Rabutin-Chantal

Rabutin-Chantal
Madame de Sévigné, Porträt von Claude Lefebvre

Marie de Rabutin-Chantal, Marquise de Sévigné (* 5. Februar 1626 in Paris; † 18. April 1696 auf Schloss Grignan, Provence) war eine Angehörige des französischen Hochadels, die als Autorin durch ihre Briefe bekannt wurde und zum Kreis der Klassiker gerechnet wird.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Schaffen

Sie wurde geboren als Marie de Rabutin-Chantal und war einziges überlebendes von drei Kindern eines Offiziers aus altem, aber etwas verarmtem burgundischen Adel und einer aus der neuadeligen Bankiersfamilie Coulanges stammenden Mutter. Mit anderthalb Jahren verlor sie ihren Vater in einem der religiös bedingten Bürgerkriege der Zeit und mit sieben auch ihre Mutter. Sie blieb zunächst im weltoffenen und wohlhabenden Pariser Haus der Großeltern Coulanges, wo sie seit ihrer Geburt gelebt hatte. Nachdem sie aber mit acht ihre Großmutter und mit zehn auch den Großvater verloren hatte, versuchten ihr Onkel und ihre Tante väterlicherseits sie, die reiche Erbin, ins Burgund zu holen und für ein Leben als Nonne oder als Gattin eines der Söhne der Tante zu bestimmen. Ihre andere Großmutter, Johanna Franziska von Chantal (Mitgründerin des Visitandinnen-Ordens und spätere Heilige), setzte jedoch durch, dass sie in Paris blieb als Ziehkind in der Familie des ältesten Onkels mütterlicherseits, Philippe, und seiner Gattin Marie d’Ormesson, die aus dem hohen Pariser Amtsadel (noblesse de robe) stammte. Hier erhielt sie die übliche adelige Mädchenausbildung in Konversation, Singen, Tanzen und Reiten, lernte aber auch Italienisch, etwas Latein und Spanisch und konnte sich vor allem eine gute literarische Bildung aneignen. Früh auch wurde sie eingeführt in den Kreis von Literaten und geistig interessierten Adeligen um die Marquise de Rambouillet. Zu ihren eifrigsten Förderern zählte ein weiterer, jüngerer, Onkel, der Abbé Christophe de Coulanges, der ihr sein Leben lang verbunden blieb.

Nach einer trotz der Todesfälle um sie herum eher glücklichen Kindheit und Jugend im Kreis der vielköpfigen Coulanges-Sippe, ließ sie sich 1644 18jährig und versehen mit der stattlichen Mitgift von 300.000 Francs verheiraten mit dem 21-Jährigen, aus altem bretonischen Adel stammenden Marquis Henri de Sévigné. Dieser war ein Gefolgsmann des mächtigen Familien-Clans der Gondis, die mit dem Erzbischof von Paris sowie dessen Koadjutor und designiertem Nachfolger Paul de Gondi denn auch zwei der Beglaubigungszeugen des Ehevertrags stellten.

Das junge Paar blieb zunächst in Paris und lebte dort auf großem Fuß. 1646 bekam es ein erstes Kind, Françoise Marguerite. Später begab es sich in die Bretagne, wo Henri dank der Mitgift seiner Frau das Amt eines Gouverneurs gekauft hatte. Auf dem Familienschloss der Sévignés, Les Rochers bei Vitré, kam 1648 Sohn Charles zur Welt.

Nach der Geburt des Stammhalters erklärte Mme de Sévigné ihre ehelichen Pflichten für erfüllt und überließ ihren Mann seinen Geliebten, während sie selbst sich, sicher nur platonisch, von diversen Provinzadeligen und Schöngeistern anhimmeln ließ und in diesem Rahmen Briefe und offenbar auch Verse verfasste.

