Religionshistoriker

Religionshistoriker

Als Religionsgeschichte bezeichnet man zum einen die Entwicklung der religiösen Anschauungen und Praktiken der Menschheit. Sie ist in der Frühzeit vor allem an Grabstellen und Grabbeigaben ablesbar, später am gesamten schriftlichen, künstlerischen und architektonischen Überlieferungsbestand von Kulturen. Zum anderen gibt es das universitäre Fach Religionsgeschichte, das sich mit historischer und gegenwärtiger Religionsgeschichte befasst.

Inhaltsverzeichnis

Grundlinien

Die Tempelanlage Borobudur auf der Insel Java stellt eine reiche religionsgeschichtliche Quelle dar.

Aus der unüberschaubaren Komplexität der Religionsgeschichte lassen sich einige grundlegende Entwicklungsrichtungen herausgreifen. Das archäologisch belegbare Frühstadium lässt Animismus erkennen. Die agrarischen Kulturen entwickelten ein Pantheon von Gottheiten mit Mythen, Tempeln und Abbildern. Aus der nomadischen Lebensform (überliefert wurde die Israels) entsprang die geschichtswirksamste Gestalt eines abbildlosen bzw. abbildarmen Monotheismus, der sich in Ägypten (Echnaton) angekündigt hatte später in der Philosophie des antiken Griechenlands und im Christentum und Islam mit unterschiedlichen Ausprägungen nahezu weltweite Verbreitung erfuhr. Die Globalisierung der letzten Jahrhunderte, in der Moderne durch Medien und Mobilität intensiviert, scheint eine Krise aller traditionalen Kulturen und Religionen mit sich zu bringen. Die Krise allerdings kann auch als eine „Verwandlung“ von Religion aufgefasst werden, was durch den Begriff invisible religion (unsichtbare Religion) umschrieben wird.

Religionsgeschichte wurde früher oft evolutionistisch interpretiert, was zum Beispiel die Entwicklung von einem Polytheismus zu einem Monotheismus zum Inhalt hat. Später hat sich eine mehr phänomenologische Betrachtungsweise innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin herausgebildet. Andere geben zu bedenken, dass bei Verzicht auf den Versuch, Entwicklungen nachzuzeichnen und das Spätere aus seinem Verhältnis zum Vorausgehenden zu begreifen, der Begriff Geschichte seinen Inhalt verliert.

Religionsgeschichte als Wissenschaft

Religionsgeschichte heißt außerdem die Wissenschaft, die sich mit den Religionen der Geschichte und Gegenwart hinsichtlich ihrer jeweiligen Entwicklung im historischen Kontext befasst. Hierbei untersucht die Religionsgeschichte die entsprechende Religion zunächst in der ihr eigenen Geschichte und Tradition, um diese Religion später zum Beispiel anhand funktionaler oder typologischer Kriterien einzuordnen und zu klassifizieren. So entsteht eine Basis, die für das glaubensunabhängige Vergleichen verschiedener Religionen (komparative Religionswissenschaft) essentiell ist. In der Praxis ist der Übergang zu dem eigenständigen Fach Religionswissenschaft fließend.

Im Gegensatz hierzu steht die phänomenologische Strömung innerhalb der Religionsgeschichte, welche den Begriff 'Religion' als Abstractum begreift, und daher vergleichende oder geschichts-chronologisch einordnende Methoden zurückweist, da diese der Einzigartigkeit der verschiedenen religiösen Vorstellungen nicht gerecht werden können.

Entwicklung der Wissenschaft Religionsgeschichte in Deutschland

Der erste Lehrstuhl für Religionsgeschichte wurde 1912 für den schwedischen Religionsphänomenologen Nathan Söderblom in Leipzig eingerichtet. Dies geschah, obwohl die Kirchen eher an einer konfessionell gebundenen Theologie als an der damals wenig beliebten Religionsgeschichte interessiert waren, und bedeutete eine grundlegend neue Entwicklung hinsichtlich der wissenschaftlichen Erforschung von Religionen. Die historisch bedingte Entwicklung der Religionsgeschichte aus den christlichen Theologien hatte zur Folge, dass dieses Fach in den theologischen Fakultäten ansässig war - was auch heute noch zu beobachten ist. Aus der Religionsgeschichte entwickelte sich später die Religionswissenschaft.

Religionsgeschichte und Religionswissenschaft

Obgleich die praxisrelevanten Unterschiede zwischen Religionsgeschichte und Religionswissenschaft gering sein mögen, gibt es Stimmen, die den Fächern abgrenzende Eigenheiten zuweisen. So gibt es das Argument, dass die Religionsgeschichte als historische Wissenschaft die Religionen „in der Tiefe“ untersucht, die Religionswissenschaft Religionen dagegen „in der Breite“ gegenüberstellt und vergleicht. D.h. die Methodik der beiden Fächer unterscheidet sich in diesen Punkten. Grundsätzlich ist hierbei zu sagen, dass die Religionsgeschichte die Grundlagen für eine systematische Religionswissenschaft bereitstellt. Diese wichtige Verknüpfung der beiden Fächer ist es, welche die Religionsgeschichte im Gegensatz zu anderen Disziplinen wie die Religionssoziologie oder auch Religionspsychologie am engsten mit der Religionswissenschaft verbindet. Dies drückt sich beispielsweise auch in der Namensgebung der größten religionswissenschaftlichen Vereinigung in Deutschland, der DVRG (Deutsche Vereinigung für Religionsgeschichte), aus, obgleich es Universitäten gibt, an welchen man sowohl Religionswissenschaft als auch Religionsgeschichte studieren kann. Es gibt auch Religionslehrer, die so etwas unterrichten.

