Relistor

Relistor
Strukturformel
Allgemeines
Freiname Methylnaltrexon
Andere Namen
  • 17-(Cyclopropylmethyl)- 4,5a-epoxy-3,14-dihydroxy- 17-methyl-6-oxomorphinan-17-ium (IUPAC)
  • Methylnaltrexonium (ASK)
  • Methylnaltrexonium-Kation
  • MNTX
Summenformel C21H26NO4+
CAS-Nummer 83387-25-1
PubChem 5361918
ATC-Code

A16AX

Arzneistoffangaben
Wirkstoffklasse

Peripherer Opioidantagonist

Wirkmechanismus

kompetitiver Antagonist am µ-Opioidrezeptor

Fertigpräparate

Relistor® (D)

Verschreibungspflichtig: ja
Eigenschaften
Molare Masse 356,44 g·mol−1
Sicherheitshinweise
Gefahrstoffkennzeichnung [1]

unbekannt
R- und S-Sätze R: ?
S: ?
Bitte beachten Sie die eingeschränkte Gültigkeit der Gefahrstoffkennzeichnung bei Arzneimitteln
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Methylnaltrexon, MNTX (Handelsname Relistor® ; Hersteller Wyeth) ist ein selektiver Antagonist der Opioid-Bindung am μ-Rezeptor, welcher als Arzneistoff in der Palliativmedizin bei Schwerkranken eingesetzt wird, welche an opioidinduzierter Obstipation (engl.: Opioid-Induced Constipation (OIC) leiden und ungenügend auf eine konventionelle Laxantientherapie ansprechen. Es handelt sich dabei um ein quartäres Derivat des Opioidantagonisten Naltrexon und ist der erste Vertreter eines neuen Wirkprinzips zur kausalen Therapie der Opioid-induzierten Obstipation. [2]

Anfang Juli 2008 erteilte die Europäische Kommission die Marktzulassung für eine Methylnaltrexon-haltige Injektionslösung in der Europäischen Union. Als erstes Land hat Deutschland das Arzneimittel unter dem Handelsnamen Relistor® eingeführt.[3] Bereits im April 2008 wurde das Arzneimittel von der Food and Drug Administration (FDA) in den Vereinigten Staaten zugelassen.[4]

Inhaltsverzeichnis

Klinische Angaben

Bei der Anwendung von stark wirksamen Opioid-Analgetika in der palliativen Schmerztherapie stellt die Opioid-induzierte Obstipation eine große klinische Herausforderung dar. Spastische Obstipationen des Darms (Verstopfung) werden durch die Stimulierung von μ-Rezeptoren des Plexus myentericus der Darmwand mit einer Konstriktion der glatten Muskulatur bewirkt. Sie sind die relevanteste Nebenwirkung bei langfristiger Schmerzbehandlung und unterliegt − im Gegensatz zu anderen Opioid bedingten Nebenwirkungen – nur einer geringen Toleranzentwicklung (starke Gewöhnung an Opioide mit Dosissteigerung bis um das Zwanzigfache).[5]

Hauptartikel: Opioide

Anwendungsgebiete (Indikationen)

Behandlung von Patienten in fortgeschrittenen Krankheitsstadien, die eine palliative Behandlung und eine dauerhafte Therapie mit Medikamenten aus der Wirkstoffgruppe der Opioide erhalten, die eine Opioid-induzierter Obstipation auslösen und das Ansprechen auf eine konventionelle Laxantientherapie unzureichend ist. MNTX wird zusätzlich zum Abführmittel verabreicht.[6]

Dosierung, Art und Dauer der Anwendung

Das Arzneimittel liegt als Injektionslösung zur subkutanen Applikation vor. Eine Durchstechflasche enthält 0,6 ml Lösung mit 12 mg Methylnaltrexonbromid, entsprechend 9,8 mg Methylnaltrexon. Die Dosierung ist abhängig vom Körpergewicht des Patienten, sie beträgt üblicherweise 8 mg = 0,4 ml Lösung für Patienten mit einem Gewicht von 38–61 kg, oder 12 mg = 0,6 ml für Patienten mit einem Gewicht von 62–114 kg. Die Dosis wird alle 48 Stunden als Injektion unter die Haut gegeben, entweder in den Oberschenkel, in das Abdomen (den Bauch) oder in den Oberarm. Eine altersabhängige Dosisanpassung ist nicht notwendig, und MNTX kann unabhängig von Mahlzeiten angewendet werden. Eine ausführliche Beschreibung für den Patienten ist in der Packungsbeilage enthalten.[7] Die Wirkung von MNTX wurde an Patienten mit Opioid-induzierter Obstipation untersucht, daher sollten Patienten mit einer nicht Opioid-bedingten Verstopfung nicht mit Relistor behandelt werden.

