Schlussfolgerndes Denken

Schlussfolgerndes Denken

Intelligenz (lat.: intelligentia „Einsicht, Erkenntnisvermögen“, intellegere „einsehen, verstehen“) bezeichnet im weitesten Sinne die geistige Fähigkeit zum Erkennen von Zusammenhängen und zum Finden von Problemlösungen. Intelligenz kann auch als die Fähigkeit, den Verstand zu gebrauchen, angesehen werden. Sie zeigt sich im vernünftigen Handeln.

In der Psychologie ist Intelligenz ein Sammelbegriff für die kognitiven Fähigkeiten des Menschen, also die Fähigkeit, zu verstehen, zu abstrahieren und Probleme zu lösen, Wissen anzuwenden und Sprache zu verwenden.

Mit Intelligenz befassen sich die Allgemeine und die Differentielle Psychologie sowie die Neuropsychologie.

Inhaltsverzeichnis

Intelligenz in der differentiellen Psychologie und psychologischen Diagnostik

Die Differentielle und Persönlichkeitspsychologie ist Quelle eines Großteils der Forschung zum Konstrukt Intelligenz. In dieser Disziplin wird Intelligenz als Teilbereich der Persönlichkeit im weiteren Sinne gesehen. Dabei bemüht man sich darum, die unscharfen Begrifflichkeiten zu vermeiden, die im alltäglichen Sprachgebrauch verwendet werden (Denkvermögen, Auffassungsgabe, Rationalität, Logik, Urteilsvermögen), um die geistigen Fähigkeiten des Menschen zu kennzeichnen, Intelligenz messbar zu machen und von anderen Konstrukten der psychologischen Forschung wie z. B. Kreativität abzugrenzen (vgl. diskriminante Validität, Testgütekriterien).

Aus der Grundlagendisziplin der differentiellen Psychologie geht die Intelligenzdiagnostik bzw. die Psychometrie als Anwendungsgebiet hervor. Hier bemüht man sich darum, quantitative Unterschiede der Intelligenz zwischen Menschen festzustellen. Als Fachbegriff der Psychometrie wurde „intelligence – Intelligenz“ in der Zeit um 1900 geprägt, wobei der inhaltliche Impuls aus dem französischen (Alfred Binet) und englischen Sprachraum kam (Louis Leon Thurstone, Charles Spearman). Einige Intelligenztests sind adaptiv und passen sich in der Schwierigkeit dem Vermögen des Probanden an (sog. adaptives Testen).

Intelligenztest

→ Hauptartikel: Intelligenztest

Ein Intelligenztest dient dazu, die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen zu erfassen. Es existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Tests für unterschiedliche Zielgruppen und Anwendungsfälle. Ergebnis eines solchen Tests ist häufig der so genannte Intelligenzquotient (IQ).

Intelligenztests liegt die Annahme zu Grunde, dass die Intelligenz der Bevölkerung normalverteilt ist. Damit beschreibt der IQ die Abweichung vom Mittelwert 100, eine Standardabweichung beträgt 15 IQ-Punkte.

Intelligenzquotient

→ Hauptartikel: Intelligenzquotient

1904 wurde eine Gesellschaft für Kinderpsychologie, die Société Libre pour l’Etude Psychologique de l’Enfant, von der französischen Regierung damit beauftragt, einen Test zu erstellen, mit dem man geistig behinderte Kinder, die vom normalen Schulunterricht nicht mehr profitieren, identifizieren könnte. Alfred Binet und Theodore Simon entwickelten daraufhin den ersten IQ-Test[1]. Der IQ wurde dabei als Quotient von Intelligenzalter und Lebensalter definiert. Später wurde von anderen Forschern (David Wechsler) ein neues Intelligenzkonzept eingeführt, bei dem die Leistung des Einzelnen auf den Mittelwert der entsprechenden Altersklasse bezogen wird.

Modelle

→ Hauptartikel: Intelligenztheorie

Der Verfasser des ersten Intelligenztests, Alfred Binet, sah Intelligenz als ein Bündel zahlreicher Einzelfähigkeiten, auch wenn sein Test zu zeigen schien, dass Intelligenz etwas Einheitliches, Ganzes sei. Ein genaueres Strukturmodell erstellte er jedoch nicht.

Im Laufe der Zeit entstanden verschiedene Erklärungsmodelle, die vor allem auf die Faktorenanalyse zurückgreifen.

Korrelate von Intelligenz

→ Hauptartikel: Korrelate von Intelligenz

Intelligenz korreliert mit einer Reihe von anderen Variablen. So sind etwa intelligente Leute schulisch erfolgreicher als weniger intelligente[2] und besetzen höhere Berufspositionen.[3] Unter Studenten und unter Auszubildenden erbringen die intelligenteren bessere Leistungen als die weniger intelligenten.[4] Überdurchschnittlich begabte Menschen sind in der Regel gesünder und haben eine höhere Lebenserwartung.[5]

Der Einfluss der Intelligenz auf das Einkommen ist jedoch begrenzt. Es konnte gezeigt werden, dass zumindest in den USA die soziale Herkunft einen viel stärkeren Einfluss auf den Verdienst hat als die Intelligenz.[6]

Intelligenz korreliert jedoch auch mit Krankheiten. So sind intelligente Leute etwa häufiger kurzsichtig.[7][8][9][10] Auch mit bestimmten Erbkrankheiten besteht ein Zusammenhang.

Für psychische Störungen wie Schizophrenie konnte gezeigt werden, dass sowohl besonders intelligente als auch besonders wenig intelligente Leute verstärkt darunter leiden – durchschnittlich intelligente jedoch weit seltener.[11][12][13]

Es ist außerdem zu beobachten, dass Intelligenz und Hirnvolumen positiv zusammenhängen.[14] [15]

Kritik am Intelligenzkonzept der differentiellen Psychologie

Hauptartikel: Kritik am Intelligenzbegriff

Intelligenz wird häufig als statistisches Konstrukt kritisiert. Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen IQ und Sozialschicht. Leute aus den unteren Sozialschichten und deren Kinder erreichen auf standardisierten Intelligenztests einen niedrigeren IQ als Leute aus den oberen Sozialschichten und deren Kinder.[16] Es wird diskutiert, ob dies daran liegt, dass traditionelle Intelligenztests gegenüber Arbeitern und deren Kindern unfair sind,[17] IQ-Tests wurden deswegen als klassistisch kritisiert.[18] Durch regelmäßiges Üben lassen die Aufgaben von Intelligenztests sich trainieren und damit ein besseres Ergebnis erzielen, als unvorbereitete Personen erreichen würden. Dies bezeichnet man mit dem Begriff der Testintelligenz (englisch: test-wiseness). Es wird befürchtet, dass IQ-Tests nicht wirklich aussagekräftig wären.

Intelligenz aus der Sicht anderer Disziplinen

Allgemeine Psychologie

Die für den Begriff Intelligenz relevante Forschung auf dem Gebiet der Allgemeinen Psychologie bezeichnet man heute oft als Kognitive Psychologie. Diese wiederum greift auf Methoden und Erkenntnisse der Hirnforschung, der Entwicklungspsychologie und zunehmend auch der künstlichen Intelligenz zurück.

Neuropsychologie

Die Neuropsychologie beschäftigt sich unter anderem auch mit den neuronalen Grundlagen der Intelligenz bzw. der Verarbeitung von Signalen bzw. Information beim Menschen. Für die Intelligenz besonders relevant sind die Vorgänge im Großhirn (vgl. auch Cortex), wogegen das Kleinhirn (lat. Cerebellum) und phylogenetisch ältere Bereiche (z. B. das Stammhirn) in der Forschung zu neuronalen Grundlagen der Intelligenz weniger Beachtung finden. Dies heißt jedoch nicht, dass Intelligenz in bestimmten Bereichen lokalisiert werden kann, eine gewisse dezentrale Organisation von Informationsverarbeitungsprozessen ist trotz allem nicht von der Hand zu weisen.

Informatik

In der Informatik beschäftigt man sich mit dem Thema im Rahmen der Forschung zur Künstlichen Intelligenz (KI). Sie bezeichnet die Nachbildung menschlicher Intelligenz innerhalb der Informatik. Die KI findet zunehmend Einsatz in der ingenieurwissenschaftlichen oder medizinischen Technik. Mögliche Anwendungsszenarien sind: Optimierungsprobleme (Reiseplanung, Schienenverkehr), Umgang mit natürlicher Sprache (automatisches Sprachverstehen, automatisches Übersetzen, Suchmaschinen im Internet), Umgang mit natürlichen Signalen (Bildverstehen und Mustererkennung). Aber auch in Computerspielen wird die KI oft für vom Computer gesteuerte Gegner verwendet. Sie reicht aber noch lange nicht an die menschliche Intelligenz heran, da es ein relativ neuer Teil der Informatik ist und Intelligenz noch nicht genau genug definiert wurde.

