- SS Andrea Doria
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SS Andrea Doria
Die Andrea Doria mit Schlagseite
am Morgen nach der KollisionSchiffsdaten Schiffstyp: Turbinendampfschiff Heimathafen: Genua Tag der Kiellegung: 2. September 1950 Schiffstaufe: 16. Juni 1951 durch Signora Giuseppina Saragat Übergabedatum: 9. Dezember 1952 Bauwerft: Cantieri navali Ansaldo
di Sestri Ponente, GenuaReederei: Italia Societa di Navigazione Technische Daten Baunummer: 918 Vermessung: 29.083 BRT
9.567 NRTLänge über alles: 213,40 m Breite über alles: 27,50 m Max. Tiefgang: 10,84 m Maschine Antrieb: 2 Dampfturbinen mit einfachem Untersetzungsgetriebe Anzahl der Kessel: 2 Maschinenleistung: 52900 PS / 37300kW Höchstgeschwindigkeit: 26 kn Schrauben: 2 Schornsteine: 1 Masten: 3 davon 2 Masten mit Ladegeschirr auf dem Vorschiff Sonstiges Anzahl der Passagiere 1241 Anzahl Besatzung: 563 Schwesternschiff: SS Cristoforo Colombo Die SS Andrea Doria war ein italienisches Passagierschiff der Linie Società di Navigazione Italia mit Heimathafen in Genua. Das nach dem gleichnamigen genuesischen Admiral des 16. Jahrhunderts benannte Schiff lief am 16. Juni 1951 vom Stapel und unternahm seine Jungfernfahrt am 14. Januar 1953.
Die Andrea Doria war das größte, schnellste und vermeintlich sicherste Schiff der italienischen Flotte jener Zeit und wurde im noch vom Zweiten Weltkrieg gezeichneten Italien zu einem neuen Symbol des Nationalstolzes.
Auf ihrer 51. Fahrt kollidierte die Andrea Doria am 25. Juli 1956 auf dem Weg nach New York City vor der Küste von Nantucket mit der ostwärts fahrenden MS Stockholm, einem Passagierschiff der schwedischen Svenska Amerika Linien. Nach der seitlichen Kollision entwickelte die Andrea Doria schnell eine starke Schlagseite, wodurch die Hälfte der verfügbaren Rettungsboote nicht bemannt werden konnte. Fortschritte bei den Kommunikationsmitteln und die schnelle Reaktion anderer Schiffe verhinderten jedoch eine ähnlich verheerende Katastrophe wie 1912 bei der Titanic, sodass ein Großteil der Passagiere und der Besatzung überlebte. Auf der Andrea Doria wurden 1.660 Menschen gerettet, während 46 Menschen starben.[1] Am Morgen nach der Kollision kenterte der mittlerweile evakuierte Luxusliner und sank schließlich.
Ort und Umstände der Kollision erinnern stark an den Untergang des White Star Liners RMS Republic im Jahr 1909.
Der Unfall stieß auf großes Interesse in den Medien, hatte aber auch eine Vielzahl von Prozessen zur Folge. Nach der Andrea Doria sank kein weiteres großes transatlantisches Passagierschiff mehr. Die Passagierschiffahrt auf dem Nordatlantik wurde zunehmend durch den transatlantischen Flugzeugverkehr abgelöst.
Inhaltsverzeichnis
Technik
Merkmale
Die Andrea Doria hatte eine Länge von 212 Metern, eine Breite von 27 Metern und eine Tonnage von 29.100 BRT. Ihr Schwesterschiff hieß Cristoforo Colombo. [1] Das Antriebssystem bestand aus von Dampfturbinen getriebenen Zwillingsschrauben, die dem Schiff eine Reisegeschwindigkeit von 23 und eine Höchstgeschwindigkeit von 26 Knoten verliehen. Die Andrea Doria war als Luxusschiff konzipiert. Außerhalb der italienischen Flotte existierten allerdings noch größere und schnellere Schiffe – etwa die RMS Queen Elizabeth und die SS United States.
