- Schwurjungfrau
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Schwurjungfrau (engl. Sworn virgin, alb. virgjineshtë) oder Burrnesh ist auf dem Balkan die Bezeichnung für eine weibliche Person, die eine männliche, patriarchale Rolle unter Absage sexueller Beziehungen übernommen hat.
Schwurjungfrauen waren im wesentlichen bei Slawen, Bosniern, Serben, Montenegrinern, Kroaten, Albanern und Roma sowie bei einigen rumänischen und griechischen Minderheiten verbreitet. Die ausgeübte Konfession spielt dabei keine Rolle. Während dieses Verhalten bis in das 20. Jahrhundert hinein in diesen Ländern noch weit verbreitet war, so sorgt die zunehmende „Verwestlichung“ bei diesen Bevölkerungsgruppen für ein weitgehendes Aussterben im 21. Jahrhundert. In Albanien gibt es beispielsweise noch geschätzte 40 Schwurjungfrauen.[1]
Bei Familien, in denen der Patriarch verstorben war und/oder kein Sohn das Patriarchat übernehmen konnte, übernahm eine ledige Tochter das Patriarchat und lebte fortan als Mann und Familienoberhaupt. Auch eine ausgeschlagene Ehe kann zu so einem Entschluss führen. Dabei verzichtete sie auf eine Ehe und auf Sex. Sie trat vor ein Gremium, dem die zwölf wichtigsten Männer des Dorfen angehörten, und legte einen Keuschheits-Schwur ab. Die Übernahme des Patriarchats durch eine Frau kann freiwillig, aber auch durch Zwang der Clanmitglieder erfolgen. In den früheren Balkan-Familien war oft ein Mangel an Männern zu verzeichnen. Eine der Hauptursachen waren die – in Albanien noch heute anzutreffenden[2] – Blutrache-Konflikte zwischen einzelnen Clans. Siehe dazu Hauptartikel Kanun (Albanien).
Die Schwurjungfrauen übernehmen weitgehend die männlichen Verhaltensweisen. Sie kleiden sich wie Männer, gehen auf die Jagd und dürfen verschiedene - Männern vorbehaltene - Privilegien wie beispielsweise Tabak- und Alkoholkonsum in Anspruch nehmen und erben. In dieser Rolle werden sie in der von Männern dominierten Gesellschaft als vollwertige Mitglieder anerkannt und respektiert.
Im Kanun (12. Buch, 1. Kapitel, Absatz 8) werden die Rechte der Schwurjungfrauen (Mädchen die Männerkleidung tragen) geregelt. Sie dürfen sich unter Männern aufhalten und haben einen Sitz im Rat (allerdings ohne Stimmrecht).[3]
Die albanische Frage „A je burrnesh?“, gehört in den 1990er Jahren als Begrüßung in Nordalbanien, bedeutet „Bist du so stark wie ein Mann?“[4]
Einzelnachweise
- ↑ D. Bilefsky: Jungfrauen, die Männer wurden In: Welt am Sonntag Ausgabe vom 29. Juni 2008
- ↑ Der Kanun lebt. In: ORF Sendung vom 4. Mai 2008
- ↑ R. Elsie: Der Kanun des Lekë Dukagjini S. 206
- ↑ Susan E. Pritchett Post: Women in Modern Albania: Firsthand Accounts of Culture and Conditions from Over 200 Interviews, McFarland, 1998, ISBN 0-7864-0468-X, S. 57
Literatur
- Dan Bilfesky: A vanishing tradition: Virgin women, living as men. In: New York Times Ausgabe vom 24. Juni 2008
- René Grémaux: Woman Becomes Man in the Balkans. In: Third Sex Third Gender: Beyond Sexual Dimorphism in Culture and History Gilbert Herdt (Editor), 1996, ISBN 0-942-29982-5
- Antonia Young: Women Who Become Men: Albanian Sworn Virgins. 2000, ISBN 1-859-73335-2
- Alice Munro: The Albanian Virgin. In: Open Secrets 1994, ISBN 0-679-43575-1 (dt: Offene Geheimnisse, ISBN 3-608-93371-9)
- Susan E. Pritchett Post: The Myth of the Burrnesh, paper, 1999, London: Center for South
East European Studies
Weblinks
- Artikel und Video der Washington Post üver Sworn virgins (engl.)
- Bericht über Elvira Dones' Dokumentarfilm Sworn Virgins (engl.)
- Stella Pende: Le ultime donne-uomo d'Albania, Panorama.it, 28. April 2008
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