- Richtershow
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Die Gerichtsshow ist ein Fernsehformat, das sich in Deutschland zeitweise großer Beliebtheitheit erfreute. Da Ton- und Bildaufnahmen in deutschen Gerichten bei Verhandlungen – mit Ausnahme der Schiedsgerichtsverhandlungen und Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht – verboten sind, werden in den Gerichtssendungen entweder echte Fälle nachgestellt oder fiktive, oft unrealistische Fälle gespielt. Gerichtsshows erzielen gute Einschaltquoten und werden hauptsächlich auf Sendeplätzen am Nachmittag ausgestrahlt.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Vorläufer
Die erste aller Gerichtsshows in Deutschland – Das Fernsehgericht tagt – wurde von 1961 bis 1978 von der ARD ausgestrahlt. Dabei wurden reale Fälle anhand von Gerichtsakten nachgestellt. Als Richter fungierte ein pensionierter Amtsrichter. Staatsanwalt und Verteidiger wurden von noch praktizierenden Berufskollegen, Angeklagte und Zeugen von Schauspielern dargestellt. Die Fälle – vom Betrug und Diebstahl bis zum Mord – wurden anfangs in drei, später in zwei und am Ende in einer Sendung abgehandelt.
Ära des ZDF
Nachdem die ARD ihr Fernsehgericht eingestellt hatte, waren bis 1999 Gerichtssendungen nur noch im ZDF zu sehen. Der erste Fall im ZDF wurde 1970 in Ehen vor Gericht verhandelt. Die diesmal fiktiven Fälle bezogen sich ausschließlich auf Eheprobleme. Die Sendung wurde nach 89 Folgen im Sommer 2000 eingestellt.
Die Sendung Wie würden Sie entscheiden? startete 1974 mit Gerd Jauch und folgte dem Konzept des Fernsehgerichtes der ARD. Allerdings wurden die Fälle erst durch Abstimmung des Publikums und dann vom Richter entschieden. Die Ergebnisse wurden anschließend verglichen und diskutiert. Diese Sendung wurde nach 165 Folgen eingestellt.
Ab 1983 machte das Verkehrsgericht deutlich, wie ein unaufmerksamer Augenblick im Straßenverkehr das eigene und das Leben von Fremden ruinieren kann. In dieser Sendung wurde erst das Unfallgeschehen gezeigt und anschließend wurden die fiktiven Fälle im Gericht verhandelt. Das Verkehrsgericht wurde 1998 nach 68 Folgen eingestellt.
Mit Streit um drei läutete das ZDF im April 1999 das neue Format der Nachmittagsgerichtsshows ein. Folgten die abends ausgestrahlten Gerichtssendungen noch dem Ziel der Vermittlung von Rechtskenntnissen und Einblick in die Arbeit der Justiz, steht bei den Nachmittagsgerichtsshows der Unterhaltungswert im Mittelpunkt. Beim Streit um Drei handelten die Fälle zumeist von Nachbarschaftsstreit und kleineren Delikten, die von den Richtern Eugen Menken und später Guido Neumann im Amtsgericht, sowie Ulrich Volk im Arbeitsgericht entschieden wurden. Moderator Ekkehard Brandhoff führte bis zum Ende der Serie 2003 durch die Sendung. Er befragte Kontrahenten und Publikum und ließ anschließend den ZDF-Rechtsexperten Wolfgang Büser Vergleichsurteile zitieren.
Weiterentwicklung der Privaten
Sat.1 nahm Ende 1999 das Format der Gerichtssendung mit Richterin Barbara Salesch auf und setzte noch verstärkt auf Unterhaltung. Erst mit geringem Erfolg gestartet (nur 8 % Marktanteil), erreichte die Sendung erst nach Umstellung auf geschriebene Fälle mit Laiendarstellern über 30 Prozent Marktanteil. Eine breite öffentliche Aufmerksamkeit erlangte das Format allerdings erst, als Stefan Raab aus dem Originalton des Wortes „Maschendrahtzaun" aus der Gerichtsshow Barbara Saleschs ein erfolgreiches Lied komponierte.
Der Erfolg hatte zur Folge, dass zeitweilig im deutschen Fernsehen bis zu sechs verschiedene Gerichtsshow-Formate, vor allem in Sat.1 und RTL konkurrierten. Erfolgreichste Formate des Genres sind Richter Alexander Hold (Sat.1, seit 2001) und Das Strafgericht (RTL seit 2002) der Münchner Produktionsfirma Constantin Entertainment GmbH sowie weiterhin Richterin Barbara Salesch der Kölner Film- und Fernsehproduktion filmpool, die auch die Formate Das Jugendgericht und Das Familiengericht produziert hat.
