,94 %) Ukrainer, 13.937 (= 1,46 %) Litauer, 8415 (= 0,88 %) Armenier, 8340 (= 0,87 %) Russlanddeutsche und 5731 (= 0,60 %) Tataren gezählt. Bei den Russlanddeutschen handelt es sich fast ausschließlich um Zuwanderer aus anderen russischen Regionen und nicht um wohnhaft gebliebene Ostpreußen. Noch heute sind etwa 50 % der Bevölkerung nicht in der Oblast geboren; vor allem nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind viele Russen aus den ehemaligen Teilrepubliken zugewandert. Dennoch sinkt die Einwohnerzahl wegen der niedrigen Geburtenrate und einer vergleichsweise niedrigen Lebenserwartung, obwohl die Gebietsverwaltung eine verstärkte Einwanderung anstrebt. Es leben 14.500 Militärangehörige in der Oblast.

Probleme des Gesundheitswesens

Zu einem wachsenden Problem in der Region entwickelt sich die Ausbreitung von Hepatitis B, Hepatitis C, AIDS und Tuberkulose. Einige Krankenhäuser besitzen dank der Hilfe einiger reicher Sponsoren oder auch durch Hilfsgelder aus dem Ausland ausgewählte moderne Gerätschaften. Dies betrifft in erster Linie Krankenhäuser in der Gebietshauptstadt. Jedoch herrscht vor Allem in den Rajonskrankenhäusern eine ausgesprochene Mangelwirtschaft, insbesondere, was das Arbeiten mit sterilen Einwegartikeln angeht. Die häufig verbreitete Meldung, dass das Gebiet Kaliningrad die am stärksten von der AIDS-Ausbreitung betroffene Region in Russland ist, relativiert sich, wenn man berücksichtigt, dass in diesem Gebiet die russlandweit einzige einigermaßen vollständige Erfassung der Infizierten besteht.

Wirtschaft

Hafen von Kaliningrad

Die Oblast Kaliningrad hat für Russland nach wie vor große Bedeutung als Militärstützpunkt (bis 1991 gesperrt) sowie als eisfreier Ostseehafen. Die Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone „Jantar“ zeigt nur zögerlich Erfolge, was insbesondere der starken Abschottung des Gebietes, der herrschenden Bürokratie, der hohen Kriminalität und der häufig anzutreffenden Korruption angelastet wird. In Kaliningrad gibt es eine große Fischereiflotte (die größte Russlands) sowie Automontage für BMW und KIA. Die Wirtschaft leidet sehr unter der zunehmend starken Abschottung des Gebietes von seinen Nachbarn und den vielen zu überwindenden Staatsgrenzen zum russischen Kernland. Dies führte zu einem Niedergang des Exportes und brachte eine hohe Arbeitslosigkeit insbesondere auf dem Land mit sich. Große Hoffnungen werden in den Fund von Erdöl in der Ostsee gesetzt. Große Teile der ländlichen Bevölkerung arbeiten in der meist genossenschaftlich organisierten Landwirtschaft und – an der Küste – der Fischerei. Sehr viel Landwirtschaft wird hierbei auch zur Selbstversorgung betrieben.

Verkehr

Seeverkehr

Der Umschlag des Kaliningrader Hafens betrug 2002 9,9 Mio. Tonnen (zweitgrößter russischer Seehafen).

Binnenverkehr

Innerhalb der Oblast existiert ein weitmaschiges, 645 km langes Eisenbahnnetz, davon sind 95 km elektrifiziert (Strecken von Kaliningrad (Königsberg) nach Swetlogorsk (Rauschen) und Selenogradsk (Cranz)). Daneben wird ein großer Teil des Verkehrs mit Bussen bewältigt. Zwischen Kaliningrad und Talpaki (Taplacken) bei Snamensk (Wehlau) besteht eine autobahnähnlich ausgebaute Schnellstraße. Nach Polen besteht die Trasse der bereits vor 1945 einspurig betriebenen Autobahn ElbingKönigsberg, die kürzlich wieder für den Verkehr freigegeben wurde, jetzt aber nur noch eine Straße von regionaler Bedeutung ist. Die Länge des Straßennetzes beträgt 6714 km.

