Sadik Ahmet

Sadik Ahmet

Sadık Ahmet (griechisch Σαδίκ Αχμέτ; * 7. Januar 1947 in Komotini; † 24. Juli 1995 in Komotini) war türkischer Politiker der griechischen Politik und Chirurg. Er war ein bedeutender Vertreter der Türken in Westthrakien.

Ahmet hatte zu seiner Lebzeit verschiedene Positionen belegt, darunter als unabhängiger Abgeordneter im griechischen Parlament, als Vorsitzender des Ausschusses für Minderheitenangelegenheiten und als Parteivorsitzender der von ihm gegründeten Partei der türkischen Minderheit, der Partei der Freundschaft, der Gleichheit und des Friedens (türk.: Dostluk – Eşitlik – Barış Partisi, griech.: Κόμμα Ισότητας, Ειρήνης και Φιλίας), deren Vorsitzender er bis zu seinem Tod blieb.

Seine politischen Aktivitäten waren geprägt von Protestreaktionen gegen Griechenlands Politik des alleinigen Bekenntnisses zur griechischen Identität und gegen die seit 1955 im Zuge der Zypernkrise und des Pogroms von Istanbul staatlich etablierten Diskriminierungen und Isolation der türkischen Minderheit Griechenlands.[1], der er selbst angehörte. Sein Wirken hat ab Mitte der 80er Jahre dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit diverser Menschenrechtsorganisationen, allen voran der Helsinki Watch (heute Human Rights Watch), auf die aus seiner Sicht bezüglich bestimmter Kriterien diskriminierende Minderheitenpolitik Griechenlands zu lenken, welche später auch von der Human Rights Watch hinsichtlich bestimmter Kriterien als diskriminierend festgestellt wurde. [2]

Gegen Sadık Ahmet wurden mehrmals gegen die Meinungsfreiheit verstoßende Prozesse eingeleitet. Insgesamt wurde er als Ergebnis dieser Prozesse einmal inhaftiert.

Inhaltsverzeichnis

Politisches Leben

Wahl ins Parlament

Ab Mitte der 80er Jahre war Sadık Ahmet der politische Führer der türkischen Minderheit Griechenlands.[3]

Bei den Parlamentswahlen am 18. Juni 1989 wurde er als Vertreter der türkischen Minderheit zum unabhängigen Abgeordneten im griechischen Parlament. Da aus diesen Wahlen keine Regierungsbildung hervorging, fanden die nächsten Parlamentswahlen schon fünf Monate später, am 5. November 1989, statt. Aus Sicht der Human Rights Watch fanden die wahrscheinlich ungeheuerlichsten Aktionen des griechischen Staates bezüglich der Leugnung von ethnischer Identität der türkischen Minderheit statt, als nach den Juniwahlen Gerichtsprozesse gegen Sadık Ahmet und İbrahim Şerif (ein weiterer Minderheitenabgeordneter) angestrengt wurden. [4] Zunächst wurde dem neu gewählten Abgeordneten Sadık Ahmet seine Kandidatur für die Novemberwahlen „aus technischen Gründen“ aberkannt. [5] Sadık Ahmet wurde daraufhin vor Gericht geladen und u.a. dafür angeklagt, dass er im Oktober während seiner Wahlkampagne namentlich auf die Ethnie der türkischen Minderheit verwiesen hatte und dass er „durch die Nutzung des Wortes Türkisch die Bürger offen oder indirekt zu Gewalt oder zur Erzeugung von Abspaltungen unter der Bevölkerung“ angeregt hätte. Sadık Ahmet wurde dann am 26. Januar 1990 am Ende der Gerichtsverhandlungen wegen „Störung der Öffentlichen Ordnung“ für schuldig erklärt und zu einer Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt, kam allerdings nach zwei Monaten nach internationalen Protesten frei, indem seine Reststrafe in Geldstrafe umgewandelt wurde.

