- Sacre Du Printemps
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Le sacre du printemps. Tableaux de la Russie païenne en deux parties (dt.: Die Frühlingsweihe. Bilder aus dem heidnischen Russland in zwei Teilen) ist die 1913 komponierte dritte der drei großen Ballettmusiken, die Igor Strawinski vor dem ersten Weltkrieg für das Ballets Russes von Sergei Djagilew komponiert hat. Es gilt aufgrund außergewöhnlicher rhythmischer und klanglicher Strukturen als ein Schlüsselwerk der Musik des 20. Jahrhunderts.
Inhaltsverzeichnis
Anlass und Entstehung
Die Entstehung des Werkes ist kaum denkbar ohne Djagilew und sein russisches Ballett, das 1909 bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs in Paris ein Motor der künstlerischen Avantgarde war. Djagilew war es, der Strawinski nach Paris holte, um die Musik für Der Feuervogel zu komponieren, nachdem der zunächst damit betraute Anatol Liadow zeitlich in Verzug geriet. Der Erfolg des Ballettes begründete praktisch über Nacht Strawinskis Weltruhm, an den er auch mit Petruschka, der zweiten Ballettmusik für Djagilew, anknüpfen konnte. Zu der Zeit hatte Strawinski längst eine Vision für ein weiteres Ballett:
„Als ich in St. Petersburg die letzten Seiten des ,Feuervogels‘ niederschrieb, überkam mich eines Tages – völlig unerwartet, denn ich war mit ganz anderen Dingen beschäftigt – die Vision einer großen heidnischen Feier: Alte weise Männer sitzen im Kreis und schauen dem Todestanz eines jungen Mädchens zu, das geopfert werden soll, um den Gott des Frühlings günstig zu stimmen. Das war das Thema von ,Le sacre du printemps‘.“
– Igor Strawinski (übersetzt)
Skandal bei der Uraufführung
Die Uraufführung fand am 29. Mai 1913 im Théâtre des Champs-Élysées in Paris statt. Während Djagilew sich wohl insgeheim einen Skandal erhoffte, rechneten die Mitwirkenden, Strawinski eingeschlossen, offenbar nicht damit. Zwar erforderte das Neuartige an der Partitur unzählige Proben für Orchester und Tänzer (ein modernes Sinfonieorchester bewältigt den Sacre mittlerweile im üblichen Probenrahmen einer Arbeitswoche), die aber nicht von offensichtlichen Widerständen begleitet waren. Bereits vom ersten Ton des für damalige Verhältnisse extrem hohen Fagottsolos an war Gelächter zu hören, das dann in beispiellosen Tumult überging. Es war der stoischen Ruhe des Dirigenten Pierre Monteux zu verdanken, dass die Aufführung überhaupt zu Ende gespielt werden konnte (Die Vorgänge wurden in vielen Augenzeugenberichten festgehalten, unter denen die von Igor Strawinski selber und von Jean Cocteau immer wieder zitiert werden). Auch wenn der Skandal Strawinski endgültig zur Berühmtheit machte, verletzte ihn die Reaktion sehr und er gab nicht zuletzt Vaslav Nijinsky die Schuld, der in seinen Augen den Sacre choreografisch nicht bewältigte. Der große Erfolg, den das Werk dann in der konzertanten Aufführung ebenfalls unter Pierre Monteux 1914 hatte, scheint Strawinski auch recht zu geben, wobei sich allerdings die Einstellung des Publikums zu den musikalischen Besonderheiten schon dadurch geändert haben kann, dass es darauf gefasst war.
Stellung in Strawinskis Gesamtwerk
Die drei Ballette zeigen Strawinskis Weg, von den Stilmitteln des Impressionismus eines Claude Debussy ausgehend mehr und mehr zu einem scharfen „expressionistischen“ Klangeindruck zu kommen. Auch die Orchesterbehandlung entwickelt sich zu immer selbstbewussteren Experimenten mit den Möglichkeiten in der Instrumentation. Das thematische Material bezieht Strawinsky aus Sammlungen osteuropäischer Volkslieder. Der Sacre repräsentiert zudem im bisherigen Werk Strawinskys die kompromissloseste „Modernität“. Den hier eingeschlagenen Weg verfolgt Strawinski vor allem in Les Noces, einer stilisierten russischen Bauernhochzeit, und in L’histoire du soldat, deren Sujet der Märchensammlung von Nikolai Afanassjew entlehnt ist, weiter. Das letztere Werk enthält aber bereits eine unverkennbare Tendenz zur Verfremdung traditioneller Genres wie Marsch, Choral, Walzer oder Tango und bedeutet damit zugleich auch die Abkehr von explizit „russischem“ Material. Mit dem Ballett Pulcinella, das ausschließlich auf italienischer Barockmusik, größtenteils von Giovanni Battista Pergolesi, beruht, wendet sich Strawinsky dem sogenannten Neoklassizismus zu. Die Abkehr vom riesenhaften Orchester ist dabei auch äußeren Umständen geschuldet, die die Gelegenheit für großes Orchester zu komponieren vorübergehend einschränkten. Am meisten bewahrt sich im späteren Werk seine Harmonik, die aus gegeneinander strebenden Dreiklangschichten aufgebaut wird, auch wenn es in dieser Dichtheit nicht mehr vorkommen wird.
