- Sant'Egidio
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Die Gemeinschaft Sant’Egidio ist eine als „Öffentlicher Verein von Gläubigen in der Kirche“[1] von der römisch-katholischen Kirche anerkannte Geistliche Gemeinschaft, die 1968 von Andrea Riccardi in Rom als Laienbewegung von Schülern und Studenten gegründet wurde. Sie ist nach ihrem Hauptsitz, dem ehemaligen Kloster Sant’Egidio im römischen Stadtteil Trastevere benannt.
Inhaltsverzeichnis
Struktur und Verbreitung
Präsident der Gemeinschaft ist der Geschichtsprofessor Marco Impagliazzo. Die Zahl der Mitglieder kann nur ungefähr geschätzt werden, da es keine förmliche Mitgliedschaft gibt und die Gemeinschaft auch die von ihr begleiteten Personen wie alte Menschen, Kinder, Ausländer und Menschen mit Behinderung, als Teil der Gemeinschaft ansieht. Die Angaben schwanken zwischen 50.000 Menschen in ca. 70 Ländern nach eigenen Schätzungen[2] bis zu lediglich 1.200 nach einem Artikel im Sonntagsblatt im Jahr 2000[3] Sant’Egidio veröffentlicht keine Informationen zu finanziellen Ressourcen. Auch im deutschsprachigen Raum gibt es Gemeinschaften.
Selbstverständnis
Die Gemeinschaft betrachtet als zentral die Auseinandersetzung mit der Bibel und das Hören auf das Wort Gottes, das Gebet, die „Weitergabe des Evangeliums“, die Freundschaft mit den Armen, die Ökumene, den interreligiösen Dialog und den Einsatz für Frieden und Menschenrechte. Die Mitglieder leben dabei nicht in klösterlicher Gemeinschaft zusammen.[4]
Das Gebet
Die Gemeinschaften kommen abends in einer Kirche zu einem offenen Gebet zusammen. Dieses besteht aus Psalmen, Fürbitten, Gesang, Bibellesung und Auslegung. Am Sonntag bildet die Eucharistiefeier den Mittelpunkt des gemeinschaftlichen Lebens.[5]
Interne Versammlungen
Nach Informationen des Theologen, Journalisten und Autoren Sandro Magister, die er in verschiedenen „L’Espresso“-Artikeln zusammentrug[6], gibt es über die frei zugänglichen Gebetstreffen hinaus auch interne Versammlungen. Darin müsse sich das einzelne Mitglied vor der Gruppe für sein Handeln und seinen gelebten Glauben verantworten. Der Leiter der örtlichen Gemeinschaft befinde über den Weg, den der einzelne in der Gemeinschaft gehe. Wer eigene bzw. kritische Gedanken äußere, werde zunächst aus der Versammlung und gegebenenfalls auch aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Neumitglieder und Mitglieder ohne Leitungsfunktionen würden über die innere Struktur nicht aufgeklärt, solange diese noch Kontakte außerhalb dieser Gemeinschaft hätten. In Rom bestimme Riccardi sogar die Wahl des Partners unter Mitgliedern oder wer zum Priester berufen sei.[7] Magister kritisierte dies als sektenähnlich aufgrund von totalitärer innerer Struktur und Führung.
Soziales Engagement
Den sozialen Einsatz, im besonderen durch persönliche Beziehungen, bezeichnet die Gemeinschaft Sant’Egidio als Freundschaft mit den Armen. Dazu gehören:
Kinder und Jugendliche
Für Kinder und Jugendliche organisiert die Gemeinschaft in ca. 70 Ländern sogenannte Schulen des Friedens. Dort sollen die Kinder Lesen und Schreiben lernen und Werte der Menschlichkeit, des Friedens und des Zusammenlebens auf der Grundlage des christlichen Glaubens vermittelt werden.
Das Land des Regenbogens ist eine weltweite Bewegung der Gemeinschaft, in der sich Kinder für die Rechte von Kindern weltweit einsetzen sollen.