Als erstes die Südatlantikrouten befahrendes Schiff war die Andrea Doria mit drei auf Deck liegenden Schwimmbecken ausgestattet – einem für jede Klasse: Erste, Kabinen- und Touristenklasse. Auf zehn Decks[2] konnte das Schiff 218 Passagiere der ersten Klasse, 320 der Kabinenklasse und 703 Passagiere der Touristenklasse beherbergen. [1] Mit seinen Ausgaben für Kunst und Ausstattungsdekor von über einer Million US-Dollar – u.a. für eine lebensgroße Statue des Admiral Doria – wurde das Schiff vielfach als eines der schönsten Passagierschiffe bezeichnet, die je gebaut wurden.
Sicherheit und Seetüchtigkeit
Mit doppelwandigem Rumpf ausgestattet und mit Schotts in elf wasserdichte Abteilungen unterteilt, galt die Andrea Doria zudem als eines der sichersten Schiffe ihrer Zeit. Von den Schott-Abteilungen konnten sich zwei mit Wasser füllen, ohne hierdurch die Sicherheit des Schiffs zu gefährden. Auch verfügte es über ausreichend Rettungsboote, um das Schiff evakuieren zu können. Zusätzlich war die Andrea Doria mit dem damals modernsten Frühwarnradarsystem ausgestattet. Trotz technologischer Vorteile gab es jedoch auch eine Reihe schwerwiegender Mängel, die die Sicherheit und die Seetüchtigkeit beeinflussten.
So bestätigten sich die anhand von Tests am Modell gemachten Vorhersagen, dass das Schiff zu starker Schlagseite neigte, sobald es signifikanten Kräften ausgesetzt war. Dies ließ sich insbesondere während seiner Jungfernfahrt beobachten, als die Andrea Doria vor Nantucket nach einer großen Welle um 28 Grad krängte. Diese Tendenz machte sich insbesondere bei annähernd leeren Brennstofftanks – zumeist am Ende einer Fahrt – bemerkbar.[3]
Die Probleme mit der Stabilität des Schiffes wurden nach der Kollision untersucht, da sie maßgeblich am Kentern beteiligt waren und unter anderem bewirkten, dass ein Teil der Rettungsboote nicht genutzt werden konnte. Die Schotten reichten nur bis zur Spitze des A-Decks, sodass bei einer Krängung von mehr als 20 Grad Wasser aus gefüllten Abteilungen in benachbarte Abteilungen floss. Die Spezifikation des Designs erlaubte zudem das Absenken der Rettungsboote nur bis zu einer Krängung von 15 Grad. Oberhalb von 15 Grad konnte die Hälfte der Rettungsboote nicht zu Wasser gelassen werden.
Geschichte
Bauphase und Jungfernfahrt
Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges hatte Italien die Hälfte seiner Handelsflotte durch Zerstörung oder Reparationen verloren. Diese Verluste beinhalteten auch die Rex, die mit dem Blauen Band ausgezeichnet worden war. Zudem kämpfte der Staat mit einem Wirtschaftskollaps.[4] Um den Nationalstolz wiederzubeleben und der Welt zu demonstrieren, dass Italien sich von den Folgen des Krieges erholt hatte, bestellte die Società di Navigazione Italia in den frühen 1950er Jahren zwei neue Schiffe mit ähnlichem Design. Das erste Schiff war die Andrea Doria, das zweite – 1953 in Dienst gestellt – die nach Christoph Kolumbus benannte Christoforo Colombo.