Der Begriff "Nachbildung menschlicher Intelligenz" darf hier nicht zu eng interpretiert werden: KI ist oft nur als Regelbasiertes System (z. B. Expertensystem) implementiert (als Satz von Bedingungen und Ableitungsregeln, also letztlich als Programm, in dem sich die sog. Inferenzmaschine selbst die richtige Reihenfolge der Abarbeitung der Regeln sucht.)

Ursachen für Intelligenz

Erbe oder Umwelt?

In der Psychologie besteht heutzutage breiter Konsens, dass sowohl Vererbung als auch Umwelteinflüsse bei der Intelligenzentwicklung eine Rolle spielen.[19][20] Uneinigkeit herrscht allerdings darin, in welchem Umfang die einzelnen Faktoren relevant sind.

Einfluss der Gene

Einige Forscher vertreten die Meinung, dass Intelligenz in jedem Fall einen erblichen Anteil habe, da „die heute als klassisch anzusehende Metaanalyse von Bouchard und McGue (1981) die empirische Suche nach der Antwort auf die Frage, ob allgemeine Intelligenz erblich ist, mit einem eindeutigen ‚ja‘“ beantwortet habe.[21]

Andere Autoren weisen außerdem darauf hin, dass die relevanten Umwelteinflüsse meist nicht näher identifiziert werden können und dass es sich dabei um nicht familiär geteilte Umweltaspekte handelt, also um solche, die beispielsweise auf gemeinsam aufwachsende Geschwister in unterschiedlicher Weise wirken.[22]

„Die verschiedenen Ansätze zur Untersuchung der Erblichkeit der Intelligenz erbringen keine vollständig konsistenten Befunde. Die höchsten Erblichkeitsschätzungen von etwa h(2) = 70% resultierten aus Studien an getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen, während sowohl der Vergleich eineiiger mit zweieiigen Zwillingen als auch Adoptionsstudien Erblichkeitsschätzungen erbringen, welche eher bei h(2) = 50% liegen, mitunter auch darunter. Ganz zweifellos jedoch konvergieren die Befunde dahingehend, dass individuelle Unterschiede im IQ zu einem erheblichen Teil genetisch bedingt sind. Weiterhin konvergieren die Befunde dahingehend, dass die unterschiedliche Qualität der Familienumwelt zu individuellen Unterschieden in der Intelligenz beiträgt. Die Schätzungen für c(2) schwanken dabei zwischen 20% und 40%.“

Peter Borkenau : Anlage und Umwelt[23]

Es wird jedoch kritisiert, dass die Erblichkeit des IQ überschätzt werde, da eine Mehrheit der Adoptiveltern „kaukasischer Abstammung, volljährig, wohlhabend, gebildet und in stabiler Ehe lebend“ sind. Das bedeutet, dass es in den adoptierten Familien nicht das volle Spektrum der Umwelteinflüsse gibt. Die Umwelt ist in diesen Familien meistens besonders förderlich für die IQ-Entwicklung, so dass man aus dem geringen Einfluss der Umwelt in diesen Studien nur schließen kann, dass es keine große Rolle spielt, ob ein Kind beim gebildeten, wohlhabenden Paar A oder beim gebildeten wohlhabenden Paar B aufwächst.[24][25] Wohl aber könnte man vermuten, dass es einen großen Unterschied machen würde, wenn das Kind in schlimmen Verhältnissen aufwachsen müsste. Leute, die in wirklich schlimmen Verhältnissen leben, lässt man keine Kinder adoptieren, doch die wenigen Adoptionsstudien, die sich mit armen Adoptiveltern und Adoptiveltern aus der Arbeiterklasse beschäftigen, zeigen, dass deren adoptierte Kinder deutlich weniger intelligent sind als die von wohlhabenden Mittelschichtspaaren adoptierten Kinder.

The Bell Curve

→ Hauptartikel: The Bell Curve

In dem umstrittenen Buch vertreten die Harvard-Professoren Charles Murray und Richard Herrnstein die Auffassung, dass Intelligenz zum größten Teil erblich und für den sozialökonomischen Status eines Individuums entscheidend sei. Sie argumentieren, dass es eine auffallende Korrelation von sozialer Schicht und Intelligenz gebe, wobei sie die Intelligenz für die Zugehörigkeit zu einer Schicht verantwortlich machen: Intelligentere Menschen würden aufsteigen.

Das Buch erntete heftige Kritik. Zum einen wurde den Autoren Rassismus vorgeworfen, da sie beispielsweise den im Durchschnitt deutlich niedrigeren IQ schwarzer US-Amerikaner als genetisch veranlagt beschrieben und nicht berücksichtigt hätten, dass die Ursache dafür im durchschnittlich schlechteren sozioökonomischen Umfeld liege.[26] Andere Wissenschaftler zweifeln grundsätzlich daran, dass Intelligenz in dem Umfang, wie es The Bell Curve postuliert, erblich ist, und machen umgekehrt das soziale Umfeld für die Intelligenzentwicklung verantwortlich.

Bedeutung des sozialen Umfelds

Richard Lewontin argumentiert, dass die Meinung, Intelligenz sei zum Großteil erblich und Umwelteinflüsse seien nicht innerhalb der Familie zu suchen, durch falsche Interpretation von Adoptionsstudien zustande gekommen sei. Bei richtiger Interpretation der Studien sei es offensichtlich, dass die von Geschwistern geteilte familiäre Umwelt eine große Rolle spiele.[27]

Lewontin erklärt diese These mit einem Gleichnis:

Man stelle sich vor, man habe einen Sack voll Weizenkörner. Man teile diesen Sack rein zufällig in zwei Hälften. Die eine Hälfte säe man auf einem fruchtbaren Boden, den man gut wässert und düngt. Die andere Hälfte werfe man auf einen kargen Acker.
Wenn man nun das erste Feld betrachtet, wird einem auffallen, dass die Weizenähren verschieden groß sind. Man wird dies auf die Gene zurückführen können, denn die Umwelt war für alle Ähren gleich.
Wenn man das zweite Feld betrachtet, wird man die Variation innerhalb des Feldes auch auf die Gene zurückführen können.
Doch es wird auch auffällig sein, dass es große Unterschiede zwischen dem ersten Feld und dem zweiten Feld gibt. Auf dem ersten Feld sind die Unterschiede zu 100 % genetisch, auf dem zweiten Feld sind die Unterschiede zu 100 % genetisch, doch das heißt nicht, dass die Unterschiede von Feld 1 und Feld 2 auch genetisch sind.

Ebenso sieht Lewontin es mit dem sozialen Umfeld: Die IQ-Unterschiede innerhalb einer Schicht können zu einem gewissen Prozentsatz genetisch sein, doch dies würde nicht zur Folge haben, dass die Unterschiede zwischen zwei Schichten ebenfalls genetisch sein müssten. Als Beweis nennt er Adoptionssstudien, zum Beispiel die von Skodak und Skeels oder die Minnesota Transracial Adoption Study.

Als Analogie nennt er auch die Körpergröße, von der bekannt ist, dass sie zum Großteil genetisch bedingt ist. Diese Ursache kann jedoch nur innerhalb einer Schicht als ausreichend angesehen werden, zwischen verschiedenen sozialen Schichten entsteht trotzdem ein Unterschied, der heutzutage mit drei bis vier Zentimetern angegeben wird. Mit zunehmend wirtschaftlichem Wohlstand steigt auch die Körpergröße ganzer Nationen.[28][27]

Kritik

Borkenau kritisiert, dass Lewontins Einschätzung unzutreffend und pauschalisierend sei:

„[Es ist] nicht angemessen, je nach Belieben die Studie, welche die geringste oder höchste Erblichkeitsschätzung impliziert, herauszupicken, und diese Studie als die eigentlich aussagekräftige zu werten. In dieser Weise geh[t] […] Lewontin […] vor.“

Peter Borkenau: Anlage und Umwelt[23]

Ferner wird von Riemann und Spinath darauf hingewiesen, dass sich der Erblichkeitsanteil bei Kindern und Erwachsenen anders darstellt, als Lewontin anführt:

„Offenbar wirken sich die von Familienmitgliedern geteilten Umweltbedingungen nur solange auf die Intelligenz aus, bis die Personen die Familie verlassen. […] Während Effekte der geteilten Umwelt ein Viertel der Variation bezüglich Intelligenz in der Kindheit erklären, sind diese im Erwachsenenalter nicht mehr nachzuweisen. Einflüsse der spezifischen Umwelt nehmen jedoch zu.“

Riemann & Spinath: Genetik und Persönlichkeit[29]

Einfluss von Risikofaktoren in der Kindheit

Einfluss von Risikofaktoren
auf die Intelligenzentwicklung[30]
Vorhandene
Risikofaktoren
Durchschnitts-IQ
der Kinder*
keine 119
1 116
2 113
4 93
8 85
* Es handelt sich um IQ-Werte nach einer
US-amerikanischen Skala

So genannte Risikofaktoren wie etwa Drogenkonsum der Eltern, Armut oder eine schlechte psychische Verfassung der erziehenden Personen können einen erheblichen negativen Einfluss auf die Intelligenzentwicklung ausüben. In einer Studie wurde festgestellt, dass erst durch das gleichzeitige Auftreten mehrerer Risikofaktoren die kindliche Entwicklung stark beeinträchtigt wird.[30]

Die quantitativen Ergebnisse dieser Studie sind in der Tabelle rechts dargestellt.

