- Rehwild
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Reh Systematik Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla) Unterordnung: Wiederkäuer (Ruminantia) Familie: Hirsche (Cervidae) Unterfamilie: Trughirsche (Capreolinae) Gattung: Rehe (Capreolus) Art: Reh Wissenschaftlicher Name Capreolus capreolus (Linnaeus, 1758) Das Reh (Capreolus capreolus), zur Unterscheidung vom Sibirischen Reh auch Europäisches Reh genannt, ist in Mitteleuropa der häufigste Vertreter der Hirsche. Das Reh unterliegt dem Jagdrecht und wird dort dem Schalenwild zugeordnet. Das männliche Tier wird Bock genannt, das weibliche Tier nach Vollendung des ersten Lebensjahres Schmalreh und in den folgenden Jahren Ricke. Das Junge heißt im ersten Lebensjahr Kitz. Die Kitze werden nach Geschlecht als Bockkitz und Rickenkitz unterschieden. Im Süddeutschen Raum wird für die Ricke auch die Bezeichnung Geiss verwendet.
Inhaltsverzeichnis
Merkmale
Ausgewachsene Rehe messen von Kopf bis Rumpf 100 bis 140 cm und erreichen eine Schulterhöhe zwischen 60 und 90 cm. Ausgewachsene männliche Tiere haben ein Durchschnittsgewicht von 15 bis 30 kg, weibliche wiegen 10 bis 15 % weniger. In Gebieten mit besonders guten Äsungsverhältnissen und geringer Beunruhigung werden auch höhere Gewichte erreicht.
Männliche Tiere tragen ein Geweih (in der Jägersprache „Gehörn“ genannt), das jährlich in der Zeit von Oktober bis November abfällt, aber unter einer schützenden und nährenden Basthaut sofort neu zu wachsen beginnt. Die Basthaut stirbt nach Abschluss der Geweihbildung ab und wird dann vom Bock durch Reiben („Fegen“) an Büschen und jungen Bäumen von der verbleibenden Knochenmasse entfernt. Das Geweih besteht aus zwei Stangen, die jede für sich aus der Schädeldecke wachsen. Vor allem beim einjährigen Bock sind diese Stangen als einfacher, unverzweigter Spieß ausgebildet. Seltener kommen die für zwei und mehrjährige Böcke typischen Stangen mit jeweils zwei, maximal drei Sprossen vor. Das Geweihgewicht ist mit 100 bis 500 Gramm gering im Vergleich zu anderen Hirschen.
Das Fell ist im Sommer kräftig rotbraun, im Winter graubraun oder dunkelbraun. Das Fell der Rehkitze ist rotbraun und weist eine weiße Punktierung auf dem Rücken und auf den Flanken auf. Im Norden Deutschlands zwischen Rhein und Elbe kommen regelmäßig schwarze Rehe vor.
Lebensraum und Verbreitung
Das Europäische Reh kommt in fast ganz Europa und Kleinasien vor. Es fehlt auf den Mittelmeerinseln, dem Peloponnes und auf Irland. In Skandinavien breitet sich das Reh nach wie vor stark aus. Während es um 1900 erst die südschwedische Landschaft Schonen besiedelt hatte, ist es bis auf einige Hochgebirgsregionen nördlich des Polarkreises heute überall auf der skandinavischen Halbinsel anzutreffen.
Innerhalb dieses Verbreitungsraumes besiedelt es den gesamten Höhenbereich vom Meeresspiegel bis an die alpine Baumgrenze. Rehe bevorzugen Bereiche mit ausreichender Deckung und Äsungsvielfalt, wie Buschwerk und abwechslungsreiche Waldrandzonen. Diesem Lebensraum entspricht auch der Körperbau. Er ist für das leichte Einschlüpfen und das lautlose Bewegen im Buschwerk sehr gut geeignet. Aber es fehlt die Ausdauer für lange Fluchten, wie sie ein Steppenbewohner benötigt.
Das Reh ist sehr anpassungsfähig und deshalb ein erfolgreicher Kulturfolger. Die in den sechziger Jahren vor allem in Süddeutschland entstandenen fast baum- und strauchlosen Ackerflächen hat es schnell mit einer angepassten Lebensweise besiedelt. Große Gruppen mit nicht selten mehr als 20 Individuen halten sich den ganzen Tag auf der im Winter fast deckungslosen, weithin offenen, aber durch Wintergetreide und Zwischensaat äsungsreichen Fläche auf. Nach ihrem individuellen Lebensraum werden Rehe beispielsweise als Waldreh oder Feldreh bezeichnet. Obwohl dies keine unterschiedlichen Rassen sind, zeigen sie Unterschiede in Konstitution, Verhaltensweise und Populationsdynamik.
