Scheich Bedrettin

Scheich Bedrettin
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Scheich Bedreddin, eigentlich Mahmud Berdeddin (* 3. Dezember 1358 in Simavna in der Provinz Edirne; † 18. Dezember 1420 in Serres, Makedonien) war ein osmanischer Rechtsgelehrter und Rebell. Er wurde 1420 zum Tode verurteilt und gehenkt. Bedreddin benutzte selbst den Titel „Sohn des Richters von Simavna“ als Namenszusatz. Seine Mutter war Griechin. Nach ihrer Konversion zum Islam trug sie den Namen Melek.

Inhaltsverzeichnis

Die Eltern

Bedreddin wurde 1358 als Sohn des Kadi von Simavna, Ghâzi Isra’il, geboren.

Über die Abstammung Bedreddins können keine gesicherten Angaben gemacht werden. Nach dem Menâkibnâme war der Großvater Bedreddins, ‘Abd al´Aziz, ein Neffe des ‘Alâ-eddin Kaiqobad III. (gest. 1307), des letzten regierenden Seldschukensultans. Auch der Chronist Taschköprülüzâde spricht von der Zugehörigkeit des Vaters Bedreddins zur seldschukischen Herrscherfamilie von Konia.

Die ersten Lebensjahre

Nach den Angaben der osmanischen Chronisten wurde Bedreddin zunächst vom Vater unterrichtet, bis er Schüler eines gewissen Sahidi wurde. Von seinem späteren Lehrer Mevlana Yusuf lernte er vor allem Sprachen. Weil die Gelehrtensprachen Persisch und Arabisch waren, musste er sich auch diesen Sprachen zuwenden.

Insgesamt sind die ersten Lebensjahre Bedreddins mit Legenden umwoben. Zu den Lehrern Bedreddins gehörte Mahmud Efendi, ein angesehener islamischer Theologe, der Kadi von Bursa und Leiter der dortigen islamischen Lehranstalt.

Da Bedreddin seine Studien unbedingt fortsetzen wollte, folgte er Mahmud Efendi nach Bursa, begleitet von Müeyyid, dem Sohn seines Onkels Abdülmümin.

1382 verließ Bedreddin die Stadt Bursa. Er ging nach Konia zur Lehranstalt eines gewissen Feyzullah. Bei Feyzullah studierte Bedreddin insbesondere die Fachrichtungen Logik und Astronomie. Da Feyzullah jedoch sehr bald verstarb, musste das Studium unterbrochen werden.

Die Studienjahre

Bedreddin und sein Cousin Mueyyed bin Abdülmümin wählten den Weg nach Damaskus, um am Ort bei den größten Gelehrten der Zeit zu studieren. Nach einer langen Reise durch ganz Anatolien wurden sie jedoch enttäuscht, weil sie wegen einer Seuche Damaskus nicht betreten durften. Sie wandten sich daraufhin nach Jerusalem. Hier studierten sie bei hohen Rechtsgelehrten und lebten in den Räumen der al-Aqsa-Moschee. Ihre finanzielle Situation war sehr schlecht. Sie konnten oft nicht für ausreichendes Essen sorgen. Sie lernten den Händler Ali Kasmiri kennen, der ihnen eine Wohnung und ausreichend Essen bereitstellte und sie mit bekannten Gelehrten zusammenbrachte. Mit Unterstützung von Ali Kasmiri kamen sie um 1395 über Jerusalem nach Kairo.

Kairo war damals das Zentrum islamischer Gelehrsamkeit. Neben den Vertretern der konservativen Lehre zog die Stadt auch bedeutende Sufigelehrte an. In Kairo lebten Bedreddin und Mueyyed mit finanzieller Unterstützung von Kasmiri und konnten ihre Studien fortführen. Kasmiri organisierte regelmäßige Treffen hoher Gelehrter. Bei diesen Treffen wurden Thesen vorgestellt und in Diskussionen verteidigt. Auch Bedreddin nahm an diesen Treffen teil und lernte dabei angesehene Gelehrte der Zeit kennen. Als sehr folgenreich für seinen späteren Lebensweg erwies sich die Bekanntschaft mit dem Lehrer für Logik Mubarak Schah. Er lernte auch Dschalaladdin Hidir kennen, der sich später als Aydinli Hadschi Pascha einen Namen machen sollte und auch eine Zeit lang als Chefarzt der Kairoer Klinik tätig war. Unter seinen Studienfreunden befanden sich auch der Dichter Ahmedî und Semseddin Fenarî. Bedreddin, Seyyit Serif (Dscurdschanî) und Dschalaladdin Hidir studierten eine Zeit lang gemeinsam beim Gelehrten Scheich Ekmelddin.

Bedreddin hatte sich in Kairo als Gelehrter bald einen Namen gemacht und wurde ca. 1389–1390 vom ägyptischen Mamluken-Herrscher Barquq (1382–1390) als Erzieher für den Prinzen Faradsch (1392–1400) an den Hof gerufen. Diese Tätigkeit übte er zwei oder drei Jahre lang aus. Die Bekanntschaft mit Scheich Husayn-i Ahlâtî, dem Abt eines sufistischen Klosters, brachte ihn zum Sufismus. Scheich Ahlatî und Bedreddin wurden vom ägyptischen Sultan mit Sklavinnen beschenkt. Es waren zwei abessinischen Schwestern namens Maria und Gâzîbe. Aus der Verbindung Bedreddins mit Gâzîbe wurde 1390 Ismail (der Vater des Verfassers des Mânakibnâme) geboren (Mânakibnâme: S. 30–33).