Die Andrea Doria wurde als Yard Nr. 918 der Ansaldo-Werft in Genua (Sestri Ponente) gebaut. Am 9. Februar 1950 wurde auf dem Helgen Nr. 1 der Kiel gelegt. Der Stapellauf fand am 16. Juni 1951 statt. Während der Schiffstaufe wurde der Schiffsrumpf von Giuseppe Siri, dem Erzbischof von Genua gesegnet und von Giuseppina Saragat, der Frau des früheren Ministers der Handelsmarine getauft. Nach Maschinenproblemen während der ersten Erprobungsfahrten wurde die Jungfernfahrt vom 14. Dezember 1952 auf den 13. Januar 1953 verschoben.[5]
Auf seiner Jungfernfahrt war das Schiff bei der Anfahrt auf New York schweren Stürmen ausgesetzt, wodurch sich seine Ankunft um einige Minuten verzögerte. Die Andrea Doria vollendete ihre erste Fahrt am 23. Januar und wurde von einer Delegation – darunter der Bürgermeister von New York Vincent R. Impellitteri – empfangen. Später wurde die Andrea Doria zu einem der beliebtesten und erfolgreichsten italienischen Linienschiffe und war zumeist bis an die Grenzen ihrer Kapazität ausgebucht. Mitte 1956 vollendete sie ihre hundertste transatlantische Überquerung.
Die letzte Fahrt
Kollisionskurs
ungefähre Position zur Zeit der Kollision (franz. Seekarte
mit New York u. Nantucket ohne Seestraßen, 1947)Am Abend des 25. Juli 1956 befand sich die Andrea Doria mit 1.134 Passagieren und 572 Besatzungsmitgliedern an Bord unter dem Kommando von Kapitän Piero Calamai auf Westkurs in Richtung New York, dem Ziel der am 17. Juli in Genua begonnenen Überfahrt. Der Zeitplan sah ein Einlaufen in den New Yorker Hafen für den nächsten Morgen vor.
Zur gleichen Zeit befand sich die MS Stockholm – ein kleineres Passagierschiff, das am Mittag in New York abgelegt hatte – auf Ostkurs in Richtung des schwedischen Göteborgs. Der Kommandeur der Stockholm war Kapitän Harry Gunnar Nordenson. An diesem Abend hatte jedoch der dritte Offizier Johan-Ernst Carstens-Johannsen die Kontrolle über die Brücke. Die Stockholm verfolgte bei klarem Himmel ihren üblichen Kurs auf das Feuerschiff Nantucket mit 18 Knoten (33 Kilometer pro Stunde). Carstens schätzte die Sicht auf etwa 11 Kilometer.
Die Stockholm und die Andrea Doria bewegten sich in einer vielbefahrenen Schifffahrtsstraße aufeinander zu, nachdem die Andrea Doria zuvor einige Stunden durch dichten Nebel gefahren war. Der Kapitän hatte die üblichen Vorsichtsmaßnahmen bei Fahrt durch Nebel getroffen und die Geschwindigkeit leicht von 23 auf 21,8 Knoten gedrosselt, das Nebelhorn des Schiffs aktiviert und die wasserdichten Schotten geschlossen. Die Stockholm jedoch war noch nicht in die Nebelbank hineingefahren und sich dieser offenbar nicht bewusst.
Die Gewässer des Nordatlantik südlich von Nantucket sind häufig von sporadisch auftretendem Nebel betroffen, da an dieser Stelle der kalte Labrador-Strom auf den wärmeren Golfstrom trifft. Bei der nur durch Radar geleiteten Annäherung der Schiffe mit einer Gesamtgeschwindigkeit von 40 Knoten interpretierten offenbar beide Seiten den Kurs des jeweils anderen Schiffes falsch. Es gab keine Funksprüche zwischen den Schiffen.
In den Minuten vor der Kollision steuerte die Andrea Doria langsam in Richtung Backbord, um die Stockholm auf der Steuerbordseite zu passieren, während diese ihren Kurs um 20 Grad steuerbords verlagerte, um die Andrea Doria auf backbord mit großer Distanz zu passieren. Hierdurch steuerten beide Schiffe direkt aufeinander zu und verringerten ihren Abstand zueinander. Durch den die Andrea Doria umgebenden dichten Nebel waren sich die Schiffe beim ersten Sichtkontakt schon so nahe, dass sie trotz Ausweichmanöver eine Kollision nicht mehr verhindern konnten. Noch Momente vor dem Zusammenprall drehte die Stockholm hart steuerbord und versuchte durch Schubumkehrung der Propeller zu stoppen. Bei ihrem Versuch, der Kollision durch Geschwindigkeit zu entgehen, behielt die Andrea Doria ihre Reisegeschwindigkeit von annähernd 22 Knoten bei und steuerte hart nach Backbord. Um etwa 23:10 Uhr kollidierten die Schiffe.