1651 wurde ihr Mann bei einem Duell in Paris (es ging dort um die Ehre seiner Geliebten) tödlich verletzt. Bei ihrem nachfolgenden längeren Aufenthalt in der Hauptstadt fand die junge Witwe Aufnahme beim Koadjutor Gondi, der, soeben zum Kardinal erhoben, als einer der Köpfe des vorübergehend erfolgreichen Adelsaufstandes der „Fronde“ (1648–52) gegen den Minister Kardinal Mazarin agierte. Ihre Nähe zu Gondi wurde jedoch schon bald zur Belastung, denn als er nach dem Sieg Mazarins 1652 als Rädelsführer festgenommen wurde, zählte Mme de Sévigné zur Partei der Verlierer. Sie zog sich in die Bretagne zurück, ähnlich wie eine junge neue Freundin, die spätere Madame de La Fayette, die ihrem Stiefvater René de Sévigné (einem Onkel von Henri), ins Anjou in die Verbannung folgte.

Schon 1653 kehrte Mme de Sévigné aus Les Rochers zurück nach Paris, nunmehr für ständig. An eine neue Ehe dachte sie nicht, vielmehr genoss sie ihre relative Freiheit als vermögende Witwe. Ansehnlich und geistreich, wie sie war, scharte sie rasch einen Kreis z. T. hochgestellter Verehrer um sich, hielt sie aber klug auf Distanz. Vor allem erlangte sie als anregende Unterhalterin und Gesprächspartnerin Wertschätzung in intellektuell interessierten Kreisen, z. B. dem um die Romanautorin Madeleine de Scudéry oder dem um den Finanzminister und großen Mäzen Nicolas Fouquet. Auch bekannte Literaten schwärmten sie an, z. B. Jean Chapelain oder Gilles Ménage, den sie schon vom Hôtel de Rambouillet her kannte. Von der Scudéry wurde sie in deren Erfolgsroman Clélie (1657) sehr schmeichelhaft porträtiert. Eine der wichtigsten Bezugspersonen in diesen Jahren war ihr etwas älterer Cousin, der Militär, Höfling und Literat Roger de Bussy-Rabutin, der wohl gerne ihr Geliebter geworden wäre, jedoch 1658 für einige Zeit mit ihr brach, als sie sich weigerte, ihm eine größere Summe zu leihen. Unbekannt ist, ob sie schon zu dieser Zeit gelegentlich am Hof auftrat, was aufgrund ihres gesellschaftlichen Ranges und ihrer hochgestellten Freunde ohne Weiteres möglich gewesen wäre. Ihre Mutterpflichten scheint sie eher nebenher erfüllt zu haben. Die Verwaltung ihrer Finanzen überließ sie ihrem Onkel Christophe, der inzwischen zum Abt des Klosters Livry bei Paris avanciert war, wo sie ihn häufig mit ihren Kindern besuchte.

Schon in diesen Jahren korrespondierte sie mit zahlreichen Personen, und früh genoss sie einen gewissen Ruf als Verfasserin interessanter und unterhaltsamer Briefe, die häufig herumgezeigt, vorgelesen oder sogar abgeschrieben wurden.

Einer ihrer Briefpartner war auch Fouquet, weshalb sie kurz neue Schwierigkeiten befürchtete, als er im Herbst 1661 wegen Bereicherung im Amt verhaftet und angeklagt wurde. In der Tat wurden ihre Briefe an ihn dem jungen König Ludwig XIV. vorgelegt. Doch der war angetan von ihnen, und statt die Schreiberin als eine von Fouquets Getreuen zu ächten, öffnete er ihr 1662 den Hof. Ihre Tochter Françoise durfte sogar mehrfach in Ballettaufführungen mit ihm tanzen, und beide Damen gehörten im Mai 1664 zu den Gästen des prächtigen Festes, mit dem der Park von Versailles eingeweiht wurde. In der Folgezeit jedoch lockerte sich die Verbindung Mme de Sévignés zu Ludwig, zunächst vielleicht, weil sie dessen Annäherungsversuche an Françoise blockiert hatte. Später bewirkten sicher auch ihre Kontakte mit ehemaligen Frondeuren (wie dem Herzog de La Rochefoucauld) und anderen regimekritischen, z. B. jansenistisch orientierten Adelskreisen eine gewisse Distanz zu dem zunehmend autoritären Monarchen. Dies hieß nicht, dass sie sich ihm und dem Hof gänzlich entfremdete, und 1689 war sie geschmeichelt, als Ludwig sie, wie sie in einem Brief stolz berichtet, nach einer Theateraufführung ansprach und um ihre Meinung fragte. Die Briefe von Mme de Sévigné aus den 1640er bis 1660er Jahren sind überwiegend verloren. Eine Ausnahme bildet insbes. eine Briefserie von Ende 1664, worin sie einen in die Provinz verbannten anderen Intimus von Fouquet über dessen Prozess auf dem Laufenden hielt mittels der Informationen, die sie von einem der Richter bekam, Olivier d’Ormesson, einem Bruder ihrer Ziehmutter, den sie vielleicht sogar im Sinne einer Abmilderung des zunächst anvisierten Todesurteils beeinflussen konnte.

