Schizoidie

Schizoidie
Vergleichende Klassifikation nach
ICD-10   DSM-IV
F60.1 Schizoide Persönlichkeitsstörung 301.20 Schizoide Persönlichkeitsstörung
ICD-10 online DSM IV online

Die schizoide Persönlichkeitsstörung (griechisch: schizo = abgespalten; nicht zu verwechseln mit Schizophrenie, der schizotypischen Persönlichkeitsstörung oder der schizoiden Störung des Kindesalters) zeichnet sich aus durch einen Rückzug von affektiven, sozialen und anderen Kontakten mit übermäßiger Vorliebe für Phantastereien, einzelgängerischem Verhalten und eine in sich gekehrte Zurückhaltung. Die Betroffenen verfügen nur über ein begrenztes Vermögen, Gefühle auszudrücken und Freude zu erleben.

Beim geselligen Umgang fällt die Unzugänglichkeit des Wesenskerns auf, obwohl formal ein perfekter und sogar eleganter Umgangsstil beherrscht werden kann. Menschen mit einer solchen Störung bilden kompensatorisch oft ein hohes Maß intuitiver Fähigkeiten aus, mit denen sie sich zugleich schützen und Überlegenheit gewinnen können. Diese „antrainierten“ Fähigkeiten bleiben oft ein Leben lang erhalten und schränken das Leben des Betroffenen ein, da sie die Gefühlswelt und soziale Kontaktfähigkeit des Betroffenen unterdrücken. Sie sind sehr verschieden und reichen von einem scharfen Beobachtungssinn bis zu gespielter Hypochondrie und/oder krankhaft übertriebenem Misstrauen. Dies ist nur ein Bruchteil der Fähigkeiten, die ein Betroffener entwickeln kann. Eine große Rolle bei der Entwicklung dieser Fähigkeiten spielt auch die soziale Umgebung: Sie entscheidet letztendlich, welche Fähigkeiten entwickelt werden.

Soweit die sonstigen Voraussetzungen bestehen, entwickeln Betroffene oft ein hohes Maß an intellektueller Differenziertheit. Es wird von weniger als 1 % Betroffenen in der Bevölkerung ausgegangen, d. h., dass die Störung im Vergleich zu anderen Krankheiten relativ selten vorkommt.

Inhaltsverzeichnis

Verlauf

Nach vorherrschender Auffassung nimmt diese Persönlichkeitsstörung in der frühen Kindheit ihren Ausgang. Eine hochgradige angeborene Sensibilität und Irritierbarkeit wird ebenso als Voraussetzung für ihre Entstehung angesehen wie Formen starker emotionaler Vernachlässigung, chaotischer sozialer Verhältnisse oder auch Formen brüsker mütterlicher Fürsorge. In vielen Fällen weist ein Elternteil psychische Störungen auf und / oder konnte ihr Kind nicht verstehen. Dem Säugling und Kleinkind fehlt ausreichender Schutz zum Ausbilden der ersten selbstständigen Kontakte mit der nächsten Umgebung – solche Versuche wurden entweder gar nicht beantwortet und konnten sich nicht weiterentwickeln, oder es wurde so stark auf sie reagiert, dass nicht die Freude an der Antwort, sondern die Beängstigung durch sie als bleibende Erfahrung im Gedächtnis bleibt.

Eine tiefgehende Kontaktstörung prägt diese Menschen, ihre emotionale Beziehung zur Umwelt und anderen Menschen ist zentral gelockert, sie beschreiben ihr Lebensgefühl häufig wie „unter einer Glasglocke“ lebend. Die Welt bleibt blass, die spontane Erlebnisfähigkeit und das unmittelbare Ansprechen der Gefühle sind stark gehemmt. Tiefsitzendes Misstrauen hält sie anderen Menschen gegenüber auf Distanz. Die ausgeprägte Zwiespältigkeit ihrer Erlebnisfähigkeit hat dieser Störung den Namen gegeben. Während einerseits der Wunsch nach inniger Gemeinsamkeit mit anderen Menschen vorhanden sein kann, sind andererseits die Wege zum Ausdrücken und Mitteilen überwiegend blockiert, starr und hölzern tritt der Mensch auf, der gleichzeitig innerlich glühen mag. Und unter Druck gesetzt, durch z. B. zu enges Zusammenleben oder heftige Kritik, reagieren sie oft abrupt und befremdlich, scheinen sich gerade gut unter Kontrolle zu haben, bevor sie einen Augenblick später explodieren. Sowohl perfekte Selbstkontrolle als auch explosives Ausbrechen sind die zwei Seiten einer Persönlichkeit, deren emotionale Verbundenheit mit anderen Menschen nur gering belastbar ist.

Beruflich fühlen sie sich in abstrakten Wissenschaften fernab von Menschen wohl und können dort zu überaus guten Leistungen fähig sein. Ebenfalls kommt ihnen ihre Flexibilität durch zumeist soziale Ungebundenheit zugute. In der Schule liefern sie mitunter schlechte Leistungen ab, die nicht in Relation zu ihrem Intellekt stehen und ziehen oft Hänseleien auf sich.

Der Begriff der Persönlichkeitsstörung legt eine Fixierung auf die beschriebenen Merkmale nahe. Dennoch ist davon auszugehen, dass solche Störungen unter günstigen Bedingungen sich mildern, Plastizität beweisen und Veränderungen erreicht werden können.