Zu diesem Ergebnis kam auch eine andere Längschnittstudie. Ein oder zwei Risikofaktoren hatten nur eine sehr geringe Auswirkung auf die kognitive Entwicklung, kamen jedoch weitere hinzu, so zeigten sich starke Auswirkungen. Kinder, die von acht bis neun Risikofaktoren betroffen waren, hatten gar einen im Schnitt um 30 Punkte geringeren IQ als unbelastete Kinder.[31]

Adoptionsstudien

Studien zu Adoptivkindern ermöglichen es, zu untersuchen, welchen Einfluss das soziale Umfeld auf die Intelligenzentwicklung eines Kindes hat. Da die adoptierten Kinder mit ihren Eltern und Geschwistern nicht verwandt sind, müsste bei einer rein vererbten Intelligenz ihr IQ von dem der adoptierenden Familie unabhängig sein. Sollte jedoch nur das sozioökonomische Umfeld die Intelligenzentwicklung beeinflussen, so dürfte kein signifikanter Unterschied im IQ zwischen Adoptivkind und seinen Adoptiveltern oder -geschwistern bestehen.

Die 1975 begonnene Minnesota Transracial Adoption Study war eine methodisch aufwändige, groß angelegte und detailliert dokumentierte Studie zur Adoption von Kindern aus Familien der Unter- und Arbeiterschicht, die von Familien der oberen Mittelschicht adoptiert wurden. Am Anfang der Studie wurden sowohl die Adoptionseltern als auch deren leibliche Kinder getestet, als die Adoptivkinder 7 Jahre alt waren. Der IQ der leiblichen Eltern wurde nicht erfasst, nur deren Ausbildung, aufgrund derer der Durchschnitts-IQ auf etwa 85 bis 90 geschätzt wurde. 10 Jahre später wurden mit einem anderen Test alle noch lokalisierbaren Kandidaten nochmals getestet (die Ergebnisse fallen aufgrund des Tests etwas niedriger aus).

Das schlechtere Abschneiden farbiger Kinder erklären die Autoren Scarr und Weinberg mit rassenspezifischer Diskriminierung und der Tatsache, dass viele erst in höherem Alter zur Adoption freigegeben wurden. Insgesamt wird deutlich, dass die adoptierten Kinder im IQ ihren Adoptiveltern und -geschwistern sehr ähnlich sind:

Ergebnisse der Minnesota Transracial Adoption Study[32]
Alter der Kinder: 7 17
IQ der Adoptiveltern: 120 115
Hintergrund der Kinder IQ IQ GPA* Klassenperzentil Schulleistungsperzentil
leibliche Kinder 117 109 3,0 64 69
adoptiert, zwei weiße Elternteile 112 106 2,8 54 59
adoptiert, ein weißes/ein schwarzes Elternteil 109 99 2,2 40 53
adoptiert, zwei schwarze Elternteile 97 89 2,1 36 42
* Der GPA entspricht dem Notendurchschnitt, wobei 4,0 dem deutschen 1,0 entspricht.

Ausgehend von den Daten, die gewonnen wurden, als die Kandidaten 17 Jahre alt waren, konnte eine Korrelation mit der Ausbildung der biologischen Mutter (nicht jedoch der des biologischen Vaters) gezeigt werden (Faktor: 0,23). Weiterhin wurde ein signifikanter Zusammenhang zum Alter, mit dem das Kind zur Adoption freigegeben wurde, festgestellt: Je jünger dieses gewesen war, desto intelligenter war es später (−0,30). Während keine Verbindung zum Einkommen oder der Ausbildung der Adoptiveltern gefunden wurde, waren deren Intelligenzquotienten entscheidend (Vater: 0,20, Mutter: 0,18). Auch die „Qualität der Pflegefamilie vor der Adoption“ korrelierte (0,30).[32] Das zeigt, wie sehr die Intelligenz eines Kindes von seinem sozialen Umfeld abhängig ist.

Adoptionsstudien von Clark und Hanisee (1982) und Winick, Meyer und Harris (1975) legen diesen Zusammenhang ebenfalls nahe: So konnte gezeigt werden, dass vietnamesische und koreanische Waisenkinder, welche von amerikanischen Mittelschichtsfamilien aufgezogen wurden, später einen überdurchschnittlichen IQ hatten. In den Studien lag er für ausreichend ernährte Kinder im Schnitt zwischen 112 und 120. Unterernährte Kinder hatten durchschnittlich einen IQ von etwa 102 bis 106. Waisenkinder, welche in Vietnam von Verwandten aufgezogen wurden oder in Heimen aufwuchsen, hatten dagegen einen unterdurchschnittlichen IQ.[33][34]

In einer französischen Adoptionsstudie wurde gezeigt, dass auch durch vergleichsweise späte Adoption, verbunden mit einer Verbesserung des sozialen Umfeldes, der IQ eines vor der Adoption unterdurchschnittlich intelligenten vernachlässigten/missbrauchten Kindes gesteigert werden kann. Außerdem zeigte sich, dass Kinder, die von Familien mit hohem sozioökonomischem Status adoptiert wurden, eine höhere Intelligenz entwickelten (IQ-Durchschnitt: 98) als Kinder, die von Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status aufgenommen wurden (IQ-Durchschnitt: 85).[35]

Vielzitiert ist auch die Adoptionsstudie von Harold M. Skeels und Skodak. Diese untersuchten ursprünglich 181 Adoptivkinder auf ihren IQ. Sie verfolgten deren geistige Entwicklung bis zur Adoleszenz. Zu diesem Zeitpunkt waren noch 100 Personen in der Stichprobe. Sie kamen zu folgenden Ergebnissen:

  • Adoptierte Kinder entwickeln sich – verglichen mit ihren leiblichen Müttern – sehr vorteilhaft.
  • Von Mittelschichtspaaren adoptierte Kinder haben einen IQ, der dem der leiblichen von Paaren aus dieser Schicht entspricht.
  • Der IQ der leiblichen Mutter korreliert deutlich mit dem IQ ihres Kindes. Kinder von leiblichen Müttern mit einem IQ von unter 70 erreichten in der Adoleszenz einen Durchschnitts-IQ von 104. Kinder mit leiblichen Müttern von einem IQ von 110 oder mehr erreichten in der Adolenszenz einen Durchschnitts-IQ von 129. Es ist jedoch nicht sicher, ob dies auf biologische Faktoren zurückzuführen ist, da es damals der amerikanischen Adoptionspraxis entsprach, den reichsten Adoptionsbewerbern die Kinder der intelligentesten Mütter zu vermitteln.
  • Eine wichtige Rolle für die intellektuelle Entwicklung spielen emotionale und personale Faktoren in der Adoptivfamilie.[36]

Zu dem Ergebnis, dass sowohl Gene als auch Umwelt eine Rolle spielen, kam eine Adoptionsstudie, welche von Capron und Duyme durchgeführt wurde. In den allermeisten Fällen stammen die leiblichen Eltern adoptierter Kinder aus der Armutsschicht. Nur wenig ist über die adoptierten Kinder bekannt, deren leibliche Eltern wohlhabend sind. Die Adoptiveltern hingegen entstammen meist den oberen Schichten, schon allein deshalb, weil es armen Leuten nur selten erlaubt wird, ein Kind zu adoptieren. Um diese Wissenslücke zu schließen, suchten Capron und Duyme nun gezielt Kinder mit wohlhabenden leiblichen Eltern und außerdem Kinder mit armen Adoptiveltern. Es konnte gezeigt werden, dass drei Gruppen von Kindern einen IQ über 100 erreichten:

  • Kinder, die sowohl wohlhabende leibliche als auch wohlhabende Adoptiveltern hatten,
  • Kinder, die arme leibliche Eltern und wohlhabende Adoptiveltern hatten,
  • Kinder, die wohlhabende leibliche Eltern und arme Adoptiveltern hatten.