Bedreddin trat bald als ein Jünger Scheich Ahlatîs dem Orden bei und „legte das rauhe Kleid eines Sufi an“ (Mânakibnâme: S. 33–36,15). Das Mânakibnâme macht für diesen Gesinnungswandel ein Gespräch mit Maria verantwortlich. Bedreddin geriet in eine Lebenskrise, riss sich die Kleider vom Leib, irrte durch die Straßen Kairos, bis er von Freunden aufgefunden wurde. Diese Krise läutete einen neuen Lebensabschnitt ein. Er beschloss, Sufi zu werden. Der Beginn des Sufi-Weges bei Bedreddin wird von ekstatischen Zuständen begleitet. Alles, was er besaß, verteilte er unter den Armen. Dann packte er seine Bücher, brachte sie an den Nil, wo er sie versenkte.

Nach dem Tod Scheich Ahlatîs wurde Bedreddin zu seinem Nachfolger, zum Scheich des Ordens, gewählt. Auf dieses Amt geht sein Titel Scheich zurück.

Rückkehr nach Anatolien

Nach sechs Monaten musste er das Kloster wieder verlassen. Bedreddin begab sich auf die Rückreise nach seiner Heimatstadt Edirne. Bedreddin trug dort den Titel Bedreddin-i Rumî, Bedreddin der Rhomäer.

Inzwischen hatte die osmanische Armee in der Schlacht von Ankara gegen den Mongolenführer Timur eine schwere Niederlage erlitten, der Sultan Yildirim Beyazid war in Gefangenschaft geraten, das Reich der Osmanen wieder zerstückelt.

Auf der Rückreise soll Bedreddin auch Timur Lenk, dem Mongolenherrscher, begegnet sein, der diesen bekannten Gelehrten am liebsten in seine Hauptstadt Samarkand gelockt hätte. Timur wollte ihm sogar eine seiner Töchter zur Frau geben, ihm ein Land zu eigen überlassen und ihn zum „Scheich ül-Islam“, also zum obersten Religionshüter seines Reiches machen, heißt es in der Mânakibnâme. Es ranken sich Gerüchte, dass Bedreddin in einer Nacht- und Nebelaktion das Lager des Herrschers verlassen habe.

Bedreddin ging nach Anatolien. Er bereiste die westanatolischen Städte Aydin und Tire, besuchte die Insel Chios und machte auch Halt bei dem „ewigen Feind der Osmanen“, dem Fürsten Karamanbey. In der Stadt Kütahya machte er die Bekanntschaft der dortigen Torlaks. Hier lernte er wohl auch Torlak Hû Kemal kennen. Die Torlaks begleiteten ihn über Bursa und Gelibolu nach Edirne, seiner Heimatstadt. Doch bald brach er wieder auf, bereiste Bursa und wieder Aydin.

Im Jahre 1407 oder 1408 starb seine Frau Gâzîbe in Edirne. Über die Jahre 1408 bis 1411 finden sich keine verwertbaren Informationen. Diese Lücke schließt das Mânakibnâme mit der Behauptung, Bedreddin habe ein Büßerleben begonnen und sich für viele Jahre in die Erde zurückgezogen. Wahrscheinlich waren es aber die politisch aktivsten Jahre Bedreddins. Anders ist es nicht zu erklären, dass Bedreddin 1411 zum Kadiasker (Heeresrichter) unter dem Sultanssohn Musa Tschelebi wurde, der im europäischen Teil die Macht erobert und sich zum Sultan der Osmanen ausgerufen hatte. Zu solch einem hohen Amt wird kein einsamer Büßer berufen, nicht in einer Zeit des heißen Krieges und der wechselnden Allianzen.

Als infolge der Thronkämpfe Musa von seinem Bruder Mehmed Tschelebi geschlagen und getötet wurde, begann 1413 für Bedreddin eine Zeit der Verbannung. Die Art seiner Verbannung ist in den Chroniken sehr widersprüchlich wiedergegeben. Ungeklärt ist, ob er sich im Hausarrest befand, gefangengesetzt oder aber mit einer Rente „in einen vorzeitigen Ruhestand“ versetzt worden war. “Sein Ruf als Mystiker und Gelehrter war damals bereits so groß, dass Mehmed es nicht wagen konnte, ihn nach dem Sturz Musas härter anzufassen“, heißt es bei E. Werner. Angesichts der Tatsache, dass viele angesehene Mystiker und Gelehrte ohne viel Grund hingerichtet wurden, lässt eher vermuten, dass Bedreddin noch über gute Verbindungen und in Anbetracht der Aufstände auch über großen politischen Einfluss in der Region verfügte.

1416 jedenfalls floh Bedreddin aus dem Ort seiner Verbannung in Richtung Walachei, gelangte nach Silistra und tauchte, während die Aufstände unter der Führung Börklüdsche Mustafas in Westanatolien tobten, in Deliorman (heute Bulgarien) auf, vermutlich um den Aufstand neue Kräfte zuzuführen und ihn auf den Balkan auszuweiten. Als Mehmed Tschelebi merkte, dass sich viele seiner Gegner um Bedreddin scharten, ließ er ihn bald festnehmen und 1420 in Serez (heute Griechenland) auf dem Marktplatz nackt ausgezogen öffentlich hinrichten. Er hatte bereits das Alter von 60 Jahren überschritten.

Hinrichtung

Ein wichtiger Gesichtspunkt für die Bewertung der Erhebungen bleibt die Art des Todesurteils gegen Bedreddins. Dabei geht es uns in erster Linie darum, ob aus dem kargen Urteil selbst („Sein Blut ist legitim, sein Besitz ist unrein.“) die Gründe abgeleitet werden können, warum Bedreddin sterben musste. Wurde er also als Anführer einer Erhebung oder als Ketzer und Abtrünniger vom Glauben abgeurteilt?