Gegenanzeigen (Kontraindikationen)

Die Anwendung von Methylnaltrexonbromid bei Patienten mit bekanntem oder vermutetem mechanischen gastrointestinalen Verschluss, wie Darmverschluss (Ileus), und bei akutem chirurgischen Abdomen, ist kontraindiziert, ebenso bei einer Überempfindlichkeit auf den Wirkstoff.

Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit

  • Schwangerschaft: Es liegen keine Erfahrungen mit hinreichenden Daten für die Verwendung von Methylnaltrexonbromid bei Schwangeren vor. Tierexperimentelle Studien haben bei hohen Dosen eine Reproduktionstoxizität gezeigt. Das potentielle Risiko für den Menschen ist nicht bekannt. Relistor sollte in der Schwangerschaft möglichst nicht angewendet werden.[8]
  • Stillzeit: Es ist nicht bekannt, ob der Wirkstoff in die Muttermilch ausgeschieden wird. Tierexperimentelle Studien haben eine Ausscheidung von Methylnaltrexonbromid in die Muttermilch gezeigt. Das Stillen sollte unter einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung fortgesetzt bzw. abgebrochen werden.[8]

Besondere Patientengruppen

Eine Behandlung mit Relistor wird bei Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung oder Dialyse-Patienten mit terminaler Nierenfunktionsstörung nicht empfohlen, da dazu keine Daten vorliegen. Der Arzneistoff soll nicht zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren angewendet werden, da in dieser Altersgruppe keine ausreichenden Erfahrungen vorliegen.[8]

Unerwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen)

Bei allen Probanden, die an Placebokontrollierten Studien teilnahmen, waren die mit dem Arzneimittel verbundenen Nebenwirkungen: Sehr häufig traten abdominaler Schmerz, Nausea (Übelkeit), Durchfall und Flatulenz (Blähungen) auf. Häufig wurden Vertigo (Schwindel) sowie allgemeine Beschwerden an der Injektionsstelle, wie beispielsweise Stechen, Brennen, Schmerz, Rötung, Ödem beobachtet.[8]

Pharmakologische Eigenschaften

Wirkungsmechanismus (Pharmakodynamik)

Methylnaltrexonbromid ist ein kompetitiver Antagonist der Opioid-Bindung am µ-Opioidrezeptor. In-vitro-Studien zeigten, dass Methylnaltrexon am µ-Rezeptor eine Hemmkonstante von Ki = 28 nM hat, mit einer 8-fach geringeren Wirkung auf κ-Opioidrezeptoren (Ki = 203 nM) und einer stark reduzierten Affinität zu δ-Opioidrezeptoren. Da es ein stark polares quartäres Amin mit einem ausgeprägten lipophoben Charakter ist, ist die Fähigkeit von Methylnaltrexon, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, praktisch unmöglich. Dies erlaubt es Methylnaltrexon, als peripher wirkender Antagonist des µ-Opioidrezeptors in Geweben wie dem Verdauungstrakt seine Wirkung selektiv zu entfalten, ohne die analgetische Wirkung im zentralen Nervensystem zu beeinflussen.[9][10]

Aufnahme und Verteilung im Körper (Pharmakokinetik)

Resorption: Nach subkutaner Injektion wird Methylnaltrexonbromid rasch resorbiert, und Spitzenkonzentrationen Cmax werden nach etwa 0,5 Stunden erreicht. Die Cmax und die AUC steigen bei einer Erhöhung der Dosis von 0,15 mg/kg auf 0,5 mg/kg dosisproportional an. Die absolute Bioverfügbarkeit einer subkutanen 0,30 mg/kg Dosis im Vergleich zu einer intravenösen 0,30 mg/kg Dosis liegt bei 82 %. Verteilung: Methylnaltrexon unterliegt einer geringen Gewebeverteilung. Das Verteilungsvolumen im „steady state“ liegt bei etwa 1,1 Liter/kg. Die Plasmaproteinbindung von Methylnaltrexon ist gering und beträgt 11,0 % bis 15,3 %. Metabolismus: Methylnaltrexon wird – bezogen auf die Menge an Metaboliten, die in den Exkrementen wieder gefunden werden – nur mäßig verstoffwechselt. Die Biotransformation zu Methyl-6-Naltrexol-Isomeren und Methylnaltrexonsulfat scheint der primäre Metabolismus-Pfad zu sein. Jedes der Methyl-6-Naltrexol-Isomere hat eine etwas geringere antagonistische Aktivität als die Ausgangsverbindung und mit etwa 8 % der Arzneimittel-bezogenen Stoffe ein geringes Auftreten im Plasma. Methylnaltrexonsulfat ist ein inaktiver Metabolit und liegt im Plasma bei etwa 25 % der Arzneimittel-bezogenen Stoffe. N-Demethylierung von Methylnaltrexon zur Bildung von Naltrexon ist nicht signifikant und macht 0,06 % der gegebenen Dosis aus. Elimination: Methylnaltrexon wird vorwiegend als unveränderte aktive Substanz ausgeschieden. Etwa die Hälfte der Dosis wird renal mit dem Urin ausgeschieden und etwas weniger über die Fäzes. Die terminale Halbwertszeit t1/2 der Verfügbarkeit beträgt annähernd 8 Stunden.[10][11]