Literatur

  • Peter Antes: Grundriss der Religionsgeschichte. (= Theologische Wissenschaft; Bd. 17). Kohlhammer, Stuttgart 2006, ISBN 3-17-016965-3
  • Jes Peter Asmussen (Hrsg.): Handbuch der Religionsgeschichte. 3 Bände. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1971–1975, ISBN 3-525-50158-7, ISBN 3-525-50160-9 und ISBN 3-525-50162-5
  • Günter Lanczkowski: Einführung in die Religionsgeschichte. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1983, ISBN 3-534-08780-1
  • Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum. Schöningh, Paderborn u. a. 2000–. Bisherige Bände:
    • Band 2: Peter Dinzelbacher: Hoch- und Spätmittelalter. 2000, ISBN 3-506-72021-X
    • Band 5: Peter Dinzelbacher, Michael Pammer (Hrsg.): 1750 bis 1900. 2006, ISBN 3-506-72024-4 (angekündigt für Oktober 2006)
  • Religionsgeschichte der Neuzeit. Profile und Perspektiven. Themenheft der Zeitschrift zeitenblicke, 5. Jg. 2006, Nr. 1 (alle Artikel im Volltext)
  • Monika Tworuschka / Udo Tworuschka: Die Welt der Religionen, Wissen Media, Gütersloh 2006, ISBN 3-577-14521-8

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Religionshistoriker — Re|li|gi|ons|his|to|ri|ker, der: Wissenschaftler auf dem Gebiet der ↑Religionsgeschichte (b) …   Universal-Lexikon

  • Religionshistoriker — Re|li|gi|ons|his|to|ri|ker der; s, : Wissenschaftler auf dem Gebiet der Religionsgeschichte …   Das große Fremdwörterbuch

  • Peter Nagel (Religionshistoriker) — Peter (Carl) Nagel (* 3. April 1938 in Erdmannsdorf) ist ein deutscher Evangelischer Theologe, Koptologe, Altphilologe, Byzantinist und Religionshistoriker. Nach dem Abitur 1956 begann Peter Nagel ein Studium der Evangelischen Theologie,… …   Deutsch Wikipedia

  • Contenau — Georges Contenau (* 9. April 1877 in Laon; † 22. März 1964 in Paris) war ein französischer Archäologe, Altorientalist und Religionshistoriker, der ein Fachmann auf dem Gebiet der Kultur und Religion der Zivilisationen des Nahen und Mittleren… …   Deutsch Wikipedia

  • Ake Ohlmarks — Åke Joel Ohlmarks (* 1911 in Kristianstad; † 1984 in Crist di Niardo, Italien) war ein schwedischer Übersetzer, Autor und Religionshistoriker. Von 1941 bis 1945 arbeitete er als Lektor an der Universität Greifswald. 1944 gründete Ohlmarks das… …   Deutsch Wikipedia

  • Martin Nilsson — Martin Persson Nilsson (* 12. Juli 1874 in Stoby, Kristianstad (Gemeinde), Schweden;[1] † 7. April 1966[2] in Lund) war ein schwedischer klassischer Philologe und Religionshistoriker. Nilsson war ab 1900 Privatdozent an der Universität Lund. 1905 …   Deutsch Wikipedia

  • Martin P. Nilsson — Martin Persson Nilsson (* 12. Juli 1874 in Stoby, Kristianstad (Gemeinde), Schweden;[1] † 7. April 1966[2] in Lund) war ein schwedischer klassischer Philologe und Religionshistoriker. Nilsson war ab 1900 Privatdozent an der Universität Lund. 1905 …   Deutsch Wikipedia

  • Ohlmarks — Åke Joel Ohlmarks (* 1911 in Kristianstad; † 1984 in Crist di Niardo, Italien) war ein schwedischer Übersetzer, Autor und Religionshistoriker. Von 1941 bis 1945 arbeitete er als Lektor an der Universität Greifswald. 1944 gründete Ohlmarks das… …   Deutsch Wikipedia

  • Puech — Henri Charles Puech (* 20. Juli 1902 in Montpellier (Hérault); † 11. Januar 1986) war ein französischer Religionshistoriker, der sich insbesondere für die Gnostik interessierte. Er leistete wichtige Beiträge zur Erforschung des Manichäismus. Von… …   Deutsch Wikipedia

  • Tor Andrae — Tor Julius Efraim Andræ (* 9. Juli 1885 im Kirchenspiel Vena, Provinz Kalmar län; † 24. Februar 1947 in Linköping) war ein schwedischer Religionshistoriker und Bischof von Linköping. Tor Andræ stammte aus einer Pfarrersfamilie und studierte… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”