Gerichtsverfahren gegen Ahmet und anschließende pogromartige Ausschreitungen in Komotini

Bei den durch internationale Beobachter mitverfolgten und durch das niederländische Fernsehen mitgefilmten Gerichtsverhandlungen kam es zu Wutausbrüchen und Beschimpfungen seitens der Richter und des Staatsanwalts sowie zu Tumulten unter den Zuhörern. Es fielen auf die Verteidigungen der Angeklagten, sie wären türkischer Abstammung, richterliche Worte wie „Warum gehst du dann nicht in die Türkei?“ oder an Sadık Ahmet gerichtete Worte des Staatsanwalts wie „Dein Ende wird wie Ceauşescus Ende sein!“. Die Zuhörer jubelten stets den Prozessführenden zu und fielen den Beobachtern auf, als würden sie gerade in einen Krieg gezogen sein, von dem sie einen Sieg erwarteten.[6]

Aus Sicht der Human Rights Watch verstieß der Prozess insgesamt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention nach „einer fairen Verhandlung durch ein unabhängiges, unparteiisches Gericht“[7].

Die Zuschauer demonstrierten nach Prozessende auf der Straße und wurden gegenüber der niederländischen TV-Crew, der Frau von Sadık Ahmet und den internationalen Beobachtern handgreiflich. Zwei Tage nach dem Urteil kam es in Komotini zu gewalttätigen Ausschreitungen. Ein Mob aus Griechen rannte durch die Straßen, schlug türkischstämmige Griechen und zerstörte über 400 Geschäfte, die Türken gehörten. 21 Personen wurden verletzt. Ausländischen Augenzeugen zufolge wurden Griechen gehörende Geschäfte nicht angerührt und die Polizei schaute tatenlos zu.[8] Der damalige Mufti von Xanthi, Mehmet Emin Aga, wurde mit einem Eisenteil niedergeschlagen. Im Mai 1990 gaben Mitglieder der türkischen Minderheit an, an diesen Gewaltausschreitungen gegen die türkische Minderheit hätten 1000 Menschen teilgenommen, wobei aber der gewalttätige Kern aus 150 Extremisten bestanden hätte. Im Anschluss an die gewalttätigen Ausschreitungen wurde der türkische Konsul in Komotini, Kemal Gür, zur persona non grata erklärt und in die Türkei ausgewiesen, weil er die türkische Minderheit Griechenlands „unsere Angehörigen“ genannt hatte. Die Türkei verwies daraufhin den griechischen Konsul in Istanbul, Ilias Klis, ebenso außer Landes.[9]

Nach eigenen Berichten wurde Sadık Ahmet im Gefängnis korrekt behandelt. Er wurde während seiner Inhaftierung vom Vorsitzenden des Dänischen Helsinki-Komitees, Professor Eric Siesby, besucht.[10]

Auf Sadık Ahmet und İbrahim Şerif warteten wegen der namentlichen Erwähnung der Ethnie der türkischen Minderheit noch zwei weitere für den Februar 1990 angesetzte Verfahren. Diese wurden dann allerdings nach den internationalen Protesten gegen die Januar-Entscheidung auf einen unbekannten späteren Zeitpunkt verschoben.[11]

Sadık Ahmet war auch früher schon mehrmals angeklagt. Im Jahre 1988 wurde er mit dem Vorwurf, er hätte 1986 bei einer Unterschriftenkampagne, „bei der er die griechische Regierung der Menschenrechtsverletzungen an der muslimischen Minderheit beschuldigte, Unterschriften der Minderheitsangehörigen gefälscht“ zu zweieinhalb Jahren Gefängnisstrafe verurteilt, die er allerdings nie abgesessen hat, da er zum entscheidenden Zeitpunkt die Immunität als Abgeordneter genoss. [12] Auch wegen einigen seiner Zeitungsartikeln musste er sich vor Gericht verteidigen.[13]

Bei den nächsten Parlamentswahlen am 8. April 1990 war es Sadık Ahmet aufgrund seiner Haftentlassung erlaubt zu kandidieren. Er zog als unabhängiges Mitglied erneut ins Parlament ein. [14]

Im September 1991 gründete er die erste westthrakientürkische Partei, die Partei der Freundschaft, der Gleichheit und des Friedens. Nach Anhebung der Wahlhürde auf 3% war der Partei, wie auch vielen anderen kleinen Splitterparteien, der Weg ins Parlament versperrt.

