Richard McKay Rorty

Richard McKay Rorty
Richard Rorty (links) und Akbar Gandji

Richard McKay Rorty (* 4. Oktober 1931 in New York City; † 8. Juni 2007 in Palo Alto, Kalifornien) war ein amerikanischer Philosoph. Rorty gilt als ein Vertreter des Neo-Pragmatismus sowie des politischen Liberalismus.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Rorty studierte bereits im Alter von 15 Jahren an der Hutchins School der University of Chicago, wo er 1949 seinen Bachelor und 1952 seinen Master-Abschluss in Philosophie erreichte. Von 1952 bis 1956 studierte er an der Yale University, 1956 wurde er dort mit der Arbeit „The Concept of Potentiality“ promoviert. Nach zwei Jahren bei der US Army lehrte er von 1956 bis 1961 am Wellesley College; bis 1982 analytische Philosophie an der Princeton University. 1982 wurde er Professor für Altphilologie an der University of Virginia, 1996 wechselte er an die Stanford University, ab 1998 auf eine Professur für vergleichende Literaturwissenschaften (Komparatistik). Im Alter von 75 Jahren starb er an Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Wirken

Sowohl aufgrund seines klaren und oft humorvollen Stils als auch wegen seiner Fähigkeit, für sicher gehaltene Annahmen zu unterminieren, ist Rorty einer der am meisten gelesenen und kontroversesten Philosophen der Gegenwart. Sowohl seine politische als auch seine Moralphilosophie werden von der politischen Rechten wie der Linken angegriffen. Die Rechte wirft ihm insbesondere Relativismus und Unverantwortlichkeit vor, die Linke sowohl eine mangelnde Grundierung für ein Konzept der sozialen Gerechtigkeit als auch in letzter Zeit eine zu starke Parteinahme für die Außenpolitik der USA. Ebenfalls weit verbreitet ist der Einwand, seine Werke seien selbstwidersprüchlich.

Er gilt als Hauptvertreter des amerikanischen „Pragmatismus“. Aus der Analytischen Philosophie kommend, wandte sich Rorty gegen die dort vorherrschenden realistischen und erkenntnistheoretisch-fundamentalistischen Strömungen. Er richtete sich gegen einen hoch bewerteten Wahrheitsbegriff und meinte, dieser sei nur kulturrelativ zu verstehen. In der Philosophie des Geistes vertrat Rorty einen Eliminativismus, der sagt, dass es eigentlich gar keine mentalen Zustände gibt.

Solidarität entsteht für Rorty aus der gemeinsamen Erfahrung von Grausamkeit. Sie ist damit in der Sphäre der Öffentlichkeit, der Gemeinschaft angesiedelt, in der es gelte, eben Grausamkeit zu vermeiden, denn es gibt zwar keine gemeinsame Sprache, aber ein gemeinsames Schmerzempfinden. Allerdings bedürfe es, um diesem gemeinsamen Schmerzempfinden Geltung zu verschaffen, Einfühlungsvermögen, Empathie der Menschen, die es mittels Literatur und Romanen herzustellen gelte. Ein moralischer Fortschritt besteht für Rorty in der Ausweitung des „Wir“, der Gemeinschaft, die diese Empathie füreinander aufbringt.

Rorty wurde von den Vertretern der Analytischen Philosophie wiederholt vorgeworfen, er könne nicht zugleich die „Philosophie beerdigen“ und Philosophie lehren. Daraus zog Rorty 1982 die Konsequenz, seinen Lehrstuhl für Philosophie an der Princeton University, der Hochburg analytischer Philosophie, niederzulegen, und war bis zu seinem Tod Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Stanford University. Seine Hauptwerke sind Philosophy and the Mirror of Nature (1979) und Contingency, Irony, and Solidarity. Er verstarb am 8. Juni 2007[1][2].

The Linguistic Turn (1967)

1967 erschien der Sammelband „The Linguistic Turn“ mit einem Vorwort von Rorty. Darin wendet er sich gegen die analytische Sprachphilosophie, die, noch immer der Erkenntnistheorie verhaftet, danach strebe, philosophische Probleme dadurch zu lösen, entweder die Sprache zu reformieren (eine Idealsprache zu konstruieren) oder Sprache besser zu verstehen. Beide Versuche seien gescheitert, weil eine Erkenntnistheorie grundsätzlich unmöglich sei.

