Schwindelgefühl

Schwindelgefühl

Die Vertigo (lat. „Umdrehung“, „Schwindel“; von vertere „wenden“) ist der medizinische Fachausdruck für Schwindel. Das dazugehörige Adjektiv lautet vertiginös („schwindelig“). Unter Schwindel im medizinischen Sinne versteht man das subjektive Empfinden eines Drehgefühls oder Schwankens oder das Gefühl der drohenden Bewusstlosigkeit. Definiert wird Schwindel im medizinischen Sinn als wahrgenommene Scheinbewegung zwischen sich und der Umwelt. Man unterscheidet u. a. Dreh-, Schwank-, Lift-, Bewegungs- und unsystematischen Schwindel. Außerdem werden Symptome einer Kreislaufschwäche oft Schwindel genannt.

Im Deutschen wird der Begriff folglich für unterschiedliche Phänomene genutzt. Im Englischen werden demgegenüber vertigo („Schwindel“) und dizziness („Benommenheitsgefühl“) unterschieden.

Inhaltsverzeichnis

Ursachen von Vertigo

Schwindel entsteht häufig aus widersprüchlichen Informationen von am Gleichgewichtsempfinden beteiligten Sinnesorganen wie Augen, Gleichgewichtsorganen der Innenohren sowie Muskel- und Gelenkrezeptoren. Dies wird von der abstrakt wirkenden Definition (s. o.) exakt abgebildet. Schwindel ist einer der häufigsten Beratungsanlässe in einer allgemeinmedizinischen Praxis.[1]

Das Gleichgewichtsorgan im Innenohr ist ein Sensorium für Dreh- und Linearbeschleunigung und eng mit Reflexen verbunden.

Eine Linearbeschleunigung wird in den in horizontaler und vertikaler Ebene stehenden Macula sacculi und utriculi registriert. Die Sinneshaare dieser Rezeptoren sind in eine durch Kristallkörnchen, so genannte Otolithen, beschwerte Matrix eingebettet. Bei Beschleunigung in der Ebene der Macula bleibt diese aufgrund ihrer Trägheit zurück und führt zu einer Auslenkung der Sinneshaare. Durch die Erdbeschleunigung kann mit diesen Rezeptoren auch die Lage des Kopfes im Raum bestimmt werden.

Drehbeschleunigungen werden von den Bogengängen registriert - jeweils drei miteinander verbundene, senkrecht zueinander stehende, ringförmige Gefäße mit Lymphflüssigkeit und Sinneshaaren. Durch eine Drehbeschleunigung in der Ebene des jeweiligen Bogenganges kommt es aufgrund von Massenträgheitskräften zu einem Zurückbleiben der Endolymphflüssigkeit in Relation zum sich bewegenden Schädelknochen. Mithilfe einer in der der Flüssigkeit aufgespannten gallertartigen Membran überträgt sich diese Flüssigkeitsbewegung auf Sinneshaare und lenkt diese aus. Bei länger anhaltenden Drehbewegungen kommt es durch Reibung zu einer Mitbewegung der Endolymphe, der Sinnesreiz reduziert sich und geht schließlich gegen Null, wenn Bogengang und Endolymphe sich mit gleicher Geschwindigkeit bewegen. Es kommt zu einer Gewöhnung. Bei Aufhören der Drehbewegung rotiert die Flüssigkeit weiter und ruft den Eindruck einer entgegengesetzten Drehung hervor. Die reflektorische Reaktion darauf kann nicht unterdrückt werden, auch wenn das Auge die wahre Bewegung zeigt. Der Widerspruch der Sinnesorgane erzeugt Verwirrung oder Desorientierung. Piloten müssen deshalb beim Instrumentenflug lernen, der Anzeige von Navigationsgeräten mehr zu trauen als ihrem Eindruck.

Erkrankungen des Gleichgewichtssystems (peripher: Innenohr + Gleichgewichtsnerv / zentral: Hirnstamm + Kleinhirn + Großhirn) können Ursache für Schwindelempfindungen sein: vestibulärer Schwindel. Oft wird Schwindel begleitet von vegetativen Reaktionen des Körpers wie Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbruch, Herzbeschleunigung und Kollaps.

Beispiele (nach Häufigkeit):

Bei nicht-vestibulärem Schwindel sind eine Vielzahl weiterer Ursachen beschrieben, unter anderem Vorstufen von Ohnmachtsanfällen (Prä-Synkope) bei Hypotonie (niedrigem Blutdruck), psychogener Schwindel (ohne organische Ursache), Herzrhythmusstörungen, wahrscheinlich auch Blockaden der Halswirbel (vertebragener Schwindel). Weitere Schwindelursachen können psychiatrische Erkrankungen (Depressionen, Angstzustände, Psychosen) sowie bei der Vertigo epileptica epileptische Entladungen in den hinteren Anteilen des Gyrus temporalis superior sein.

