Rückführende Hemmung

Rückführende Hemmung

Die Hemmung (franz. échappement; engl. escapement, früher auch: Gang) ist eine Baugruppe mechanischer Uhrwerke, welche die Verbindung zwischen dem Räderwerk und dem Gangregler herstellt. Sie unterbricht das Ablaufen des Uhrwerks in regelmäßigen Zeitabständen und übermittelt dabei einen Impuls (Hebung) auf den Gangregler, um ihn in Bewegung zu halten [1]. Die Hemmung besteht in der Regel aus dem Hemmungsrad (auch: Steigrad) und dem Anker.

Inhaltsverzeichnis

Bauarten

Das am schnellsten bewegte Rad des Uhrwerks ist bereits Teil der Hemmung, es wird Hemmungsrad oder Steigrad genannt. Bei Uhren mit Anker spricht man auch vom Ankerrad. Bei der über 400 Jahre gefertigten Spindelhemmung wird dieses Rad wegen seiner typischen Bauform auch Kronrad genannt.

Bekannt sind etwa 250 verschiedene Konstruktionen, die sich jedoch nach ihrer Funktion in drei Kategorien einordnen lassen, die gleichzeitig auch die Chronologie ihrer Entwicklung mit steigender Qualität der Uhren (Ganggenauigkeit, Zuverlässigkeit, lageunabhängiger, mobiler Einsatz usw.) widerspiegeln.

Rückführende Hemmung

Spindelhemmung

Bei der rückführenden Hemmung [2] wird das Hemmungsrad nicht nur Zahn um Zahn von der Hemmung weiter gelassen, sondern es erleidet, wie das ganze übrige Werk, bei jeder Schwingung eine durch den Gangregler verursachte rückläufige Bewegung (daher die Bezeichnung „rückführende“ Hemmung). Da für einen großen Teil der Schwingung die Antriebskraft die Schwingungsdauer mitbestimmt, verursacht eine Schwankung in der Antriebskraft eine Gangunsicherheit.

Spindelhemmung

Diese Hemmung wurde bereits im 14. Jahrhundert bei den ersten Uhren, kombiniert mit der Waag oder Foliot als Taktgeber, eingeführt.

Die Spindelhemmung besteht aus dem kronenförmigen Hemmungsrad und der Spindel, einer langen dünnen Welle, die zwei winklig versetzte Lappen trägt, die wechselweise so in das Kronrad eingreifen, dass sich bei jeder Schwingung das Hemmungsrad um einen Zahn weiter dreht. Nach der Einführung des Pendels durch Huygens wurde im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts die Waag durch das Pendel ersetzt. Von größter Bedeutung war jedoch die Verbindung der Spindelhemmung mit einer durch eine Spiralfeder unterstützten Unruh zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Damit wurden Uhren endgültig mobil, sie konnten am Körper getragen werden (Sackuhren).

Spindelhemmungen wurden bei Taschenuhren bis in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts, bei ortsfesten Uhren (z. B. Comtoise-Uhren) bis etwa 1860 eingesetzt.

Hakenhemmung oder englische Ankerhemmung

Hakenhemmung

Im Jahre 1676 durch den Arzt Dr. Robert Hook erfunden, wurde sie von William Clement (1638 oder 1640–1704), London, um 1680 in die Uhrmacherei eingeführt [3].

Diese Erfindung war von großer Bedeutung, sie erlaubte geringere Antriebskräfte und eine Torsionsfaden-freie und damit robustere Pendelaufhängung. Sie löste bei Pendeluhren die Spindelhemmung ab, die aber dennoch bis in das 19. Jahrhundert hinein ebenfalls verwendet wurde.

Ein mit der Pendelachse verbundener ankerförmiger Stahlkörper greift mit seinen Haken wechselweise in die schräg geschnittenen Zähne des Anker- oder Steigrades so ein, dass bei jeder Vollschwingung dieses Rad einmal angehalten, einmal um einen Zahn freigegeben wird. Die Halteposition ist allerdings insofern problematisch, als dabei durch die Pendelschwingung eine Rückwärtsbewegung des Uhrwerkes gegen die Zugkraft erzwungen wird.

Bei preiswerten Uhren (z.B. Schwarzwälder Uhren) wurde ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts ein einfacher Blechanker verwendet, der auf der Ankerwelle verpresst war. Die Eingangsklaue ist zur Ankerwelle hin eingebogen, die Ausgangsklaue gerade.

Ruhende Hemmung

Hier erfolgt keine rückwärtige Bewegung des Hemmungsrads, zwischen dem schrittweise erfolgenden Vorrücken ruht es. Während dieser Ruhestellung reiben sich aber die mit dem Pendel gekoppelten Ankerpaletten auf den Flanken der Zähne des Hemmungsrads. Dadurch erfolgt immer noch eine Dämpfung, die aber wesentlich geringer als bei der rückfallenden Hemmung ist. Bei der Zylinderhemmung ist es die Reibung der Zähne des Hemmungsrades im Inneren des Unruhzylinders.

