Schneeballerde

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Globale Eiszeit
(Zeitachse nach unten beginnend mit 1000 Millionen Jahre vor heute)

Schneeball Erde (engl. Snowball Earth) ist der Name der Hypothese der Vereisung des gesamten Erdballs während der Erdurzeit im Proterozoikum. Nach dieser Hypothese reichten während globaler Vereisungen die Gletscher von den Polen bis in Äquatornähe und die Ozeane waren weitgehend zugefroren.

Der Begriff wurde 1992 von dem amerikanischen Geologen Joseph L. Kirschvink geprägt, nachdem bereits von anderen Autoren entsprechende Eiszeiten vermutet worden waren. Schneeball Erde bezieht sich darauf, dass die Erde damals vom Weltall aus wegen der geschlossenen Eisdecke über den Meeren und den Kontinenten wie ein gigantischer Schneeball ausgesehen haben könnte. Eine der möglichen Vereisungsperioden ist die Neoproterozoische oder Eokambrische Eiszeit am Ausgang des Proterozoikums oder im frühen Kambrium.

Die Vorstellung einer Gesamtvereisung der Erde ist zwar populär, aber fachwissenschaftlich nach wie vor umstritten.[1] Die wissenschaftliche Diskussion zieht die Verlässlichkeit und Interpretation der geologischen Befunde für diese Hypothese in Zweifel, da es deutliche Hinweise gegen eine damalige Gesamtvereisung gibt und der vorgeschlagene physikalische Mechanismus, der zu einer derartigen Vereisung hätte führen sollen, angezweifelt wird.

Inhaltsverzeichnis

Geologischer Befund und Hypothese

Aus dem späten Proterozoikum überliefert sind glazigene Ablagerungen wie Tillite, die oft nur wenige Meter, an manchen Stellen jedoch bis zu 2000 m mächtig sind. Diese Ablagerungen wurden mit Ausnahme der Antarktis auf allen Kontinenten nachgewiesen. Eine direkte Datierung der Sedimente ist nicht möglich, ihre Bildungszeit kann aber durch über- und unterlagernde Gesteine eingegrenzt werden. Nach paläomagnetischen Rekonstruktionen lag zumindest ein Teil der entsprechenden Ablagerungsorte während des gesamten späten Proterozoikums in Äquatornähe.[2] Darüber hinaus sind sie eng vergesellschaftet mit Gesteinen, die auf eine Entstehung unter eher tropischen Bedingungen hinweisen, so etwa Karbonatgesteine, Rotsedimente, und Evaporite.[3] Dieser Befund führt zu der Annahme, dass die Erde in dieser Zeit bis in Äquatornähe von Eis bedeckt war.

Der Grund für die Vereisung soll das Auseinanderbrechen des damals bestehenden Superkontinents Rodinia gewesen sein. Niederschläge konnten wieder die Gebiete erreichen, welche wegen der Größe des Superkontinents vorher trocken und wüstenhaft waren. Das im Regenwasser enthaltene Kohlenstoffdioxid führte nach dieser Vorstellung zu einer chemischen Verwitterung, die schließlich die Bindung des Kohlenstoffdioxids in den Ablagerungsprodukten zur Folge hatte. Wegen der Entfernung des Treibhausgases aus der Atmosphäre sanken die Temperaturen und lösten eine erdweite Vergletscherung aus.[4]

Auch der Rückzug des Eises wird auf plattentektonische Vorgänge und den mit ihr einhergehenden Vulkanismus an den Plattengrenzen zurückgeführt. Der erhöhte Ausstoß von Kohlenstoffdioxid durch Vulkane führte zu einer Erhöhung der Temperatur und damit zum Schmelzen des Eises.

Einer zusätzlichen Vermutung nach haben sich während und als Folge dieser Eiszeiten mehrzellige Lebewesen (Metazoen) entwickelt, die sich nach dem Ende der Eiszeit im Ediacarium (vor 630 bis 542 Millionen Jahren) explosionsartig verbreiteten (Ediacara-Fauna).

