- Scamilli impares
-
Als Kurvatur bezeichnet man in der Architektur eine beabsichtigte, leichte Wölbung einer an sich geraden Gebäudekante. Die Kurvatur nimmt dem Gebäude die kühle Strenge; obwohl sie kaum auffällt, ordnet sie in der Wahrnehmung die Einzelteile dem Gesamtkonzept des Baus unter und bricht die geometrische Starrheit der Linien auf, wodurch der Bau harmonischer und lebendiger erscheint. Eine exakte, wahrnehmungstheoretische Begründung für diesen Effekt ist nicht bekannt.
Die Kurvatur wurde wohl in der antiken griechischen Architektur in archaischer Zeit entwickelt. Der früheste Bau, an dem eine Kurvatur zu beobachten ist, ist der Apollontempel von Korinth aus der Mitte des 6. Jahrhundert v. Chr., wegen seiner geringen Reste jedoch nicht abschließend beweisbar. Ab der griechischen Klassik ist die Kurvatur in der antiken Architektur weit verbreitet, besonders im Tempelbau, aber beispielsweise auch bei Säulenhallen (Stoa) und in römischer Zeit an von Ädikulen und Säulenreihen gegliederten, mehrgeschossigen Prunkfassaden.
Die Kurvatur erstreckt sich auf alle horizontalen Bauglieder einer Gebäudefront. Der Stufenbau und das Gebälk oberhalb der Säulen steigen dabei in Form einer flachen Kurve zur Mitte hin leicht an (etwa 2 cm am Apollontempel Korinth, etwa 20 cm am Apollontempel von Didyma). An Tempeln wurde die Kurvatur bisweilen nicht nur auf der Fassade angewandt, sondern erstreckte sich über die ganze Grundfläche des Baus, die also sphärisch gekrümmt ist. Das heißt, die Bauteile stiegen nicht nur zur Mitte der Fassade, sondern auch zum Inneren des Gebäudes hin leicht an.
Von der Forschung wurde die Kurvatur erstmals in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts am Parthenon in Athen festgestellt, blieb aber noch einige Zeit umstritten. Der Begriff Kurvatur wurde von der modernen Forschung eingeführt, die antike griechische Bezeichnung ist unbekannt, die lateinische Bezeichnung adiectio (Hinzufügung) bei Vitruv[1] ebenfalls unsicher. Bis heute ist in der Forschung der genaue Kurvenverlauf der Kurvatur umstritten, also welche geometrischen Verfahren der Kurvatur zu Grunde liegen. Vitruv erwähnt ein nicht nachvollziehbares Verfahren namens Scamilli impares („ungleiche Bänkchen“) zur Erstellung der Kurvatur. Für einzelne Bauten wird die Form einer Parabel oder einer Ellipse diskutiert.
Andere in der Antike verwendete Methoden architektonischer Verfeinerung sind eine leichte Einwärtsneigung (Inklination) der Säulen, ein Verstärken bestimmter Säulen (an den Ecken oder auf der Frontseite des Gebäudes), oder eine Schwellung des Säulenschaftes, die sogenannte Entasis.
Literatur
L. Haselberger (Hrsg.): Appearance and Essence. Refinements of Classical Architecture: Curvature (1999). (Tagungsband mit zahlreichen Einzelbeiträgen)
Einzelnachweise
- ↑ Vitruv de architecura 3.4.5: „Sin autem circa aedem ex tribus lateribus podium faciendum erit, ad id constituatur uti quadrae spirae trunci coronae lysis ad ipsum stylobatam qui erit sub columnarum spiris conveniant. stylobatam ita oportet exaequari uti habeat per medium adiectionem per scamillos inpares. si enim ad libellam dirigetur, alveolatus oculo videbitur. hoc autem ut scamilli ad id convenientes fiant, item in extremo libro forma et demonstratio erit descripta.“
Wikimedia Foundation.