Einen IQ von unter 100 dagegen erreichten:

  • Kinder, die sowohl arme leibliche als auch arme Adoptiveltern hatten.

Folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse im Einzelnen:

Durchschnitts-IQ nach Adoptiveltern[37]
arme Adoptiveltern wohlhabende Adoptiveltern
arme leibliche Eltern Durchschnitts-IQ: 92,4 Durchschnitts-IQ: 103,6
wohlhabende leibliche Eltern Durchschnitts-IQ: 107,5 Durchschnitts-IQ: 119,6

Unterschiede im Einfluss der sozioökonomischen Umgebung

In allen Studien zu dem Thema konnten schichtspezifische Unterschiede in der Intelligenz Jugendlicher festgestellt werden.[38] Diese sind jedoch nicht überall gleich stark ausgeprägt: Die Unterschiede in ländlichen Gebieten sind weit geringer als die in der Stadt. Die genauen Gründe dafür sind unbekannt. Es wird vermutet, dass sich in den Städten stärker als auf dem Land Unterschichtenmilieus bilden und soziale Probleme, etwa Arbeitslosigkeit und Drogenkonsum, dazu beitragen, dass die Kinder nicht ausreichend gefördert werden.[39]

Für Deutschland gibt es keine direkten Untersuchungen. Jedoch wurde im Rahmen der PISA-Studie die „Problemlösekompetenz“ untersucht, die der Intelligenz sehr ähnlich ist. Auch hier zeigte sich, dass die Unterschiede zwischen den Schichten auf dem Lande geringer waren als in der Stadt. Es zeigten sich starke Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. In Ostdeutschland sind sich Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Schichten hinsichtlich ihrer Problemlösekompetenz sehr viel ähnlicher als im Westen. Die Gründe dafür sind unklar.[40]

Genetische Veranlagung

Für einige Gene konnte ein Zusammenhang mit der Intelligenzentwicklung nachgewiesen werden. Der Einfluss ist jedoch relativ gering, so dass die genetische Veranlagung keinesfalls als alleinige Erklärung für Intelligenzunterschiede ausreicht.

Intelligenz wird nicht durch ein einzelnes Mastergen oder nur eine nur kleine Gruppe von Genen bestimmt, sondern ist eine multigenetische Veranlagung und unterliegt dabei der Regression zur Mitte. Mit Hilfe der SNP-Microarray-Technik wurden insgesamt 47 Genabschnitte identifiziert, die mit der Intelligenzentwicklung korrelierten. Jedoch trägt keine dieser Genvarianten mehr als 0,4 Prozent zur Intelligenz bei, die sechs einflussreichsten Genvarianten zusammengenommen steuern lediglich etwas mehr als ein Prozent zur Ausprägung der Intelligenz eines Individuums bei. Da die Intelligenz eines Menschen eng mit dem Gehirn verknüpft ist und mindestens die Hälfte des Genoms zu dessen individuellem Aufbau beiträgt, vermuten die Forscher noch eine Vielzahl weiterer Gene.[41] Andere Wissenschaftler fanden etwas einflussreichere Genvarianten. Durch diese konnten bis zu 3% des IQ erklärt werden.[42] Ein Mastergen konnte nicht gefunden werden.

Humangenetiker der Universität Ulm fanden außerdem heraus, dass die Intelligenzgene nicht gleichmäßig auf alle Chromosomen verteilt sind: Die meisten Intelligenzgene fanden sich auf dem X-Chromosom, auf dem Y-Chromosom dagegen keine. Ein Junge erbt die Intelligenz also hauptsächlich von seiner Mutter, weil er das X-Chromosom von der Mutter und ein Y-Chromosom vom Vater erbt. Ein Mädchen hingegen erbt jeweils von der Mutter und vom Vater ein X-Chromosom, von denen eines inaktiviert wird.[43]

Es konnte unter anderem für folgende Gene eine Korrelation nachgewiesen werden:

  • Eine von sechs Varianten des Gens DTNBP1, verantwortlich für die Bildung des Proteins Dysbindin-1, scheint die Intelligenz zu senken. Gleichzeitig gibt es wahrscheinlich auch einen Zusammenhang mit Schizophrenie. Der Durchschnitts-IQ von Menschen mit dieser Genvariante liegt 3 Punkte unter dem Mittelwert der gesamten Bevölkerung.[44][45][46]
  • Eine bestimmte Variante des Rezeptor-Gens für das insulinähnliche Wachstumshormon IGF-2 scheint unter hochbegabten Kindern mit 50 % etwa doppelt so häufig aufzutreten wie bei normal begabten (25 %). Allerdings lässt sich dadurch lediglich ein Unterschied im IQ von etwa 4 Punkten erklären. Einher geht diese Variante im Vergleich zu anderen mit häufigerer Kurzsichtigkeit und Auftreten von Allergien sowie großem Wuchs und schlanker Körperform.[47][48]
  • Für einige Variationen des COMT-Gens konnte ein Zusammenhang mit leicht erhöhter Intelligenz nachgewiesen werden. Gleichzeitig steht es auch in Verbindung mit Schizophrenie.[49][50]
  • Auch Polymorphismen im Interleukin-1β-Gen haben möglicherweise einen Einfluss auf die Intelligenz: Probanden, die den Genotyp CC aufwiesen, sind laut einer Studie intelligenter als der Rest der Bevölkerung.[51]
  • Das CHRM2-Gen ist im Moment das favorisierte Gen, wenn es um den Einfluss der Gene auf die Intelligenz und die schulischen Leistungen geht. Es konnte festgestellt werden, dass einige Variationen im CHRM2-Gen zu erhöhter Intelligenz führen. Außerdem wurde festgestellt, dass diese Variationen des Gens einen positiven Einfluss auf das erreichte Bildungsniveau haben. Der Einfluss jeder einzelnen Variation ist jedoch sehr klein.[52] Der kumulative Einfluss aller Variationen in diesem Gen zusammengenommen könnte jedoch weit größer sein.[53]
  • Gegenwärtig werden die beiden Fälle untersucht, dass eine Person alle intelligenzfördernden oder alle intelligenzmindernden Variationen im CHRM2-Gen hat. Man vermutet, dass es in diesem seltenen Fall zu beträchtlichen IQ-Unterschieden kommen würde. Vermutlich würde eine Person mit allen intelligenzfördernden Variationen eine Person mit allen intelligenzmindernden Variationen um 15 bis 20 IQ-Punkte übertreffen. Personen, die nur intelligenzfördernde Versionen oder nur intelligenzmindernde Versionen des Gens haben, sind jedoch extrem selten, und die Aussagen über diesen kleinen Personenkreis sind bis jetzt reine Spekulation.[54]

Bestimmte Formen der geistigen Behinderung sind genetisch bedingt. Dazu zählen das Down-Syndrom, das Fragiles-X-Syndrom und die Phenylketonurie.

Sozioökonomisches Umfeld

Soziale Schicht

Turkheimer hat darauf hingewiesen, dass bei der Erblichkeit der Intelligenz die soziale Klasse eine große Rolle spiele. Während Intelligenz in der Mittelschicht zu einem großen Teil erblich sei, sei sie dies in der Unterschicht nicht. Der Grund: Die schlechten Umweltbedingungen in der Unterschicht führten dazu, dass die Kinder ihr genetisch vorgegebenes Potential nicht entwickeln konnten. Auf einer Skala von 0,00 bis 1,00 sei der IQ in der Mittelschicht zu 0,72 von den Genen bestimmt, in der Unterschicht jedoch nur zu 0,10, so Turkheimer[55].