Zusammenstoß und Durchbruch
Bei der Kollision durchbrach der Eisbrecherbug der Stockholm die Steuerbordseite der Andrea Doria etwa mittig der Länge und schnitt in drei Kabinendecks in einer Tiefe von etwa zwölf Metern auf. Die Kollision zerstörte viele besetzte Passagierkabinen und – in den tieferen Ebenen – einige wasserdichte Abteilungen. Zudem wurden fünf Treibstofftanks auf der Steuerbordseite der Andrea Doria aufgerissen und durch den Einbruch mit 500 Tonnen Meerwasser gefüllt. In den zu Überfahrtende annähernd leeren Treibstofftanks führte die eingeschlossene Luft auf der Gegenseite zu einer nicht korrigierbaren Krängung des Schiffes.
Unterdessen wurden die Maschinen der Stockholm angehalten und alle Schotten geschlossen. Die Schiffe griffen für etwa 30 Sekunden ineinander. Bei der Trennung der Schiffe wurde der zerstörte Bug der stationären Stockholm nach achtern entlang der Steuerbordseite der sich weiter bewegenden Andrea Doria gezogen und beschädigte diese so weiter. Die Andrea Doria fuhr danach im dichten Nebel noch rund 2 Seemeilen weiter. Beide Schiffe sandten nun Notrufe aus und erfuhren dabei die Identität des jeweils anderen Schiffes. Der Maydayruf der Andrea Doria lautete:
- SOS DE ICEH SOS HERE AT 0320 LAT. 40.30 N 69.53 W NEED IMMEDIATE ASSISTANCE
Entstandener Schaden
Unmittelbar nach der Kollision begann die Andrea Doria Wasser aufzunehmen und bekam Schlagseite nach Steuerbord, die binnen Minuten schon 18 Grad betrug. Grund für diese Instabilität war die zuvor versäumte Aufnahme von Meerwasser in die leeren Treibstofftanks, um als Ballast das fehlende Gewicht auszugleichen (Gegenfluten). Diese – von den Herstellern vorgesehene – Prozedur verteuerte das Auftanken des Schiffs. Durch das auf Steuerbordseite in die Tanks eindringende Wasser und die annähernd leeren Tanks auf Backbordseite wurde die Schlagseite deutlich verstärkt. In den nächsten Minuten stieg die Krängung des Schiffes auf über 20 Grad.
Im Maschinenraum versuchten die Schiffsingenieure vergeblich, das Wasser aus den gefluteten Steuerbordtanks zu pumpen. Die geringe Menge verbleibenden Treibstoffs und die durch die Krängung aus dem Wasser ausgetauchten Ansaugöffnungen machten es unmöglich, das Schiff noch zu stabilisieren. Durch das im Maschinenraum ansteigende Wasser fielen die Generatoren aus und verringerten die verfügbare Pumpenleistung weiter.
Auf der Stockholm war der gesamte Bug inklusive einiger Besatzungsunterkünfte geborsten. Anfänglich entwickelte das Schiff eine stark buglastige Lage, die sich jedoch nach Entleerung der Frischwassertanks bis auf zehn Zentimeter wieder auf normale Lage stabilisierte. Eine schnelle Untersuchung zeigte, dass sich die Schäden nur bis zum Bugschott zwischen der ersten und zweiten wasserdichten Abteilung erstreckten. Somit wurde das Schiff schon nach kurzer Zeit für stabil befunden.
