Riemeck

Riemeck

Renate Katharina Riemeck (* 4. Oktober 1920 in Breslau; † 12. Mai 2003 in Alsbach) war eine deutsche Historikerin und Friedensaktivistin.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Renate Riemeck wuchs in Breslau, Stettin und Jena als Kind wohlhabender Eltern auf; die Mutter war erfolgreiche und angesehene Geschäftsfrau. Riemeck besuchte unter anderem eine Klosterschule. Bereits als Jugendliche dezidiert kirchenkritisch speziell im Hinblick auf den Katholizismus, verband sie sich mit der ab 1941 verbotenen anthroposophisch orientierten Christengemeinschaft. Am 6. Juli 1941 beantragte Riemeck die Mitgliedschaft in der NSDAP, die ihr am 1. Oktober gewährt wurde (Mitgliedsnummer 8915151)[1]. Sie studierte sieben Semester Geschichte, Germanistik und Kunstgeschichte in München und vor allem in Jena; im März 1943 promovierte sie zum Dr. phil. über Spätmittelalterliche Ketzerbewegungen. Mitte 1943 trat sie der Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen bei[1].

In Jena hatte sie Freundschaft geschlossen mit der verwitweten Ingeborg Meinhof, Mutter der späteren konkret-Kolumnistin und Mitbegründerin der Rote Armee Fraktion, Ulrike Meinhof. Bald zog sie mit ihrer Kommilitonin und späteren Lebensgefährtin Ingeborg in einen gemeinsamen Haushalt. Nach dem Krieg wurde sie Dozentin in der Lehrerbildung in Oldenburg, wohin sie mit Ingeborg und den Kindern umzog. Die antifaschistische Schulbildung vor allem der Volksschülerinnen und -schüler sah sie als wichtige politische Aktionsform; sie verfasste in der Besatzungszeit mit die ersten demokratischen Schulbücher. 1949, nach Ingeborgs Tod, erhielt sie die Vormundschaft für die beiden Töchter Wienke (* 1931) und Ulrike (* 1934), die sie mit Holde Bischoff zusammen versorgte und erzog. Später lehrte sie in Braunschweig und Weilburg.

Sie war seit 1946 Mitglied der SPD und kämpfte gegen die Wiederbewaffnung der Bundeswehr, Wehrpflicht und Atomrüstung. 1955 wurde sie jüngste westdeutsche Professorin und lehrte an der PH Wuppertal Geschichte und Politische Bildung. Seit etwa 1958 war Renate Riemeck aktives Mitglied der Internationale der Kriegsdienstgegner (IDK) und wurde 1960 IDK-Vorsitzende. Sie engagierte sich in der Kampagne „Kampf dem Atomtod“, formulierte und unterzeichnete 1958 den „Appell der 44“, in dem diese Anzahl Hochschullehrende die Gewerkschaften zum Widerstand gegen die Atomrüstung aufriefen und gehörte 1960 zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Friedensunion (DFU), als deren Spitzenkandidatin sie widerwillig im Bundestagswahlkampf 1961 auftrat. In diesem Zusammenhang wurde sie wegen ihrer Affinität zu regimenahen Organisationen in der DDR und im „Ostblock“ als politisch naiv kritisiert, da der SED-Staat verschiedene Publikationsorgane und Gruppierungen im Westen finanziell unterstützte, für die Frau Riemeck zeitweilig tätig war.

Aufgrund ihres Engagements für die Anti-AKW- und Friedensbewegung wurde ihr 1960 trotz großer Proteste aus Hochschulkreisen die akademische Prüfungsberechtigung entzogen. In diesem Zusammenhang fand in Wuppertal der wohl erste Sitzstreik von Studierenden in Deutschland statt. Im selben Jahr zog sich Renate Riemeck aus dem Staatsdienst zurück. Um 1961 erkrankte sie an einer rechtsseitigen Lähmung, die sie jahrelang beeinträchtigte.

Lange Zeit schrieb sie entsprechend ihrer pazifistischen Haltung z.B. für die Deutsche Volkszeitung und die CFK-Zeitschrift Stimme der Gemeinde, nahm an friedenspolitischen Tagungen in Ost-Berlin und Prag teil und arbeitete zunehmend im anthroposophischen Umfeld an Buchpublikationen zu historischen Themen. 1964 verließ sie die DFU, trat aber bis in die 70er Jahre bei zahlreichen Kundgebungen z.B. gegen die Atomrüstung als unabhängige Rednerin auf.

1971 mahnte sie in der Zeitschrift konkret („Gib auf, Ulrike!“), den bewaffneten Kampf in der RAF zu beenden, ohne aber die ursprünglichen Beweggründe ihrer geliebten Pflegetochter zu verurteilen: „Du solltest versuchen, die Chancen von bundesrepublikanischen Stadtguerillas einmal an der sozialen Realität dieses Landes zu messen“.

1979 erhielt sie einen Lehrauftrag im Fachbereich Pädagogik an der Universität Marburg. 1980 überließ ihr Rolf Hochhuth den Geschwister-Scholl-Preis, um sie finanziell zu unterstützen. Bis zuletzt war sie als Publizistin und Geschichtsforscherin tätig, die letzten Jahre krankheitsbedingt zurückgezogen im hessischen Alsbach.