Ernährung

Hertzig, Birch, Richardson und Tizard stellten 1972 fest, dass Unterernährung in der frühen Kindheit gravierende Folgen für die Intelligenzentwicklung und das Sozialverhalten von Kindern hat. Sie untersuchten Kinder, die wegen Unterernährung in ein Krankenhaus mussten und danach in ihre Familien zurück kamen. Ihr Durchschnitts-IQ war 58.[56] Clark und Hanisee untersuchten den Lebensweg von aus Entwicklungsländern adoptierten Kindern, die unterernährt waren und traumatische Kindheitserfahrungen gemacht hatten. Die Kinder wurden von amerikanischen Familien aus der oberen Mittelschicht adoptiert. Entgegen der Annahme, dass diese Kinder unter schweren Beeinträchtigungen leiden würden, erwiesen sie sich als überdurchschnittlich intelligent und überdurchschnittlich sozial kompetent. Beim Peabody Picture Vocabulary Test erreichten sie einen IQ von 120, auf der Vineland Social Maturity Scale erreichten sie im Schnitt 137 Punkte. 100 Punkte gelten als Durchschnitt, 137 als außerordentlich gut. Clark und Hanisee kamen zu dem Ergebnis, dass unterernährte und traumatisierte Kinder sich als erstaunlich resilient erweisen, wenn sie in stabile Familienverhältnisse adoptiert werden.[57] Winick, Meyer und Harris untersuchten koreanische Adoptivkinder, die im Alter von unter drei Jahren von amerikanischen Paaren adoptiert wurden. Sie teilten die Kinder in drei Gruppen auf: eine schwer unterernährte, Grenzfälle und eine ausreichend ernährte. Die schwer unterernährte Gruppe erreichte einen IQ von 102, die Grenzfälle einen IQ von 106 und 112 für die Kinder, welche nicht unterernährt waren. Winick Meyer und Harris kamen zu dem Schluss, dass Unterernährung in der frühen Kindheit einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung des IQs hat, jedoch keinesfalls zu einem Leben mit geistiger Behinderung verdammt. Wenn sie spätestens im dritten Lebensjahr adoptiert werden, so erreichen selbst schwer unterernährte Kinder einen normalen IQ. Die überdurchschnittlichen IQ-Werte der ausreichend ernährten Kinder erklären sich wahrscheinlich durch die Adoptivfamilien. Familien, welchen erlaubt wird, ein Kind zu adoptieren, haben in der Regel einen hohen sozioökonomischen Status und können den Kindern besonders gute Lebensbedingungen bieten.[58]

Seit langem ist bekannt, dass Iodmangel in der Schwangerschaft oder frühen Kindheit zur Intelligenzminderung führen kann. Eine Metaanalyse aus 10 verschiedenen klinischen Studien zeigte, dass ein chronischer Iodmangel zu einer mittleren IQ-Minderung um 13,5 Punkte führte.[59] Dass chronischer Iodmangel bei Kindern zu Intelligenzminderung führt wurde durch Studien aus allen Teilen der Welt belegt.[60][61][62] Iodmangel gilt als the world's greatest single cause of preventable brain damage and mental retardation (die weltgrößte einzelne Ursache vermeidbarer Hirnschäden und geistiger Behinderungen).[63]

Stillen

Stillen hat einen positiven Einfluss auf die Intelligenzentwicklung. Es erhöht den IQ um sieben Punkte, jedoch anscheinend nur dann, wenn das Kind eine bestimmte Version des Genes FADS2 hat.[64] Auch andere Studien fanden einen positiven Einfluss des Stillens auf die Intelligenz.[65][66]

Erziehung

Das schließt zunächst nicht aus, dass Erziehung zu diesen Umwelteinflüssen gehört, da man aus der Erziehungsstil-Forschung weiß, dass dieselben Eltern ihre einzelnen Kinder unterschiedlich erziehen. Vertreter des Erbe-Standpunktes deuten dies jedoch so, dass Eltern mehrerer Kinder unterschiedlich auf verschiedene genetisch bedingte Temperamente ihrer verschiedenen Kinder reagieren (vgl. reziproker Interaktionismus).

Wie komplex das Zusammenwirken von Erbgut und Umwelt ist, ging bereits früh aus heute als klassisch eingestuften Experimenten zur Vererbung von Lernleistungen hervor. So wurden Ratten zunächst einem so genannten disruptiven Selektionsdruck mit dem Ziel ausgesetzt, ihre Lernleistung beim Durchqueren eines Labyrinths zu verändern. [67] Über sieben Generationen hinweg wurden – unter Aufrechterhaltung gleicher Haltungsbedingungen – zum einen jeweils nur die Nachkommen jener Mütter weiter gezüchtet, die in der Zuchtlinie der „klugen“ Ratten besonders rasch das Durchqueren des Labyrinths lernten. Zugleich wurden in einer zweiten Zuchtlinie, ausgehend von der gleichen Anfangspopulation, die Nachkommen jener Mütter weiter gezüchtet, die das Durchqueren des Labyrinths besonders langsam lernten. Schließlich konnte man statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Testtieren der beiden Zuchtlinien nachweisen: Infolge der Entfernung der jeweils ungeeigneten Testtiere aus der Zucht hatten sich demnach Veränderungen der Lernfähigkeit ergeben, die nur durch eine Veränderung im Genpool der beiden Zuchtlinien erklärbar waren; die Lernfähigkeit der Ratten hat also eine genetische Basis. Robert Rosenthal erwog hingegen eine andere Erklärung: Er argumentierte, dass es sich möglicherweise um einen so genannten Versuchsleitereffekt gehandelt habe. In einem Experiment analysierte er das Verhalten von Forschern, die angeblich „schlaue“ und „dumme“ Ratten zu testen hatten. Das Ergebnis war, dass die rein zufällig ausgewählten Testtiere starke Unterschiede in der vom Versuchsleiter jeweils erwarteten Ausprägung ihres Verhaltens zeigten. Rosenthal führte das auf unbewusste stärkere Zuneigung zu den angeblich schlaueren Ratten zurück. [68]

Dass die Gene das Lernverhalten der Ratten aber nur unter bestimmten Umweltbedingungen determinieren, ergab einige Jahre später eine weitere Studie an Tieren solcher „intelligenten“ bzw. „unintelligenten“ Zuchtlinien. [69] Testtiere aus einer langsam lernenden Zuchtlinie wurden nun nämlich in besonders abwechslungsreich mit Tunnels, Rutschen und Spielzeug ausgestatteten Käfigen aufgezogen und gehalten; umgekehrt wurden Testtiere aus der rasch lernenden Zuchtlinie in einer besonders reizarmen Umgebung untergebracht: Unter diesen veränderten Umweltbedingungen war kein Unterschied zwischen den beiden Zuchtlinien mehr nachweisbar. Bei unverändertem Genpool in jeder der beiden Zuchtlinien ist dies ein Beleg dafür, dass die Umwelt die Lernleistung im Labyrinth maßgeblich beeinflusst. Die Autoren der Studie argumentierten daher, dass erst das Zusammenwirken von Erbe und Umwelt das sichtbare Verhalten hervor bringe und eine Trennung in angeboren und erworben letztlich weder sinnvoll noch möglich sei.

Erziehungsstil

Längsschnittuntersuchungen zeigen, dass sich deutliche Intelligenzunterschiede zwischen Kindern, deren Eltern Wert auf intellektuelle Leistungen legen, und Kinder von Eltern, die das nicht tun, gibt. Die erste Gruppe von Kindern war intelligenter. Eine andere Untersuchung zeigt, dass die Kinder von Eltern, die ein warmherziges und demokratisches Erziehungsverhalten an den Tag legten, intelligenter waren als Kinder von Eltern, die sich autoritär und strafend verhielten.[70]

Sprachumfeld

Das Sprachumfeld spielt ebenfalls eine wichtige Rolle und korreliert eng mit dem sozialen Status der Eltern. In einer Studie wurde ermittelt, dass Eltern aus der Mittel- und Oberschicht wesentlich häufiger und deutlich mehr mit ihren Kindern sprachen als solche aus der Unterschicht und komplexere Sätze bildeten. Dies hat nach den Autoren einen enormen Einfluss auf die Intelligenzentwicklung, der IQ der benachteiligten Kinder lag bei durchschnittlich 79, während die sozial gut gestellten Kinder, mit denen viel geredet wurde, im Durchschnitt auf 117 kamen.[71]

Vernachlässigung

Laut René A. Spitz kann Vernachlässigung im frühen Kindesalter zu Hospitalismus führen. Dieser ist unter anderem durch seelische Retardierung und einen niedrigen IQ gekennzeichnet. Hospitalismus ist jedoch heilbar, wenn das Kind später liebevoll betreut wird. [72] Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Experimente von Harry Harlow mit jungen Rhesusaffen sowie die Forschungsarbeiten von Harold M. Skeels zur Entwicklung der Intelligenz bei Menschen, die in Heimen aufwuchsen.