Wie nicht anders zu erwarten, gehen auch in der Einschätzung der Gründe, die zur Hinrichtung Bedreddins geführt haben, die Meinungen stark auseinander. Dabei korrospondieren die einzelnen Standpunkte mit den jeweiligen Einschätzungen der Ziele der Erhebungen. Für I.Z. Eyüboğlu, E. Werner und andere waren die religiösen und politischen Ansichten Bedreddins ausschlaggebend. Das Mânakibnâme Halils hingegen spricht von einer Intrige gegen Bedreddin, einem Justizirrtum durch die Irreführung des Sultans.

Sicher überliefert ist das Todesurteil: „Sein Blut ist legitim, sein Besitz ist unrein.“ Sein Leben darf ihm genommen, sein Besitz aber nicht angerührt werden. Wäre Bedreddin nur wegen des Strebens nach der osmanischen Krone hingerichtet worden, bliebe die Frage ungeklärt, warum überhaupt ein richterliches fetwa eingeholt wurde, aber auch, warum sein Besitz verschont geblieben ist. Gegen die zweite Position spricht die Tatsache, dass Bedreddins Bücher über die Rechtsprechung in unregelmäßigen Abständen abgeschrieben und auch lange Zeit in islamischen Lehranstalten gelehrt wurden. Diese Werke können daher nicht ausschlaggebend für die Hinrichtung gewesen sein. Sein mystisch-philosophisches Hauptwerk Vâridat hingegen blieb jahrhundertelang verboten, der Besitz dieses Werkes vielfach mit dem Tode geahndet. Es müssen dann eher die in Vâridat dargelegten Ansichten Bedreddins gewesen sein, die auf den Widerspruch der islamischen Geistlichkeit stießen. Diese Tatsache spricht wieder für die zweite und dritte Position.

Bei der Aburteilung Bedreddins treffen wohl zwei Gründe zusammen. Zum einen war er in die Erhebungen gegen die osmanische Krone involviert. Zumindest stellte er eine Gefahr für den Sultan dar. Andererseits handelte es sich bei ihm um einen hohen Gelehrten seiner Zeit, zugleich um einen geistlichen Würdenträger, der eines der diesbezüglichen höchsten Ämter bekleidet hatte. Er war jedoch auch weiterhin ein einflussreicher und im Volke sehr beliebter Mystiker und Ordensführer, dessen unorthodoxe Vorstellungen bekannt waren. Daher erscheinen die Versuche, aus dem fetwa alleine abzuleiten, er sei an den Aufständen selbst nicht beteiligt, weit hergeholt. Angesichts der Tatsache, dass seine rechtswissenschaftlichen Werke eine sehr lange Zeit noch Verwendung fanden, können es nicht diese gewesen sein, die die orthodoxen Kräfte zum Handeln veranlassten, sondern eher seine in Vâridat dargelegten Vorstellungen, die die Grundannahmen der islamischen Religion betreffen. Sie alleine hätten die rasche Hinrichtung Bedreddins nicht alleine begründet, da er bereits einmal – nach der Niederlage Musa Tschelebis - mit dem Leben davongekommen war und wir nicht mit Sicherheit wissen, ob das Werk Vâridat bereits bekannt war.

Bedreddins Werke

Eine Liste der Werke Bedreddins enthält das Mânakibnâme des Halil und die Chroniken des Taschköprülüzâde. Diese sind: 1. Ukudü´l-cevâhir, 2. Latâif-ül Işârât, 3. Camul ´ul fusû´leyn, 4. Teshil, 5. Nûrü´l kulûb tesfiri und 6. Vâridat.

Die umfangreichsten Arbeiten Bedreddins betreffen das Gebiet der Rechtsprechung. In Camul ´ul fusû´leyn, einem breit angelegten Werk, das in seiner Zeit als Heeresrichter des Musa Tschelebi (1413) innerhalb von zehn Monaten verfasst wurde und vermutlich für die Hand des Richters bestimmt war, begründet er seine Auffassung von der Unabhängigkeit des einzelnen Richters gegenüber der Tradition und der weltlichen Macht (den Herrscher eingeschlossen). Er erklärt darin eine Urteilsfindung, die nicht auf der eigenen Überzeugung des Richters gründet, sondern aufgrund der Überzeugung einer anderen Person zustande gekommen ist, als verwerflich und sündhaft. Er bestärkt den Richter, auch beim Heranziehen traditioneller Urteile, die veränderten Rahmenbedingungen in die Urteilsfindung einzubeziehen.

Bedreddin strebte in seinem Rechtswerk nach allgemeingültigen Aussagen und Standortbestimmungen, während sich die juristischen Handbücher bis in das 19. Jahrhundert hinein eher auf eine Zusammenstellung von unterschiedlichen Fällen und Urteilen beschränkten.

Weil Bedreddin sich nicht mit der Zusammenstellung bestehender Urteile begnügte, sondern nach Grundsätzen für die Urteilsfindung suchte, gehört er für N. Kurdakul zu den bedeutendsten Juristen des Landes. Er bezeichnet die Vorgehensweise Bedreddins als zukunftsweisend. Dieses bestätigen auch die vielen Abschriften, die bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts hinein von seinen Werken hergestellt wurden. Besonders oft wurden die Werke Camul’ ul fusu’leyn und Teshil, die beide jeweils etwa Tausend Seiten umfassen, abgeschrieben. Es liegen noch mindestens zehn undatierte Abschriften dieser Werke vor.