Personenschäden
Auf der Stockholm gab es keine verletzten oder fehlenden Passagiere, jedoch wurde nach einigen fehlenden Besatzungsmitgliedern gesucht. Drei der Besatzungsmitglieder – die sich in ihren Kabinen im betroffenen Bugbereich aufgehalten hatten – starben sofort, zwei weitere erlagen später ihren Verletzungen.
Auf der Andrea Doria starben 46 Passagiere im Kollisionsbereich, davon zwei infolge der Rettungsaktion. Hunderte Passagiere waren verletzt, zum Teil als Folge der Schlagseite und im Zuge der Evakuierung. Einige Passagiere waren durch die Wucht des Aufpralls auf das Deck der Stockholm geschleudert worden, andere waren in zerquetschten Kabinen im Kollisionsbereich gefangen. Ein Großteil der Todesopfer entfiel auf die unteren Decks dieses Bereichs, die nahezu sofort vom Meerwasser geflutet wurden. Einige der Passagiere erhielten unmittelbar medizinische Betreuung, den Offizieren der Brücke war jedoch schnell klar, dass eine Evakuierung des Schiffs notwendig war. Diese auch unter besten Bedingungen nicht ungefährliche Prozedur wurde durch die starke Neigung des Schiffs noch weitaus problematischer.
Evakuierung
Binnen 30 Minuten nach Kollision wurde entschieden, das Schiff zu evakuieren. Eine für Passagiere und Besatzung ausreichende Anzahl Rettungsboote stand auf dem Bootsdeck zu beiden Seiten des Schiffes zur Verfügung. Die Planung sah vor, die Rettungsboote zum darunterliegenden Promenadendeck hinabzulassen und dort zu vertäuen. Die Passagiere sollten hier aus den Fenstern direkt in die Boote einsteigen können. Sobald voll besetzt, sollten die Boote hinabgelassen werden.
Die auf der Backbordseite befindliche Hälfte der Rettungsboote konnte jedoch aufgrund der schweren Schlagseite nicht hinabgelassen werden. Zusätzlich verkomplizierte dies den Ablauf auf der Steuerbordseite, sodass die Boote nicht auf Höhe des Promenadendecks vertäut werden konnten. Sie mussten zunächst unbemannt ins Meer hinabgelassen werden. Die Passagiere mussten auf Höhe des Wassers in die Boote gelangen, was mit Leinen, Jakobsleitern und einem großen Fischernetz gelang. Einige der Passagiere gerieten hierbei in Panik, sprangen über Bord oder ließen ihre Kinder zu den Helfern nach unten fallen.
Ein Notruf wurde per Funk zu anderen Schiffen weitergeleitet und weitere Rettungsboote dringend angefordert. Während andere Schiffe Kurs auf die Unglücksstelle nahmen, unterstützte auch der Kapitän der Stockholm – der sichergestellt hatte, dass die Sicherheit seiner Passagiere nicht unmittelbar gefährdet war – die Evakuierung der Andrea Doria mit einigen Rettungsbooten. In den ersten Stunden wurden viele der Überlebenden mit Rettungsbooten zur Stockholm transportiert.
Anders als beim Unglück der Titanic 44 Jahre zuvor befanden sich einige Schiffe in der Nähe, die auf den Notruf reagierten. Die Funkverbindung wurde über diese Schiffe weitergeleitet, da die Batterien der Andrea Doria nur eine begrenzte Reichweite zuließen. An Land wurden die Operationen der United States Coast Guard von einem Zentrum in New York aus koordiniert.
Einen Wendepunkt der Rettung stellte die Entscheidung des Kapitäns der SS Ile de France Baron Raoul de Beaudean dar, sein Schiff zu wenden, um an der Rettung teilzunehmen. Die Ile de France hatte am Vortag von New York nach Osten abgelegt und die westwärts fahrende Andrea Doria Stunden zuvor passiert. Sie verfügte über ausreichende Kapazitäten, um viele der Passagiere aufzunehmen. Während das Schiff durch den Nebel zurückfuhr, bereitete sich die Besatzung auf die Rettung vor.