Gerätetaucher erfahren manchmal eine Vertigo, wenn kühles Wasser zu tief ins Ohr dringt. In diesem Fall hilft es, sich an den Luftblasen zu orientieren, da diese immer nach oben steigen. Der Tauchgang sollte sofort - unter Einhaltung der Auftauchzeiten - beendet werden.

Beim Blick aus großer Höhe kann Vertigo ebenfalls auftreten. Hier hilft das Festhalten an stationären Gegenständen.

Halswirbelsäule und Schwindel

Verletzungen im Kopfgelenk der Halswirbelsäule sind als Ursache von Schwindel, insbesondere nach Schleudertrauma-Verletzungen, exemplarisch und archetypisch. Als Folge der physikalisch als Peitschenhieb-Bewegung bezeichneten Verletzung, die bevorzugt bei Schleudertraumata auftritt, kann eine Kopfgelenksinstabilität bestehen. Eine Kopfgelenksinstabilität entsteht durch Ruptur oder auch Überdehnung ligamentärer Strukturen im Bereich der Schädelbasis (C0) bis zum zweiten Halswirbel (Axis, C2). Verletzungen der Alarligamente, insbesondere bei gleichzeitiger Ruptur der Gelenkkapsel lassen eine ungewünschte Fehlbewegung, eine Translationsbewegung oder bei unilateraler Verletzung auch eine sogenannte rotatorische Subluxation zwischen den ersten beiden Halswirbeln (Atlas und Axis) zu. Dies kann zu einer intermittierenden basilären Impression mit typischer Stammhirnsymptomatik führen. Kennzeichnend für diffux-hypoxische Schädigungen im Vertebralisstromgebiet (Versorgungsgebiet der Basilararterie) des Gehirns (Okzipitalhirn) sind Schwindel, Vigilanzstörungen (von leichter Benommenheit über leichte Bewusstseinstrübung bis hin zu ausgeprägter Somnolenz) und Sehstörungen. Kopfgelenksinstabilitäten gehen fast immer mit einer ausgeprägten Schwindelsymptomatik einher.

Untersuchungen bei Schwindel

Zur Abklärung von Schwindel müssen Patienten oft von mehreren Fachärzten untersucht werden. Wenn der Hausarzt (Allgemeinmedizin, Innere Medizin) die Einordnung nicht ausreichend treffen kann, sollen Fachärzte für HNO, Orthopädie und Neurologie konsultiert werden. Unter Umständen sind auch kardiologische und psychiatrische Untersuchungen sinnvoll.

Starker Schwindel erfordert manchmal die Einweisung in ein Krankenhaus.

Folgende Untersuchungsverfahren werden angewandt:

  • immer:
    • Anamnese = Krankengeschichte erheben (klärt bis zu 90 % der Diagnose!)
    • körperliche Untersuchung
      • Blutdruck, Puls (dann ggf. EKG schreiben)
      • Untersuchung der Augenbewegungen (Nystagmus)
      • Gleichgewichtsprüfung + Gehörprüfung
      • Koordinationsprüfung
  • je nach Untersuchungsbefund technische Zusatzuntersuchungen:

Siehe auch

  • Vertigo – Aus dem Reich der Toten (1958) ist auch der Titel eines Films von Alfred Hitchcock, in dem die Hauptperson unter Höhenangst leidet (das englische Wort "vertigo" bedeutet sowohl Höhenangst als auch Schwindel). Vertigo beschreibt daher auch eine Filmtechnik, bei der die Kamera von der zu filmenden Szenerie wegbewegt wird, während sie gleichzeitig heranzoomt, oder umgekehrt. Dadurch werden die Symptome des Schwindelgefühls bzw. die Empfindungen der Höhenangst imitiert.
  • Reisekrankheit

Einzelnachweise

  1. Nach W. Fink, G. Haidinger: Die Häufigkeit von Gesundheitsstörungen in 10 Jahren Allgemeinpraxis. Z. Allg. Med. 83 (200) 102-108. Zitiert nach "Womit sich Hausärzte hauptsächlich beschäftigen, MMW-Fortschr. Med. Nr. 16 / 2007 (149. Jg.)

Literatur

  • Thomas Lempert: Wirksame Hilfe bei Schwindel. Trias-Verlag, 2003, ISBN 3830431058
  • Thomas Brandt, Michael Strupp, Marianne Dieterich: Vertigo. Steinkopff, 2003, ISBN 379851416X
  • Strupp, Michael; Brandt, Thomas: „Leitsymptom Schwindel: Diagnose und Therapie.“ Dtsch Arztebl 2008; 105(10): S. 173-80  Artikel

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