Armut

Kinder aus ärmlichen Verhältnissen sind oft weniger intelligent, haben ein schlechteres Sprachvermögen und entwickeln geringere soziale Fähigkeiten. So sind in Deutschland 13,8 Prozent aller armen Kinder in ihrer geistigen Entwicklung beeinträchtigt, aber nur 0,8 % bei den Reichen.[73] Insgesamt liegt der IQ armer Kinder um 6 bis 13 Punkte unter dem Durchschnitts-IQ.[74] 80–90 % der Kinder in Schulen für Lernbehinderte stammen aus dem Armutsmilieu. Die unsichere berufliche und finanzielle Situation der Eltern, schlechte Wohnbedingungen, das Leben in sozialen Brennpunkten, unvollständige Familien, eingeschränkte und einseitige Anregungen und soziale Isolation tragen laut Schlack dazu bei, dass in dieser Lebenswelt die Bedürfnisse der Kinder nicht befriedigt werden können. Dies führt dazu, dass sie ihr intellektuelles Potential nicht erreichen können.[75]

Doch gibt es Ausnahmen von der Regel, dass Armut zu niedriger Intelligenz führt. So zeigten etwa die Oakland Growth and Berkeley Guidance Studies keine signifikanten Auswirkungen von Armut bei Jungen aus der Arbeiter- und Mittelschicht. Arme Mittelschichtsjungen hatten einen Durchschnitts-IQ von 115,9, arme Jungen aus der oberen Arbeiterschicht einen Durchschnitts-IQ von 113,1.[76] Die Ergebnisse dieser Studien, die sich mit Individuen beschäftigen, die zwischen 1920 bis 1929 in Californien geboren wurden, lassen sich nicht uneingeschränkt auf die heutige Zeit übertragen. Auch sind dies Jungen, die trotz Armut in einer relativ guten sozialen Umgebung aufwuchsen.[77]

Wachstumshormone

Je mehr Wachstumshormon IGF-1 (nicht zu verwechseln mit IGF-2) ein Mensch im Blut hat, desto höher ist tendenziell seine Intelligenz. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass das Hormon das Gehirn wachsen lässt. Der IGF-1-Spiegel wird laut David Gunnell von der Universität Bristol durch verschiedene Dinge beeinflusst. Zum Beispiel haben zu früh geborene Kinder in der Regel niedrigere Spiegel des Hormons. Dies würde auch erklären, warum zu früh geborene Kinder häufig Intelligenzrückstände haben. Je älter die Mutter des Kindes zum Zeitpunkt der Schwangerschaft ist, desto höher ist der Spiegel des betreffenden Hormons und tatsächlich konnte nachgewiesen werden, dass ältere Mütter tendenziell intelligentere Kinder haben. Es könnte eventuell möglich sein, die Intelligenz von Kindern mit einem niedrigen IGF-1-Spiegel durch gezielte Gaben des Hormons zu fördern. Doch muss man dabei auch die Risiken beachten: Das Hormon kann möglicherweise zu Krebserkrankungen führen. Auch wurden hohe IGF-1-Spiegel schon mit Schizophrenie in Verbindung gebracht.[78], [79].

Schulform

In Deutschland bieten sich aufgrund des mehrgliedrigen Schulsystems Untersuchungen zur Frage an, ob bei gleicher Eingangsvoraussetzung die Intelligenzleistung durch den Besuch des Gymnasiums stärker ansteigt als durch den Besuch der Haupt- oder Realschule. Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung führte dazu eine Studie durch (die BIJU). Es konnten starke Effekte nachgewiesen werden: Bei Kontrolle der Ausgangsleistung im Intelligenztest in Klasse 7[80] konnten die Schüler, die das Gymnasium besuchten, ihre Intelligenzleistung um 11,39 Punkte mehr steigern als die Schüler, welche die Realschule besuchten.[81]

Bedrohung durch Stereotype

Hauptartikel: Bedrohung durch Stereotype

Als Bedrohung durch Stereotype bezeichnet man es, wenn eine Person glaubt, zu einer leistungsschwachen Gruppe zu gehören, und deswegen bei einem IQ-Test versagt. Das Phänomen konnte beispielsweise für Frauen nachgewiesen werden: Steele ließ männliche und weibliche Studierende an einem Test der mathematischen Fähigkeiten teilnehmen. Der Hälfte der Stichprobe wurde kurz vor dem Test gesagt, dass es bei diesem Test in der Regel starke Geschlechtsunterschiede gebe. Tatsächlich schnitten die Frauen nun deutlich schlechter ab als die Männer. Die andere Hälfte der Stichprobe erhielt diese Information nicht. Hier konnten keine signifikanten Geschlechtsunterschiede gezeigt werden.[82] Auch andere Gruppen können durch Stereotype bedroht sein – wie Angehörige von ethnischen Minderheiten oder Angehörige der unteren Sozialschichten. Manchmal kann auch für ganze Nationen eine Bedrohung durch Stereotype nachgewiesen werden. So konnte Harold Stevenson nachweisen, dass Amerikaner im Vergleich zu Angehörigen asiatischer Nationen stärker durch Stereotype bedroht waren und deswegen schlechtere Leistungen auf Tests der mathematischen Fähigkeiten erbrachten.[83]

Sonstige

Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft kann Fetales Alkoholsyndrom (auch FAS oder Alkoholembryopathie genannt) verursachen. Dieses geht oft mit geringem IQ einher. Das Fetale Alkoholsyndrom ist die häufigste geistige Behinderung, die nicht genetisch bedingt ist. Und: Sie ist zu 100 % vermeidbar.[84]

Wissenschaftler nehmen an, dass Umweltverschmutzung, insbesondere durch Blei, negative Folgen für die Intelligenzentwicklung hat. [85] [86]

IQ-Unterschiede zwischen Generationen und ethnischen Gruppen und Kasten

Wissenschaftler wie James R. Flynn konnten feststellen, dass in den Industrieländern bis in die 1990er Jahre jüngere Generationen intelligenter waren als die Generation ihrer Eltern. Dieses Phänomen wird als Flynn-Effekt bezeichnet. Es wird auf die Verbesserung der Umweltbedingungen zurückgeführt (siehe auch: Euthenics). Der Flynn-Effekt könnte etwa durch eine bessere Ernährung oder durch bessere Bildung zustande gekommen sein.[87][88]

Die Grafik zeigt die Normalverteilungskurven der Intelligenzquotienten des schwarzen und des weißen Teils der US Bevölkerung. Nach: Social Consequences von Linda Gottfredson.

Auch zwischen ethnischen Gruppen konnten einige Wissenschaftler IQ-Unterschiede feststellen.[89] Eine Minderheit von umstrittenen Wissenschaftlern wie zum Beispiel Richard Lynn sind der Meinung, dass dies mit genetischen Unterschieden zusammenhänge. Sie glauben, dass durch die Evolution einige ethnische Gruppen eine höhere Intelligenz hätten als andere. Die Mehrheit der Wissenschaftler schließt sich dieser These nicht an. Wissenschaftler verweisen oft darauf, dass die Gene aller Menschenrassen zu einem hohen Prozentsatz identisch sind. Anita Woolfolk bemerkt: Für jeweils zwei völlig zufällig ausgewählte Individuen sind nur 0,012% der alphabetischen Reihenfolge ihres genetischen Codes auf rassische Unterschiede zurückzuführen.[90] Der Havard-Wissenschaftler Richard Lewontin (Evolutionsbiologe), der renommierte Psychologe Leon J. Kamin und Steven P. Rose (Professor für Neurobiologie) sind der Meinung, dass Intelligenz in jeder Umgebung ein Selektionsvorteil ist, es also unlogisch wäre, wenn bestimmte ethnische Gruppen durch die Evolution intelligenter wären als andere.[91] Vielmehr fällt auf, dass Intelligenzunterschiede zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb einer Schicht praktisch nicht existent sind.[92] Dass einige ethnische Gruppen bei IQ-Test schlechter abschneiden als andere, wird daher von vielen Wissenschaftlern darauf zurück geführt, dass überdurchschnittlich viele Leute aus diesen ethnischen Gruppen zur sozialen Unterschicht gehören. Armut aber kann zu Einbußen im IQ führen. Deswegen machen viele Wissenschaftler auch Armut für IQ-Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen verantwortlich.[93] Dass dies so ist, wurde ja auch eindrucksvoll durch den Flynn-Effekt belegt. Je reicher die Leute in den Industrieländern wurden, desto klüger wurden sie. 1994 schrieben Herrnstein und Murray ihr umstrittenes Buch The Bell Curve. In diesem vertraten sie erneut die These, es gebe genetische IQ-Unterschiede zwischen den Rassen. Elsbeth Stern und Ilonca Hardy kommentierten folgendermaßen:

