Rudimentäres Organ

Rudimentäres Organ

Als Rudiment (lat. rudimentum „Anfang“, „erster Versuch“, „Probestück“) wird in der Biologie ein in der Stammesentwicklung (Phylogenese) teilweise oder gänzlich funktionslos gewordenes Merkmal (Organ,Organteil, Organstruktur oder auch Verhalten) bezeichnet. Rudimente treten im Gegensatz zu Atavismen, die nur bei einzelnen Individuen auftreten, bei vielen oder allen Individuen einer Art auf. Rudimente können grundsätzlich bei allen Organismen auftreten und gelten als klassische Evolutionsbelege. Der Rückbildungsvorgang ist die Rudimentation. Sie ging von einem funktionsfähigen Stadium des Merkmals aus. Einige Rudimentationen sind auch mit einem Funktionswechsel verbunden, wie am Beispiel Blinddarm/Wurmfortsatz beschrieben wird.[1]

Inhaltsverzeichnis

Rudimentäre Organe (bei Mensch und Tier)

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Die zurückgebildeten Organe haben im Laufe der Stammesgeschichte der Lebewesen im Zusammenhang mit der veränderten Lebensweise nahezu keine der ursprünglichen Funktionen mehr, obwohl sie dennoch Aufgaben besitzen können (z. B. lymphatische Funktion im menschlichen Wurmfortsatz). Meist ist jedoch das Gegenteil der Fall, und die Rudimente bereiten mehr Kummer als Nutzen. Beim Menschen sind das die Weisheitszähne (heute: Fehlstellung, Entzündungen), Wurmfortsatz (heute: „Blinddarmentzündung“), Ohrmuskeln, Ohrhöcker, parzellierte Bauchmuskulatur.

beim Menschen:

  • ausgeprägter Eckzahn und verkümmerte Weisheitszähne (erst im 18.–20. Lebensjahr). Herkunft: Fressen von rohem Fleisch, Kampf, Machtdemonstration
  • Rest der Nickhaut. Herkunft: dient als drittes Augenlid bei verwandten Säugetieren
  • Blinddarm mit Wurmfortsatz. Herkunft: Rest eines früher größeren Darmanhanges zum Aufschluss schwer verdaulicher Nahrung. Hier liegt ein Funktionswechsel vor, da im Blinddarm Lymphgewebe gefunden wurde, so dass der Wurmfortsatz heute zu den lymphatischen Organen rechnet. Er ist also heute ein Teil des Immunsystems .
  • Steißbein Herkunft: Rest eines früheren Schwanzes
  • funktionslose Muskeln der Ohrmuscheln. Herkunft: dienten zur Bewegung und Ausrichtung der Ohren
  • segmentierte, parzellierte Bauchmuskeln. Herkunft: Segmentierung des Körpers
  • Körperbehaarung beim Menschen. Herkunft: Fell
  • rückgebildete Schwimmhäute (am besten zwischen Daumen und Zeigefinger sichtbar. Heute haben noch etwa 7 % der Weltbevölkerung Schwimmhäute zwischen den Zehen.
Skelett eines Wals mit Resten des Ober- und Unterschenkels

bei Tieren:

Beispiel eines nur teilweisen Funktionsverlustes war bei den Säugetieren und dem Menschen die Zirbeldrüse (heute für Tag-Nacht-Wechsel und Melatonin-Ausschüttung wichtig), in früheren Entwicklungsstufen aber bedeutungsvoller als lichtsensitives Parietalorgan ("Drittes Auge") direkt durch die Haut hindurch, wie heute noch bei einigen Amphibien, Vögeln und Reptilien.

Rudimente bei Pflanzen

 

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Ein Beispiel ist hier die Rudimentation der Staubblätter bei den Rachenblütlern (Scrophulariacea). Bei diesen nimmt innerhalb einer Progressionsreihe die Zahl der Staubblätter von ursprünglich Fünf bei Verbascum über Vier bei Digitalis zu Zwei bei Veronica officinalis ab, aber die funktionslosen Anlagen der restlichen Staubblätter werden dennoch ausgebildet.[2] Auch Blüten bei Pflanzen, die sich ausschließlich ungeschlechtlich vermehren, können als rudimentäre Merkmale interpretiert werden.

Rudimentäres Verhalten

Etliche der Reflexe von menschlichen Säuglingen stellen rudimentäres Verhalten dar, das früher in der stammesgeschichtlichen Entwicklung überlebenswichtig war. Dies gilt insbesondere für den Greifreflex. Bei Affenbabies erfüllt er einen wesentlichen Zweck, nämlich das Festkrallen des Babys im Fell seiner Mutter, während diese sich von Ast zu Ast hangelt oder sich rasch auf dem Boden bewegt. Bei menschlichen Babys ist der Greifreflex für das Festhalten am weitgehend haarlosen Körper seiner Mutter aber nutzlos, d. h. sie muss den Säugling ohnedies tragen. Der Reflex lässt sich beim Menschen zudem schon ab der 32. Schwangerschaftswoche im Mutterleib feststellen, wo er noch keine sinnvolle Funktion hat. Dieser Eintretenszeitpunkt des Reflexes entspricht aber ziemlich genau der Trächtigkeitsdauer der nächsten tierischen Verwandten (z.B. Bonobos von 220 bis 250 Tagen) d. h. er ist dann ausgebildet, ab wann er bei den menschlichen Vorfahren wahrscheinlich tatsächlich überlebenswichtig gewesen war.

Siehe auch

Literatur

  • Ulrich Kutschera: Evolutionsbiologie, 3. Auflage, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 2008, ISBN 3-8252-8318-6

Einzelnachweise

  1. F. Flor:Einführung in die Abstammungslehre,Hamburg 1998, Diesterweg Verlag S.9
  2. Strasburger et al:Lehrbuch der Botanik, Heidelberg (1999) 34. Auflage S.508, S.709

Weblinks


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