Während von den juristischen Werken in unregelmäßigen Abständen neue Abschriften angefertigt wurden, wurde das im Vergleich bescheiden anmutende Büchlein Vâridat von seinen Anhängern sorgsam verborgen gehalten, der Besitz von der orthodoxen Geistlichkeit unter Strafe gestellt. Aber auch das Infragestellen der Tradition in der Urteilsfindung des Richters und die Möglichkeit, das tradierte Recht notfalls nach den Bedingungen der Zeit abzuändern, musste die Konservativen unter der Geistlichkeit empören.

Bei Teshil, das er 1415 beendete, handelte es nach den eigenen Angaben Bedreddins um einen Kommentar des eigenen Rechtswerkes Latâif-ül Işârât, in dem er sich mit der juristischen Wissenschaft auseinandergesetzt habe. Über die Entstehungsgeschichte des Teshil schreibt er:

„Ich, der als Sohn des Richters von Simavne bekannte Mahmud, Sohn Isra´ils, ein schwaches Geschöpf Gottes: Er soll ihn von den Händen der Unterdrücker und ihrer Helfer retten, seine Schande bedecken und Trauer und Unglück von ihm abwenden und entfernen. Gott ermöglichte mir, mein juristisches Werk mit dem Titel Latâif ül-işârât fertigzustellen (…) Dem Leser fiel es schwer, dieses Werk zu verstehen. Um das Verständnis der Gründe, die zum Verfassen Anlass waren, zu erleichtern, darin enthaltene und schwer verständliche geheime Bedeutungen zu klären und die diesbezüglich festgestellten Stellen zu abzuarbeiten, aber auch um eine negative Aufnahme meines Buches zu verhindern, habe ich ohne Zögern mit ihrer Erklärung und Interpretation begonnen (…) Dabei habe ich an die Tausend feine und kleine juristische Angelegenheiten mitgeteilt. Die Bemerkungen, die ich mit Ekval betitelt habe, stammen, falls keine anderen Hinweise vermerkt sind, von mir (…) und sind keine Wiedergabe von Erzählungen oder nur auswendig Gelerntes.“

Das Werk selbst ist verschollen. Es scheint auch nicht positiv aufgenommen worden zu sein, weshalb er sich wohl auch genötigt sah, der negativen Aufnahme, durch eine erklärende Selbstkommentierung seines Werkes, den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Vâridat

In seinem religiös-philosophischen Werk Vâridat bleibt Bedreddin in seiner Themenwahl und in der Methode der Tradition treu und konzentriert sich auf die urreligiösen Themen Erschaffung, Universum, das Verhältnis Gott-Mensch, Engel, Träume, Glaubensvorschriften, Tod und Jenseits. Vâridat ist ein Wort arabischer Herkunft und hat die Bedeutungen „Erinnertes“, „das an das Innere Scheinende“, „Einsichten“. Vâridat ließe sich ohne Probleme auch als „Offenbarungen“ wiedergeben.

Ş. Yaltkaya beurteilt den Vâridat Bedreddins als sehr hastig verfasst. Er schreibt: „In diesem Buch, das für viel Unruhe gesorgt hat, gibt es keine einzige Originalität. Bedreddin hat in seinem Buch keinen einzigen neuen Gedanken formuliert.“ H.-J. Kissling schließt sich dieser Meinung an. Allein jedoch die Tatsache, wie intensiv und wieviele Jahrhunderte hinweg um dieses Werk gestritten wurde, dürfte genügen, die Bedeutung dieses Werkes aufzuzeigen. In diesem Werk spricht Bedreddin seine Thesen deutlich aus, wie z. B. die Relativierung der Begriffe des Jüngsten Gerichtes und damit zusammenhängend die Ablehnung der Schöpfungsgeschichte. Die Nähe zwischen den Vorstellungen Bedreddins und Ibn Arabis ist kaum zu bestreiten.

Das Werk Vâridat polarisierte seine Leser stark. So schrieb Nureddin Zâde Muslihüddin Mustafa (gest. 1573), ein Anhänger des Balî aus Sofia:

"Die von Bedreddin stammende und als „Vâridat“ bekannte Abhandlung ist eine Probe für den Menschen. Man kann es nur ablehnen oder anerkennen. Ein Teil des Volkes ist der Abweichung heimgefallen und hat diejenigen, die ihnen folgten vom rechten Weg abgebracht. Ein Teil hat geschwiegen, weil es die Stützen des Islam nicht kannte, ja selbst von diesen [Schweigenden] glaubte ein Teil, dass auch die Weisen wie Seyh-i Ekber [Ibn Arabi] von seinem [Bedreddins] Glauben sei. Gott behüte, können sich Tiere zu Engeln gesellen?"

Für Yavsî Muhammed Muhiyiddîn Imâdi (gestorben 1516) ist Bedreddin ein Sultan in den Reihen der Wissenden von Gott und Glauben. Er lobt das Werk Vâridat in höchsten Tönen. Ganz anders der Sohn, Ebussuûd Efendi, der als ranghöchster Geistlicher zur berühmtesten Figur islamischer Inquisition emporstieg. Auf ihn gehen Bedreddin und sein Vâridat betreffende Rechtsurteile zurück, worin die Anhänger Bedreddins als offenkundig Ungläubige eingeschätzt wurden, die getötet werden müssen.