Alte Menschen
Besonders in Europa richtet die Gemeinschaft ihr Augenmerk auf die Aktion Freundschaft mit alten Menschen, die einsam und verlassen sind. Dies geschieht durch Besuche und Begleitung von Senioren, die allein in ihrer Wohnung oder in Heimen leben. Es wird versucht, den alten Menschen zu helfen, ihren Lebensabend in der gewohnten Umgebung der eigenen Wohnung zu verbringen. Die Gemeinschaft gründete in den 90er Jahren die Bewegung Es lebe, wer alt ist und versucht, die Rechte der alten Menschen durch zahlreiche Initiativen und Öffentlichkeitsarbeit zu vertreten. Genaue Zahlen über den Umfang dieser Besuchsleistungen stehen nicht zur Verfügung.
Louis-Massignon-Schule
Die Louis-Massignon-Schule, benannt nach dem französischen Orientalisten Louis Massignon, bietet, um die Integration zu fördern, Ausländern, Flüchtlingen und Asylbewerbern kostenlose Kurse in der Sprache der jeweiligen Gastländer an.
Menschen mit Behinderung/Bewegung 'Die Freunde'
Es werden spiritueller Austausch, religiöse Fortbildungen und Freizeitgestaltung für erwachsene Menschen mit Behinderung angeboten.[8] Die Bewegung 'Die Freunde' ist eine von Behinderten der Gemeinschaft getragene Vereinigung, die durch den Verkauf von selbstgemalten Bildern der eigenen Malschule, unter anderem das DREAM-Programm für die AIDS-Kranken in Afrika unterstützt.
Frieden
Die Bewegung Menschen des Friedens ist ein Zusammenschluss von Menschen aus verschiedenen Völkern, Kulturen und Religionen, die einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben, zu Dialog und Gastfreundschaft sowie zu einer toleranten und offenen Gesellschaft leisten möchten.
Die Gemeinschaft war als Moderatorin oder Beobachterin an zahlreichen erfolgreichen Friedensverhandlungen beteiligt, etwa für Guatemala, den Kosovo, die Elfenbeinküste, den Südsudan)[9], gescheitert und von verschiedener Seite kritisiert in Algerien.[10] Ihr bedeutendster diplomatischer Erfolg ist die Vermittlung eines Friedensvertrags für Mosambik am 4. Oktober 1992, der einen sechzehnjährigen Bürgerkrieg beendete; hier arbeitete sie mit der UN und zahlreichen Staaten zusammen.[11][12]
Dream-Programm
DREAM (Drug Resource Enhancement against AIDS and Malnutrition) ist ein Programm zur Bekämpfung von HIV/AIDS in Afrika. Es kombiniert medizinische Maßnahmen wie die AIDS-Therapie, die Vorbeugung der Mutter-Kind-Übertragung von HIV und die Behandlung von opportunistischen Infektionen mit nicht-medizinischen Aktivitäten, z.B. Aufklärung, Einbeziehung von HIV-positiven Personen in die Versorgung der Patienten (AktivistInnen), Aufbau von Selbsthilfegruppen, Fortbildung von medizinischem Personal oder Lebensmittelhilfen. Dabei strebt DREAM einen europäischen Standard der medizinischen Leistungen an. Alle Leistungen sind für die Patienten kostenlos.
Seit 2002 richtete DREAM in zehn afrikanischen Ländern (Mosambik, Malawi, Tansania, Kenia, Angola, Nigeria, Kamerun, Guinea, Guinea Bissau, DR Kongo) 31 Tageskliniken ein, vor allem in staatlichen und kirchlichen Gesundheitseinrichtungen. Alle Zentren sind in die jeweiligen nationalen AIDS-Programme integriert und arbeiten nur mit lokalem Personal. Bisher wurden über 50 000 Patienten mit HIV/AIDS aufgenommen, von denen etwa 35 000 mit der AIDS-Therapie begonnen haben; knapp 7000 Kinder sind von HIV-positiven Müttern geboren, wobei durch die medizinischen Hilfen die HIV-Übertragungsrate auf die Neugeborenen von etwa 30% auf 2% gesenkt wird.
Zur Klärung medizinischer Fragestellungen werden in DREAM klinische Studien u.a. zur Mutter-Kind-Übertragung, Adhärenz der Patienten, Einfluss der Ernährung und Resistenzen des HI-Virus durchgeführt [13] [14].