Eine tiefgreifende Wende in der Rolle Mme de Sévignés als Briefschreiberin bedeutete schließlich der Umstand, dass ihre Tochter, die 1669 den (schon zweimal verwitweten) Grafen François de Grignan geheiratet hatte, Anfang 1671 mit ihm in die ferne Provence entschwand, wo er in Aix die Amtsgeschäfte des Gouverneurs übernahm. Hiernach nämlich begann sie, neben ihren gelegentlichen Schreiben an sonstige Adressaten, regelmäßig zwei oder drei Briefe pro Woche an die Tochter zu verfassen, die sie allerdings auch mehrfach in Aix oder auf Schloss Grignan bei Montélimar besuchte (wo sie später, siebzigjährig, erkrankte und starb) oder die sie umgekehrt samt Familie in Paris empfing, und zwar ab 1677 im Hôtel de Carnavalet, einem Palais, das sie gemietet hatte, um ein einladendes Ambiente bieten zu können.

Es ist das Korpus dieser Briefe an die Tochter, das mit 764 Stück offensichtlich fast komplett erhalten ist, das das Bild der Autorin letztlich bestimmt hat, nämlich als Prototyp der liebenden Mutter und treusorgenden Großmutter. In diesen als ganz private Mitteilungen gedachten Texten versichert sie die Tochter immer wieder ihrer fast abgöttischen Liebe und wirbt um die Gegenliebe der ihrerseits etwas Spröden. Eher nebenher, um nicht gar zu sehr in sie zu dringen und sie bei Laune zu halten, schildert sie effektvoll, lebendig und ungeschminkt, manchmal auch drastisch, nicht nur ihre wechselnden Befindlichkeiten und Erlebnisse, sondern auch das, was sich in Paris oder anderswo, z. B. auf Les Rochers, unterwegs auf Reisen oder bei Kuraufenthalten, um sie herum tat, und was als Reflex der großen Politik oder auch als Klatsch aus dem gemeinsamen adeligen Bekanntenkreis und vom Hof an ihre Ohren gelangte.

Im Laufe der Jahre entwickelte sie so ihre Briefkunst zu einer literarischen Gattung sui generis, deren Stil sie im Sinne des Anscheins größtmöglicher Leichtigkeit, Natürlichkeit und Spontaneität kunstvoll variierte und, zumal beim Schreiben an andere Adressaten, gelegentlich auch reflektierte. Trotz des keineswegs unbeträchtlichen Aufwandes an Zeit und Überlegung, den sie in die Briefe investierte, dachte sie selber nie daran, eine von ihr besorgte oder auch nur lizenzierte Sammlung drucken zu lassen. Dies zeigt sich auch daran, dass sie keine Kopien anfertigte.

Nachwirkung

Der erste Abdruck von Briefen von ihr erfolgte denn auch erst nach ihrem Tod, und zwar im Rahmen von ebenfalls postum publizierten Werken ihres Cousins Bussy-Rabutin, nämlich seinen Memoiren (1696) sowie seiner Korrespondenz mit ihr (1697). Hierbei hielten die Herausgeber, Bussys Sohn und Tochter, es für angebracht, die insgesamt 115 Briefe Mme de Sévignés zu kürzen und im Sinne eines konventionelleren, literarischer wirkenden Stils zu bearbeiten.