Verkehr mit dem restlichen Russland

Die meisten von der Oblast ausgehenden Verkehrsströme zielen in Form von Transitverbindungen durch Litauen und Weißrussland auf das russische Kernland. Durch die Situation als von visumpflichtigem Ausland umgebene Exklave ist der Verkehr mit dem restlichen Russland jedoch sehr erschwert, was ein ernsthaftes Problem für die lokale Wirtschaft ist. Nur die Hälfte der Einwohner des Gebietes besitzt überhaupt einen Reisepass und ist so in der Lage, ein (für den durchschnittlichen Kaliningrader sehr teures) Visum zu beantragen. Nur diese Personengruppe kann das Gebiet verlassen, ohne das Schiff oder ein Flugzeug ins russische Kernland zu benutzen.

Eisenbahn

Bahnhof in Kaliningrad

Den wichtigsten Verkehrsträger von der Oblast Kaliningrad ins russische Kernland stellt die Eisenbahn dar. Fahrkarten für Transitzüge ins russische Kernland müssen spätestens einen Tag vor der Fahrt gekauft werden, da ein sogenanntes Transitdokument (de facto ein Transitvisum) erforderlich ist. Diese Züge fahren ohne Zu- oder Aussteigemöglichkeit bis ins russische Kernland durch.

Straße

Zur Schnellstraße ausgebauter Abschnitt der A229 bei Gwardejsk

Die Hauptstraßenverbindung nach Moskau verläuft über den Grenzübergang TschernyschewskojeMarijampolėVilniusMinskSmolensk, die Hauptstraße nach Sankt Petersburg verläuft über den Grenzübergang Sowetsk (Tilsit)–ŠiauliaiRigaPskow. Für beide Routen benötigen Russen Transitvisa.

Fähre

Es besteht eine visumfreie Fährverbindung von Baltijsk (Pillau) nach Sankt Petersburg, die zur Zeit 48 Stunden für eine Richtung braucht und auf der eisfeste Autofähren eingesetzt werden. Geplant sind Schnellfähren für den Eisenbahn-, Auto- und Personentransport, die nur noch 15 Stunden brauchen werden und vom neuen Fährterminal bei Baltijsk nach Ust-Luga bei Sankt Petersburg verkehren. Eine Schifffahrt kostet hierbei so viel wie die Bahnfahrt über Litauen und weißrussisches Territorium. Problematisch war, dass die Fähre in der Vergangenheit häufig und über lange Zeiträume ausfiel. Als Gründe wurden hierbei meist technische Probleme angeführt.

Flugzeug

Bei Chrabrowo (Powunden) befindet sich ein Flughafen, von dem aus täglich mehrmals ebenfalls visumfreie Inlandsflüge ins russische Kernland abgehen.

Verkehr mit den Nachbarländern

Es bestehen 3 Straßengrenzübergänge nach Polen (davon einer nur für Staatsangehörige Polens und Russlands), 4 Straßengrenzübergänge nach Litauen (davon einer nur für Staatsangehörige Litauens und Russlands), 2 Eisenbahngrenzübergänge nach Polen (davon einer ausschließlich für den Güterverkehr) und 2 Eisenbahngrenzübergänge nach Litauen (davon einer ausschließlich für den Güterverkehr).

Vom Flughafen Chrabrowo (Powunden) aus bestehen Verbindungen vor allem nach

Die Bewohner der Oblast benötigen für sämtliche Nachbarländer seit dem EU-Beitritt Polens und Litauens ein Visum. Dies hat in Verbindung mit sehr restriktiven Grenzkontrollen dazu geführt, dass der sogenannte kleine Grenzverkehr seitdem praktisch zum Erliegen gekommen ist und die Oblast stärker als zuvor auf das russische Kernland ausgerichtet ist.

Geschichte

Bis 1945

Zur Geschichte vor 1945 und zur Vertreibung siehe unter Ostpreußen.

