Ausschusswesen

Ausschusswesen

Unter Komitologie (engl. comitology, frz. la comitologie) versteht man das System der Verwaltungs- und Expertenausschüsse innerhalb der Europäischen Union. Die Komitologie-Ausschüsse sind für die genauere Durchführung von EU-Rechtsakten, vornehmlich EG-Richtlinien, verantwortlich. Komitologie-Ausschüsse treten regelmäßig zusammen und nehmen Bedacht auf nationale legislative Eigenheiten, aktuelle Entwicklungen beziehungsweise den (vorübergehenden) Änderungsbedarf bei der nationalstaatlichen Durchführung bestehender europäischer Gesetze.

Theoretisch gesehen sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union alleine für die Durchführung von europäischen Gesetzen verantwortlich. In der Praxis findet diese Implementierung jedoch durch das Instrument der Komitologie-Ausschüsse und in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission statt. Bei gewissen Verfahren verfügt das Europäische Parlament über eine Kontroll- und Aufsichtsfunktion. Den Komitologie-Ausschüssen wird große Bedeutung beigemessen, da die meisten EU-Gesetze nicht durch primäre Gesetzesvorgaben des Gesetzgebers - den Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament - umgesetzt werden, sondern tatsächlich durch sekundäre Gesetzesbeschlüsse im Rahmen der Komitologie.

In den Komitologie-Ausschüssen sitzen Delegierte der Mitgliedstaaten (in der Regel Vertreter der nationalstaatlichen Ministerien und ausgewiesene Experten). Den Ausschüssen sitzen Kommissionsbeamte vor. Dabei steht ein schnelles, effektives und verantwortliches Handeln im Vordergrund.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung und Entwicklung

Die Ursprünge der Komitologie gehen bis in die frühen 1960er Jahre zurück. Ursprünglich erarbeitete der Rat der Europäischen Union die notwendigen Durchführungsregeln von EU-Gesetzen. Weil dieser jedoch nicht über die erforderlichen Kapazitäten verfügt, wurde bereits 1962 beschlossen, diese Durchführungsmaßnahmen an einzelne Komitologie-Ausschüsse zu delegieren. Dies fand zum ersten mal im Rahmen der Durchführungsmaßnahmen hinsichtlich der Agrarmarktregeln statt.

In der Folge wurden unterschiedliche Konsultationsverfahren geschaffen die in den Komitologiebeschlüssen von 1987 und 1999 festgeschrieben sind. Sie räumen der Kommission unterschiedliche Durchführungskompetenzen und den Regierungen der Mitgliedstaaten unterschiedlich starke Kontrollmacht ein. Durch den Beschluss von 1999 wurden darüber dem Europäischen Parlament gewisse Mitspracherechte bezüglich der Durchführungsbefugnisse eingeräumt, die sich aus Rechtsakten ergeben, die nach dem Mitentscheidungsverfahren - und damit unter maßgeblicher Beteiligung des Europäischen Parlaments - erlassen werden.

Mit Einführung des Mitentscheidungsverfahrens verfügt das Europäische Parlament über nahezu gleichwertige gesetzgebende Kompetenzen wie der Rat der EU. Die einzelnen Durchführungsmaßnahmen werden nun von diesen beiden Institutionen an die jeweiligen Komitologie-Ausschüsse übertragen. Das Parlament verfügt im Rahmen des "Regelungsverfahrens mit Kontrolle" über entscheidende Vetorechte zu Kommissionsvorschlägen. Heute existieren schätzungsweise mehr als 250 Komitologieausschüsse.

