Schweigepflicht

Schweigepflicht

Die Verschwiegenheitspflicht (auch Schweigepflicht) im engeren Sinn ist die rechtliche Verpflichtung bestimmter Berufsgruppen, ihnen anvertraute Geheimnisse nicht an Dritte weiterzugeben. Verpflichtet sein können sowohl Private (Berufsgeheimnisträger), wie auch Amtsträger des Staates selbst verpflichtet sind (sog. Amtsgeheimnis).

Im weiteren Sinn ist die Verschwiegenheitspflicht eng mit dem Datenschutz verknüpft, da der Verschwiegenheitspflicht nicht nur anvertraute Geheimnisse, sondern auch personenbezogene und andere Daten, wie z. B. Geschäftsgeheimnisse unterliegen können.

Inhaltsverzeichnis

Zweck und gesetzliche Grundlagen

Die Schweigepflicht im engeren Sinn dient unmittelbar dem Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs (Privatsphäre) einer Person, die sich bestimmten Berufsgruppen oder bestimmten staatlichen oder privaten Institutionen anvertraut. Dementsprechend schützt die Schweigepflicht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches in Deutschland Verfassungsrang hat. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wurde durch ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus Artikel 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes entwickelt und erstmals 1983 im sog. Volkszählungsurteil formuliert.

In Deutschland hat der Gesetzgeber die Verschwiegenheitspflicht mit dem stärksten ihm zur Verfügung stehenden Mittel, nämlich der Androhung von Geld- oder Freiheitsstrafe im § 203 des Strafgesetzbuches geregelt (Verletzung von Privatgeheimnissen).

Daneben kann sich eine Verschwiegenheitspflicht als Nebenpflicht unmittelbar und mittelbar aus zivilrechtlichen Verträgen ergeben. So besteht eine Pflicht zur Verschwiegenheit für Arbeitnehmer als Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag bezüglich betrieblicher Geheimnisse gemäß § 242 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches (Treu und Glauben).

Für Amtsträger z. B. – für deutsche – Beamte besteht die Pflicht zur Dienstverschwiegenheit aufgrund von § 39 Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) in den Beamtengesetzen des Bundes und der Länder. Im deutschen Sozialrecht schützt § 35 SGB I die so genannten Sozialdaten, das sind die Informationen, die von den Leistungsträgern des Sozialgesetzbuches über die Versicherten und Leistungsempfänger erhoben werden. Den weiteren Umgang ( Erhebung, Verarbeitung, Speicherung, Übermittlung) mit diesen Daten regelt § 67 ff. SGB X.

Für den Bereich der katholischen Kirche schützt das kirchliche Gesetzbuch Codex Iuris Canonici (CIC) das Persönlichkeitsrecht auf Schutz der Intimsphäre in Canon 220. Für Mitarbeiter mit Dienstverträgen nach den Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbands (AVR) regelt § 5 AVR die Verschwiegenheitspflicht als besondere Dienstpflicht.

Standesrechtliche Normen für bestimmte Berufsgruppen (Berufsordnungen) regeln die Verschwiegenheitspflicht für ihren Bereich, z. B. für deutsche Rechtsanwälte § 43a Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung.

Mittelbar dient die Schweigepflicht auch der Funktionsfähigkeit bestimmter Berufe selbst.

  • Beispiel: Wenn die Beratung z. B. durch einen psychologischen Psychotherapeuten von einem Vertrauensverhältnis abhängig ist, kann dies nur entstehen, wenn der Patient sich darauf verlassen kann, dass die anvertrauten Informationen nicht unbefugt weitergegeben werden.