Am Ende des Yavsî-Kommentars findet sich ein weiterer Text in arabischer Sprache zugefügt:

"Diese Zeilen wurden aus der Schrift unseres Herren, dem weisen Scheich Filibeli Halvetî Nureddin Zâde übertragen, gesegnet sei sein Geheimnis. Dieser sagte: Dank sei Gott, dass er uns mitteilte, dass das deccâl [das einäugige Ungeheuer, das am Tage des Jüngsten Gerichts auftauchen und alle Muslime töten soll] erscheinen werde, und dass er uns die Befähigung gab, zwischen denen zu unterscheiden, die den rechten Weg gefunden haben und denen, die davon abgekommen sind; durch seine geliebten Propheten und mit der geistigen Führung des Sultans der Gottfürchtigen, Muhammed kündete er in seinem die Wahrheit erklärenden Buch [= dem Koran], dessen Bedeutungen unmissverständlich sind, die Nachricht von der großen Auferstehung, ihren Zeichen und die Nachricht von der Erweckung der verfaulten und verfallenen Leichen.“ Über das Werk Vâridat führt er fort: „Dieses Buch gehört dem als Sohn des Simav bekannten Scheich Bedreddin, dessen Gebeine sich bis zum Tage des Jüngsten Gerichts auf der vom Weg abgekommenen und den Menschen vom richtigen Weg abbringenden Welt in Auflösung befinden. In diesem Buch hat er die Auferstehung geleugnet, die Unanfänglichkeit der Welt [auch des Universums] festgestellt, denn er glaubte, dass seine miserablen Einbildungen die Erfindungen des unvergänglichen Gottes auf der vergänglichen Welt seien. Doch handelt es sich dabei um die Verlockungen des Fleisches, das dem Schlechten nachhängt. Es sind Sachen, die sich der Teufel ausgedacht hat. Alle von seiner Sorte sind vom rechten Weg abgekommen."

Weiter gibt Ş. Yaltkaya eine Anekdote wieder, die aufzeigt, wie die orthodoxen Kreise gegen dieses Werk immer polemisierten: Ibn Arabî bekam, während er den Sommer in Manisa verbrachte, Besuch von einem Imam, der einen schlimmen Geruch verbreitete. Als sie an seinen Kleidern nichts finden konnte, fiel ihm „Vâridat“ aus der Tasche. Ibn Arabî untersuchte es und sagte, dass der schlechte Geruch von diesem Buche komme und dieses daher verbrannt werden müsse. Der Imam weigerte sich. Als der Imam sich umdrehte, bemerkte er, dass in diesem Moment sein Haus brannte.

Vom Scheichülislam der Jahre 1846–1854, Hadschi Ahmet Arif Hikmet Efendi, wird berichtet, dass dieser, falls er von der Existenz einer Ausgabe des Vâridat Bedreddins hörte, dieses aufkaufen und verbrennen ließ.

Über die Form des Vâridat

Das Vâridat Bedreddins lässt keine klare Gliederung erkennen. Als roter Faden zieht sich die Darlegung eines inneren Sinnes bzw. der tieferen Bedeutung religiöser Begriffe aus den heiligen Schriften. Dabei widersprechen sich viele Absätze derart, dass wir zunächst vermuten müssen, dass es sich bei dieser Arbeit um eine nachträgliche Zusammenstellung seiner Vorträge handelt, die vermutlich durch seine Schüler zusammengetragen wurden. Dabei mischen sich verschiedene literarische Elemente: Exempel, Sprichwörter, Zitate, Gebete. Die Erzählform liegt nahe, wenn es sich – wie auch A. Gölpinarli meint – um Antworten auf Fragen handelt, die während einer Vorlesung, möglicherweise von seinen Schülern, gestellt wurden.

Eine Sorgfalt in der Argumentation, in der Gliederung und bei der detaillierten Zeitangabe, die seinen übrigen Werken nachgesagt wird, ist nicht zu erkennen. Dieses veranlasst N. Kurdakul zu der Annahme, dass dieses Werk nicht von einem so bedeutenden Juristen stammen könne.

Vâridat ist tatsächlich ein Konglomerat häretischer Vorstellungen und Gedankengänge, die mit einem feinen Netz aus allgemeingebräuchlichen religiösen Floskeln, Hinweisen auf die Worte des Propheten, auf heilige Bücher und Texte verdeckt gehalten sind.

Während N. Kurdakul aufgrund formeller Kriterien das Werk Vâridat den Schülern Bedreddins zuschreibt, weist B. N. Kaygusuz zurecht auf die Gefahren allzu freier Meinungsäußerung hin: „Doch sollten wir mit Erbarmen bedenken“, schreibt er, „dass es in unserer Zeit relativ leicht ist, alles zu sagen. Doch vor 500 Jahren, in einer Zeit als man selbst im Westen daran glaubte, dass die Erde eine unbewegliche Scheibe darstelle und der Despotismus und der Fanatismus am meisten verschmolzen waren, war es sehr gefährlich, jede Wahrheit offen auszusprechen und den Menschen Richtungen aufzuzeigen, die sie noch nicht verstanden. Bedreddin, so ist zu vermuten, hätte später seine Anschauungen vervollkommnet. Nur haben die von uns etwas bagatellisierten Wahrheiten im Vâridat und seine freien Gedanken und Glaubensansichten diesem großen türkischen Mystiker, in der Bürde seines politischen Amtes, keine Zeit und Möglichkeit gelassen, weiterzuschreiten und haben ihm das Leben gekostet.“

Im Vâridat stellt Bedreddin Elemente orthodoxer wie auch sufistisch-heterodoxer Anschauung meistens unvermittelt nebeneinander. Seine Argumente bestreitet er zumeist aus den heiligen Schriften des Islams. Paradoxerweise finden sich selbst die Gedankengänge, die von einem orthodoxen Standpunkt her die Grundlage für ein Todesurteil hätten bilden können, mit Stellen aus dem Koran und den Überlieferungen belegt. Wo er seine Thesen nicht mit einem Beleg aus den heiligen Büchern absichern kann und er mit seiner Ansicht in einen offenen Widerspruch mit der sunnitisch-orthodoxen Betrachtung zu geraten droht, weicht er aus. Die Botschaft sei verschleiert, behauptet er. Dieses Vorgehen rechtfertigt er gleich zu Beginn des Werkes. Er verweist auf den „wissenden Sufi“. Dieser könne gezwungenerweise dem Volke seine Botschaft nur in einer verständlichen und zugleich auch verschleierten Form erklären. Seine Quellen hält er aber geheim. Macht er sie bekannt, bringen sie ihn um.