Als de Beaudeans Schiff den Unglücksort weniger als drei Stunden nach der Kollision erreichte, lichtete sich der Nebel, sodass die Ile de France sicher die Steuerbordseite der Doria abschirmen konnte. Die gesamte Außenbeleuchtung der Ile de France wurde angeschaltet.
Die Ile de France rettete einen Großteil der verbliebenen Passagiere, indem ihre zehn Rettungsboote zur Andrea Doria und zurück pendelten und Schiffbrüchige aus Rettungsbooten anderer Schiffe aufgenommen wurden. Einige Passagiere der Ile de France gaben für die müden und durchnässten Geretteten ihre Unterkünfte her. Gegen Tagesanbruch war die Andrea Doria vollständig evakuiert.
Kurze Zeit später wurden ein vier Jahre altes, beim Beladen der Rettungsboote tödlich verletztes Mädchen und vier schwerverletzte Besatzungsmitglieder der Stockholm von Helikoptern der Küstenwache und der US Air Force ausgeflogen. Viele Passagiere wurden bei Ankunft in New York in Krankenhäuser eingeliefert.
Die Andrea Doria kentert und sinkt
Nach abgeschlossener Evakuierung richtete ihr Kapitän seine Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit, die Andrea Doria in flache Gewässer zu schleppen. Beobachtern der Szenerie war jedoch klar, dass sich das Schiff weiter auf die Seite legen und letztlich sinken würde.
Die Ile de France umkreiste als zeremoniellen Abschied die Andrea Doria drei Mal, bevor sie sich auf Kurs New York begab. Die Andrea Doria kenterte langsam. Durch Eintauchen des Bugs hob sich das Heck des Schiffes langsam an, sodass der Propeller sichtbar wurde. Von der versinkenden Backbordseite rissen sich noch einige der verbliebenen Rettungsboote los. Offiziell sank die Andrea Doria elf Stunden nach der Kollision, um 10:09 Uhr am 26. Juli. Mit Aufnahmen des versinkenden Schiffs gewann Harry A. Trask 1957 den Pulitzerpreis für die Tageszeitung Boston Traveler.
Nachspiel
Gerichtsverfahren und Ursachenforschung
Nach der erfolgreichen Rettung gab es in New York City über mehrere Monate hinweg Anhörungen zur Kollision. Die Eigner des Schiffes wurden hierbei durch prominente Seerechtsanwälte vertreten, die Opfer und deren Familien durch dutzende Privatanwälte. Offiziere beider Schiffslinien sagten aus, darunter auch die zum Zeitpunkt der Kollision diensthabenden Offiziere. Die Anhörungen endeten, als eine außergerichtliche Einigung erzielt wurde. Möglicherweise mit entscheidend hierfür dürfte die Tatsache gewesen sein, dass beide Schiffe bei derselben Versicherung, Lloyd’s of London, versichert waren.
Beide Schiffslinien zahlten in einen gemeinsamen Opfer-Fonds ein. Beide Gesellschaften hatten zudem ihre eigenen Schäden zu tragen: Im Falle der Schwedisch-Amerikanischen Linie wurden diese auf etwa 2 Millionen US-Dollar geschätzt, von denen jeweils die Hälfte auf Reparaturen der Stockholm und Geschäftsausfälle entfielen. Die italienische Linie verlor den Gesamtwert der Andrea Doria – geschätzte 30 Millionen US-Dollar.
In einer Anhörung durch den US-Kongress wurden besonders der fehlende Ballast der Andrea Doria und die dadurch mangelhafte Leckstabilität festgestellt. Obwohl dichter Nebel als Hauptgrund für die Havarie angegeben wurde und dieser immer ein ernstzunehmendes Problem für die Schifffahrt darstellt, wurden auch andere Gründe genannt:
- Die Offiziere der Andrea Doria hatten die Prozeduren nicht korrekt befolgt und weder Radargerät noch Navigationsausrüstung des Kartenraums benutzt, um Position, Kurs und Geschwindigkeit der Stockholm zu berechnen.