Handlung
Das Ballett stellt nicht im üblichen Sinne eine Geschichte dar, sondern beschreibt ein Frühlingsopfer im heidnischen Russland. In dessen Verlauf wird eine auserwählte Jungfrau in einem Ritual dem Frühlingsgott zur Versöhnung geopfert. Das Ballett teilt sich in zwei Teile. Im ersten Teil, der „Anbetung der Erde“, wird das rituelle Opfer vorbereitet: Verschiedene Stämme kommen zusammen und vollziehen einen Verlauf von Handlungen nach, die nahtlos ineinandergreifen. Das eigentliche Opfermotiv ist in diesem ersten Teil noch ausgespart, stattdessen werden die rivalisierenden (Kampf-)Spiele zwischen den Stämmen und Geschlechtern dargestellt und vertont. Erst im zweiten Teil, überschrieben mit „Das Opfer“, wird der Blick auf das Schicksal einer einzelnen, auserwählten Jungfrau fokussiert, die sich nach einem ausgedehnten Verherrlichungs- und Ahnenritual zu Tode tanzt. Strawinsky selbst dazu:
„Im ‚Sacre du Printemps‘ wollte ich die leuchtende Auferstehung der Natur schildern, die zu neuem Leben erweckt wird (…) , die Auferstehung der ganzen Welt.“
– Igor Strawinski (übersetzt)
Teil 1: „Die Anbetung der Erde“
Bereits die Introduktion zum ersten Teil überrascht durch ein ungewöhnlich hohes Fagottsolo, zu dem sich nach und nach die übrigen Holz- und Blechbläser gesellen. Obschon anfangs ruhig, steigert sich das Klanggeschehen zu einem undurchschaubaren Vorhang von Klangfetzen, der plötzlich abreißt und das anfängliche Fagottsolo in der entstehenden Leere schweben lässt, diesmal einen Halbton nach unten transponiert. Aus einem ruhigen Übergang bricht jäh das zweite Stück, die Vorboten des Frühlings – Tanz der jungen Mädchen, mit hämmernden Streichern und zerbrochener Rhythmik hervor. Heftige Einwürfe von Blechbläsern zerreißen immer wieder die Luft; überraschend kommt der Wirbel mit einem Mal zum Erliegen, während Pauken und große Trommel sich krachend hervortun. Nach diesem Einschnitt staut sich die Stimmung erneut allmählich auf und mündet in einem rasenden Durcheinander, das unmittelbar in die Entführungsspiele übergeht. Schwere, wuchtige Schläge der großen Trommel und markante Paukenrhytmen dominieren diesen straffen Teil. An ihn schließt sich eine rastlose, flatternde Überleitung an, bestehend aus Streichern und Tutti-Einwürfen des Orchesters, die nach vier finalen Schlägen zum Erliegen kommt und Platz macht für eine ruhige Klarinettenmelodie, die durchgehend von Trillern in den Flöten untermalt wird. Diese Phase der Entspannung wird anschließend von den Frühlingsreigen aufgegriffen, die allerdings diese vorangehende Heiterkeit in schwere, düstere Rhythmik verkehren, die (fast mehr symbolisch denn tatsächlich hörbar) von mezzoforte-Schlägen der großen Trommel auf den Hauptzählzeiten untermalt wird. Das Thema, das nur aus einem dreifach wiederholten Akkord mit ansteigender Bassuntermalung