Einsatz zur Abschaffung der Todesstrafe
Seit 1998 setzt sich die Gemeinschaft für ein weltweites Moratorium der Todesstrafe ein. Dazu wurde ein Appell verfasst, für den bis November 2007 über 5 Millionen Unterschriften auf allen Kontinenten gesammelt wurden. Nach Auffassung der Gemeinschaft hat dieser Einsatz in Zusammenarbeit mit der WCADP (World Coalition against the Death Penalty) dazu beigetragen, dass die UNO-Vollversammlung am 18. Dezember 2007 mit großer Mehrheit für eine Resolution stimmte, die weltweit ein Moratorium fordert.[15]
Interreligiöser Dialog und Friedensarbeit
Die Gemeinschaft veranstaltet das jährliche Friedenstreffen der Weltreligionen, die auf das 1986 von Papst Johannes Paul II. erstmals veranstaltete Friedensgebet in Assisi zurückgehen. Im Oktober 2007 hat Papst Benedikt XVI. beim 21. Internationalen Friedenstreffen, das in diesem Jahr unter dem Thema „Für eine Welt ohne Gewalt - Religionen und Kulturen im Dialog“ stand, diesen Einsatz der Gemeinschaft gewürdigt und durch seinen Besuch vor Ort in Neapel die Bedeutung des Anliegens unterstrichen.[16] Auf Zypern fand vom 16.-18. November 2008 das 22. von Sant'Egidio organisierte Treffen statt.[17]
Sant'Egidio ist am Leitungskomitee des überkonfessionellen Bündnisses christlicher Bewegungen und Gemeinschaften „Miteinander für Europa“ beteiligt.[18]
Auszeichnungen
Auswahl von Auszeichnungen[19]:
- World Methodist Peace Award 1997 vom Weltrat methodistischer Kirchen
- Niwano-Friedenspreis 1999 der Niwano Peace Foundation
- Félix-Houphouët-Boigny-Friedenspreis 1999 der UNESCO[20]
- Europäischer St. Ulrichspreis 2003[21]
- Arnold-Janssen-Preis der Stadt Goch 2004[22]
- Balzan-Preis 2004 für Humanität, Frieden und Brüderlichkeit unter den Völkern[23]
- International Peacemaking Award 2004[24] der Konfliktlösungs-NGO Search for Common Ground (en:Search for Common Ground)
- Wissenschaftspreis der Universität Aquila (2004) für das DREAM-Projekt[25]
- Dignitas Humana Award 2006 der St. John's School of Theology Seminary
Im Januar 2002 stellte die italienische Abgeordnetenkammer einen Antrag an die italienische Regierung, die Gemeinschaft Sant’Egidio für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen.[26][27] Dasselbe tat die Quäker-Vereinigung American Friends Service Committee (AFSC)[28].
Siehe auch
Literatur
- Albert Franz (Hrsg.): Weltreligionen für den Frieden. Die Internationalen Friedenstreffen von Sant’Egidio. Paulinus Verlag, Trier 1996, ISBN 3790200956
- Andrea Riccardi: Sant’Egidio - Rom und die Welt. Gespräche mit Jean-Dominique Durand und Régis Ladous. EOS Verlag, St. Ottilien 1998, ISBN 388096453X
- Rudolf Schnackenburg: Predigt in der Gemeinschaft Sant’Egidio.. Echter, Würzburg 2003, ISBN 342902546X
- Gemeinschaft Sant’Egidio: Jesus als Freund. Mit geistig behinderten Menschen auf dem Weg des Evangeliums. Echter, Würzburg 2004, ISBN 3-429-02642-3
Einzelnachweise
- ↑ Codex iuris canonici (1983), can. 312; Kirchenrecht der lateinischen Kirche in der gültigen Fassung von 1983([1]
- ↑ Gemeinschaft Sant’Egidio: Entstehung
- ↑ Strenge Engel Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 8. September 2000 Nr. 36/2000 Der Journalist Sandro Magister schrieb, Riccardi habe des Öfteren zu seinen Anhängern gesagt: "Wir müssen so auftreten als ob wir mehr wären als wir wirklich sind. Das ist unser Wunder: Der große Bluff." Sandro Magister: The Story of Sant’Egidio. The Great Bluff.
- ↑ Vgl. den Artikel: http://www.sueddeutsche.de/,tt4l1/panorama/artikel/917/149558/.)
- ↑ Vincenzo Paglia, Das Wort Gottes jeden Tag 2007/2008, Würzburg 2007, ISBN 978-3-429-02930-2.