Der Spiegel der Natur (1979, dt. 1981)

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Rortys Hauptwerk „Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie“ stellt eine Generalabrechnung mit der gesamten neuzeitlichen Philosophie, der Erkenntnisphilosophie, dar, die mit Immanuel Kant ihren Höhepunkt erreichte. Rorty stellt allerdings keine neue Theorie auf, sondern versucht Denkfehler und falsche Voraussetzungen aufzuzeigen.

Der erste große Denkfehler sei Descartes unterlaufen, indem er zwischen Körper und Geist unterschieden habe. Gewissheit könne nur im Mentalen, im Geist gefunden werden, so Descartes, weil dieser Bereich dem Ich direkt zugänglich sei. John Locke schloss daran an und meinte, dass Erkenntnis durch die Analyse des Wahrnehmungsapparates und der mentalen Prozesse zu erlangen sei. Mit Kant war es dann der Verstand, den es zu analysieren galt.

Rorty wirft der traditionellen Philosophie vor, der Spiegel-Metapher erlegen zu sein: Im Geist werde durch den Wahrnehmungsapparat oder die Arbeitsweise des Verstandes die Wirklichkeit gespiegelt. Je besser der Spiegel poliert sei, desto besser sei die Wirklichkeit zu erkennen.

Kritik an dieser Konzeption setzte mit Ludwig Wittgenstein, Martin Heidegger und John Dewey ein, die im Anschluss an Friedrich Nietzsche behaupten, Wahrheit sei ein bewegliches Heer von Metaphern. Erkenntnis sei ein Teil eines Sprachspiels. Eine Fundamentalphilosophie sei deshalb zum Scheitern verurteilt.

Daran anknüpfend meint Rorty, dass man sich von der Suche nach Gewissheiten verabschieden sollte, um stattdessen nach unanfechtbaren Argumenten Ausschau zu halten. Denken sei dadurch charakterisiert, dass man nach Gründen für etwas, nicht nach Gründen von etwas sucht. „Wir können das Erkennen als soziale Rechtfertigung von Meinungen verstehen“, schreibt Rorty, und „brauchen es daher nicht als Genauigkeit von Darstellungen aufzufassen. Setzen wir für Kommunikation das Gespräch zwischen Personen, für Konfrontation das Gegenüberstellen von Personen- und Sachverhalten, so können wir uns des Spiegels der Natur entledigen.“[3]

Anstelle der Erkenntnistheorie rückt Rorty die Hermeneutik, das Interpretieren und Verstehen in den Vordergrund. Hermeneutik ist nach seiner Auffassung das Studium des unvertrauten, nicht-normalen Diskurses. Es geht darum, inkommensurable/nicht-normale Diskurse und neue Vokabulare zu erschließen, wobei nicht-normale gegenüber normalen Diskursen stets parasitär seien: „Einen nichtnormalen Diskurs zu beginnen, ohne in der Lage zu sein, seine eigene Abnormität zu erkennen, ist Verrücktheit im wörtlichsten und schrecklichsten Sinne.“[4]

Hierbei vertritt Rorty die ethnozentrische Auffassung (Ethnozentrismus), dass es über Wahrheit oder Rationalität außer den Beschreibungen der vertrauten Rechtfertigungsverfahren, welche sich aus dem soziohistorischen Kontext entwickelt haben und die eine bestimmte Gesellschaft verwendet, nichts zu sagen gebe.

Kontingenz, Ironie und Solidarität (1989, dt. 1992)

Nachdem Rorty im Buch „Der Spiegel der Natur“ seine Erkenntniskritik vorgetragen hat, verabschiedet er nun die ganze Metaphysik, die Philosophie als Fundamentalwissenschaft, die mit dem Blick aufs Ganze einen privilegierten Zugang zur Wahrheit beanspruchte.

An Wittgenstein anknüpfend, für den es außerhalb der Sprache keine erkennbare Welt gibt, schreibt Rorty: „Da Wahrheit eine Eigenschaft von Sätzen ist, da die Existenz von Sätzen abhängig von Vokabularen ist und da Vokabulare von Menschen gemacht werden, gilt dasselbe für Wahrheiten.“[5]

Die Sprache sei kontingent (nicht-notwendig/zufällig) und eine Geschichte von Metaphern, wobei die metaphorische Verwendung von Zeichen uns dazu zwinge, da sie uns unvertraut sind, uns um die Entwicklung neuer Theorien zu bemühen. Metaphern üben einen Überraschungseffekt aus. Schon in einem Gespräch eine Grimasse zu schneiden gehöre dazu, so Rorty sich auf Donald Davidson beziehend. Metaphern haben keine Bedeutung, können aber zufällig auf fruchtbaren Boden fallen.