besteht, wird von den Streichern zu den Blechbläsern und wieder zurück gegeben, ohne seine grundlegende Dynamik zu verändern. Dann brechen ohne jede Vorwarnung die Pauken durch und peitschen das Thema jäh zum Tutti-Fortissimo hoch, das die vorherige düstere Grundstimmung zu Rage werden lässt; schrill verbeißen sich die Blechbläser in das Thema, während die Pauken immer wieder mit ihren vier heftigen und charakteristischen Crescendo-Schlägen das gesamte Orchester vorantreiben. Gerade, wenn sich das Thema zu erschöpfen beginnt, schließt sich die bereits vorher gehörte Überleitung, diesmal etwas variiert, an und bricht auch hier wieder in die Klarinettenmelodie zusammen. Anders als zu Beginn der „Frühlingsreigen“ jedoch könnte der Kontrast durch die folgenden Spiele der rivalisierenden Stämme, die urplötzlich einsetzen, nicht krasser sein: Auftakt und hervorstechendstes Merkmal dieses Stückes sind die Pauken, die mit unbarmherziger Härte und quasi solistisch eine Tonfolge herunterhämmern. Das parallel entwickelte Thema des Orchesters mündet nach kurzer Verarbeitung und einem vorläufigen Höhepunkt in spannungsgeladenen, langgezogenen Tönen der tiefen Blechbläser. Gleichzeitig setzt die große Trommel mit wuchtigen Akzenten ein und präsentiert neben den Bläsern einen ungewöhnlichen Rhythmus, indem sie unbeirrbar einen Dreivierteltakt gegen den übrigen Viervierteltakt setzt. Dieses sture Beharren auf dem eigenen Metrum und das Hinzutreten des Tam-Tams zu einer unheimlichen und bis zum Zerreißen gespannten Atmosphäre bereitet die Prozession des alten Weisen vor, die urplötzlich mit schrillen, schneidenden Schreien der Trompeten einsetzt. Im gleichen Moment, in dem dieses primitiv und roh klingende Tutti hervorbricht, wechselt die Taktart zu einem 6/8-Takt, in dem nicht nur die dominierenden Blechbläserstimmen synkopisch verschoben sind, sondern auch das Schlagwerk in Duolen und Quartolen unter dem Metrum stolpert. Die Krönung bildet die ungewöhnlichem Verwendung einer Ratsche als Orchesterinstrument, die das wirbelnde Geschehen der Blechbläser mit gleichmäßiger, nervenzerfetzender Geräuschkulisse untermalt. Nachdem die Prozession jäh abbricht, herrscht für einen Moment Ruhe – der Kuss der Erde wird durch tiefe, ruhige Liegetönen der Holzbläser, Pizzicati in den Celli und verhaltenen Schlägen auf der Pauke untermalt, während sich der alte Weise auf die Knie herablässt und die Erde küsst. Gebannt und regungslos bleibt die Kulisse, bis dieses Ritual vollbracht ist; dann leitet ein Wirbel der großen Trommel den Tanz der Erde ein, der mit stetigen Pauken, scharfen Crescendi des Tam-Tams und einem mehr und mehr „aufwärts stolpernden“ Orchester auf einen verheerenden Höhepunkt zustrebt, diesen erreicht und jäh abreißt, so dass die plötzliche, drückende Stille das Ende des ersten Teils verkündet.