- ↑ Twenty-Five Years in the Community of Sant’Egidio : A Memoir di Giuliano Fiorese, ex appartenente alla Comunità di Sant’Egidio
- ↑ siehe auch Strenge Engel Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 8. September 2000 Nr. 36/2000
- ↑ Die Arbeit wird ausführlich beschrieben in: Gemeinschaft Sant’Egidio, Jesus als Freund. Mit geistig behinderten Menschen auf dem Weg des Evangeliums, Würzburg 2004
- ↑ Christoph Albrecht: Die Gemeinschaft Sant' Egidio und ihr Friedensschaffen, friZ – Zeitschrift für Friedenspolitik, 5/2000
- ↑ Sandro Magister: Sant’Egidio „Ad Extra“: Disaster in Algeria, L'espresso, 9. April 1998 (engl.) St. Egidio and Algeria. An Ambassador’s Disturbing Revelations L'espresso, 23. Dezember 2003 (engl.)
- ↑ Roberto Morozzo della Rocca. Mosambik. Frieden schaffen in Afrika. Echter, Würzburg 2003. ISBN 3429025826
- ↑ International Balzan Foundation. Würdigung des Werks der Gemeinschaft Sant'Egidio – DREAM Programm. Balzan-Preisträger 2004 für Humanität, Frieden und Brüderlichkeit unter den Völkern.
- ↑ http://www.who.int/hiv/pub/casestudies/mozambiquedream.pdf
- ↑ http://www.liebertonline.com/doi/pdfplus/10.1089/aid.2007.0217
- ↑ Vgl. Artikel über die Übergabe der Unterschriften: http://www.santegidio.org/pdm/news2007/pdm20071103.htm und zwei Artikel über die Abstimmung: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,517803,00.html, auch mit ausdrücklicher Erwähnung von Sant'Egidio: http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=167795
- ↑ Wortlaut der Ansprache des Papstes an die Religionsvertreter
- ↑ http://www.faz.net/f30/common/Suchergebnis.aspx?term=Sant%27Egidio&allchk=1&x=3&y=6
- ↑ Miteinander für Europa:Zeichen der Hoffnung setzen (doc), Pressemitteilung vom 26. Februar 2006
- ↑ Comunità di Sant’Egidio: Premi e riconoscimenti
- ↑ UNESCO: Prizewinners of the Félix Houphouët-Boigny Peace Prize
- ↑ Landkreis Dillingen: Gemeinschaft Sant’Egidio erhält Europäischen St.-Ulrichs-Preis, Pressemitteilung 28. April 2003
- ↑ Stadt Goch, Bürgermeister: Die Gemeinschaft Sant’Egidio und ihr Gründer Andrea Riccardi erhalten den ersten, mit 15.000 Euro dotierten Arnold-Janssen-Preis der Stadt Goch (pdf), 26. September 2003
- ↑ Internationale Balzan Stiftung: Balzan-Preisträger für 2004 ernannt (pdf), 7. September 2004
- ↑ Search for Common Ground: Search for Common Ground Announces the 2004 Common Ground Awards Honoring Individuals and Organizations’ Achievements in Peacebuilding, Februar 2004
- ↑ Die Tagespost: SantEgidio erhält Wissenschafts-Preis, 17. April 2006
- ↑ Repubblica Italiana – Camera dei Deputati: Mozione Ciani ed altri N. 1-00027 concernente la Comunità di Sant'Egidio, Seduta n. 88 del 29/1/2002
- ↑ Repubblica Italiana – Camera dei Deputati: Resoconto stenografico dell’Assemblea, Seduta n. 88 del 29/01/2002
- ↑ American Friends Service Committee: AFSC Nominates Community for Nobel Peace Prize, 11. Januar 2002
Weblinks
Eigene Seiten
- Homepage der Gemeinschaft Sant’Egidio
- Website zum Weltfriedenstreffen „Per un Mondo di Pace – Religioni e Culture in Dialogo“ am 4. und 5. September 2006 in Assisi (ital.)
Presseberichte und andere Informationen
Kritische Darstellungen
- Sammelseite des italienischen Magazins L'espresso mit 4 Artikeln von Sandro Magister über Sant'Egidio (englisch)
- Schein und Wirklichkeit bei Sant’Egidio, Sonntagsblatt Nr. 36/2000
- Vite a metà. Un Fuoruscito racconta la comunità di Sant'Egidio (Ein halbes Leben. Ein Aussteiger erzählt von der Gemeinschaft Sant’Egidio), Adista, 31.5.2003 (italienisch) (englische Version)
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