Religiös

Religiös

Religiosität bezeichnet die unterschiedlichen Arten von Glaubenshaltungen und deren Ausdrucksweisen (Riten, Werte, moralische Handlungen), mit denen Menschen sich auf eine welttranszendente Letzt-Wirklichkeit (unpersonal oder personal Göttliches) oder auf überweltliche Mächte (Geister, Engel) beziehen.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichtliches

Der Begriff entstand im 18. Jahrhundert mit dem philosophischen Interesse von Aufklärung, Idealismus und Romantik, eine hinter allen Erscheinungsformen der unterschiedlichen Religionen gemeinsame Basis aufzuweisen. Diese Tradition des homo religiosus wurde im 20. Jahrhundert durch die Religionswissenschaftler Rudolf Otto und Mircea Eliade fortgeführt. Entschieden nüchterner interpretierte hingegen Max Weber bestimmte religiöse Phänomene, etwa das des "asketischen Protestantismus".

Gegenwärtig sieht man vor allem im deutschsprachigen Raum Religiosität als das Vorhandensein eines tragenden Grundes an, der immer seltener in einer persönlichen Gottesbeziehung besteht, während man sich im angelsächsisch-skandinavischen Bereich in der Tradition William James' zur Lösung der Sinnprobleme mehr an religiösen Erfahrungen orientiert.

Weitere Aspekte des Begriffes Religiosität lassen sich durch Begriffe wie Volksfrömmigkeit mit einer breiten Verankerung im Brauchtum (Volksreligion, "Aberglaube") zeigen. Dies macht sich oft an der Frage einer Gemeinschaft von Gläubigen fest: loser Treff - individuell("die Natur ist meine Kirche"), Kirche - Sekte - Staatskirche.

Ebenso dienen Begriffe wie Frömmigkeit (im engeren eher kirchlich geprägten Sinn) sowie Spiritualität (im weiteren, Konfessionen und Religionen übergreifenden Sinn) einer näheren Charakterisierung der Religiosität.

Arten von Religiosität

Die Religiosität von Menschen wird eingeteilt z. B.

  • in Kategorien, die durch die Gottesvorstellungen bestimmt werden: z. B. Monotheismus, Polytheismus, natürliche Religion, Naturreligion, nicht-personale absolute Wirklichkeit (Buddhismus), Volksreligiosität,
  • oder in Kategorien, die die Religiostät danach bewerten, ob sie durch Vorstellungen bestimmt ist, die z. B. den Menschen eher in seiner Konfliktlösungsfähigkeit schwächen (neurotische Religiosität) oder ihn dafür eher stärken: ichstärker machen (humanisierende Religiosität),
  • oder in Kategorien, die bestimmt werden durch den Grund der Religion: jemand glaubt z. B., weil sich ihm Göttliches gezeigt hat (mystische Religiosität) oder weil er einer Person in ihren Lehren über Gott glaubt (Offenbarungsreligion) oder weil er in den Strukturen der Welt ein Indiz für einen Gott sieht, wie z. B. die Physiker Einstein oder Heisenberg (natürliche Religiosität) oder weil jemand Gott als moralisches Postulat der Vernunft erkennt (Kant: Vernunftreligion).

Die Religiosität eines konkreten Menschen ist oft eine Zusammensetzung aus verschiedenen Kategorie-Elementen der Religiosität.

Religionssoziologische Untersuchungen

Die aktuelle 15. Shell Jugendstudie (siehe Literatur: Gensicke 2006) gibt für die Jugend in Deutschland (Alter: 12-25 Jahre) 30% an, die an einen persönlichen Gott sowie 19%, die an eine überirdische Macht glauben. 23% der Jugendlichen wissen nicht so richtig, ob und woran sie glauben sollen, 28% glauben weder an einen Gott noch eine höhere Macht.

Eine im Jahr 2005 veröffentlichte wissenschaftliche Studie der Europäischen Kommission (siehe Literatur: ebs_225) weist einen Zusammenhang zwischen dem Bildungsgrad und der Tendenz zur Religiosität nach. So ist in der Europäischen Union der Glaube an einen Gott oder eine sonstige höhere Macht in den bildungsfernen Schichten am stärksten verbreitet und nimmt mit zunehmender Bildung ab.

In den USA hat Religiosität in Gestalt der Zivilreligion eine besondere Ausprägung gefunden. Auch wird zunehmend die Wechselwirkung von Religiosität und Demografie diskutiert: weltweit bekommen religiös aktive Personen durchschnittlich mehr Kinder als säkulare.

Anthropologische Untersuchungen

In Anthropologie, Kognitionswissenschaft und Evolutionsbiologie wird nach neurologischen und biologischen Ursachen von Religiosität und Spiritualtiät gesucht. So erklären die Anthropologen Scott Atran und Pascal Boyer diese beispielsweise als evolutionäre Nebenprodukte. Die zugrundeliegenden Untersuchungen weisen darauf hin, dass nicht eine einzelne Fähigkeit oder ein einzelner Gehirnbereich für die Entstehung dieser Phänomene verantwortlich ist, sondern mehrere verschiedene kognitive Fähigkeiten und neurologische Eigenschaften des Menschen dabei beteiligt sind.