Wiederbesiedelung

Nachdem im Jahr 1945 Ostpreußen von der Roten Armee erobert worden war, bildete die sowjetische Regierung zuerst die Kenigsbergskaja oblast. 1946 erfolgte – kurz vor der Umbenennung der Hauptstadt – die neue Namengebung Kaliningradskaja Oblast. Gleichzeitig liefen in der gesamten Sowjetunion mit Schwerpunkt in Zentralrussland, dem Gebiet des heutigen Föderationskreises Wolga, der nordöstlichen Ukraine und Weißrussland Kampagnen, um den durch Vertreibung, Verschleppung und Ermordung der einheimischen deutschen Bevölkerung entvölkerten Landstrich wieder zu besiedeln. Ins Land kamen neben Angehörigen der hier ansässigen Garnisonen Menschen, die im Krieg ihr Heimatdorf oder ihre Familie verloren hatten, aber auch heimkehrende Soldaten, aus deutscher Kriegsgefangenschaft entlassene Heimkehrer, die Bestrafung wegen des Vorwurfes der Kollaboration mit dem Feind fürchteten und Strafgefangene, die verpflichtet wurden, sich in dieser Region anzusiedeln. Das Gebiet wurde zu einem Militärsperrbezirk, in den selbst Sowjetbürger nur mit Sondergenehmigung einreisen konnten. Rund 2280 Orte wurden nicht wieder besiedelt und existieren seither nicht mehr, die übrigen 2520 Ortschaften erhielten russische Namen, die keinen Bezug zu den alten Ortsnamen mehr besaßen (beispielsweise Schelesnodoroschny (Eisenbahnstadt) für Gerdauen, Matrossowo (Matrosendorf) für Gilge, Slawsk (ruhmreicher Ort) für Heinrichswalde). Zum Teil erhielten auch Gruppen von benachbart liegenden Dörfern einen gemeinsamen neuen Namen.

1960er bis zur Perestroika

1969 wurde trotz Protesten von Einwohnern das Königsberger Schloss gesprengt und neben dessen ehemaligem Standort mit dem Bau des bis heute unvollendeten Rätehauses begonnen. Danach und in den 1970er-Jahren erfolgte verstärkt der Abriss von alter Bausubstanz und der Neuüberbauung vieler Städte einschließlich der Hauptstadt. Da das Gebiet der Oblast bis 1969 selbst für Sowjetbürger gesperrt und nur mit Sondergenehmigung zu bereisen war, entwickelte es sich nur sehr langsam. Die gesamte Region war Militärsperrgebiet und beherbergte auch Kernwaffen. Als großes Problem für die Landwirtschaft entpuppte sich in vielen Landstrichen die Versumpfung, da diese Regionen vor dem Zweiten Weltkrieg durch aufwändige Drainagesysteme entwässert worden waren. Diese Systeme wurden nach dem Krieg nicht weiter gepflegt oder wurden häufig auch mutwillig zerstört, da schwere landwirtschaftliche Maschinen, die zur Bewirtschaftung dieses Geländes nicht geeignet waren, auf den neu gegründeten Kolchosen und Sowchosen eingesetzt wurden. Dieses Problem betraf beispielsweise die Elchniederung.

Öffnung des Gebietes

Bis 1990 war die Oblast Kaliningrad als Teil der ehemaligen deutschen Ostgebiete von der Bundesrepublik Deutschland – jedoch nicht von der DDR – als völkerrechtlich unter sowjetischer Verwaltung stehend betrachtet worden, auch wenn der Oberste Sowjet der UdSSR das Gebiet mit eisfreiem Zugang zur Ostsee bereits am 17. Oktober 1945 annektierte und per Erlass am 7. April 1946 über die Eingliederung als „Königsberger Gebiet“ in die RSFSR verfügte. Erst mit der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages am 12. September 1990 verzichtete die Bundesrepublik Deutschland als Voraussetzung zur Genehmigung der Vier Mächte zur Deutschen Wiedervereinigung auf alle Ansprüche östlich der Oder-Neiße-Linie und erkannte damit Kaliningrad als zur Sowjetunion gehörend an.

1991 wurde das Gebiet im Zuge der Perestroika wieder für ausländische Besucher geöffnet. So kamen unter anderem vorübergehend viele Heimwehtouristen in die Oblast, die seit der Auflösung der Sowjetunion zur Russischen Föderation gehört. Mit der politischen Öffnung wurde die Bausubstanz verstärkt erhalten. Dies betrifft einige repräsentative Kirchen wie den Königsberger Dom und einige Dorfkirchen, aber auch andere vereinzelte Bauwerke wie die Königin-Luise-Brücke (siehe auch Absatz „Kultur“).