Herrnstein und Murray (1994) verfassten zum Thema ein vielzitiertes Buch, in dem sie vorwiegend durch Re-Analyse vorliegender Datensätze nachzuweisen versuchten, dass nicht die ungünstigen Lebensverhältnisse der schwarzen US-Bevölkerung für deren schlechtes Abschneiden bei IQ-Test verantwortlich seien, sondern der genetisch determinierte niedrige IQ ihre schlechte ökonomische Situation verursache. Auf einen ersten unkritischen Blick erscheint manche statistische Analyse überzeugend, aber bei genauem Hinsehen brechen viele Argumente in sich zusammen. In einem von Fraser (1995) herausgegebenen Buch nehmen zahlreiche Experten kritisch Stellung. Nisbett (1995) kritisiert insbesondere, dass bei Herrnstein und Murray die vielen Studien unberücksichtigt bleiben, die zeigen, dass Amerikaner afrikanischer Abstammung, die zu einer guten Schule überwechselten oder an besonderen Trainingsprogrammen teilnahmen, beachtliche Zugewinne im IQ verzeichnen konnten.[94]

Diesem Argument schließen sich Philip Zimbardo und Richard Gerrig an. Sie betonen, dass die Tatsache, dass der IQ innerhalb einer Gruppe stark erblich sei, nicht darauf hinweise, dass Gruppenunterschiede auch durch die Gene zustande gekommen wären:

Erblichkeitsschätzungen beziehen sich auf Schätzungen innerhalb einer Gruppe. Sie können nicht zur Interpretation von Gruppenunterschieden herangezogen werden, egal wie groß der Unterschied zwischen Gruppen in objektiven Tests auch sei. [...] Die Tatsache, dass eine ethnische Minderheit bei einem IQ-Test niedrigere Werte als eine andere Gruppe erzielt, heißt nicht, dass der Gruppenunterschied genetisch bedingt ist, selbst wenn die Erblichkeitsschätzung innerhalb der Gruppe hoch ist.[95]

Wieder andere Wissenschaftler vertreten die These, dass Intelligenztests unfair gegenüber Gruppen wie Afroamerikanern sind, da die Tests in der nordamerikanischen und europäischen Mainstream-Kultur verwurzelt wären. Intelligenzkonzepte anderer Völker und ethnischer Minderheiten würden zu wenig beachtet.

In Deutschland sorgte eine Äußerung von Dieter Lenzen, Präsident der Berliner Freien Universität, für Aufsehen. Dieser sagte, dass laut einer Studie Türken im Durchschnitt weniger intelligent wären als Deutsche. Dies wurde auch auf sprachfreien IQ-Tests bestätigt, lag also nicht an mangelnden Sprachkenntnissen.[96] Niemand behaupte, dass Einwandererkinder von Geburt an dumm seien, so Lenzen. Allerdings blieben sie in der Studie nachweisbar hinter den deutschen Kindern zurück. Diese Studie gebe keinen Anlass für rassistische Mutmaßungen. Auch gehe es nicht um Gene. Vielmehr folge aus der Studie vor allem eines: Die schulische Förderung von Einwanderern muss mehr leisten als reine Sprachförderung […] Schulische Förderung muss zusätzlich kognitive Defizite ausgleichen, die in der sozialen Herkunft der Kinder begründet sind.[97] Laut Lernpsychologin Elsbeth Stern lässt sich daraus, dass Türken bei IQ-Tests schlechter abschneiden, nicht schließen, dass diese dümmer sind. Als Deutschland Türken ins Land holte, brauchte man vor allem Leute, die am Fließband stehen, also Menschen aus der bildungsfernen Unterschicht. Die schlechten Leistungen der Türken hätten vor allem soziale Ursachen – keine ethnischen. Zudem könne man bei Intelligenztests letztlich nie das Umfeld ausblenden. Der eingesetzte Test verlangt vor allem, dass man logische Strukturen in Figurenfolgen erkennt. Wer zu Hause beispielsweise viel mit Puzzles spielt, ist gegenüber anderen Kindern im Vorteil.[98]

Der Intelligenzforscher John Ogbu konnte nachweisen, dass soziale Stigmatisierung einer ethnischen Gruppe oder Kaste zu schlechten Leistungen bei IQ-Tests führt. So haben beispielsweise die japanischen Burakim einen um 15 Punkte niedrigeren IQ als andere Japaner.[99]

Förderung von Intelligenz

Da eine verminderte Intelligenz mit verringerten Bildungs- und damit auch Lebenschancen einhergeht, gibt es Bestrebungen, durch gezielte Förderung die Intelligenz zu steigern. Vor allem Kinder, welche unterprivilegiert aufwachsen, haben oft einen niedrigen IQ und sind somit primäres Ziel vieler Programme.

Programme

Vor allem in den USA wurde im Rahmen der Great Society Domestic Agenda eine Vielzahl von Programmen gestartet, denen allesamt das Konzept der kompensatorischen Erziehung zugrundeliegt. Beispiele dafür sind das (mittlerweile eingestellte) Milwaukee Project und Head Start, sowie das Abecedarian Early Intervention Project und das High/Scope Perry Preschool Project. In Großbritannien wurden nach dem Vorbild von Head Start Early Excellence Centre gegründet und das Programm Sure Start ins Leben gerufen.[100] Auch in Deutschland wurde bereits das erste Early Excellence Centre eröffnet.[101]

Das Milwaukee Project

→ Hauptartikel: Milwaukee Project

Das Projekt wurde von der University of Wisconsin durchgeführt mit dem Ziel, zu erforschen, wieso ein Drittel aller geistig behinderten Kinder in Milwaukee aus dem gleichen Viertel der Stadt, in dem nur 3 Prozent der Bevölkerung lebten, stammten.[102] Weiterhin sollte eine Lösung für dieses Problem gefunden werden.

Für das Projekt wurden Kinder ausgewählt, deren Mütter einen IQ von höchstens 80 hatten, und dann in eine Behandlungs- und eine Kontrollgruppe aufgeteilt. Die Kinder der Behandlungsgruppe wurden schon als Babys in ein sogenanntes Infant Stimulation Center gebracht, wo sie von persönlichen Trainern, die allesamt promovierte Akademiker aus dem Gebiet der Pädagogik und Psychologie waren, individuell und intensiv betreut wurden. Beispielsweise spielten die Trainer Lernspiele mit den Kindern oder lasen ihnen vor. Zusätzlich erhielten die Kinder einen individuellen Speiseplan, der von einem Arzt erstellt wurde.

Mit 6 Jahren erwiesen sich die Kinder aus der Behandlungsgruppe als überdurchschnittlich intelligent. Sie hatten einen Durchschnitts-IQ von 120 und es waren etliche Hochbegabte darunter. Die Kinder der Kontrollgruppe dagegen hatten einen IQ von 87 und es waren keine Hochbegabten darunter. Danach endete die Betreuung.

Die Kinder wurden nicht mehr gefördert und besuchten die schlechten öffentlichen Schulen ihres Viertels. Ihr IQ fing an zu sinken, so dass sie im Alter von 14 Jahren durchschnittlich einen IQ von 101 aufwiesen. Sie waren damit durchschnittlich intelligent und vor allem deutlich intelligenter als die Kinder der Kontrollgruppe.[103]

Head Start

→ Hauptartikel: Head Start

Head Start ist ein US-amerikanisches Programm zur kompensatorischen Erziehung, das seit 1965 versucht, die Bildungschancen von Kindern aus sozial schwachen Familien zu verbessern. Etwa 24 Millionen Vorschulkinder nahmen bis 2007 an dem Programm teil, dessen Budget fast 7 Milliarden US-$ beträgt.[104]

Das Programm ist in mehrere Unterprojekte gegliedert. Early Head Start kümmert sich bereits während der Schwangerschaft um die werdenden Eltern, insbesondere die Mütter, und bietet verschiedene Beratungs- und Kursangebote. Das eigentliche Head Start betreut die Kinder nach der Schule, etwa durch Haushaufgabenhilfe oder Besuche von Ausstellungen. Mit Migrant and Seasonal Head Start wurde ein Programm für Kinder von Migranten und Saisonarbeitern geschaffen.

Der Effekt des Programms ist umstritten. Während einige Studien Head Start insgesamt oder zumindest in Teilbereichen Erfolg bescheinigen, kritisieren andere, dass nicht am gesamten Problem, also der sozialen Gesamtsituation, gearbeitet, sondern nur ein Teilaspekt herausgegriffen werde.