Schweigepflichtiger Personenkreis des § 203 StGB

Zur Verschwiegenheit verpflichtet sind unter anderem die Angehörigen folgender Berufe:

Schweigepflichtig im Sinne des § 203 StGB ist immer der Geheimnisträger persönlich, nicht etwa die Organisation, in der er arbeitet. Die strafrechtliche Schweigepflicht kann nicht durch Weisung von Vorgesetzten aufgehoben oder abgeschwächt werden, weil sich das Direktionsrecht eines Arbeitgebers oder Behördenleiters nicht über strafrechtliche Vorschriften hinwegsetzen kann. Aufgrund des Analogieverbots im deutschen Strafrecht kann die Auflistung nicht erweitert werden. Zum Beispiel sind Heilpraktiker bei den heilbehandelnden Berufen nicht erfasst. Bei den sozial helfenden Berufen sind zum Beispiel Diplom-Pädagogen und Erzieher nicht erfasst. Dies bedeutet, dass sich Angehörige dieser Berufsgruppen bei einem Bruch der Verschwiegenheitspflicht nicht strafbar machen können. Gleichwohl haben auch Angehörige dieser Berufsgruppen die Verschwiegenheitspflicht aufgrund (arbeits-)vertraglicher oder sonstiger Vorschriften zu beachten.

Was fällt unter die Schweigepflicht?

Regelmäßig besteht eine Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich dessen, was dem Verpflichteten gerade in seiner beruflichen Eigenschaft anvertraut oder auf andere Weise bekannt wurde.

Das betrifft z. B. im medizinischen Bereich alle personenbezogenen Daten und Tatsachen wie z. B.

  • die Tatsache, dass überhaupt ein Behandlungsverhältnis zu einer bestimmten Person bestanden hat,
  • die Art der Verletzung oder Erkrankung,
  • der Unfallhergang, Krankheitsverlauf etc.,
  • die Ergebnisse der Untersuchung, die Diagnostik und (Verdachts-)Diagnose,
  • die durchgeführten Maßnahmen,
  • alle übrigen Informationen, die dem Helfer während des Behandlungsverhältnisses bekannt wurden (z. B. Wohn- und Lebenssituation, Sucht, sexuelle Vorlieben, Vermögenslage, körperliche Hygiene).

Dies gilt, soweit die Einzelheiten Rückschluss auf eine bestimmte, damit identifizierbare Person zulassen, und auch über den Tod des Patienten/Klienten hinaus.

Wem gegenüber gilt die Schweigepflicht?

Die Schweigepflicht gilt gegenüber jedem. Das sind z. B. auch Angehörige eines Betroffenen (auch von Minderjährigen, wobei hier Alter und Einsichtsfähigkeit zu berücksichtigen sind), Berufskollegen und Vorgesetzte des Schweigepflichtigen, soweit diese nicht selbst mit der Bearbeitung des konkreten Falles des Betroffenen befasst sind, die eigenen Freunde und Familienangehörige des Verpflichteten, die Massenmedien und abhängig von gesetzlichen Regelungen: Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht.

Mit der Verschwiegenheitspflicht geht in vielen Fällen ein Recht zur Zeugnisverweigerung vor Gericht einher, auf das sich die Verpflichteten berufen können (in Deutschland z. B. § 53 StPO im Strafverfahren oder § 383 ZPO im Zivilverfahren).

Wann darf oder muss dennoch Auskunft gegeben werden?

Wenn...