Mindestens vier Vereisungen im späten Proterozoikum vor 750 bis 580 Millionen Jahren lassen sich in fast allen Gegenden der Erde nachweisen.[2] Eine Gesamtvereisung der Erde wird bisher vermutet für die Sturtische Eiszeit (vor 710 bis 680 Millionen Jahren) und die Varanger-Marinoischen Eiszeiten (vor 605 bis 585 Millionen Jahren).[5] Spuren noch früherer Vereisungen sind bedeutend älter; die so genannte Huronische Eiszeit, die sich aus Gesteinen um den Huronsee ableiten lassen, fand vor etwa 2,3 bis 2,2 Milliarden Jahren statt. Die paläomagnetischen Befunde aus den kanadischen Gesteinen sind umstritten,[6] für andere glazigene Gesteine diesen Alters wird eine Ablagerung in Äquatornähe diskutiert.[3]

Geschichte der Hypothese

Brian Harland von der Universität Cambridge publizierte 1964 in verschiedenen geologischen Fachmagazinen die Schlussfolgerung seiner geomagnetischen Untersuchungen, dass die weltweit verbreiteten glazigenen Sedimente des späten Proterozoikums in der Nähe des Äquators abgelagert wurden.[7] Modellrechnungen des russischen Wissenschaftlers Michail Budyko, die er am Staatlichen Hydrologischen Institut der Universität von St. Petersburg durchführte, ergaben die Möglichkeit eines Rückkopplungseffekts, der bei einem gewissen Ausmaß der Vereisung dazu führt, dass sich diese weiter fortsetzt, bis die gesamte Erde vereist ist.[4]

Die Weiterentwicklung der Hypothese gehen auf den Geologen Joseph Kirschvink zurück, der 1987 am kalifornischen Caltech arbeitete. Er untersuchte mit Hilfe seines Studenten Dawn Sumner eine Probe aus der Elatina Formation der Flinders Range (Flinderskette) in South Australia. Die Probe war ein rhythmisch gebänderter Siltstein, der zusammen mit auf Vergletscherungsvorgänge zurückgeführten Gesteinen wie als Tillite interpretierten Diamiktiten und durch Eisberge abgelagerten Dropstones aufgeschlossen war. Die Probe zeigte eine remanente Magnetisierung, die auf eine Ablagerungsposition in der Nähe des Äquators hinwies. Da Kirschvink nicht glauben konnte, dass eine Vergletscherung bis in niedrige Breiten reichen konnte, wurden weitere Untersuchungen – auch von anderen Wissenschaftlern und mit anderer Methodik – an dieser und anderen Proben aus der Flinders Range durchgeführt, die die ersten Ergebnisse bestätigten.[8]

Zu den proterozoischen Vereisungen wurden Ende der 1980er weitere Arbeiten veröffentlicht.[9] Kirschvink schließlich publizierte seine Schlussfolgerungen 1992 und führte die Bezeichnung Schneeball Erde (Snowball Earth) ein.[10] Unterstützung fand er unter anderem bei Paul Hoffman vom Department of Earth and Planetary Sciences der Harvard University, der mit anderen Wissenschaftlern proterozoische Sedimente in Namibia untersuchte.[11]

Die Verteilung proterozoischer Sedimente und die Verlässlichkeit der vorliegenden Daten wurde von D. Evans von der University of Western Australia untersucht und 1997 und 2000 publiziert.[12],[13] Er kommt zu dem Schluss, dass nur sehr wenige verlässliche paläomagnetische Daten für diese Sedimente vorliegen, dass sich aus der Gruppe der verlässlichen Daten jedoch vor allem äquatornahe Positionen ableiten lassen.

Das Thema wurde mehrfach von populärwissenschaftlichen Magazinen aufgegriffen.[14],[4] 2003 wurde der Hintergrund der Hypothese von Gabrielle Walker in ihrem Buch Snowball Earth dargestellt. Sie konzentriert sich in diesem Buch vor allem auf die Person des Geologen Paul Hoffman. Die Darstellung des Themas ist nicht unumstritten.

Argumente

Die Herkunft einiger Sedimentserien aus glazigenen Vorgängen wurde schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts diskutiert, so in den Sparagmiten Norwegens[15] und Gesteinen vom Unterlauf des Jangtse in China[16]. Die 1949 veröffentlichten Ergebnisse der Untersuchungen des australischen Geologen und Antarktisforschers Sir Douglas Mawson [9] in den präkambrischen Anteilen der Flinderskette in South Australia (Südaustralien) zeigten, dass hier Ablagerungen eines Flachmeeres ebenfalls unter eiszeitlichen Bedingungen stattgefunden haben mussten. Ähnliche Sedimente wurden auch im südlichen Afrika gefunden. Es blieb jedoch offen, in welchen Breiten die Kontinente damals gelegen waren, ob in Polnähe oder nahe dem Äquator.