Nachhaltige Beunruhigung wirkt verdrängend. Allerdings wird steter Autoverkehr nicht als störend empfunden, weshalb Rehe dicht an der Autobahn ruhig äsen. Unregelmäßige Störungen, aber auch das gleichzeitige Vorkommen unverträglicher Tierarten, z. B. des Damhirsches, wirken sich nachteilig auf die Population und die individuelle Entwicklung der Tiere aus.
In den südlichen trockenen Gegenden des Verbreitungsgebietes und in den kalten nördlichen Zonen sind die Populationen geringer als in den gemäßigt feuchten Zonen. In den klimatisch gemäßigten Regionen mit ausreichendem Angebot an Äsung und Deckung wird die Populationsdichte vor allem durch die Bejagung bestimmt.
Lebensweise
Im Winter vereinigen sich Rehe zu Familienverbänden (in der Jägersprache „Sprünge“ genannt). Territorialität ist nur bei Böcken bekannt, und dies auch nur dann, wenn sie das männliche Sexualhormon Testosteron dazu veranlasst, wie z. B. vor der Brunft bis Mitte Mai, wenn die Einstände als Reviere neu bezogen und auch verteidigt werden, und während der Brunft (Blattzeit). Beim Markieren ihrer Reviere verwenden sie Duftdrüsen an Kopf und Beinen und auch Urin. Außerhalb dieser Zeiten leben insbesondere ältere Böcke einzelgängerisch und verteidigen ihr Revier nicht, sind jedoch relativ standorttreu.
Die Paarungszeit (Brunft, Blattzeit) findet in unseren Breiten Ende Juli bis Anfang August statt. Bei Rehen kommt es im Gegensatz zu anderen Hirscharten zur Keimruhe. Das befruchtete Ei entwickelt sich erst ab Dezember und führt zur Geburt der Jungtiere (Kitze) im Mai des folgenden Jahres. Das weibliche Reh (Ricke) bringt ein, meistens zwei, selten drei Kitze zur Welt, die durch Längsreihen weißer Flecken gekennzeichnet sind. Diese Zeichnung verliert sich im Laufe der Zeit. Unmittelbar nach der Geburt werden die Kitze vom Muttertier durch Lecken gesäubert und so weit wie möglich geruchsfrei gemacht. Bereits 20 Minuten nach der Geburt beginnen Rehkitze mit den ersten Gehversuchen.
Etwa eine Woche bleibt das Rehkitz im hohen Gras zurück, während das Muttertier äst und zur Fütterung zurückkehrt. In dieser Zeit sind sie besonders durch Fressfeinde gefährdet. Auch die Felder und Wiesen mähenden Landwirte treffen in dieser Zeit öfter auf ein Kitz, welches trotz des Lärms nicht flieht. Menschen, die Kitze in dieser Lage antreffen, halten sie häufig für vom Muttertier aufgegeben. Zwei Tage nach der Geburt kann ein Rehkitz laufen, nach drei Wochen ist es in der Lage zu rennen und zu springen.
Rehe werden im Alter von eineinhalb Jahren geschlechtsreif. Ihre Lebensspanne umfasst in der Wildnis zehn bis zwölf, in Gefangenschaft bis zu siebzehn Jahre.
Jagd
Rehe werden in allen europäischen Ländern gejagt. Seit der Ausrottung großer Raubtiere (Wolf, Luchs) in weiten Teilen Europas haben die erwachsenen Tiere dort keine natürlichen Fressfeinde. Trotz erheblicher Jagdstrecken wuchs der Rehwildbestand in den letzten Jahrzehnten. Während in den 1970er Jahren die Zahl der erlegten Tiere in Deutschland noch zwischen 600.000 bis 700.000 Stück lag, wurden in den letzten Jahren jeweils etwa 1.100.000 Rehe erlegt.