Oft wurden die Komitologie-Ausschüsse als Inbegriff des europäischen Demokratiedefizits angesehen. Unter anderem wurde beanstandet, dass die Komitologie zu wenig transparent und nicht demokratisch legitimiert sei (u.a. weil sich die Ausschüsse eben nicht aus Vertretern zusammensetzen, die vom Volk gewählt wurden). Seit dem 17. Juli 2006 kam es aber zu einer Reform der Komitologie (Beschluss 2006/512/EG): durch sie soll die Stellung des Europäischen Parlaments (als unmittelbar vom Volk gewähltes Organ) gestärkt werden. Ob dies tatsächlich der Fall sein wird, wird sich zukünftig in der Praxis zeigen. So wurde durch die Komitologiereform vom 17. Juli 2006 neben den unten aufgeführten Ausschüssen (Beratungsverfahren, Verwaltungsverfahren und Regelungsverfahren) das "Regelungsverfahren mit Kontrolle" eingeführt. Dadurch bekommt das Europäischen Parlament Kontrollbefugnisse über die Ausschüsse.

Politikwissenschaftlicher Hintergrund

Der Begriff Komitologie trat zum ersten Mal in „Parkinsons Gesetz und andere Untersuchungen über die Verwaltung“ von 1957 auf und bezeichnete damals einen allgemeinen Terminus für die Ausschusslehre.

In der Politikwissenschaft gelten die Ausschüsse der Komitologie als Kontrollmittel der Mitgliedsstaaten gegenüber der Kommission, die gemäß der Prinzipal-Agent-Theorie durch die Komplexität der Materien einen Wissensvorsprung gegenüber den Staaten besitzt, der auf diese Weise verringert werden kann.

Die Komitologie-Verfahren

Vom Rat beziehungsweise dem Europäischen Parlament können lediglich Einsprüche hinsichtlich der folgenden Rechtsgrundlagen eingebracht werden:

  • Der Vorschlag der Kommission geht über ihre Durchführungsbefugnisse hinaus
  • Der Vorschlag stimmt nicht mit dem Ziel und dem Inhalt des Basisrechtsakt überein
  • Der Vorschlag widerspricht dem Prinzip der Subsidiarität beziehungsweise der Proportionalität

Beratungsverfahren (früher: Verfahren I)

  • Das Verfahren wird angewendet in allen Fällen, in denen es als zweckmäßigstes Verfahren angesehen wird.
  • Der Ausschuss hat hier eine rein empfehlende Wirkung.
  • Entscheidungen werden durch einfache Mehrheit getroffen.
  • Verfahren:
  1. Der Vertreter der Kommission unterbreitet dem Ausschuss einen Entwurf der zu treffenden Maßnahmen.
  2. Avis: Stellungnahme des Ausschusses innerhalb einer bestimmten Frist (Stellungnahme wird im Protokoll des Ausschusses festgehalten).
  3. Die Kommission berücksichtigt so weit wie möglich die Stellungnahme des Ausschusses.

Verwaltungsverfahren (früher: Verfahren II)

  • Das Verfahren wird angewendet bei Verwaltungsmaßnahmen oder zur Durchführung von Programmen mit erheblicher Wirkung auf den Haushalt.
  • Der Rat hat hier eine größere Kontrollkompetenz
  • Verfahren:
  1. Der Vertreter der Kommission unterbreitet dem Ausschuss einen Entwurf der zu treffenden Maßnahmen.
  2. Stellungnahme des Ausschusses innerhalb einer Frist. Die Stellungnahme wird mit der qualifizierten Mehrheit gemäß Art. 205 II (also 255 Stimmen + mindestens Mehrheit der Mitglieder) abgegeben.
  3. Die Kommission erlässt die Maßnahmen, die unmittelbar gelten:
  • Stimmt die Maßnahme mit der Stellungnahme des Ausschusses überein wird sie erlassen.
  • Stimmt die Maßnahme nicht mit der Stellungnahme des Ausschusses überein, werden die Maßnahmen dem Rat mitgeteilt. Die Durchführung der beschlossenen Maßnahmen kann (höchstens drei Monate) aufgeschoben werden. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Rat (mit qualifizierter Mehrheit) einen anders lautenden Beschluss fassen (Veto).