Im Gegensatz zur traditionellen Ironiekonzeption, in der Ironie als Mittel angesehen wird, der Wahrheit näher zu kommen, hat die Ironikerin bei Rorty (er benutzt die weibliche Form um sich von der traditionellen Ironiekonzeption abzusetzen) Zweifel und Distanz gegenüber ihrem (Letzt-)Vokabular. Ironikerinnen sind bestrebt, ihr Vokabular immer wieder zu erneuern und zu hinterfragen. Im privaten Bereich dient dies der Erschaffung des Selbst und fördert die Autonomie. Freiheit ist für Rorty die Erkenntnis, die Einsicht in die Kontingenz.

„Wohlwollende“ vs. „kritische“ Lesart

Die Philosophen, welche sich mit Rorty auseinandersetzen, vertreten im Wesentlichen zwei Standpunkte: Die einen finden, man könne in ihm einfach einen konsequenten Entwickler der Analytischen Philosophie seit dem pragmatic turn sehen. Diese Ansicht wird als „deflationistische“ Interpretation bezeichnet. Die andere Position vertritt die Auffassung, Rortys Werke enthielten den Versuch, die Philosophie zu beenden. Je nachdem, welches von Rortys Werken man zu Rate zieht, gelangt man zu anderen Ergebnissen.

Auszeichnungen

2001 erhielt Rorty für sein Wirken den mit 50.000 Euro dotierten und in diesem Jahr zum ersten Mal vergebenen Meister-Eckhart-Preis.

Literatur

Werke von Richard Rorty

  • 1952 Whitehead's Use of the Concept of Potentiality – Magisterarbeit
  • 1967 The Linguistic Turn
  • 1979 Philosophy and the Mirror of Nature (dt. Der Spiegel der Natur, 1981)
  • 1982 Consequences of Pragmatism
  • 1989 Contingency, Irony, and Solidarity (dt. Kontingenz, Ironie und Solidarität, 1992)
  • 1991 Objectivity, Relativism, and Truth. Philosophical Papers I
  • 1991 Essays on Heidegger and Others. Philosophical Papers II
  • 1994 Hoffnung statt Erkenntnis. Eine Einführung in die pragmatische Philosophie
  • 1997 Achieving Our Country. Leftist Thought in Twentieth Century America (dt. Stolz auf unser Land. Die amerikanische Linke und der Patriotismus, 1999)
  • 1997 Truth and Progress. Philosophical Papers III (dt. Wahrheit und Fortschritt, 2000)
  • 2000 Philosophy and Social Hope
  • 2005 Il futuro della religione mit Gianni Vattimo (dt. Die Zukunft der Religion, 2006)
  • 2007 Philosophy as cultural Politics. Philosophical Papers IV (dt. Philosophie als Kulturpolitik, 2008)


Literatur zu Richard Rorty

  • Auer, Dirk: Politisierte Demokratie. Richard Rortys politischer Antiessentialismus. Wiesbaden: VS Verlag, 2003, ISBN 3-8100-4170-X
  • Brandom, Robert [Hrsg.]: Rorty and His Critics, Malden, MA: Blackwell Publishing, 2000, ISBN 978-0631209829
  • Gross, Neil: Richard Rorty. The Making of an American Philosopher, UCP 2008
  • Horster, Detlef: Richard Rorty zur Einführung. Hamburg: Junius, 1991, ISBN 3-88506-868-0
  • Reese-Schäfer, Walter: Richard Rorty zur Einführung, Hamburg: Junius, 2006, ISBN 3-88506-623-8

Anmerkungen

  1. Nachruf der Stanford University vom 10.6.07
  2. Kurznachruf sowie drei Links (Rezension; Artikel; Interview) in der FAZ
  3. Seite?
  4. Seite?
  5. Seite 49 (dt. Ausgabe, Suhrkamp 1992)

Weblinks

Beiträge von Rorty
Nachrufe

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