  • ... das ausdrückliche Einverständnis des Betroffenen vorliegt
Beispiele: Im Behandlungsvertrag, der mit dem Arzt oder dem Krankenhaus abgeschlossen wurde, willigt der Patient ein, dass personenbezogene Daten zu Abrechnungszwecken weitergegeben werden dürfen.
Private Krankenversicherungen und Lebensversicherungen verlangen in der Regel im Versicherungsantrag eine generelle Entbindung aller behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht.
  • ... eine konkludente (stillschweigende oder mutmaßliche) Einwilligung vorliegt
Beispiele: Der Rettungsdienst findet einen bewusstlosen Patienten auf, der mutmaßlich Opfer eines Raubüberfalls wurde. Die Polizei kann verständigt werden.
Im Rahmen der Dienstübergabe im Krankenhaus werden Patientendaten an die Ärzte und das Pflegepersonal im Folgedienst weitergegeben.
Beispiel: Krankenhäuser müssen der gesetzlichen Krankenkasse bestimmte personenbezogene Daten eines Patienten mitteilen (§ 301 SGB V). Gegenüber dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung bestehen weiter gehende Offenbarungspflichten.
Wenn ein höherwertiges Rechtsgut gegenwärtig konkret gefährdet ist, ist der Bruch der Schweigepflicht nicht rechtswidrig. Eine Offenbarung des anvertrauten Geheimnisses ist nur zulässig, wenn eine Güterabwägung ergibt, dass der Bruch des Geheimnisses angemessen und geeignet ist, die drohende Gefahr abzuwenden UND das zu schützende Rechtsgut das beeinträchtigte Rechtsgut (Vertrauensbruch!) wesentlich überwiegt.
Beispiel: Wenn eine Behördenbetreuerin (Sozialarbeiterin) in der Presse öffentlich kritisiert wird, kann ein Bruch der Schweigepflicht gerechtfertigt sein. Die Güterabwägung muss zu dem Ergebnis führen, dass der Schutz des öffentlichen Ansehens der Behörde und der Sozialarbeiterin einen Vertrauensbruch rechtfertigt. Dies gilt vor allem dann, wenn die Behauptungen falsch sind. Die Sozialarbeiterin darf aber nur die Daten offenbaren, die das öffentliche Ansehen wieder herstellen (Angemessenheitsgebot).
Weitere Beispiele: Ein Arzt muss sich in einem Strafverfahren gegen den Verdacht einer kunstfehlerhaften Behandlung wehren, er muss zivilrechtliche Schadensersatzansprüche abwehren oder seinen eigenen Honoraranspruch durchsetzen, weil der Patient nicht freiwillig zahlt.
Es besteht nach § 34 StGB im allgemeinen keine Offenbarungspflicht, sondern nur eine Offenbarungsbefugnis. Ausnahmsweise kann dennoch eine Offenbarungspflicht bestehen, wenn das Leben oder die Gesundheit eines Menschen akut und unmittelbar gefährdet ist und eine Offenbarung weiteren Schaden verhindern kann.
Beispiel: Die Bezirkssozialarbeiterin eines Jugendamtes stellt bei einem Hausbesuch eine lebensgefährliche Vernachlässigung bei einem Kind fest. Die Eltern des Kindes sind wegen einer akuten Drogenintoxikation nicht in der Lage, sich um das Kind zu kümmern. Der Rettungsdienst und eventuell die Polizei müssen gerufen werden.
In diesem Fall besteht eine Offenbarungspflicht (Ausnahmen siehe § 139 StGB).
Beispiel: wenn der Arzt während der Behandlung eines Patienten Erkenntnisse über eine zukünftige Gefährdung anderer Personen erhält, weil der Patient z. B. einen Mord ankündigt, muss er diese Erkenntnis weitergeben.

Sanktionen

Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht ist unter den Voraussetzungen des § 203 StGB strafbar, mit Androhung von Geldstrafe oder Haft bis zu einem Jahr. Das Berufsrecht bestimmter Berufe droht in bestimmten Fällen mit dem Verbot der Berufsausübung, z. B. in § 3 Abs. 3 des Psychotherapeutengesetz. Dazu kommen die standesrechtlichen Sanktionen, etwa Geldbußen. Die Verletzung von Vertragspflichten z. B. aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis kann zu arbeitsrechtlichen Sanktionen bis hin zur Kündigung führen. Möglicherweise kann der Geschädigte Schadenersatzansprüche geltend machen.

Historisches

Bereits der Eid des Hippokrates enthält die Selbstverpflichtung: „Was ich bei der Behandlung sehe oder höre oder auch außerhalb der Behandlung im Leben der Menschen, werde ich, soweit man es nicht ausplaudern darf, verschweigen und solches als ein Geheimnis betrachten.

Im antiken Rom hängte man bei Zusammenkünften eine Rose an die Decke und erinnerte damit die Anwesenden an die Pflicht zur Verschwiegenheit. Die in heutigen Beichtstühlen geschnitzte Rose diente dem gleichen Zweck.: „sub rosa dictum“ – unter der Rose gesagt, das muss geheim bleiben.

Siehe auch

Literatur

Parzeller M, et al.: Die ärztliche Schweigepflicht. Deutsches Ärzteblatt 102 (4. Februar 2005), B237-245

Weber M, Böhm U, Kleemann WJ (2005) Aufklärung, Einwilligung und Schweigepflicht: Allgemeine und spezielle pädiatrische Aspekte. Kinder- und Jugendmedizin 5: 254-258

Weblinks

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