Ruhende Ankerhemmung oder Grahamhemmung

Grahamhemmung

Diese von George Graham entwickelte Hemmung (etwa 1715) erlaubte den Bau sehr genau gehender Pendeluhren, wie sie noch bis heute gefertigt werden. Vornehmlich wurde diese Hemmung bei Wand- und Standuhren mit langem Pendel eingesetzt. Präzisionsuhren mit einer solchen Hemmung arbeiteten mit Pendelamplituden von oft nur 1°.

Die Hemmung besteht aus dem Ankerrad mit typischer Zahnung und dem mit dem Pendel verbundenen Anker, der mittels justierbarer stählerner Paletten oder mit Rubinsteinen in das Ankerrad eingreift.

Während einer Pendelschwingung wird die Eingangspalette angehoben und der über die schräge Hebefläche dieser Palette gleitende Zahn des Ankerrades erteilt dem Anker und damit dem Pendel einen Impuls.

Das für kurze Zeit ungebremste Ankerrad und fällt dann mit einem Zahn auf die Ruhefläche der Ausgangspalette. Während das Pendel noch weiter schwingt, ruht der Zahn des Ankerrades auf der Ausgangspalette, ohne dass das Rad eine Bewegung ausführt. Beim Rückschwingen des Pendels wird die Ausgangspalette angehoben und der bisher angehaltene Zahn gleitet nun über die Hebefläche dieser Palette, wobei er ebenfalls dem Anker einen Impuls erteilt.

Die von Louis Gabriel Brocot erfundene, nach ihm benannte Brocot-Hemmung ist in ihrer Funktionsweise der Grahamhemmung ähnlich. Sie wurde meist dem Zifferblatt vorgelagert und war als Dekorationselement in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Tischuhren beliebt.

Zylinderhemmung

Zylinderhemmung

Diese Hemmung wurde schon 1695 von Thomas Tompion (1639 – 1743) erfunden und von George Graham 1720 entscheidend weiterentwickelt. Doch erst 100 Jahre später löste die Konstruktion die Spindelhemmung bei tragbaren Uhren ab, wobei der Grund in den außerordentlich hohen Ansprüchen an die Fertigungsgenauigkeit dieses diffizilen Bauteiles zu sehen ist. In Taschenuhren betrug die Länge des Zylinders 2 bis 5 mm, sein äußerer Durchmesser 1 mm, die Wandstärke 0,1 mm.

Das Hemmungsrad trägt kronenartige Zähne, die in einem Schuh enden. Diese greifen über einen kompliziert gestalteten Ausschnitt in das Innere der hohlen Unruhwelle ein. Dabei gleiten die Zähne beim Vor- und Rückschwingen der Unruh an den Kanten des Zylinderfensters ab und bewirken dabei einerseits eine Phase der Ruhe, andererseits geben sie beim Fortschreiten einen Impuls an die Unruhwelle ab.

Amant-Hemmung (auch: Stiftenhemmung oder Scherenhemmung)

(für ortsfeste Uhren) Nicht zu verwechseln mit der Stiftankerhemmung.

Die Amant-Hemmung erfordert eine relativ kleine Antriebskraft, sie ermöglicht eine hohe Genauigkeit, vergleichbar der Grahamhemmung (siehe zuvor); sie wurde bei Pendeluhren, vorzugsweise Großuhren (Turm-, Kirchenuhren), eingesetzt.

Duplexhemmung

Erste Entwicklungen von Hooke (um 1675), entscheidende Vervollkommnung durch Duterte 1724. Diese Hemmung war ein wichtiger Entwicklungsschritt, sie wurde später von der Spindelhemmung und von der Ankerhemmung verdrängt.

Das Hemmungsrad hat in zwei Ebenen unterschiedlich geformte Zähne, wobei die weiter außen liegenden Spitzzähne (Ruhezähne) in einen Einschnitt der Unruhwelle fassen. Die Welle ihrerseits hat einen Finger, der in die zweite Zahnebene (Stoßzähne) des Steigrades greift und von dort einen Impuls erhält. Ähnlich der Zylinderhemmung hat auch diese Konstruktion keinen eigentlichen Anker.

Freie Hemmung

Bei freien Hemmungen wird das Hemmungsrad schrittweise weitergeschaltet und der Gangregler bekommt einen kurzzeitigen Impuls, doch besteht in der übrigen Zeit keine mechanische Verbindung zwischen Werk und Gangregler.

Freie Ankerhemmung oder Palettenankerhemmung

Ankerhemmung

Es gibt drei wesentliche Ausführungen, die sich äußerlich in der Zahngestaltung des Hemmungsrades auszeichnen und etwas unterschiedliche Abläufe der Impulsübertragung haben. Am meisten verbreitet war die Schweizer Ankerhemmung oder Kolbenzahnhemmung.

Funktionsweise der Schweizer Ankerhemmung: Wesentliche Bauelemente sind das Ankerrad mit den kolbenartigen Zähnen, der drehbar gelagerte Anker und die Unruhwelle mit der Doppelscheibe (Hebel- und Sicherheitsscheibe).