Teil 2: „Das Opfer“
Die Introduktion zum zweiten Teil beginnt mit gequälten Orchesterpassagen. Ruhig, aber lamentierend wird ein Thema entwickelt, das eine Weile lang mit teils karger Orchestrierung im Verdeckten gehalten und im darauf folgenden Mystischen Reigen der jungen Mädchen von den Violen im sechsfachen Divisi aufgegriffen und weitergesponnen wird, bis die Holzbläser eine zweite, zarte Melodie einzuwerfen wissen. Ohne sich gegenseitig zu durchdringen werden beide Themen ohne bedeutsame Weiterentwicklung beibehalten. Plötzlich wagen gedämpfte Hörner einen Einwurf, der das erste Mal noch ohne Erfolg bleibt, beim zweiten Mal jedoch das Orchester in einem einzigen, aufwärts gerichteten Crescendo kollabieren lassen. Es folgen elf kraftvolle Schläge des Schlagwerks und der Streicher, die die Verherrlichung der Auserwählten einleiten: Eines der vorher tanzenden Jungen Mädchen wird plötzlich in die Mitte des Kreises gestellt und zum Opfer erwählt. Die Darstellung dieses Rituals findet kaum Zeit zur Entwicklung nennswerter Themen; lediglich Klangfetzen und stets wiederholte Motive bauen die Kulisse dieses zerstörerisch anmutenden Teils auf, der das erste Mal nach der mehrminütigen Ruhe zu Beginn des zweiten Teils wieder zum alten Stil des „Sacre“ zurückführt. Zwischenzeitlich zieht er sich in ein unterdrücktes Pizzicato der Streicher zurück, während die Pauken mit einer markanten Repetition Platz finden, dann jedoch kehrt er zurück zu seinem Anfang und vollzieht ein zweites Mal die gleiche Abfolge von Rhythmen und bruchstückhaften Motiven nach. Plötzlich gerät dieses Ritual ins Stocken; dann zerschlägt das Orchester in der Anrufung der Ahnen mit langgezogenen, dumpfen Bassstimmen und Wirbeln und Schlägen der großen Trommel und der Pauken die kurze Stille. Das einzelne Thema dieses Abschnitts ist markant, beschränkt sich jedoch lediglich auf rhythmisch charakteristische Sekundschritte. Nach einem letzten Aufbäumen sinkt die brutale Dynamik in sich zusammen und leitet die Rituelle Handlung der Ahnen ein, die mit Tambourinschlägen und einzelnen eigentümlichen Aufwärtsskalen tiefer Holzbläser beginnt. Die verhaltene, unheimliche Stimmung wird durch ein einfaches Thema in gedämpften Trompeten unterstützt, das mit einem Mal mit gesteigerter Dynamik von der gesamten Blechbläsergruppe intoniert wird. Eine gedehnter Zwischenteil verzögert die Entwicklung kurz, bis schließlich das gesamte Orchester in einem einzigen, kraftvollen, pulsierenden Stampfen das Hauptthema zum Höhepunkt treibt und anschließend wieder in die verhaltene Stimmung zusammenfällt, die zu Beginn des Stückes herrschte. Dann, nach einer kurzen überleitenden tiefen Passage der Klarinetten, beginnt das eigentliche und finale Opfer: Die Auserwählte, die ihre eigene Anbetung und die Ahnenbeschwörung bis dahin noch regungslos als Mittelpunkt aller Handlung verfolgt hat, beginnt nun ihren Opfertanz. Zuerst zeigt dieser noch eine zerbrochene Rhythmik, das Thema wird hauptsächlich durch scharfe Crescendi des Orchesters und rhythmisch markante Terzen in den Pauken aufgebaut. Nach einer ersten vollständigen Entwicklung dieses Themas fällt die Stimmung erneut zusammen; die chaotisch rhythmische Struktur des Stückes bleibt erhalten, indem ein gleichbleibender Streicherakkord ohne erkennbare Ordnung mit Pausen aneinandergereiht wird. Ein schneidender Einwurf der Trompeten und Posaunen gipfelt in harten Paukenschlägen, die an jene in den „Vorboten des Frühlings“ des ersten Teils erinnern. Streicherakkorde und Einwürfe werden anschließend mit wechselnder Dynamik weiterentwickelt, bis das Orchester nach einem wirbelnden Höhepunkt urplötzlich zum Stillstand kommt; es schließt sich erneut der bekannte Tanz der Auserwählten an, diesmal einen Halbton nach unten transponiert ähnlich der Introduktion des ersten Abschnitts. Und obschon der Beginn des Opfers bereits den Höhepunkt des Chaos darzustellen scheint, indem sich beispielsweise im Tanz der Auserwählten unmittelbar 2/8- mit 3/8- und 5/16-Takten abwechseln, wird bei der nun folgenden zweiten Hälfte des Opfertanzes klar, dass bis dahin auch noch mehr der Ritus als das Menschenopfer dominierte; es folgt ein verheerendes Tutti, in dem das Schlagwerk mit erbarmungslosem Einsatz eine Kulisse von Vernichtung schafft. Einzelne Themenfetzen des vorherigen Opfertanzes sind noch enthalten, doch sie haben nicht mehr die sachliche, rituelle Bedeutung wie noch zu Beginn, sondern charakterisieren in ihrer puren Ekstase nunmehr tatsächlich das Opfer, den gewollten und selbst herbeigeführten Tod des jungen Mädchens. Scheinbar erschöpft bricht das Orchester nach kurzer Zeit etwas zusammen, staut sich erneut auf und wird von durchgehenden Schlägen des Schlagwerks in einem finalen Crescendo zum einem Höhepunkt getrieben, aus dem plötzlich nur eine einzelne Flötenstimme hervorgeht: Sie hält die Spannung der jähen Unbeweglichkeit noch für einen Moment und löst sich dann selbst auf. Ein mächtiger Tutti-Schlag des gesamten Orchesters stellt schließlich den Höhepunkt und gleichzeitig den unabwendbaren, barbarischen Schluss des gesamten Werkes dar: Das junge Mädchen bricht tot zusammen.