Ursprünglich war die jetzige Gerichtsshow von Richterin Barbara Salesch eine Schiedsgerichtsverhandlung. Für Schiedsgerichtsverhandlungen gilt das Verbot von Ton- und Bildaufnahmen nicht. Daher konnten echte Fälle mit wirklichen Betroffenen verhandelt werden. Allerdings sind Schiedsgerichtsverfahren auf zivilrechtliche Auseinandersetzungen beschränkt und nur mit Zustimmung aller Prozessparteien erlaubt. Die "Quotenbringer" Raub, Vergewaltigung und Mord waren damit von den Verhandlungen ausgenommen. Auch die komplexen zivilen Rechtsfragen waren für den fachfremden Zuschauer schwerer zu verfolgen, als die meist beweislastige Schuldfrage in Strafrechtsfällen. Daher wurde das Format der Sendung ab Oktober 2000 auf die in diesem Artikel beschriebene (Straf-)Gerichtsshow mit Laiendarstellern geändert.
Seit kurzem haben mehrere der Gerichtshows Ableger entwickelt. Staats- oder Rechtswanwälte, die im Gerichtssaal auftraten, bekamen eigene Fernsehsendungen. Diese Sendungen sind an herkömmliche Kriminalserien angelehnt, versuchen jedoch mit Kammeraeinstellungen und -führungen den Anschein versteckter Kameras und damit einen (pseudo-)Reality-TV-Eindruck zu erwecken. Siehe z. B. Lenßen und Partner.
Gerichtssendungen in den USA
Da in den USA seit 1981 Kameras während der Verhandlungen erlaubt sind, werden neben fiktiven insbesondere echte Verhandlungen und Urteile live ausgestrahlt, z. B. die Sendungen Court-TV, Judge Judy oder Judge Joe Brown. Den Höhepunkt hatte Court-TV 1994 bei der Übertragung des Freispruches von O. J. Simpson mit einer Einschaltquote von über 80 Millionen.
Inhalt und Aufbau
In einer Gerichtsshow werden frei erfundene Fälle in einer fiktiven Verhandlung vor einem Strafgericht oder einem Zivilgericht nachgestellt. Es handelt sich meist um Strafverfahren. Am Ende der Sendung verkündet der Richter ein Urteil. In der Regel wird aufgeklärt, mit welchen Strafmaßnahmen Dritte, die an der TV-Verhandlung etwa als Zeuge teilnahmen, und denen eine Schuld nachgewiesen werden konnte, rechnen müssen.
Die „Fernsehrechtskundigen" (Richter, Verteidiger, Staatsanwalt etc.) in den Gerichtsshows sind meist echte Juristen und besitzen die nötige Ausbildung und Praxis. Die restlichen Personen sind allesamt Laiendarsteller, selten auch Prominente. Alle Darsteller haben sich an ein Drehbuch zu halten (Scripted reality), wobei, damit die Darsteller authentisch wirken, der Text nicht wortwörtlich, sondern lediglich sinngemäß wiedergegeben werden muss. Kleine Versprecher und die meist echte Nervosität der Laiendarsteller sind erwünscht und erhöhen die Authentizität. Eine Sendung einer Gerichtsshow mit mehreren Fällen dauert meistens eine halbe oder eine ganze Stunde.
Wirklichkeitsnähe
Mit der Realität in deutschen Gerichtssälen haben die Fernsehgerichtsshows nur wenig zu tun. Gerade in Fällen mit kompliziertem Sachverhalt zieht sich die Hauptverhandlung oft über mehrere Tage oder gar Wochen hin und ist keinesfalls in einer knappen Stunde abgehandelt. Echte Prozesse sind deutlich sachlicher; Gefühlsausbrüche, Geschrei, wilde Dialoge zwischen Prozessbeteiligten, ungefragte Äußerungen oder gar Zwischenrufe aus dem Publikum, wie sie in Gerichtsshows normal sind, würde kein ordentlicher Richter dulden. Auch dass es während der Hauptverhandlung zu einer dramatischen Wende des Sachverhalts kommt und sich Zeugen plötzlich als wahre Täter entpuppen, ist in Gerichtsshows sehr häufig der Fall, kommt in der Realität aber nur selten vor, da die Staatsanwaltschaft vor Erhebung einer Anklage mit Hilfe der Polizei oder anderer Strafverfolgungsbehörden den Sachverhalt „ausermittelt", also vor allem auch die Beweislage intensiv aufklärt. Im Übrigen machen die in den Gerichtsshows verhandelten Delikte (überwiegend Tötungs- und Sexualstrafsachen) nur einen verschwindend geringen Anteil am täglichen deutschen Gerichtsalltag aus. Zudem sind die an den Fernsehprozessen beteiligten Personen überdurchschnittlich häufig „Randgruppen“, etwa Prostituierte und Obdachlose. Umgekehrt sind die wahren Täter entgegensetzt der tatsächlichen Situation überdurchschnittlich häufig Personen aus höheren gesellschaftlichen Schichten.