Regelungsverfahren (früher: Verfahren III)

  • Das Verfahren findet Anwendung bei: Maßnahmen von allgemeiner Tragweite mit denen wesentliche Bestimmungen von Basisrechtsakten angewandt werden sollen.
  • Verfahren:
  1. Der Vertreter der Kommission unterbreitet dem Ausschuss einen Entwurf der zu treffenden Maßnahmen.
  2. Stellungnahme des Ausschusses innerhalb einer Frist. Die Stellungnahme wird mit der qualifizierten Mehrheit gemäß Art. 205 II (also 255 Stimmen + mindestens Mehrheit der Mitglieder) abgegeben.
  • Stimmt die Maßnahme mit der Stellungnahme des Ausschusses überein, so ergeht diese.
  • Stimmt sie nicht überein, so unterbreitet die Kommission dem Rat einen Vorschlag über die zu treffenden Maßnahmen und unterrichtet das Europäische Parlament. (Ist das Europäische Parlament der Auffassung, dass ein Vorschlag der Kommission über ihre Durchführungsbefugnisse hinausgeht, unterrichtet es den Rat von dieser Auffassung).
  • Der Rat kann sich innerhalb einer Frist von höchstens drei Monaten gegen den Vorschlag aussprechen mit der Folge, dass die Kommission einen geänderten Vorschlag unterbreitet oder den alten noch einmal vorlegen kann.
  • Beschließt der Rat nichts und erlässt er den Vorschlag auch nicht, so werden die vorgeschlagenen Durchführungsmaßnahmen nicht erlassen.

Regelungsverfahren mit Kontrolle

  • Entspricht dem Regelungsverfahren, jedoch verfügt das Europäische Parlament über Vetorechte zu Kommissionsvorschlägen. Zur genaueren parlamentarischen Überprüfung kommt es zu einer Verlängerung des üblichen Regelungsverfahrens.
  • Verfahren:
  1. Der Vertreter der Kommission unterbreitet dem Ausschuss einen Entwurf der zu treffenden Maßnahmen.
  2. Stellungnahme des Ausschusses innerhalb einer Frist. Die Stellungnahme wird mit der qualifizierten Mehrheit gemäß Art. 205 II (also 255 Stimmen + mindestens Mehrheit der Mitglieder) abgegeben.
  • Stimmt die Maßnahme mit der Stellungnahme des Ausschusses überein, so wird diese dem Rat und dem Europäischen Parlament umgehend zur Kontrolle mitgeteilt (innerhalb einer Frist von drei Monaten mit der Möglichkeit zur einmonatigen Verlängerung).
    • Gibt es keinerlei Bedenken, so ergeht die Durchführungsbestimmung.
    • Im Falle einer Nicht-Zustimmung seitens des Rates oder des Europäischen Parlaments ergehen die Durchführungsbestimmungen trotzdem. Die Kommission kann dem Ausschuss einen geänderten Vorschlag unterbreiten oder neue Bestimmungen vorlegen.
  • Stimmt der Ausschuss dem Kommissionsvorschlag nicht zu, so unterbreitet die Kommission dem Rat einen Vorschlag über die zu treffenden Maßnahmen und unterrichtet das Europäische Parlament.
  • Lehnt auch der Rat diesen Vorschlag innerhalb einer Frist von zwei Monaten (mit der Möglichkeit zur Verlängerung um einen Monat) ab, so werden die vorgeschlagenen Durchführungsmaßnahmen trotzdem erlassen. Die Kommission kann dem Rat einen geänderten Vorschlag unterbreiten oder neue Bestimmungen vorlegen.
  • Wird der Vorschlag vom Rat mit qualifizierter Mehrheit angenommen, einstimmig abgeändert oder wird nichts weiteres beschlossen, so entscheidet das Europäische Parlament innerhalb einer Frist von vier Monaten (mit der Möglichkeit zur Verlängerung um einen Monat):
  • Im Falle keiner Bedenken, so können die Durchführungsmaßnahmen vom Rat oder der Kommission aufgehoben werden.
  • Wird der Vorschlag abgelehnt, so werden die vorgeschlagenen Durchführungsmaßnahmen trotzdem erlassen. Die Kommission kann dem Ausschuss einen geänderten Vorschlag unterbreiten oder neue Bestimmungen vorlegen.