- Die damaligen und heutigen Kollisionsverhütungsregeln verlangen, dass ein Schiff das andere Backbord an Backbord passiert und im Falle möglicher frontaler Kollision nach steuerbord ausweicht, wurden jedoch von der Andrea Doria nicht eingehalten.[6] Stattdessen drehte die Doria nach backbord ab und verringerte damit den Abstand zur korrekt ausweichenden Stockholm.
- Andrea-Doria-Kapitän Calamai fuhr trotz des dichten Nebels mit hoher Geschwindigkeit. Diese unter Passagierlinien verbreitete Praxis widerspricht den Richtlinien, nach denen bei reduzierter Sichtweite die Geschwindigkeit soweit reduziert werden muss, dass das Schiff in halber Sichtweite zum Stillstand kommen kann. Dies hätte jedoch in der Praxis eine Reduzierung auf nahezu Null bedeutet.
- Die Stockholm und die Andrea Doria waren vor der Kollision unterschiedlichen Wetterbedingungen ausgesetzt gewesen. Während die Andrea Doria bereits Stunden durch Nebel fuhr, war die Stockholm gerade erst in die Nebelbank hineingefahren. Der kommandierende Offizier der Stockholm glaubte deshalb, bei der für ihn nicht sichtbaren Andrea Doria handele es sich um ein sehr kleines Fischerboot oder um ein verdunkeltes Kriegsschiff bei einem Manöver. Er sagte aus, ihm sei völlig unklar gewesen, dass es sich um ein schnell fahrendes Passagierschiff gehandelt habe.
- Die Brennstofftanks der Andrea Doria wurden leer gefahren, statt sie mit Meerwasser zu füllen, wie dies von den Schiffbauingenieuren vorgesehen gewesen war. Hierbei handelte es sich um eine verbreitete Praxis: Die leeren Tanks bewirken eine höhere Lage des Schiffs im Wasser, was den Widerstand und damit bei gegebener Geschwindigkeit den Brennstoffverbrauch verringert. Der fehlende Ballast trug jedoch wahrscheinlich maßgeblich zur Schlagseite und zum späteren Kentern des Schiffs bei.
- Ein womöglich fehlendes Schott nahe dem Maschinenraum könnte ebenfalls zu den Problemen der Andrea Doria beigetragen haben.
Beide Schiffslinien wollten die Diskussion um strukturelle Probleme und fehlende Stabilität der Andrea Doria möglichst aus der Öffentlichkeit halten, denn auch die Betreiber der Stockholm hatten ein neues Schiff, die Gripsholm, bei den italienischen Ansaldo-Werften in Auftrag gegeben.[3] Die Anhörungen wurden beendet, bevor die Designer und Ingenieure der Andrea Doria aussagten.
Folgen
Die Kollision der Andrea Doria führte in den Folgejahren zu einigen Veränderungen des Schifffahrtsreglements, die eine Wiederholung solcher Kollisionen verhindern sollten. Unter anderem wurden die Betreiber verpflichtet, die Ausbildung an der Radarausrüstung zu verbessern. Eine weitere Veränderung war die Notwendigkeit, dass sich annähernde Schiffe Funkkontakt miteinander aufnehmen mussten.
Spätere Untersuchungen
Durch spätere Untersuchungen mittels besserer Unterwassertechnologie und Computersimulationen wurden weitere Details bekannt:
- Nähere Untersuchung des Kollisionsbereichs der Andrea Doria zeigten, dass der Bug der Stockholm weitaus mehr Schaden angerichtet hatte, als 1956 angenommen wurde. Die Frage nach dem womöglich fehlenden Schott ist deshalb – obwohl noch immer ungeklärt – müßig, die Andrea Doria wäre selbst mit dem Schott gesunken.