Ahmets Tod und sein Verfahren vor dem EGMR

Am 24. Juli 1995 kam Sadık Ahmet bei einem Autounfall im Alter von 48 Jahren ums Leben. Sadık Ahmets Ehefrau Işık Ahmet und seine zwei Kinder überlebten schwer verletzt den Aufprall an einen Traktor. Unter der türkischen Bevölkerung Westthrakiens und in der Türkei kam damals die Spekulation auf, dass dieser Unfall durch den griechischen Geheimdienst oder andere Kräfte arrangiert worden sein könnte, da es Zweifel bezüglich des Unfalls gab [15] [16] [17]. Obwohl diese Vorwürfe unbewiesen sind, halten sie sich bis heute. Die behördliche Untersuchung von Sadıks Tod hat damals keinen Nachweis für Mord ans Licht gebracht. [18]

Sadık Ahmet hatte sich nach seiner Haftstrafe von 1990 an die Europäische Menschenrechtskommission gewandt. Die Kommission stellte fest, dass seine Verurteilung gegen das „Recht zur Meinungsfreiheit“ der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen hatte und leitete den Fall im April 1995 an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiter.[19]

Nach Sadık Ahmets Tod im Juli 1995 wurde das Verfahren durch seine Ehefrau und seine zwei Kinder weitergeführt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wies am Ende der Verhandlungen im November 1996 die Klage ab mit der Begründung "„Sadık Ahmet hätte nicht alle inländischen Rechtswege ausgeschöpft“,[20] d.h. er hätte vor griechischen Gerichten nicht das Argument hervorgebracht, dass sein Fall eine Verletzung der freien Meinungsäußerung ist.[21]

In der Türkei wurden nach dem Tod Sadık Ahmets mehrere Straßen und Schulen nach ihm benannt. Er gilt der türkischen Minderheit Griechenlands als einer ihrer bedeutendsten Politiker der letzten 100 Jahre.

Quellen

  1. Human Rights Watch Dokument 1999, Seite 8
  2. Human Rights Watch Dokument, Abschnitt Greek Violations of the Human Rights of the Turkish Minority, Seiten 11-42
  3. Human Rights Watch-Dokument 1999, Seite 8
  4. Human Rights Watch-Dokument 1990, Seite 17
  5. Human Rights Watch Dokument 1990, Seite 17 Fußnote
  6. Human Rights Watch-Dokument 1990, Seite 19
  7. Human Rights Watch-Dokument 1990, Seite 18
  8. Human Rights Watch-Dokument 1990, Seite 20
  9. Human Rights Watch-Dokument 1990, Seite 21
  10. Human Rights Watch-Dokument 1990, Seite 21, Fußnote
  11. Human Rights Watch-Dokument 1990, Seite 22
  12. Human Rights Watch-Dokument 1990, Seite 22
  13. Human Rights Watch-Dokument 1990, Seite 25
  14. Human Rights Watch-Dokument 1990, Seite 21
  15. Abschnitt Doubts about death of Sadik Ahmet
  16. Sadik Ahmet Phenomenon
  17. Schrift von Anastasia Karakasidou, Anthropologie-Dozentin an der City-University in New York
  18. Menschenrechtsbericht des U.S. Department of State über Griechenland von 1995
  19. Human Rights Watch-Dokument 1999, Seite 13
  20. Ahmet Sadik vs. Greece - Fallbeschreibung der Netherlands Institute of Human Rights
  21. Schrift der Greek Helsinki Monitor, 1999, Seite 8

Weblinks

Literatur

  • Michael Ackermann: Die türkische Minderheit in West-Thrakien. Geschichte und Gegenwart. (=Südost-Studienreihe. Bd. 5). Ulm 2000. ISBN 3-87336-001-2
  • Rashid Ergener: About Turkey. (S. 106) 2002, ISBN 0-971-06096-7
  • Suha Hugh Poulton: Muslim Identity and the Balkan State. (S. 207) 1997, ISBN 1-850-65276-7

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