Verfahren zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen

  • Entspricht dem Regelungsverfahren mit Kontrolle
  • Die Kommission kann ohne explizite Zustimmung des Ausschusses eine dringende Entscheidung treffen (Schutzmaßnahme) und informiert die Mitgliedstaaten und den Rat der EU darüber. Dieser Beschluss kann durch den Rat der EU mit qualifizierter Mehrheit rückgängig gemacht werden. (z.B. Schutzmaßnahmen hinsichtlich des BSE-Rinderskandals in Großbritannien)
  • Verfahren:
  1. Der Vertreter der Kommission unterbreitet dem Ausschuss einen Entwurf der zu treffenden Maßnahmen.
  2. Stellungnahme des Ausschusses innerhalb einer Frist. Die Stellungnahme wird mit der qualifizierten Mehrheit gemäß Art. 205 II (also 255 Stimmen + mindestens Mehrheit der Mitglieder) abgegeben.
  3. Stimmt die Maßnahme mit der Stellungnahme des Ausschusses überein, so werden die Durchführungsmaßnahmen sofort angehalten. Der Beschluss wird dem Rat und dem Europäischen Parlament zur Kontrolle übermittelt (einmonatige Frist).
  • Gibt es nach Ablaufen der Frist keinerlei Bedenken, so bleiben die neueren Maßnahmen der Kommission in Kraft.
  • Treten Bedenken seitens des Rates beziehungsweise des Europäischen Parlaments auf, so setzt die Kommission die Durchführungsmaßnahmen außer Kraft. Sie kann diese jedoch notdürftig bis zum Inkrafttreten neuer Maßnahmen aufrechterhalten (aus Gründen des Gesundheitsschutzes, der Sicherheit und des Umweltschutzes). Die Kommission kann dem Ausschuss einen geänderten Vorschlag unterbreiten oder neue Bestimmungen vorlegen.

Gemeinsamkeiten unter den Verfahren

Die Komitologie-Ausschüsse haben drei wesentliche Merkmale gemeinsam:

Zum einen wurden sie vom Gesetzgeber (Rat und Europäisches Parlament) nach den zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Basisrechtsakts, mit dem sie eingesetzt wurden, gültigen „legislativen“ Verfahren geschaffen, also nach dem Verfahren der Zusammenarbeit, dem Konsultationsverfahren oder, seit dem Vertrag von Maastricht, dem Mitentscheidungsverfahren. Die Komitologie-Ausschüsse verfügen also über eine Rechtsgrundlage, die im sogenannten „Basisrechtsakt“ enthalten ist.

Zum Zweiten ist ihre Struktur und Arbeitsweise in mehrfacher Hinsicht einheitlich. In jedem der aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzten Ausschüsse führt der Vertreter der Kommission den Vorsitz; die Vertreter der Mitgliedstaaten sind die einzigen "Mitglieder" des jeweiligen Ausschusses. Die Ausschüsse werden nach den im Basisrechtsakt vorgesehenen Verfahren in Übereinstimmung mit dem „Komitologie“-Beschluss des Rates tätig.

Gemäß Artikel 9 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates ist der frühere Beschluss 87/373/EWG vom 13. Juli 1987 (der „Komitologie“-Beschluss 1987) aufgehoben. Die Verfahren gemäß dem Beschluss von 1987 blieben jedoch vorübergehend in Kraft, bis die Basisrechtsakte entsprechend dem Ausschussverfahren des Beschlusses 1999/468/EWG geändert wurden. Dies wurde erreicht entweder durch einzelne Anpassungsrechtsakte oder durch die „Anpassungsverordnungen“ (siehe Abschnitt 1.2).

Zum Dritten legen die Ausschüsse zu Entwürfen für Durchführungsmaßnahmen, welche ihnen von der Kommission aufgrund von Bestimmungen des Basisrechtsakts vorgelegt werden, Stellungnahmen vor.

Literatur

Weblinks

Sekundäre Überschrift


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