Dieselbe Kürzung, Glättung und Dämpfung meinten auch die Herausgeber der ersten Einzelausgaben vornehmen zu müssen, die übrigens auf der Basis von Abschriften erschienen. Es waren 1725 ein nicht sehr umfangreiches Bändchen historisch interessanter Briefe bzw. Briefextrakte und 1726 ein zweibändiger Raubdruck mit 137 Briefen an die Tochter. Diese waren von einer Enkelin, Pauline de Simiane, aus dem Nachlass ihrer Mutter ausgewählt und zwecks Publikation an Bussy junior geschickt worden, jedoch in fremde Hände gefallen, als jener plötzlich vorher starb.

1734 gab deshalb dieselbe Enkelin eine quasi offizielle Publikation aller ihr vorliegenden Briefe ihrer Großmutter in Auftrag. Hierbei stimmte sie mit dem Herausgeber, Denis-Marius Perrin, darin überein, dass allzu privat erscheinende Passagen getilgt werden sollten (womit ungefähr ein Drittel der Textmenge fortfiel) und die Texte insgesamt moralisch zu reinigen und stilistisch zu glätten seien. Die Originale sowie die bis dahin noch vorhandenen Antworten ihrer Mutter vernichtete sie. Die sechsbändige Sammlung, deren letzte beiden Bände 1737 kurz nach ihrem Tod erschienen, umfasste 614 Briefe. 1754 brachte Perrin eine vermehrte Neuauflage mit 722 Briefen heraus.

Spätere Editionen wurden, wie schon die von 1754, dadurch bereichert, dass man, nachdem Mme de Sévigné berühmt geworden war, systematisch in adeligen Nachlässen und Familienarchiven recherchierte. Hierbei fand man nicht nur an die 250 bis dahin unbekannte Briefe (darunter die o.g. Serie von Ende 1664), sondern man stieß immer wieder auch auf Abschriften schon gedruckter Briefe, die den Originaltexten offenkundig näher waren als die Druckversionen. Insgesamt beläuft sich die Zahl der erhaltenen Briefe auf rd. 1120, wobei nur ca. 5 % als Autographen vorliegen. Der allergrößte Teil der an andere Adressaten als die Tochter gerichteten Briefe muss als verloren gelten, darunter die ca. 600, von deren einstigem Vorhandensein man indirekt weiß.

Insgesamt sind von 1725 bis heute mehrere hundert Ausgaben sévignéscher Briefe erschienen. Neben den Gesamtausgaben von 1862–67 und 1972–78 handelt es sich um Auswahl-Editionen nach unterschiedlichsten Kriterien und meistens mit Texten, die in dieser oder jener Hinsicht bearbeitet, d. h. für ein bestimmtes Publikum, z. B. Jugendliche, aufbereitet sind.

Für historisch interessierte Leser sind die Briefe eine unschätzbare Informationsquelle über Personen aus dem Umfeld der Autorin sowie über den Alltag und die Vorstellungswelt des französischen Hochadels unter Ludwig XIV.

Eine neuere Auswahl in deutscher Übersetzung kam 1996 als Insel-Taschenbuch heraus (ISBN 3-458-32095-4).

Ausgabe

Madame de Sévigné, Correspondance. Nouvelle édition […] par R. Duchêne (Paris 1972–78)

Literatur

  • Fritz Nies, Gattungspoetik und Publikumsstruktur. Zur Geschichte der Sévigné-Briefe (München 1972)
  • Erich Köhler, Vorlesungen zur Geschichte der französischen Literatur. Klassik II, Stuttgart: Kohlhammer, 1983
  • Gerlinde Kraus: Bedeutende Französinnen - Christine de Pizan, Émilie du Châtelet, Madame de Sévigné, Germaine de Staël, Olympe de Gouges, Madame Roland, George Sand, Simone de Beauvoir, Schröder Verlag, Mühlheim am Main / Norderstedt 2006, ISBN 978-3-9811251-0-8

Verfilmung

1979 entstand der Fernsehfilm Claude Jade lit Madame de Sévigné, mit der Schauspielerin Claude Jade im Château Grignan für France 3.

Weblinks

Lesern mit guten Französischkenntnissen sei der Artikel im französischen Wiki empfohlen, der auch Textbeispiele enthält.


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