Die Modellrechnungen des russischen Klimatologen Michail Budyko[17] sagen einen Rückkopplungseffekt vorher, sobald die Eiskappen der Pole über den dreißigsten Breitengrad hinausreichen: Die Reflexion der Sonneneinstrahlung durch die Eismassen (Albedo) würde durch den Einfallswinkel in diesen Breiten so groß, dass eine überproportionale Abkühlung der gesamten Erdoberfläche einträte. Nur die unteren Schichten der Meere blieben dann durch die Eigenwärme der Erde unvereist.[18]

2,1 Milliarden Jahre altes Bändereisenerz aus Nordamerika (Staatliches Museum für Mineralogie und Geologie, Dresden)

Joseph Kirschvink brachte 1992 in seiner Veröffentlichung[10] neben den Ergebnissen der paläomagnetischen Untersuchungen das Argument vor, dass eisenerzreiche Sedimente (Bändererze des Rapitan-Typs), die auf das Ende des Neoproterozoikums datiert wurden, aufgrund des Sauerstoffmangels der vereisten Ozeane entstanden sein mussten. Ohne gelösten Sauerstoff könne sich das aus dem Erdmantel austretende Eisen in Form zweiwertiger Ionen (Fe2+) im Wasser lösen. Kirschvik vermutete, dass mit dem Abtauen der Eismassen der Anteil an gelöstem Sauerstoff in den Ozeanen wieder ansteigen konnte, da wieder eine Verbindung der Wasseroberfläche zur Atmosphäre bestand. Im Zuge dessen sei das Eisen oxidiert worden und große Mengen an Verbindungen dreiwertigen Eisens seien ausgefallen und hätten sich in den Sedimenten abgelagert.

1998 publizierten Paul Hoffman, Daniel Schrag und andere Autoren die Ergebnisse ihrer Untersuchungen von Karbonatgesteinen der Otavi Group im nördlichen Namibia, die mit scharfer Grenze auf den Sedimenten der Vereisungen lagern.[11] Der darin festgestellte relative Mangel an Kohlenstoffisotop 13C im Vergleich zu Kohlenstoffisotop 12C in neoproterozoischen Sedimenten wurde als weiterer Hinweis einer vereisten Erde mit nur schwacher biologischer Aktivität interpretiert. Dies sei auf die bevorzugte Aufnahme von Kohlenstoffisotop 12C bei biologischer Aktivität zurückzuführen. In Biomasse ist somit mehr vom 12C-Isotop vorhanden, was bei einer starken Biomasseproduktion zu einer relativen Zunahme von 13C in anorganischen Kohlenstoffvorkommen (Karbonaten) führt. Da die neoproterozoischen Sedimente einen Mangel an 13C aufweisen, schließen Hoffman und seine Co-Autoren daraus auf eine minimale Biomasseproduktion während dieser Zeit, die auf die Vergletscherung der Erde zurückgeführt wird. Das Ende der Vergletscherung wurde nach ihrem Modell durch vulkanische Ausgasung herbeigeführt, die den Gehalt an Kohlendioxid auf das 350fache des heutigen steigen ließ und eine extreme Erwärmung der Erde und das abrupte Abschmelzen des Eises nach sich zogen.

Gegenargumente

Die Kritik an der Hypothese vom Schneeball Erde fußt vor allem darauf, dass sehr weitreichende Schlussfolgerungen aus wenigen und unzureichenden Daten gezogen werden. Paläomagnetische Rekonstruktionen von Gesteinen aus dem Proterozoikum sind mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Lage und Ausmaß der Kontinente zu dieser Zeit waren zum Zeitpunkt der Formulierung der Hypothese nicht verlässlich rekonstruiert.[19] Viele Hinweise sprechen zwar durchaus für eine oder mehrere Eiszeiten, eine weitgehend vereiste Erde wie im Szenario des „Schneeball Erde“ ist daraus jedoch nicht abzuleiten.

Weit verbreitete Vereisungen können auch tektonisch gedeutet werden, so durch Veränderungen der Zirkulation im Meer und in der Atmosphäre.[19] Darüber hinaus sind während der fraglichen Zeit Sedimentstrukturen erhalten, die auf offene Ozeane (während einer Eiszeit) schließen lassen.[20] Ein abruptes Abschmelzen, binnen weniger als 100.000 Jahre wie von Hoffman und seinen Mitautoren postuliert hätte zu erheblichen Materialflüssen geführt, die nicht nachzuweisen sind.[5] Auch die ungewöhnliche Isotopen-Signatur der Karbonatgesteine weist auf längere Zeiträume beim Wiederanstieg der Biomasseproduktion hin.[5]

Eine Millionen Jahre lang andauernde komplette Vereisung hätte auf Basis der Photosynthese sauerstoffproduzierende Lebensformen nahezu unmöglich gemacht. Eine oxidierende Atmosphäre mit Rückschluss auf entsprechende Lebensformen ist aber bis zum Archaikum, also vor mindestens 2,4 Milliarden Jahren belegt, Fliessgewässer [21] und weitverbreitete Lebensformen [22] seit über 3,5 Milliarden Jahren. Andere Stoffwechselmechanismen sind zwar bekannt und heute noch existent, so bei Lebensgemeinschaften der Schwarzen Raucher der Tiefsee, in lichtlosen Räumen bei chemoautotrophen Archaeen und Schwefelbakterien und in heißen hydrothermalen Quellen. Auch werden Funde von Hydrothermalerzen in rund 535 Ma alten Sedimentschichten der Jangtse-Plattform im Südosten Chinas als Hinweis auf solche Vorgänge im frühen Kambrium angeführt. Eine gänzliche Umstellung der Stoffwechselvorgänge und nachträgliche Wiedererfindung ist eher unwahrscheinlich.