Sonstige Informationen

Chemische und pharmazeutische Informationen

Als Arzneistoff wird ausschließlich die quartäre Ammoniumverbindung mit Bromid als Gegenion, und dem internationalen Freinamen Methylnaltrexoniumbromid, verwendet. Es ist das N-methylierte Derivat des zentral und peripher wirksamen Antagonisten Naltrexon. Die Methylierung erhöht deutlich die Polarität des Moleküls und verleiht ihm dadurch einen lipophoben Charakter. Methylnaltrexonbromid, chemische Bezeichnung: (5R,9R,13S,14S)-17-Cyclopropylmethyl-3,14-dihydroxy-4,5-epoxymorphinan-6-onmet, Summenformel C21H26BrNO4 hat eine molare Masse von 436,34 g·mol−1 und die CAS-Nummer 73232-52-7.

Geschichtliches

MNTX-ähnliche Arzneistoffe wurden erstmals von den Chemikern Goldberg Leon I. (USA), Merz Herbert (DE) und Stockhaus Klaus (DE) synthetisiert und 1979 durch Boehringer Ingelheim (DE) als Patent mit dem Titel: Quaternary derivatives of noroxymorphone which relieve intestinal immobility veröffentlicht.[12]

Zusammenarbeit von Wyeth und Progenics Pharmaceuticals Inc.

Die amerikanische Wyeth Pharmaceuticals Inc., eine Sparte des weltweit zehntgrößten Pharmakonzerns Wyeth, gab am 23. Dezember 2005 bekannt, dass sie mit der Progenics Pharmaceuticals Inc. ein Abkommen zur Entwicklung und Vermarktung von Methylnaltrexon, eines Medikaments gegen Magen-Darm-Beschwerden, geschlossen hat. Im Rahmen des Abkommens erhält Wyeth Pharmaceuticals die weltweiten Rechte für Methylnaltrexon, während Progenics eine Option zur Co-Vermarktung des Produkts in den USA behält. Wyeth leistet dabei eine Vorauszahlung in Höhe von 60 Millionen Dollar an Progenics, wobei zusätzlich „Meilenstein-Zahlungen“ von bis zu 356,5 Millionen Dollar folgen können.

Pipeline

Eine orale Formulierung von MNTX zur Behandlung der Opioid-induzierten-Obstipation, sowie eine intravenöse Darreichungsform von MNTX zur Therapie des POI post-operative ileus befinden sich in der klinischen Phase II.

Studien

Literatur

  • Ernst Mutschler et al.: Mutschler - Arzneimittelwirkungen Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. 9. Auflage. Wissenschaftl. Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8047-1952-1. 

Einzelnachweise

  1. In Bezug auf ihre Gefährlichkeit wurde die Substanz von der EU noch nicht eingestuft, eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  2. Holzer P.:Treatment of opioid-induced gut dysfunction. Expert Opin Investig Drugs. 2007 Feb;16(2):181-94. PMID 17243938
  3. Erster selektiver μ-Opioid-Rezeptor-Antagonist Methylnaltrexon (Relistor®) erhält Zulassung für Europa Wyeth Pressemitteilung vom 7. Juli 2008
  4. Progenics and Wyeth Announce FDA has Approved Relistor – First Drug for Opioid-Induced Constipation to Launch in United States Wyeth Pressemitteilung vom 24. April 2008
  5. Freye E, Latasch L: Toleranzentwicklung unter Opioidgabe - Molekulare Mechanismen und klinische Bedeutung. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2003 Jan;38(1):14-26. PMID 12522725
  6. Shaiova L et al. A review of methylnaltrexone, a peripheral opioid receptor antagonist, and its role in opioid-induced constipation. Palliat Support Care. 2007 Jun;5(2):161-6. PMID 17578067
  7. Gebrauchsinformation von Relistor für die Patienten
  8. a b c d Relistor: Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, Stand: Juli 2008 auf der Website der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA)
  9. Yuan CS et al.: Methylnaltrexone prevents morphine-induced delay in oral-cecal transit time without affecting analgesia: a double-blind randomized placebo-controlled trial. Clin Pharmacol Ther. 1996 Apr;59(4):469-75. PMID 8612393
  10. a b Englische Fachinformation für Relistor 12 mg/0,6 ml Injektionslösung von Wyeth-USA – Stand der Information: April 2008
  11. Yuan CS. et al.:Effects of subcutaneous methylnaltrexone on morphine-induced peripherally mediated side effects: a double-blind randomized placebo-controlled trial. J Pharmacol Exp Ther. 2002 Jan;300(1):118-23. PMID 11752106 Volltext HTML
  12. Quaternary derivatives of noroxymorphone which relieve intestinal immobility – US Patent US4176186 vom 27. September 1979

Weblinks

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