Der Anker trägt die Ein- und Ausgangspalette (auch Ankersteine oder Hebsteine genannt) aus Korund (meist Rubin), die wechselweise in das Ankerrad fassen; er endet zur Unruhwelle in einer Gabel, in die der Hebelstein der Unruhwelle greift. Die schwingende Unruh kippt mittels des Hebelsteins den Anker in eine Endposition, so dass die eine Palette das Steigrad freigibt, während die andere Palette darauf den nachfolgenden Ankerzahn festhält. Dabei erhält die Unruh über Ankergabel und Hebelstein einen Kraftimpuls. Beim Rückschwingen der Unruh wiederholt sich dieser Prozess, so dass die Unruh bei jeder Vollschwingung zwei Impulse erhält. Während der Ruhephase des Ankerrades schwingt die Unruh frei, es besteht keine mechanische Verbindung zwischen Gangwerk und Schwinger.

Bei billigen Weckern, Taschen- und Armbanduhren wurden die teuren Paletten durch zur Welle parallele Stifte ersetzt (Stiftankeruhren). Mechanischer Aufbau und Wirkungsweise dieser Hemmung ist dem der zuvor beschriebenen Palettenankerhemmung recht ähnlich.

Chronometerhemmung

Als Chronometer bezeichnet man Zeitmesser mit amtlich geprüfter und zertifizierter hoher Ganggenauigkeit. Chronometer werden eingeteilt in Schiffschronometer, Beobachtungsuhren sowie Taschen- und Armbanduhr-Chronometer. Auf Pendeluhren wird diese Bezeichnung nicht angewandt. Hier findet man für Präzisionsuhren vorzugsweise die Federkraftpendelhemmung (Riefler-, Strasserhemmung).

Funktionsweise: Bei der ankerlosen Chronometerhemmung wird der Antriebsimpuls vom Hemmungsrad unmittelbar auf die Unruh übertragen, während die Hemmung von einem Gesperr besorgt wird, das von der Unruh gesteuert wird. Damit wird eine weitgehende Entkopplung von Gehwerk und Taktgeber erreicht.

Die Hemmung besorgt entweder ein drehbar gelagerter oder ein an einer Blattfeder befestigter längerer Arm (Ruhestück), der mit seinem Ruhestein die Bewegung des Steigrades aufhält. Der weitere Ablauf wird durch zwei mit der Unruhwelle verbundene Steine (Auslösestein und Hebestein) besorgt. Nach der Freigabe des Hemmungsrades durch den Auslösestein fällt ein Zahn auf den Hebestein der Unruhe und überträgt dabei einen Impuls. Das Hemmungsrad dreht sich um einen Zahn weiter und wird vom Ruhestein wieder angehalten.

Als Erfinder gelten die Franzosen Pierre Le Roy und Ferdinand Berthoud sowie die Engländer John Arnold und Thomas Earnshaw.

Koaxial-Hemmung

Diese Hemmung wurde erst 1999 von dem Hersteller Omega eingeführt. Sie ist eine Entwicklung des Uhrmachers George Daniels. Die Koaxial-Hemmung gilt als besonders genau und erfordert nur eine geringe Schmierung.

Einzelnachweise

  1. Victor Pröstler: Die Funktion der Uhr, Callwey Verlag, München 1994, ISBN 3766710958, S. 37ff
  2. Fritz von Osterhausen: Callweys Uhrenlexikon. Callwey, München 1999, ISBN 978-3766713537. S. 284
  3. Dr. Richard Mühe:Die Historische Uhrensammlung Furtwangen. Furtwangen 1967.

Literatur

  • Bassermann-Jordan/Bertele: Uhren. Verlag Klinkhardt & Biermann, Braunschweig 1969
  • G. O. Weiland, Ballwey (Hrsg.): Bruckmann’s Uhrenlexikon. Verlag Bruckmann, München 1980, ISBN 978-3765418259
  • Rudi Koch (Hrsg.): BI-Lexikon – Uhren und Zeitmessung. Verlag VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1989, ISBN 978-3323001008
  • Gerhard Claußen & Karl-Hermann Ströde: Das große Uhren-ABC, Bd.1. Verlag Ebner, 1999, ISBN 978-3980367509
  • Klaus Menny: Die Uhr und ihre Mechanik. Verlag Schäfer, Hannover 2003, ISBN 978-3878706878

Fotos

Weblinks

Siehe auch

  • Kontinuierlich arbeitende Hemmungen: Hemmungen an mechanischen Zeitgliedern arbeiten oft nicht diskret, sondern verwenden ungenauere Hemmungen wie aerodynamische Bremsen (zum Beispiel Spieldosen, ältere Belichtungsuhren), Fliehkraftregler (zum Beispiel Grammophone, Telefon-Wählscheiben) oder pneumatische Vorrichtungen (Einschaltverzögerungen, manche ältere Treppenlichtautomaten).

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