Zitate

  • "Religiosität, die religiöse Haltung; ihre Ausdrucksformen sind v. a. Glaube und Frömmigkeit." (http://lexikon.meyers.de/meyers/Religiosit%C3%A4t)
  • “Ich habe nie ohne Religion gelebt und könnte keinen Tag ohne sie leben, aber ich bin mein Leben lang ohne Kirche ausgekommen.” (Hermann Hesse, Mein Glaube, Frankfurt 1987, S. 62)
  • “Können Sie als aufgeklärte Naturwissenschaftler eigentlich an Gott glauben? Gerhard Ertl: Ja, aber sicher! Gerade mit jedem Schritt meiner Forschungsarbeit wunderte ich mich mehr: Diese minimale Wahrscheinlichkeit, mit der es zu der Schaffung von Leben kommen konnte. Es war vielleicht der größte denkbare Zufall, dass alle Komponenten so zusammenspielten, dass unser Kosmos in der uns bekannten Form entstehen konnte. [...] Die Kreationismus-Ideen unter anderem von George Bush sind natürlich für mich reiner Wahnsinn. [...] Ich habe Hoffnungen auf die absolute Sinnhaftigkeit dessen, was kommen wird. [...] Von dem Paradies selber bin ich nicht überzeugt. Stellen Sie sich vor, wir treffen uns alle im Paradies wieder, das wäre ja unendlich überfüllt. Das wäre doch schrecklich, längst kein Paradies mehr! [...] Nein, mein individuelles Ich wird mit dem Tod aufgelöst sein, ich werde Teil des Ganzen bleiben.“ (http://www.cicero.de/97.php?ress_id=6&item=2223)
  • Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen abgibt. (Albert Einstein, in: http://db.swr.de/upload/manuskriptdienst/wissen/165.rtf)
  • "Schon früher habe ich zu formulieren versucht, dass es sich bei den Bildern und Gleichnissen der Religion um eine Art Sprache handelt, die eine Verständigung ermöglicht über den hinter den Erscheinungen spürbaren Zusammenhang der Welt, über die zentrale Ordnung, ohne die wir keine Ethik und keine Wertskala gewinnen könnten. [...] Für die moderne Naturwissenschaft steht also am Anfang nicht das materielle Ding, sondern die Form, die mathematische Symmetrie([1]). [...] Und da die mathematische Struktur letzten Endes ein geistiger Inhalt ist, könnte man auch mit den Worten von Goethes Faust sagen: 'Am Anfang war der Sinn'." (Werner Heisenberg, in: http://db.swr.de/upload/manuskriptdienst/wissen/165.rtf

Anmerkungen

  1. "Platon sieht am Grunde der Wirklichkeit mathematische Zusammenhänge, mit denen der göttliche Schöpfer aus dem Chaos die symmetrische Ordnung, harmonische Formen, geschaffen hat. Heisenberg nannte dies die ”zentrale Ordnung”, was er in die Formel fasste: 'Am Anfang war die Symmetrie'." (http://db.swr.de/upload/manuskriptdienst/wissen/165.rtf)


Siehe auch

Literatur

  • Thomas Gensicke: Jugend und Religiosität. In: Deutsche Shell (Hrsg.) Jugend 2006. Die 15. Shell Jugendstudie. Fischer Taschenbuch Verlag 2006.
  • Reza Hajatpour: Der brennende Geschmack der Freiheit. Suhrkamp Verlag, F/M. 2005. ISBN 3518124099 . (ausgebildeter ehemaliger schiit. Geistlicher)
  • Gret Haller: Politik der Götter - Europa und der neue Fundamentalismus. Aufbau-Verlag - ISBN 3-351-02608-0 . (Zur Staatlichkeit und Privatheit der Religiosität/Glaubensgruppen in Europa. Ihre These lautet, dass es für Europa keine Alternative zur Trennung zwischen Religion und Politik gibt.)
  • Michael Schmidt-Salomon: Manifest des evolutionären Humanismus. Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur. Alibri Verlag. 2005. ISBN 3-86569-010-6.
  • Klaus-Rüdiger Mai: Die Wiederkehr des Glaubens. Berlin, April 2006, wjs-Verlag, ISBN 3-937989-18-8.
  • Inglehart, R., Norris, P.: Sacred and Secular. Cambridge University Press 2004, ISBN 0521548721.
  • Deppert, Wolfgang, Michael Rahnfeld (Hg.), Klarheit in Religionsdingen, Aktuelle Beiträge zur Religionsphilosophie, Band III der Reihe: Grundlagenprobleme unserer Zeit, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2003, ISBN 3-936522-44-8, ISSN 1619-3490.
  • Studie der Europäischen Kommission: ebs_225: "Social Values, Science and Technology"
  • Pascal Boyer:The Naturalness of Religious Ideas: A Cognitive Theory of Religion (1994) Berkeley: University of California Press.
  • Pascal Boyer:Religion Explained: The Evolutionary Origins of Religious Thought (2002) Basic Books. ISBN 0-465-00696-5.
  • Scott Atran:In Gods We Trust: The Evolutionary Landscape of Religion (2002) Oxford University Press. ISBN 0-195-17803-3
  • Rüdiger Vaas, Michael Blume: Gott, Gene und Gehirn. Warum Glaube nützt. Die Evolution der Religiosität, Hirzel, Stuttgart 2008. ISBN 978-3777616346

Weblinks


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