Zitate zu Renate Riemeck

In SED-Quellen sind Versuche feststellbar, Frau Riemeck politisch zu instrumentalisieren:

„Ganz große Möglichkeiten sehen wir in der breiten und umfassenden Publizierung der Persönlichkeit Renate Riemecks. Sie ist die einzige Frau, die in leitender Stelle einer Partei tätig ist. Sie ist eine kluge entschlossene Frau und hat sich durch ihren mutigen Kampf gegen die Diktaturmaßnahmen von Schütz und dem Bonner Regime sehr schnell eine gewisse Achtung bei bestimmten Kreisen erworben. Sie muß zu einer Persönlichkeit werden. Wahlplakate der DFU müssen unbedingt ihr Foto zeigen.“

[2]

„Die Bundestagswahl wird diesmal ganz nach amerikanischem Muster als Persönlichkeitswahlkampf geführt. Eine bestimmte Politik wird durch bestimmte Persönlichkeiten repräsentiert. Das muß man zur Kenntnis nehmen, ob es uns lieb ist oder nicht. In diesem Fall ist es gar nicht schlecht für uns, daß Prof. Riemeck in sich Eigenschaften verkörpert, die für viele Wählerschichten sehr wichtig ist: Professor, also Ansehen bei den Intellektuellen, Frau und Pädagogin: was für alle Frauen und Eltern wichtig ist; aktives Mitglied der Bekennenden Kirche, wodurch wir einen bedeutenden Teil christlicher Wähler dieses Kirchenflügels beeinflussen können; schließlich aktiver Gewerkschafter, was für die Arbeiter Bedeutung hat.“

[3]

Einzelnachweise

  1. a b Jutta Ditfurth: Ulrike Meinhof. Die Biografie. Ullstein, Berlin 2007, ISBN 978-3-550-08728-8 S. 37–40. Dagegen steht allerdings die Aussage Riemecks in Ich bin ein Mensch für mich (S. 80): „Obwohl ich nicht im NS-Studentenbund und erst recht nicht in der NSDAP war (...)“
  2. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/2.2028/30, Bl. 2-3 (Schreiben von Hans Rentmeister an den Leiter der Westabteilung der SED Albert Norden vom 9. Juni 1961)
  3. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/2.2028/30 (Maschinenschriftliches Manuskript Gesamtdeutschland in den Archivalien der Westabteilung der SED)

Werke

  • Die spätmittelalterlichen Flagellanten Thüringens und die deutschen Geißlerbewegungen. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Ketzertums. Diss. München 1943
  • Helferich Peter Sturz, Hamburg 1946
  • Freunde und Helfer der Menschheit (mit Ingeborg Meinhof). 3 Hefte, Oldenburger Verlagshaus, Oldenburg 1949/50
  • Kleiner Geschichtsatlas. Oldenburger Verlagshaus, Oldenburg 1950
  • Geschichte im Überblick (als Herausgeberin). 4 Folgen, Oldenburger Verlagshaus, Oldenburg 1950/51
  • Miteinander – Füreinander. Ein Lese- und Arbeitsbuch zur Sozialkunde für hessische Schulen (mit Otto Seitzer). Klett, Stuttgart 1956
  • Zeitenwende. Europa und die Welt seit 1945. Stalling, Oldenburg 1957
  • Geschichte für die Jugend. 4 Bände, Mundus, Stuttgart 1959/60
  • Moskau und der Vatikan. 2 Bände, Stimme, Frankfurt am Main 1964/65; 3. erw. A. (in einem Band): Die Pforte, Basel 1988, ISBN 3-85636-052-2
  • Mitteleuropa. Bilanz eines Jahrhunderts. Die Kommenden, Freiburg im Breisgau 1965; 5. A. Engel, Stuttgart 1997, ISBN 3-927118-14-1
  • Jan Hus. Reformation 100 Jahre vor Luther. Stimme, Frankfurt am Main 1966
  • Der andere Comenius. Böhmischer Brüderbischof, Humanist und Pädagoge. Stimme, Frankfurt am Main 1970
  • Beispiele goetheanistischen Denkens. Der Mensch als geistiges Wesen. Die Pforte, Basel 1974
  • Glaube – Dogma – Macht. Geschichte der Konzilien. Urachhaus, Stuttgart 1985
  • Verstoßen – verfemt – verbrannt. 12 Ketzerschicksale aus acht Jahrhunderten. Urachhaus, Stuttgart 1986
  • 1789. Heroischer Aufbruch und Herrschaft des Schreckens. Urachhaus, Stuttgart 1988
  • Ich bin ein Mensch für mich. Aus einem unbequemen Leben. Urachhaus, Stuttgart 1992; 2. A. 1994
  • Rosalia und ihre Nachfahren. Ostdeutsche Vergangenheit in Lebensbildern. Mayer, Stuttgart 1997, ISBN 3-932386-03-5

Literatur/Quellen

  • Dirk Mellies: Trojanische Pferde der DDR? Das neutralistisch-pazifistische Netzwerk der frühen Bundesrepublik und die Deutsche Volkszeitung, 1953–1973. Lang, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-631-55825-2
  • Bettina Röhl: So macht Kommunismus Spaß. Ulrike Meinhof, Klaus Rainer Röhl und die Akte Konkret. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2006, ISBN 3-434-50600-4
  • Renate Riemeck: „Auch ich habe viele Leben gelebt“ Kurzbiographie von Ingeborg Nödinger in Wir Frauen 3/2003, S. 5 (PDF; 222 KB)
  • Wie war das in den 50ern? Interview von Alice Schwarzer mit Renate Riemeck, in: EMMA, September 1989
  • Das Ende eines Mythos Alice Schwarzer über Ulrike Meinhof, in: EMMA, Juli/August 2006

Weblinks


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