In älterer Fachliteratur wird eine Populationsdichte von 10 Rehen je 100 ha als verträglich angesehen. Da Rehe ihrer Heimlichkeit wegen in Waldgebieten schwer zählbar sind, wird heute meist auf die Nennung konkreter Bestandszahlen verzichtet. Statt dessen wird auf sogenannten Weiserflächen die Verbissaktivität des Rehwildes beobachtet und daraus auf die relative Bestandsdichte geschlossen. Einerseits soll der Wald sich durch Kontrolle des Rehbestand natürlich verjüngen können, andererseits soll auch der Rehbestand auf Dauer gesichert sein. In der Regel wird deshalb nach Erreichen eines waldverträglichen Bestandes nur der Populationszuwachs abgeschöpft. Der auf diesen Erkenntnissen entwickelte Abschussplan (Bejagungsplan) für Rehwild wird in der Bundesrepublik Deutschland nach Beratung zwischen Jägerschaft, Grundeigentümer, Sachverständigen und Unteren Jagdbehörden festgesetzt und überwacht. Heute wird in der Regel eine Planung über drei Jahre vorgenommen.
Die männlichen Tiere nennt man in der Jägersprache Böcke, die weiblichen Ricken (im südlichen Sprachraum auch Geißen bzw. schweizerisch Geissen); die jungen, bis einjährigen Rehe nennt man geschlechtsabhängig Bockkitz oder Rickenkitz (Geißkitz). Das einjährige weibliche Reh, das noch kein Kitz geboren hat, wird Schmalreh genannt. Das einjährige männliche Reh wird Jährling oder Jährlingsbock genannt. Ein junger Rehbock, dessen Gehörnanlage eine gute Entwicklung prognostiziert, wird auch als Zukunftsbock bezeichnet. Der weiße Fleck am Hinterteil des Rehs wird in der Jägersprache „Spiegel“ genannt. Die moderne Jagd orientiert sich verstärkt an der dem jeweiligen Biotop entsprechend richtig erscheinenden Zahl der vorkommenden Rehe und berücksichtigt dabei vor allem die Nahrungskonkurrenz der Tiere. Dabei soll die Trophäenjagd zugunsten einer ausgeglichenen Alters- und Geschlechterverteilung in den Hintergrund treten. Bejagt wird das Rehwild hauptsächlich bei der Einzeljagd. Jagdarten sind hier die Ansitzjagd, die Lockjagd (Blatten) und die Pirsch. Darüber hinaus wird Rehwild auch bei Drückjagden bejagt; es werden jedoch keine gezielten Treibjagden ausschließlich auf Rehwild ausgeübt, da das Fluchtverhalten der Tiere eine solche Jagd nicht zulässt.
Systematik und Entwicklungsgeschichte
Das Reh gehört zur Unterfamilie der Trughirsche (Capreolinae) und der Europäische Rothirsch zur Unterfamilie der Echten Hirsche (Cervinae). Die beiden Arten sind nicht kreuzbar. (Siehe hierzu auch Bambi-Irrtum – „das Reh ist die Frau vom Hirsch“)
Als vermutlicher Vorgänger des Rehs wurde die Gattung Procapreolus ausgemacht, die im Miozän vor etwa 20-25 Millionen Jahren lebte. Während sich die Echthirsche erst im Verlauf des Pliozän vor etwa 10 Millionen Jahren entwickelten, blieb das Rehwild auf dieser relativ niedrigen Stufe stehen (Stubbe 1997). DNA-Analysen legen nahe, dass das Sibirische Reh (Capreolus pygargus) eine eigene Art ist. Es vereint die zuvor als Unterarten des Rehs geführten Sibirischen und Chinesischen Rehe. Das Sibirische Reh ist größer als die europäische Art und hat ein kräftigeres Geweih, kleinere Ohren und eine blassere Fellfarbe. Sibirisches und Europäisches Reh trennten sich als Arten vor schätzungsweise 3 Millionen Jahren.
Literatur
- Ferdinand von Raesfeld, A. H. Neuhaus, K. Schaich: Das Rehwild. Paul Parey, Hamburg und Berlin 1985, ISBN 3-490-40612-5
- F. Müller und D. G. Müller (Hrsg.): Wildbiologische Informationen für den Jäger: Band 1 Haarwild, Verlag Kessel, Remagen 2004, 324 S., ISBN 3-935638-51-5
- Christoph Stubbe: Rehwild: Biologie, Ökologie, Bewirtschaftung. Parey Buchverlag, Berlin 1997, ISBN 3-8263-8479-2
- Bruno Hespeler: Rehwild heute. Neue Wege für Hege und Jagd. 7., neu bearbeitete Auflage (Neuausgabe). BLV, München 2003, 240 S., ISBN 3-405-16510-5
Weblinks
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