Kompositorische Besonderheiten
Viele „Markenzeichen“ des Sacre lassen sich bereits an den Anfangstakten des Dance des Adolescentes (dt.: „Tanz der jungen Mädchen“) demonstrieren.
Polytonalität
Ansätze zu einer Polytonalität, die Debussy bereits in seinem Werk verfolgte, werden in Strawinskis Petruschka zu einem konsequenten harmonischen Prinzip. Charakteristisch ist hier der Zusammenklang von Durdreiklängen im Tritonusabstand (v. a. C-Dur und Fis-Dur).
In Le sacre du printemps wird dieses Prinzip weiter entwickelt: Dur- und Mollakkorde mit gleichem Grundton werden übereinander geschichtet, Septakkorde und ihre Umkehrungen in die Schichtungen einbezogen oder zwei Molltonarten im Halbtonabstand übereinandergelagert. Bei dem exzessiv wiederholten Streicherakkord des Danse des Adolescentes handelt es sich um eine Kombination aus E-Dur (in der Partitur enharmonisch umgedeutet nach „Fes-Dur“) und der ersten Umkehrung eines Es-Dur Septakkordes.
Eine andere Methode ist die Parallelverschiebung eines dissonanten Akkordes über die Töne einer in der Regel diatonischen Tonleiter.
Charakteristisch ist, dass im Sacre zwar eine dissonanzenreiche Harmonik entsteht, allerdings ganz in impressionistischer Tradition der konsonante Anteil betont wird, indem beispielsweise in Lage und Instrumentation die einzelnen Dreiklänge heraushörbar bleiben oder indem Hauptthemen in Terzen erscheinen, die sich einer diatonischen Tonleiter zuordnen lassen. Le sacre du printemps gilt insoweit auch nicht als atonales Werk im Sinne von Arnold Schönbergs Klavierstück op. 11/3.
Polyrhythmik
Ein weiteres zentrales Element ist die Übereinanderschichtung verschiedener Rhythmen, die Polyrhythmik. Dabei spielen verschiedene Instrumente gleichzeitig gegenläufige Rhythmen, die zum Teil auch in verschiedenen Taktarten notiert sind. Stravinski setzte diese Technik bereits in früheren Werken (z. B. Petruschka) ein.
Klangliche und motivische Schichtung
Der Eindruck des „Primitiven“ im Sinne von „vorzeitlich“ wird oft durch die Übereinanderschichtung von sich ständig wiederholenden musikalischen Motiven (Ostinati) erzeugt. Ein Ostinato der tiefen Instrumente wird nach und nach von immer weiteren Ostinati anderer Instrumentengruppen überlagert, zu denen dann gelegentlich auch eine dominierende Melodie tritt (siehe hierzu die Beschreibung von Rondes printanières [dt.: „Frühlingsreigen“]). Auch diese entwickelt oft genug ostinaten Charakter, indem sie irgendwann nur noch um sich selbst zu kreisen scheint. Diese Technik ersetzt eine motivische Entwicklung im Sinne traditioneller Sinfonik und wirkt dieser gegenüber – ganz dem Sujet entsprechend – formal wesentlich primitiver.
Verwendung von osteuropäischen Volksweisen
Strawinski behauptete, dass lediglich das Fagottsolo des Anfangs auf eine litauische Volksweise zurückginge. Tatsächlich ließ sich nachweisen, dass eine beträchtliche Anzahl der verwendeten Melodien ihren Ursprung in einer von Nikolai Rimski-Korsakow herausgegebenen Sammlung osteuropäischer Volksmelodien haben und Strawinski dies aus unerfindlichen Gründen leugnete. [1]
Quellen
- ↑ Malcolm MacDonald, Vorwort zur Partitur Boosey & Hawkes 1997
Literatur
- Heinrich Lindlar (Hrsg.): Igor Strawinsky. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1982
- Igor Strawinsky: Erinnerungen, Musikalische Poetik, Antworten auf 35 Fragen. Zürich: Atlantis + Mainz: Schott, 1957
Weblinks
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