- Captain Robert J. Meurn von der United States Merchant Marine Academy behauptet nach eingehenden Studien und Computersimulationen, der dritte Offizier der Stockholm Carstens-Johannsen habe die Radardaten fehlinterpretiert und die Entfernung zwischen den Schiffen gravierend falsch geschätzt. Die Radareinstellungen seien schlecht gewählt und die Entfernungsangaben seien schlecht ablesbar gewesen.
Das Wrack
Aufgrund der luxuriösen Aufbauten und des vergleichsweise guten Zustands des Wracks, dessen Oberseite in zunächst nur 50 Metern Wassertiefe lag, ist die Andrea Doria ein beliebtes Ziel von schatzsuchenden Tauchern und wird von diesen als „Der Mount Everest des Tauchens“ bezeichnet.
Einen Tag nachdem die Doria sank, spürten die Taucher Peter Gimbel und Joseph Fox das Wrack auf und veröffentlichten Bilder im TIME-Magazin. Gimbel leitete später eine Reihe von Bergungsoperationen, bei denen unter anderem 1981 der Safe der ersten Klasse geborgen wurde. Als dieser 1984 in einer Live-Übertragung des Fernsehens geöffnet wurde, befand sich darin jedoch wenig mehr als amerikanische Silberdevisen und italienische Banknoten. Die Schiffsglocke der Doria wurde in den späten 1980er Jahren geborgen, ebenso die Statue des namensgebenden Admirals Andrea Doria – die hierzu zerschnitten werden musste.
Das Wrack ist mittlerweile durch den jahrzehntelangen Verbleib im Seewasser stark verfallen. Der Rumpf ist zerbrochen und eingefallen und die oberen Decks haben sich langsam vom Wrack in den Meeresgrund darunter verschoben. Als Resultat ist der Rumpf von zahlreichen Trümmern umgeben. Einstmals beliebte Taucherziele – wie das „Gimbel’s Hole“ – existieren nicht mehr. Taucher bezeichnen die Doria als „lautes“ Wrack, da der kontinuierliche Verfall und von der Strömung bewegte Metallstücke zahlreiche Geräusche verursachen. Dennoch ist das Wrack noch immer interessant für Taucher: durch die Veränderungen entstehen auch immer wieder neue Zugänge zu vormals unzugänglichen Bereichen.
Rezeption
Udo Lindenberg besingt das Schiff 1974 in seinem Lied „Alles klar auf der Andrea Doria“.
In der fiktiven Handlung des Romans Im Sturm von Tom Clancy versteckt sich ein russisches Atom-U-Boot der Victor-Klasse nahe dem Wrack der Andrea Doria, um die am Wrack herrschenden Schallbedingungen und Strömungsgeräusche zur Tarnung zu nutzen.
In der fiktiven Handlung des Romans Serpent (englischer Titel) von Clive Cussler dient das Wrack der Andrea Doria als Bühne für einen Thriller, in dem die National Underwater and Marine Agency (NUMA) im Mittelpunkt steht.
Weblinks
- Andrea Doria, das Schiff und der Untergang (aus www.jaganaud.de)
- Website eines Mannes, der mit seiner Mutter als 3-Jähriger den Untergang der Andrea Doria erlebte (englisch)
- Story of a Stockholm Crewmember
- A reconstruction of the Andrea Doria/Stockholm collision
- The Great Ocean Liners
Einzelnachweise
- ↑ a b c Comparison Chart. PBS Online - Lost Liners.
- ↑ Passenger Accommodation Deck Plan. Andrea Doria: Tragedy and Rescue at Sea.
- ↑ a b Othfors, Daniel. Andrea Doria. The Great Ocean Liners.
- ↑ Andrea Doria. LostLiners.com.
- ↑ The Ships: Andrea Doria. Andrea Doria: Tragedy and Rescue at Sea.
- ↑ Navigation Rules Online (12. Juli 2005). U.S. Coast Guard - Navigation Center.
40.491666666667-69.85Koordinaten: 40° 29′ 30″ N, 69° 51′ 0″ W
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