Die vorliegenden türkischsprachigen Übersetzungen des Vâridat sind sehr unterschiedlich in Gliederung und Begrifflichkeit. Zudem machen sie keine gesicherten Angaben über ihre Quellen.

Die Thesen Bedreddins (Vâridat)

Die Vorstellungen, die Bedreddin in seinem Werk Vâridat darlegt, heben sich zwar nur in wenigen Positionen von den üblichen Arbeiten im Rahmen der islamischen Mystik ab, doch diese wenigen betreffen die Kernfragen des islamischen Weltbildes. Sie lassen sich anhand seiner Ausführungen im Vâridat als Thesen formulieren:

  1. Der Prophet ist notwendigerweise ein Didakt.
  2. Das Jenseits und die Auferstehung sind als Symbole aufzufassen. Sie sind keine Wahrheiten im naturalistischen Sinne.
  3. Die beiden Welten, das Diesseits und das Jenseits, sind zeitgleich. Es handelt sich bei diesen um parallele Welten.
  4. Die Begriffe Hölle, Paradies, Sünde und Wohltat haben lediglich eine symbolische Bedeutung.
  5. Es gibt keine Wieder-Auferstehung ehemals toter Körper.
  6. Der Sinn einer Handlung ist immer der Form vorzuziehen.
  7. Am Ende des Pfades der Erkenntnis steht der wissende Mensch. Dieser ist der von den Formen und Formalien der Welt befreite Idealmensch (Insan-i kamil).


Das Vorschriftenwerk der Religion

Bei religiösen Pflichten fragt Bedreddin nach dem inneren Sinn. Das Gebet wird erst sinnvoll, wenn sich durch ihn Seelen dem Wahren nähern. Sonst bleibt es nur eine leere Hülle. Die äußere Form eines Gebetes ist lediglich von sekundärer Bedeutung. Alle Gebete und Fürsprachen sind nur Mittel, die Moral zu verbessern und das Innere zu reinigen. Es gibt keine festgelegte Zeit, Begrenzung oder Bedingung des Gebetes. In welcher Form es auch ausgeführt wird, es entspricht dem Willen Gottes. Er nimmt dabei den von der Orthodoxie schwer verfolgten Gebetstanz (semâh) in Schutz.

Das Gott-Mensch-Verhältnis

Die Vorstellung Gottes ist bei Bedreddin nicht eindeutig. Sie ist mal pantheistisch, mal monistisch, geistig, monotheistisch oder es handelt sich um eine andere Sphäre, um ein geheimes Universum. Das Ganze ist in ihm, er zugleich im Ganzen. Er ist in Allem und zugleich ist er Alles, ihm begegnet man in Allem, sei es die Blume, das Gestein oder der Mensch. Alles ist ohne Anfang und ohne Ende. Vergänglich ist nur die jeweile Form der Verkörperung.

Der vollkommene Mensch

Der Mensch steht unbestreitbar im Mittelpunkt bedreddinischer Anschauung und nimmt auch innerhalb der Schöpfung den höchsten Rang ein. Unser Prophet, schreibt er, verkündete: Ohne Zweifel, Gott schuf Adam nach seinem Ebenbild. Die wirkliche Bedeutung dieser Verkündung heißt: Gott erschuf den Menschen nach seiner Erhabenheit. Es ist nicht das Aussehen des Menschen, das ihn zum Ebenbild Gottes macht, sondern das „Eigentliche“, „das innere Gesicht“ des Menschen.

Den vollkommenen Menschen (insan-i kâmil) beschreibt er gleich zu Beginn Vâridats. Er wird darin einem gewöhnlichen, unwissenden Menschen gegenübergestellt und folgt in den Aufzählungen gleich den Propheten. Den insan-i kâmil zeichnet aus, dass sein Kern freigelegt ist und er über die Befähigung verfügt, hinter die Geheimnisse, auch die im Worte, zu schauen. Er kann den Sinn hinter den Prophetenworten ersehen und ist nicht an den Verhaltenskodex der Religion gebunden.

Der insan-i kâmil schaut hinter den göttlichen Schleier. Sich dem verschleierten Geheimnis nähern heißt für Bedreddin weiter, zwischen dem Sein und dem Nicht-Sein zu pendeln, sich vom Sichtbaren, das scheinbar und vergänglich ist, zu lösen und dem Fluss der Zeit zu entgleiten, um in der Stille der Zeit zum Ursprung und zum Ende zu schauen und dabei gleichzeitig Zeuge zu werden vom Sich-Wundern des Menschen. Hier zeigt sich Bedreddins Nähe zu Vorstellungen der Bâtinî.