Die Drehbücher ähneln sich vom Spannungsaufbau sehr häufig. Auffällig häufige Motive sind unter anderem:
- Mitten in die Verhandlung platzt ein Zeuge, der den Saal betritt und die Verhandlung unterbricht, dabei dem Fall eine Wendung gibt und alles aufklärt oder zumindest zur Aufklärung beiträgt (vgl. antike dramaturgische Figur „deus ex machina").
- In einem emotionalen Ausbruch platzt der (wahre) Täter mehr oder weniger freiwillig mit einem Geständnis heraus („Ich hätte damals noch fester zuschlagen sollen“, „Ich wollte dir nichts tun, es war ein Versehen“).
- Ein Mitarbeiter des Verteidigers/der Verteidigerin, oft „private Ermittler“, recherchieren und legen gegen Ende der Verhandlung neue Beweise vor, die den Täter überführen. Gerade dies ist sehr unrealistisch, da ein Strafprozess in der Regel unterbrochen werden würde, wenn neue Beweise zu erwarten wären. Zudem ist es generell unwahrscheinlich, dass die Staatsanwaltschaft Beweise übersieht, die von einem privaten Ermittler problemlos aufgedeckt werden können.
- Ein Zeuge erinnert sich während der Verhandlung an ein entscheidendes Detail, das er zunächst für nicht wichtig hielt, dem Fall aber schließlich eine entscheidende Wende verleiht. Dies ist besonders unrealistisch, da sich in Wirklichkeit die Fragen des Richters in der Regel mit den Fragen während der polizeilichen Befragung decken.
Kritik
Kritisiert wird häufig die oben beschriebene wirklichkeitsferne Darstellung, die gerade jüngeren und naiveren Zuschauern ein unrealistisches Bild der deutschen Justiz vermittelt. Dennoch ist das Bild der deutschen Gerichtsbarkeit unter den Zuschauern heute realistischer als vor der Einführung der Gerichtsshows, da das Bild vormals von demjenigen US-amerikanischer Gerichte aus diversen Fernsehprogrammen dominiert wurde („Einspruch, Euer Ehren!“, Geschworene ...). Ebenfalls kritisiert wird die übertrieben klischeehafte Darstellung der am Prozess beteiligten Personen, gerade Ausländern, Prostituierten und Obdachlosen, die dem Zuschauer ein falsches Bild vermittelt.
Gerichtsshows im deutschsprachigen Fernsehen
Sendung Sender Laufzeit Das Fernsehgericht tagt ARD 1961-1978 Ehen vor Gericht ZDF 1970-2000 Wie würden Sie entscheiden? ZDF 1974-2000 Verkehrsgericht ZDF 1983-1998 Streit um Drei ZDF 1999-2003 Richterin Barbara Salesch Sat.1 seit 1999 Das Jugendgericht
2001-2005: Dr. Ruth Herz,
2005-2007: Kirsten ErlRTL 2001-2007 Richter Alexander Hold Sat.1 seit 2001 Das Strafgericht RTL 2002-2008 Das Familiengericht RTL 2002-2007 Literatur
- Jana Scheerer: Die Gerichtsshow als kommunikative Gattung. Eine konversationsanalytische Untersuchung am Beispiel der Sendungen „Richter Alexander Hold“, „Richterin Barbara Salesch“ und „Das Strafgericht“. Magisterarbeit, Universität Potsdam 2007 (Volltext)
- Barbara Thym: Kultivierung durch Gerichtsshows. Eine Studie unter Berücksichtigung von wahrgenommener Realitätsnähe, Nutzungsmotiven und persönlichen Erfahrungen. Magisterarbeit, Ludwig-Maximilians-Universität München 2003 (Volltext)
Weblinks
- Barbara Thym: Kultivierung durch Gerichtsshows (Magisterarbeit)
- Im Namen des Publikums - Gerichtssendungen zwischen Fiktionalität und Authentizität
- Gerichtsshows: Realitätsnähe oder -ferne?
- Abschied von Gerichtsshow: ZDF als Trendsetter?
- Casting-Hölle - Als ich einmal meinen Nachbarn erschlug (Artikel über das Casting bei Gerichtsshows für den TV-Sender Sat.1 und Pseudo-Dokus)
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