Einzelnachweise

  1. Ute Kehse: Kein Schneeball Erde. Bild der Wissenschaft Online, 01.12.2008, Artikel auf der Grundlage einer Veröffentlichung von Philip Allen und James Etienne: Sedimentary challenge to Snowball Earth. Nature Geoscience, 1, S. 817 - 825, 2008. Online-Veröffentlichung vom 30. November 2008
  2. a b Roland Walter (2003): Erdgeschichte: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane, 5. Auflage, Walter de Gruyter Verlag, 325 S., ISBN 978-3-110-17697-1. S. 61
  3. a b Evans, D. A. u.a.: Low-latitude glaciation in the Palaeoproterozoic era, Nature 386, S. 262–266, 1997 Abstract
  4. a b c Schneeball Erde, Joachim Schüring, spektrumdirekt, 13.08.2001
  5. a b c Christie-Blick, Nicholas u.a.: Considering a Neoproterozoic Snowball Earth, Science Bd. 284, Nr. 5417, S. 1087, 14. Mai 1999
  6. Schmidt, Phillip W. & Williams, George E.: Paleomagnetism of the Lorrain Formation, Quebec, and Implications for The Latitude of Huronian Glaciation, Geophysical Research Abstracts, Vol. 5, 08262, 2003. (pdf, 23 Kb)
  7. Harland, W.B.: Critical evidence for a great infra-Cambrian glaciation. Geologische Rundschau 54, S. 45-61, 1964.
  8. Snowball Earth - Introduction, Snowballearth.com. Abgerufen am 04. Februar 2008
  9. a b Bibliography of general papers on the snowball Earth hypothesis, Snowballearth.com
  10. a b Kirschvink, J.L.: Late Proterozoic low-latitude glaciation: the snowball Earth. In: Schopf, J.W. & Klein, C.(Hrsg): The Proterozoic Biosphere, S. 51-52, Cambridge University Press, Cambridge 1992
  11. a b Hoffman, Paul F. u.a.: A Neoproterozoic Snowball Earth, Science Bd. 281., Nr. 5381, S. 1342 - 1346, 28. August 1998
  12. Evans D.A.D.: Stratigraphic, geochronological, and paleomagnetic constraints upon the Neoproterozoic climatic paradox, Tectonics 16 (1), S. 161-171, 1997 Abstract (pdf, 60 Kb)
  13. Evans D.A.D.: Stratigraphic, geochronological, and paleomagnetic constraints upon the Neoproterozoic climatic paradox, American Journal of Science 300, S. 347-433, 2000 Abstract
  14. Harland, W.B. & Rudwick, M.J.S.: The great infra-Cambrian ice age. Scientific American. August 1964, S. 42-49
  15. Holtedahl, O.: A tillite-like conglomerate in the "Eocambrian" sparagmite of southern Norway, American Journal of Science 4, S. 165-173, 1922
  16. Lee, Y.Y.: The Sinian glaciation in the lower Yangtze valley, Bulletin of the Geological Society of China 15, 131-000, 1936.
  17. M. I. Budyko: The Effect of Solar Radiation Variations on the Climate of the Earth, in: Tellus, Bd. 21, S. 611-619, 1969
  18. Mikhail I. Budyko's Ice-Albedo Feedback Model, Thayer Watkins, Department of Economics, San José State University
  19. a b More Information About the Late Precambrian, Webseite von C.R. Scotese
  20. Philip Allen und James Etienne: Sedimentary challenge to Snowball Earth. Nature Geoscience, 1, S. 817 - 825, 2008. Online-Veröffentlichung vom 30. November 2008
  21. B. Windley: The Evolving Continents. Wiley Press, New York 1984.
  22. J. Schopf: Earth’s Earliest Biosphere: Its Origin and Evolution. Princeton University Press, Princeton, N.J., 1983

Literatur

  • Gabrielle Walker: Snowball Earth: The Story of a Maverick Scientist and His Theory of the Global Catastrophe That Spawned Life as We Know It. Three Rivers Press 2004. ISBN 978-1-400-05125-0
  • Gabrielle Walker: Schneeball Erde. Bvt Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2005. ISBN 978-3-833-30138-4

Weblinks


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