Wenn der wissende Mensch sagt, schreibt Bedreddin, ich habe es gemacht, ich habe es geordnet, so sagt er deshalb die Wahrheit. Der Wissende kennt den Ursprung aller Dinge und weiß, dass es Gott gewesen ist und Gott in ihm spricht. Wird das Selbstgespräch des Menschen zu einem Dialog mit Gott, ist der Weg zum Ausspruch Halladchs nicht weit, der sagte, er sei Gott. Seine These schränkt Bedreddin aber schnell wieder ein: Sagt dies aber ein Unwissender, schreibt er, steht er im Widerspruch zur Wahrheit, denn der Unwissende denke, er selbst oder seine Werkzeuge hätten die Handlung vollzogen, oder ihm wäre die Handlung in irgendeiner Weise vorgeschrieben gewesen. Er wisse nicht von Gott und befinde sich lediglich in der Welt der Formen. Bedreddin durchbricht die Vorstellung von der Ergebenheit (= Islam) gegenüber dem Vorschriftenwerk und lockert die Fremdbestimmung des Menschen, in dem er ihm Verantwortung über sein Tun einräumt, teilt aber die Menschen ein in Gewöhnliche und Erkennende.

Die Jenseitsvorstellung

Das Diesseits und das Jenseits sind für Bedreddin zwei Aspekte einer Welt, die zusammen Gott darstellen. Sie sind jederzeit da. Es handelt sich hierbei um die bekanntesten Gedanken Bedreddins. Sie betreffen das Jenseits und den symbolischen Gehalt der Begriffe aus dem Glaubensapparat (z. B. Engel, Paradies). Insbesondere in den Fragen des Jenseits setzt er sich entschieden von der Orthodoxie ab. Die islamische Vorankündigung des Jüngsten Gerichts und der Auferstehung von den Toten wird für ihn durch die immer gegenwärtige Einheit des Seienden gegenstandslos. Wisse, verkündet er, dass es sich mit der Angelegenheit des Jenseitigen nicht so verhält, wie es die Unwissenden denken. Diese Dinge betreffen die Sphäre des Unsichtbaren (gayb), der Engel und Seelen (melekût) und nicht, wie gewöhnliche Leute denken, die Sphäre der Sinne. Paradies, Gespielinnen, Paläste, Bäume, Früchte, Flüsse, die Qual und das Feuer und ähnliche solcher Dinge, die uns schriftlich überliefert sind und in den Schriften verbreitet werden, können nicht mit der vordergründigen Bedeutung dieser Wörter erklärt werden. Nachdem dieser Körper und seine Teile sich verstreuen und verschwinden, können sie nicht mehr in ihre Form wiederkehren, sich nicht wieder zusammenfügen und ganz werden [und ihre alte Form annehmen ], nicht existieren. Tote aufzuwecken hat nicht dieses zum Zweck. Wo befindest du dich, ey Verwirrter. Die Weisheiten der Wahrheit sind anders als du denkst.

Bedreddins Vorstellungen, dass weder Gott noch die Welt über einen Anfang und ein Ende verfügen und der Schöpfungsakt auf die Auflösung und die Neuverdichtung der göttlichen Substanz zurückzuführen ist, macht eine Rückkehr zu fundamental islamischen Positionen unmöglich. Dabei gehört die Vorankündigung des Jüngsten Tages (Yaum al-qiyama) zu den wichtigsten Grundsätzen des islamischen Bekenntnisses. An diesem göttlich festgesetzten Tag soll alles Leben dieser Welt enden und Gott, der Herr des Weltgerichtstages, über die wiedererweckten Menschen zu Gericht sitzen.

Bedreddin löst sich teilweise von der Vorstellung eines drohenden und strafenden Gottes. Er befürchtet, man würde nur des zu erwartenden Lohnes im Jenseits wegen und nicht vom Herzen glauben.

Dem Sichtbaren setzt Bedreddin das Geheime gegenüber. Die Sphäre dieses Unsichtbaren entspringt Bedreddins Kosmogonie. Er unterscheidet zwei Welten, eine Welt des Sichtbaren und eine des unsichtbaren Geistes (alemi-gayb, melekût), die der Engel und der Seelen. Gott sagte: Das Unsichtbare kennt nur Gott. Er nennt die unsichtbare Welt auch das Land der Träume. Hierher gehören die gereinigten Gattinnen, Paläste, Früchte und ihnen Gleichendes. Auch der Dschinn gehört in die Welt der Träume, obwohl die, die ihn sehen, glauben ihn in dieser Welt gesehen zu haben. Auch die geheime Welt ist in seinem Wesen Gott. Sein Geheimnis ist nur scheinbar. Alle Daseinsstufen befinden sich in der Welt der Dinge, wenn diese Dinge verschwinden, bleibt nichts außer den Seelen und die entkleideten, abstrakten Wesen übrig.

Die Welt und das Jenseits sind einander entgegengesetzt. Jeden Anfang nennt man Welt und ihr Ende Jenseits. Zum Beispiel bei Ehebruch, Raki, Wein und ähnlichen Dingen stellt sich ein süßer Geschmack ein. Nach dieser Freude überkommt den Menschen ein Gefühl der Scham und des Bereuens. Diesen Geschmack nennt man Welt und das Bereuen das Jenseits. Dies, obwohl beide sich in dieser Welt ereignen. Du kannst alle Tätigkeiten und ihre Ergebnisse damit in Verbindung bringen.
In der Zeit der Gesundheit des Propheten, schreibt er über die Datierungen des Jüngsten Tages, haben einige Menschen die Erscheinungen wie deccâl und dabbe erwartet, die sie aus dem Koran und den Überlieferungen entnommen hatten. Diese Erwartungen haben sich in bekannten und detaillierten Büchern enthalten. Die Menschen nach ihnen erwarteten, dass deccâl und das dabbetülarz genannte Tier, die als Zeichen des Jüngsten Gerichtes gelten, in ihrer Zeit erscheinen werden und das Jüngste Gericht hineinbrechen würde. Einige hatten für dieses Ereignis das 3. Jahrhundert AH angesetzt. Die anderen sagten, dass der Mehdi sich in ihrer Zeit zeigen würde und datierten seine Ankunft auf die Zeit zwischen den siebten und achten Jahrhundert. Genauso wie wir uns bereits im 8. Jahrhundert befinden und nichts von dem Vorausgesagtem eingetroffen ist, werden wieder viele Jahre vergehen und nichts wird sich zeigen, und die erwartete Auferstehung der Toten wird niemals passieren. Bedreddin hat eine eigene Deutung des Jüngsten Tages. Nach dem, was wir wissen, schreibt er, bedeutet kiyamet [der Jüngste Tag] das Auslöschen der Erscheinung einer Person und seiner [Herrschaft über die] Attribute. Wenn du wünschst, kannst du für den Tod jedes beliebigen Menschen sagen: Sein Jüngster Tag ist hineingebrochen. Die Auferstehung ist es, einen dem Gestorbenen Ähnelnden auf die Welt zu bringen. Der Jüngste Tag ist für ihn nichts anderes als der Tod des Einzelnen.