1990er-Jahre bis heute

Rätehaus in Kaliningrad mit Flaggenschmuck anlässlich des 9. Mai (Tag des Sieges)

Mit Auflösung der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der baltischen Staaten ergab sich jedoch die neue Situation, dass die Oblast nun eine von Russland abgetrennte Exklave geworden war und von Importen abhängig wurde. Früh bestanden Planungen, Kaliningrad zu einem Hongkong an der Ostsee zu machen. Zu diesem Zweck wurde die Sonderwirtschaftszone Jantar (Bernstein) eingerichtet, die jedoch nur wenig Erfolg zeigte. Mit dem Beitritt Litauens und Polens zur EU 2004 verschärfte sich die Exklavensituation, da für die Reise von der Oblast zum russischen Kernland de facto nun ein Visum erforderlich ist. Im Fremdenverkehrsbereich besteht inzwischen das Problem, dass der Heimwehtourismus der Öffnungszeit wieder weitgehend abgeebbt ist. Daher versucht man nun, eine neue Reisendenklientel zu erschließen, die vor allem aus Russland und Weißrussland kommt. Seit dem 29. März 2004 ist die Oblast landseitig vollständig von NATO-Gebiet umgeben.

Die Bestrebungen in der Bevölkerung nach einer stärkeren Autonomie von Russland nehmen indes zu, die „Baltische Republikanische Partei“ strebt nach der Gründung einer mit Russland assoziierten „Vierten Baltischen Republik“ innerhalb der EU mit dem Namen Baltia. Man schätzt die Befürworter einer Loslösung von der Russischen Föderation im Oblast auf etwa 10 Prozent. [1]

Königsberger Dom

Traditionen und Identität

Nach der Eroberung des Gebietes der heutigen Oblast wurden die Spuren der früheren Geschichte bewusst zerstört. Dies betraf speziell Schlösser, Landgüter und Kirchen. Das frühere Nordostpreußen sollte nur noch ein Militärsperrgebiet sein. Dies änderte sich mit der Perestroika. Seither wird die frühere Geschichte nicht mehr verschwiegen und einige Organisationen wie beispielsweise Kirchengemeinden und Krankenhäuser aus diesem Gebiet pflegen Partnerschaften zu ehemaligen Bewohnern Ostpreußens, was sich in einigen Hilfstransporten in diese Region zeigt.

Die heutige Oblast ist ein eindeutig russisches Gebiet und versteht sich aus offizieller Sichtweise auch kulturell als westlicher Außenposten Russlands. Offizielle Stellen bemühen sich, eine neue Identität auf Basis der russischen Geschichte im Ostseeraum, aber auch unter teilweiser Berücksichtigung der früheren Geschichte der Region zu konstruieren. Dies erzeugt häufig den Eindruck von Geschichtsklitterung. Man stellt die Oblast damit in die Tradition der russischen Geschichte im Baltikum (daher begegnen einem in dieser Region häufig Hinweise auf das "Russische Baltikum"). So wird in der Oblast Kaliningrad die Tradition der Westöffnung unter Zar Peter dem Großen betont, der öfters Reisen nach Königsberg unternommen hatte. Auch die kurze Episode während des Siebenjährigen Krieges zwischen 1758 und 62, in der das Gebiet unter Zarin Elisabeth schon einmal von Russland annektiert worden war („Erste russische Episode“), gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung. Ein Element aus der vorrussischen Zeit, auf das gelegentlich hingewiesen wird, ist der Umstand, dass sich im früheren Ostpreußen Siedler aus vielen Gegenden (Salzburg, Schweiz, Niederlande) angesiedelt hatten, wie auch die heutige Bevölkerung aus den unterschiedlichsten Regionen (wenn auch der ehemaligen Sowjetunion) stammt. Dabei wird verschwiegen, dass ein wesentlicher Teil der Ostpreußen von den seit Jahrtausenden ansässigen Prussen abstammte. Ferner wird häufig unterstrichen, dass Königsberg eine Hansestadt mit vielen Kontakten nach Russland (Nowgorod) war und dass sich hier eine traditionsreiche Universität befindet, von der aus auch viele Einflüsse nach Russland kamen. Als Identifikationsobjekt hierbei gilt der Königsberger Philosoph Immanuel Kant: So wurde die ehemalige Kneiphof-Insel und später schlicht „Insel“ genannte Pregelinsel in Kaliningrad in „Kant-Insel“ umbenannt. Es gab sogar Vorschläge, die frühere Stadt Königsberg und heutige Stadt Kaliningrad in „Kantgrad“ umzubenennen. Alte backsteingotische Dorfkirchen werden in einigen Orten für russisch-orthodoxe Gottesdienste hergerichtet, zum Teil werden beziehungsweise wurden Kirchen im traditionellen russischen Stil neu gebaut. Schlösser und Herrenhäuser werden zum Teil renoviert, wo sie noch stehen und Geld vorhanden ist. Zu den Bemühungen um die Schaffung einer eigenen russischen Identität zählt auch die Einführung neuer Hoheitsabzeichen für die Region, die keinerlei Vorbild in früheren preußischen Symbolen finden und sich nur auf russische Symbolik beziehen – insbesondere gilt dies für das in Wappen und Flagge vorkommende Monogramm der Zarin Elisabeth aus der Zeit des siebenjährigen Krieges, in der das Gebiet schon einmal russisch war.