Bewertung der Programme

Allgemein lässt sich feststellen, dass diese Programme die Intelligenz steigern können. Unglücklicherweise neigen die Zugewinne jedoch nach dem Verlassen des Programmes dazu, wieder zu verschwinden. Aus diesem Muster lassen sich zwei Lehren ziehen: Der IQ kann durch die Umgebung beeinflusst werden, aber diese verbesserte Umwelt muss aufrechterhalten werden.[105] Es muss jedoch betont werden, dass die Programme die Einflüsse der Armut zwar abmildern können, sie jedoch nicht vollkommen aufheben. Dazu schreiben Zigler und Styfco: Die empirische Literatur [...] bietet gute und schlechte Nachrichten. Die schlechte Nachricht ist, dass weder "Head Start" noch irgendein anderes Vorschulprogramm Kinder gegen die Verwüstungen impfen kann, die Armut anrichtet [...] Gute Programme können die Kinder aber auf die Schule vorbereiten und ihnen vielleicht helfen, bessere Fähigkeiten zur Anpassung und Bewältigung zu entwickeln, die ihnen bessere, wenngleich nicht perfekte Lebensumstände ihnen gestatten.[106]

Pygmalioneffekt

→ Hauptartikel: Pygmalioneffekt

Möglicherweise kann der von Rosenthal und Jacobson postulierte Pygmalioneffekt zu einer Steigerung der Intelligenz bis hin zur Hochbegabung führen. Es handelt es sich dabei um eine Art selbsterfüllende Prophezeiung: Die Wissenschaftler erklärten Lehrern von Grundschulen, dass einige Kinder in ihrer Klasse als hochbegabt identifiziert worden wären, die in Wirklichkeit aber zufällig ausgewählt worden waren. Aufgrund der angeblichen Hochbegabung der Schüler beschäftigten die Lehrer sich nun verstärkt mit diesen Schülern, woraufhin starke IQ-Gewinne bei den Schülern festgestellt werden konnten.[107] Auch wenn die Versuche von Rosenthal und Jacobson kritisiert wurden, unter anderem von Hans Jürgen Eysenck, der den Autoren methodische Fehler vorwarf,[108] zeigen sie trotzdem, wie wichtig individuelle Förderung für die Intelligenzentwicklung ist.

Verbesserungen der Ernährung

Unterernährung, wie sie in den Entwicklungsländern vorkommt, kann, wenn sie über lange Zeit bestehen bleibt, zu starken Einbußen im IQ führen (siehe oben). Doch auch in den Industrieländern lässt sich durch eine Verbesserung der Ernährung der IQ steigern. Durch Vitamintabletten konnte der IQ von Grundschulkindern aus den USA gesteigert werden. Der Versuch wurde an zwei Grundschulen, deren Schüler größtenteils Hispanics waren, gemacht. Der Versuchsgruppe wurden Vitamintabletten gegeben, die Kontrollgruppe erhielt einen Placebo. Der Durchschnitts-IQ der Versuchsgruppe stieg um 2,5 Punkte.[109] Die Ernährung während der Schwangerschaft kann einen positiven Effekt auf den IQ haben. In einer Studie waren die Kinder von Frauen, die während der Schwangerschaft Fischölkapseln erhalten hatten, intelligenter als die Kinder der Frauen, die einen Placebo erhalten hatten.[110] Mütter, die während der Schwangerschaft viel Fisch verzehrten, haben Kinder mit einem höheren IQ und einem besseren Sozialverhalten als andere Mütter. Der Effekt bleibt auch erhalten, wenn man andere Variablen (etwa Sozialschicht oder ob die Mutter gestillt hat) kontrolliert.[111] Einige Fischsorten sind jedoch durch die zunehmende Umweltverschmutzung hoch mit Quecksilber belastet. Diese sollten in der Schwangerschaft gemieden werden. Außerdem sollte in der Schwangerschaft darauf geachtet werden, dass genügend Jod konsumiert wird, da Jodmangel während der Schwangerschaft mit IQ-Einbußen beim Kind einhergehen kann. Neben einer jodreichen Grundnahrung wurde die ergänzende Zufuhr von 100 (bis 150) μg Jod pro Tag in Tablettenform empfohlen.[112]

Pharmakologische Eingriffe

Trotz der Komplexität des menschlichen Gehirns ist es mittlerweile möglich, Teilfaktoren der Intelligenz gesunder Erwachsener pharmakologisch zu verbessern. So steigert der Wirkstoff Methylphenidat die Kapazität des räumlichen Arbeitsgedächtnisses und die Fähigkeit zum Planen, sofern es sich um unbekannte Aufgaben handelt.[113] Modafinil dagegen erhöht die Leistung bei der Mustererkennung und beim räumlichen Planen und verbessert das Kurzzeitgedächtnis für Zahlen.[114] Der Acetylcholinesterase-Hemmer Physostigmin verbessert das Arbeitsgedächtnis bei der Gesichtserkennung.[115] Das Hormon Erythropoetin, von dem angenommen wird, dass es die Neuroplastizität erhöht, vergrößert eine Woche nach einer einmaligen, die Blutzusammensetzung nicht beeinflussenden, Injektion die Wortflüssigkeit.[116] Schließlich steigert auch der sich noch in der Zulassungsphase befindliche Nikotinagonist GTS-21 die Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses.[117] Interessanterweise fallen die Verbesserungen durch Modafinil und Methylphenidat bei Personen mit im Verhältnis geringerer geistiger Leistungsfähigkeit stärker aus.[118][119] Die relativ geringe absolute Stärke der Effekte, die teilweise hohen Kosten, die manchmal vorhandenen starken Nebenwirkungen und ungeklärte neuroethische Fragen verhindern allerdings eine breite Anwendung dieser Medikamente. Obwohl auf dem Gebiet der Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit umfangreiche Forschungen betrieben werden, hemmen besonders offene Haftungsfragen und das Fehlen rechtlicher und gesellschaftlicher Normen die Weiterentwicklung dieser Technologie.

Musikunterricht

Musikunterricht hat einen positiven Einfluss auf den IQ, sofern er schon im jungen Alter stattfindet.[120][121] Eine Studie konnte keinen Effekt des Musikunterrichts auf das räumliche Vorstellungsvermögen, jedoch einen Effekt auf den verbalen IQ nachweisen.[122] Es konnten signifikante Unterschiede in der Gehirnstruktur zwischen Musikern und Leuten, die kein Instrument spielten, festgestellt werden.[123]

Skandale der Intelligenzforschung

Die Intelligenzforschung wird geprägt durch den Skandal um Sir Cyril Burt, der (zum Beispiel von Leon J. Kamin) verdächtigt wird, Daten gefälscht zu haben. Es ist heute unbestritten, dass auf Burts Daten zur Zwillingsforschung nicht zurückgegriffen werden kann. Ob es sich um eine Fälschung oder nachlässige Forschung handelt, wird unter Wissenschaftlern kontrovers diskutiert. Eysenck findet, dass Burt nachlässig war, aber nicht gefälscht hat. Er sieht auch nicht alle Arbeiten Burts als unbrauchbar an, sondern nur die zur Zwillingsforschung, und greift auf andere zurück [124]

Einzelnachweise

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  4. Elsbeth Stern und Ilonca Hardy (2004): Differentielle Psychologie des Lernens in Schule und Ausbildung. In Birbaumer et al.: Enzyklopädie der Psychologie – Themenbereich C: Theorie und Forschung – Serie VIII: Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung – Band 5 Theorien und Anwendungsfelder. Hogrefe Verlag: ISBN 3-8017-0534-X, S. 596
  5. Linda. S. Gottfredson und Ian J. Deary: Intelligence Predict Health and Longevity – but why?. Current Directions In Psychological Science. auch online verfügbar
  6. Elsbeth Stern und Ilonca Hardy (2004): Differentielle Psychologie des Lernens in Schule und Ausbildung. In Birbaumer et al.: Enzyklopädie der Psychologie – Themenbereich C: Theorie und Forschung – Serie VIII: Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung – Band 5 Theorien und Anwendungsfelder. Hogrefe Verlag: ISBN 3-8017-0534-X, S. 596
  7. Die Zeit: Kurzsichtige Menschen sind intelligenter abgerufen am 7.2.2008
  8. Andrew A. Fingelkurts: Exploring Giftedness abgerufen am 7.2.2008
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  10. Lubinski, D. und Humphreys, L. (1992) some bodily and medical correlates of mathematical giftedness and commensurate levels of socioeconomic status. Intelligence 16, 99–115
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  12. American Psychiatric Foundation: In Families With Psychosis the Numbers Tell a Story, abgerufen am 07.02.2008
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Siehe auch

Weblinks

  • www.indiana.edu Überblick über Intelligenzforscher (mit Biographien) und kontroverse Themen (auf Englisch)
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