Unklar bleibt in der Jenseitsvorstellung Bedreddins, was er mit dem Land der Träume meint. Das Jenseits setzt er gleich mit der Auflösung der konkreten Form der göttlichen Substanz. Da sich die Seele und die Substanz nach seiner Ansicht nicht aufteilen lassen, beginnt nach der Auflösung ein neues Zusammenfügen der Substanz. Da dieser Prozess ohne Anfang und Ende sich immer fortsetzt, ist alles beseelt und göttlich. Der Mensch hat die Kraft der Einsicht, denn im Grunde ist er ein Mensch-Gott.

Wesentlich ist Bedreddins Unterscheidung der Erscheinungsformen Gottes. Als Kriterium verwendet er das Verhältnis des Menschen zu seiner Tat. Agiert er, ist er der Schöpfer und Erschaffer. Als Reagierender ist er das Geschöpf, der Sklave. Wer sich als den Ausgangspunkt der Aktivität begreift und in dem Antrieb Gott weiß, handelt als Gott. Deshalb sind alle Tätigkeiten von Gott, die Erscheinungen sind seine Mittel, in der Erscheinung des Sklaven ist nur Gott zu finden. Nur wenn das Geschöpf glaubt, eine andere Begabung, Kraft oder Wesen gefunden zu haben, nennt man dies Unwissenheit. Es irrt sich, wenn es glaubt, der Tätige und seine Arbeitsmittel seien jeweils unterschiedliche Dinge. Das Arbeitsmittel ist, weil der Tätige ist. Seine Tätigkeit erscheint wegen seiner Verbundenheit mit Gott wie selbst gemacht. In diesem Grade ist die Tätigkeit in ihrer Erscheinung vom Menschen, in Wahrheit bei Gott.

Bedreddin bleibt im Rahmen der mystischen Einheitsvorstellung und führt sie konsequent fort. Außer Zweifel ist das Vorhandensein des Ganzen im Ganzen. Alles Sein ist im Wesen in Einheit, alle Dinge sind in jedem Ding. Siehst du nicht, dass im Samen der ganze Baum und in allen Einzelheiten des Baumes der Samen vorhanden ist? Aus dem Samen wird Baum, aus dem Baum der Samen. Alle Welten verwirklichen sich im Wesen; das Wesen verwirklicht sich als Gesamtheit in den Welten. Alle Welten finden sich im einzelnen Staubkorn. Soweit dieses gewusst, das Vorhandensein des Ganzen im Menschen verstanden, dieses Geheimnis dementsprechend erhellt wird und sich dann auftut, unter welchem Schleier sich der Mensch befindet, in dem Maße wird sich der Sinn des Satzes „Ich war ein geheimer Schatz, liebte es gewusst zu werden und schuf die Menschen, damit sie mich kennen“ erhellt werden. Derjenige, der es weiß und der es versteht, ist wieder er selbst, niemand sonst.

Den Lohn für gläubiges Leben verlagert Bedreddin daher vom Jenseits in ein diesseitiges, selbstverantwortetes, also göttlich-ethisches Verhalten. Er muss sich gefragt haben, ob Gott das Recht hat, den Sünder, dem er selbst dieses Schicksal auferlegt hat, auch dafür zu bestrafen, denn es ist nicht Gott, der den Menschen irreführt, sondern Iblis, der Teufel und Gott ist der Willensverteidiger eines jeden Menschen. Doch wozu in der Einheitvorstellung Gottes der Teufel zuzurechnen ist, verschweigt Bedreddin wohlwissentlich. Hier löst sich die Einheit des Seins und grenzt in üblich-orthodoxer Manier den Teufel, Iblis, vom Göttlichen ab.

Scheich Bedreddin in der Literatur

Der türkische Poet Nazim Hikmet verfasste im Gefängnis sein berühmtes „Epos vom Scheich Bedrettin“ (1936).

Literatur

  • Mesut Keskin: Die Toleranzidee in der anatolischen Heterodoxie am Beispiel Scheich Bedreddin Mahmud Isra'ils mit Bezügen zur interkulturellen Erziehung. Dissertation an der FU Berlin, Mikrofiche-Ausg.: 2001.
  • Nâzım Hikmet: Das Epos von Scheich Bedreddin, Sohn des Kadis von Simavne. Ararat-Verlag, Berlin 1982, ISBN 3-921889-09-X.
  • Müfid Yüksel: Simavna Kadısıoğlu. Şeyh Bedreddin. Haziran 2002, ISBN 979-975-6920-13-7 (türkisch).

Weblinks


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