Klassifikation nach ICD und DSM

ICD-10

Mindestens drei der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen vorliegen:

  1. wenn überhaupt, dann bereiten nur wenige Tätigkeiten Freude;
  2. zeigt emotionale Kühle, Distanziertheit oder einen abgeflachten Affekt;
  3. reduzierte Fähigkeit, warme, zärtliche Gefühle für andere, oder Ärger auszudrücken;
  4. erscheint gleichgültig gegenüber Lob oder Kritik von anderen;
  5. wenig Interesse an sexuellen Erfahrungen mit einem anderen Menschen (unter Berücksichtigung des Alters);
  6. fast immer Bevorzugung von Aktivitäten, die alleine durchzuführen sind;
  7. übermäßige Inanspruchnahme durch Phantasien und Introvertiertheit;
  8. hat keine oder wünscht keine engen Freunde oder vertrauensvollen Beziehungen (oder höchstens eine);
  9. deutlich mangelndes Gespür für geltende soziale Normen und Konventionen. Wenn sie nicht befolgt werden, geschieht das unabsichtlich.

DSM-IV

A: Ein tief greifendes Muster, das durch Distanziertheit in sozialen Beziehungen und eine eingeschränkte Bandbreite des Gefühlsausdrucks im zwischenmenschlichen Bereich gekennzeichnet ist. Die Störung beginnt im frühen Erwachsenenalter und tritt in den verschiedensten Situationen auf. Mindestens vier der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

  1. hat weder den Wunsch nach engen Beziehungen noch Freude daran, einschließlich der Tatsache, ein Teil einer Familie zu sein,
  2. wählt fast immer einzelgängerische Unternehmen,
  3. hat, wenn überhaupt, wenig Interesse an sexuellen Erfahrungen mit einem anderen Menschen,
  4. wenn überhaupt, dann bereiten wenige Tätigkeiten Freude,
  5. hat keine engen Freunde oder Vertraute außer Verwandten ersten Grades,
  6. erscheint gleichgültig gegenüber Lob und Kritik von Seiten anderer,
  7. zeigt emotionale Kälte, Distanziertheit oder eingeschränkte Affektivität.

Korrelation zu anderen Krankheiten und MBTI

Es wird eine starke Korrelation zwischen den MBTI-Typen INTJ und INTP angenommen (siehe auch: Keirsey).

Ebenfalls tritt eine schizoide Persönlichkeitsstörung meist nicht isoliert, sondern kombiniert mit anderen Krankheiten auf. Es gibt Überschneidungen mit anderen Störungen, vor allem mit dem Asperger-Syndrom, der vermeidenden Persönlichkeitsstörung und der Depression, weswegen die Diagnostizierung oft schwerfällt.

Unterschiede sind, dass sich Personen mit schizoiden Persönlichkeitsstörungen im Vergleich zu depressiven Menschen nicht unterlegen fühlen, im Gegensatz zu Menschen mit vermeidender Persönlichkeitsstörung bzw. sozialer Phobie keine Angst vor sozialen Interaktionen haben, sondern diese wegen ihrer Gleichgültigkeit meiden, und keine körperlichen Symptome wie beim Asperger-Syndrom haben. Im Vergleich zu Schizophrenen haben sie keine Wahnvorstellungen oder kognitiven Störungen.

Durch einseitige Konzentration auf das Äußere des Betroffenen, welches sich stark vom Inneren unterscheidet, kann es schnell zu Fehldiagnosen kommen.

Behandlung

Schizoide Menschen suchen in aller Regel keine psychologische Behandlung auf, es sei denn, sie werden dazu gezwungen. Sie können von einem sozialen Trainingsprogramm profitieren, wobei es die Ansicht gibt, dass dabei nicht ihre Krankheit behandelt wird, sondern sich nur ihr Auftreten ändert. Ebenfalls darf man auf keinen Fall vom äußeren Verhalten auf die Gedankenwelt schließen, weil diese meist um einiges gefühlvoller und lebendiger ist, als es den Anschein hat.

Kritik

Wie bei allen Persönlichkeitsstörungen ist den Betroffenen die Störung nicht bewusst, da sie selten oder gar keinen Leidensdruck verspüren und dann die Motive für diesen auf ihre Außenwelt projizieren bzw. in dieser kompensieren. Die Umgebung hat aus ihrer Sicht ein Problem, sie selbst können ihren Anteil daran nicht reflektieren. Umso mehr haben die Bezugspersonen oft unter ihrem Verhalten zu leiden. Zu prüfen ist dennoch, ob Verhaltensweisen nur aus dem Grund abgelehnt werden, weil sie in dem jeweiligen Kulturkreis, in dem diese Personen leben, eine geringe Verbreitung haben.

Literatur: Christa Rohde-Dachser, Otto Kernberg, Heinz Kohut

Literatur

  • Kurt-Heinrich Weshavel: Schizotypische Persönlichkeitsstörung. Borderline Persönlichkeitsstörung, Soziale Phobie.. Norderstedt, Mai 2003, ISBN 3-8330-0382-0
  • Peter Fiedler: Persönlichkeitsstörungen. BeltzPVU, 19. September 2001, ISBN 3-621-27493-6
  • Sula Wolff: Loners: The Life Path of Unusual Children. Taylor & Francis Books, 17. August 1995, ISBN 0-415-06665-4
  • Robert Waska: Primitive Experiences of Loss: Working with the Paranoid-Schizoid Patient. Karnac Books, 28. Februar 2002, ISBN 1-85575-260-3
  • Fritz Riemann: Grundformen der Angst. Ernst Reinhardt Verlag, München, 2003, ISBN 3-497-00749-8 [Achtung: Der dort verwendete Begriff 'schizoid' entspricht nur in beschränktem Umfang dem hier beschriebenen.]

Weblinks

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