Kultur

Theater von Kaliningrad

In Kaliningrad gibt es das regionale Dramentheater, ein überregional bekanntes Puppentheater, ein Musiktheater, eine Philharmonie, verschiedene weitere Theater und Galerien, ein jährliches Filmfestival und ein Deutsch-Russisches Haus mit regelmäßigen Kulturveranstaltungen. Daneben gibt es in Sowetsk ein Theater. Hinzu kommen selbst in kleineren Orten verschiedenste Museen (meistens Heimatmuseen). Die Oblast Kaliningrad unterhält heute auf Regierungsebene Partnerschaften mit den deutschen Ländern Brandenburg und Schleswig-Holstein, die neben einer wirtschaftlichen Komponente auch kulturelle Zusammenarbeit einschließt.

Tourismus

Der Tourismus in der Oblast Kaliningrad entwickelte sich nach Öffnung des vormaligen Militärsperrgebietes zunächst sprunghaft, da viele ehemalige Einwohner des nördlichen Ostpreußen als Heimwehtouristen die Region um das frühere Königsberg (Preußen) besuchten. Nach kurzer Zeit ebbte diese Besuchswelle jedoch ab. Von großer und mit Abebben des Heimwehtourismus von wachsender Bedeutung in den Küstenbadeorten Selenogradsk und Swetlogorsk sowie auf der Kurischen Nehrung ist der Inlandstourismus. Ein Grund hierfür ist die überbordende Bürokratie und der Visumzwang für EU-Bürger. Vom wachsenden Inlandstourismus zeugen nicht zuletzt neu erbaute Villen in Strandnähe, die sich reiche Moskauer in diesen Orten erbauen. Kaliningrad selber besitzt nach schweren Zerstörungen im Krieg nur wenige historische Sehenswürdigkeiten, zu denen der alte Königsberger Dom und einige alte Stadtbefestigungen zählen. Jedoch ist die Stadt als örtliche Verkehrsdrehscheibe und Einkaufsstadt von Bedeutung. Im größten Teil des Gebietes besteht kaum touristische Infrastruktur, insbesondere ist man noch nicht sehr auf Individualtourismus eingestellt. Die örtliche Touristenbehörde bemüht sich um den Aufbau verschiedener Fremdenverkehrszweige wie Jagdtourismus, Reitertourismus und ländlichen Tourismus sowie um Förderung des Fremdenverkehrs in den Klein- und Mittelstädten wie Sowetsk (Tilsit). Beliebt sind außerdem Schienenkreuzfahrten in das Gebiet.[2]

Siehe auch

  • Portal:Kaliningrader Gebiet
  • Portal:Russland

Literatur

  • Hanne-Margret Birckenbach: Kaliningrad – eine europäische Pilotregion? Die Perspektive der Friedens- und Konfliktforschung. In: Spiegel der Forschung 23 (2006) Heft 1/2, S. 32-40 (Volltext)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://www.welt.de/print-welt/article383765/ „Der Westen steht vor der Tür“, Bericht in „Die Welt“ vom 12. April 2002
  2. Regionale Fremdenverkehrsbehörde (englisch und russisch)

54.82352921.4816167Koordinaten: 55° N, 21° O


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