Schüttelsyndrom

Schüttelsyndrom

Der rechtsmedizinische Fachbegriff Schütteltrauma bezeichnet eine Form der Kindesmisshandlung, zumeist begangen von den Eltern am eigenen Schreibaby oder Kleinkind.

Alternativ kann der Begriff allerdings auch für das Ergebnis einer speziellen Form der weißen Folter stehen.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung des medizinischen Fachbegriffs

Die Neurochirurgin Norma Guthkelch wies 1971 erstmals darauf hin, dass das heftige schütteln von Säuglingen zu subduralen Blutungen und damit zu schweren Schädigungen führen kann. Guthkelch nahm an, dass das Schütteln von Säuglingen als eine sozial eher akzeptierte Form der Strafe als das Schlagen angesehen wird.[1] Erst 1974 wurde das Krankheitsbild in rechtsmedizinischer Hinsicht wissenschaftlich vollständig beschrieben. Zuvor waren die verstorbenen kindlichen Opfer diagnostisch und statistisch meist unter der unzutreffenden Rubrik Plötzlicher Kindstod eingeordnet worden. Da die inneren Blutungen, Gewebe- und Knochen-Verletzungen zumeist nicht äußerlich sichtbar sind, gab und gibt es ein großes Dunkelfeld. Bleibende Verdienste erwarb sich auf diesem Gebiet die Düsseldorfer Rechtsmedizinerin und Professorin Elisabeth Trube-Becker, die mit ihren Forschungen und Aufklärungskampagnen bei Kinderärzten, Klinik-Medizinern und Medien-Öffentlichkeit Sensibilisierung für dieses Thema voranbrachte. Es wird so genannt, weil die vorfindlichen inneren Verletzungen meist vom Versuch überforderter, schlafloser Eltern stammen, ihr pausenlos schreiendes Baby zum Schweigen zu bringen, indem sie es heftig durchschütteln. Für berufstätige Elternteile fehlt es seitens der Arbeitgeber an Verständnis, wenn sie wegen schreiendem Nachwuchs um ihren Nachtschlaf kommen. Die Angst, deswegen den Job zu verlieren, kann Verzweiflung und Gewaltsamkeit gegen das vermeintlich ungezogene Kind bewirken. Symptome, die bei einem Kleinkind auf ein Schütteltrauma hinweisen können sind: Schlappheit, Schläfrigkeit, Erbrechen, Krampfanfälle oder Atemaussetzer.

Prävention

Eltern, Babysitter und andere Aufsichtsbefohlene sollten frühzeitig über die bleibenden körperlichen Folgen aufgeklärt werden, die beim Durchschütteln von Kleinkindern unversehens geschehen und die eigentlich niemand absichtlich wollen kann. Das sollte zum Standard-Programm für Geburtshilfe-Stationen und Hebammen eigentlich dazugehören. Leider verhindern zum Beispiel Sprachbarrieren bei Müttern mit Migrationshintergrund sowie fehlende einfache Wortwahl statt Fachsprache bei Eltern aus bildungsfernen Schichten solche Aufklärung teilweise. Auch hätte man allen situativ verantwortlichen Sorgetragenden Strategien beizubringen, dass sie mit ihrer Frustration umgehen lernen, falls Beruhigungsversuche beim Baby nicht rasch erfolgreich sind. Teilweise fehlen nach wie vor für Notfälle erreichbare Ansprechpartner.[2]

Ansätze zu einer umfassende Prävention ergeben sich nach Ansicht von Ärzten des Klinikum Kassel „beispielsweise in Form von Etablierung von häuslichen Besuchs- und Beratungsprogrammen für Risikofamilien, der pädiatrischen Identifizierung von Schreikindern und ihrer Behandlung in so genan[n]ten Schreibabyambulanzen, als auch der Integration von aufklärenden Inhalten und Broschüren in das bestehende Vorsorgekonzept als auch öffentliche Kampagnen, wie sie vor allem in den USA verbreitet sind“.[3] Auch die Erkennung und rasche Behandlung geschüttelter Kinder ist wichtig, um die betroffenen Kinder vor erneuter Misshandlung schützen zu können und um gegebenenfalls bei Geschwisterkindern vorbeugend einzugreifen.[3]

Sozialmedizinische Auswirkungen

In den USA, wo es wie in der übrigen englischsprachigen Welt als Shaken baby syndrome (SBS) benannt ist, gilt das Schütteltrauma als die häufigste Todesursache bei körperlicher Kindesmisshandlung und als für die meisten bleibenden Behinderungen bei Kleinkindern und Kindern verantwortlich.

Eine kanadische Studie ergab, dass zwei Drittel der überlebenden Kinder schwere Langzeitschäden zeigen. Die Wissenschafter prüften die Daten von 364 Kleinkindern, die mit Schütteltrauma in elf kanadische Kliniken eingeliefert wurden. 19 Prozent der Kinder starben an den Verletzungen. Von den Überlebenden trugen 65 Prozent Sehprobleme davon, und 55 Prozent behielten bleibende neurologische Schäden zurück.

Literatur

  • Andreas Warkenthin: Die Datenanlage zum kindlichen "Schütteltrauma" - eine zusammenfassende Literaturbetrachtung. Berlin, Charité, Univ.-Med., Dissertation 2006. Mikrofiche-Ausgabe 2006. 4 Mikrofiches : 24x 342 Blatt : graph. Darstellungen
  • Monika Schneiders und Detlef Schröder: Das Schütteltrauma : eine häufig unbekannte Form der Kindesmisshandlung. In: Kriminalistik. Band 59 (2005), 12, S. 734 - 737 Kriminalistik-Verl. Hüthig, Heidelberg
  • Matschke, Jakob et al.: „Das Schütteltrauma-Syndrom: Eine häufige Form des nicht akzidentellen Schädel-Hirn-Traumas im Säuglings- und Kleinkindesalter.“ Dtsch Arztebl Int 2009; 106(13): S. 211-7  Artikel

Einzelnachweise

  1. Guthkelch A.N., Infantile subdural haematoma and its relationship to whiplash injuries. Br Med, 1971, S. 430–431
  2. englischsprachiger Wikipedia-Artikel
  3. a b Das Shaken Baby Syndrom – Konzepte und forensische Kontroversen. Abgerufen am 22. Dezember 2008. Auch veröffentlicht in: Zeitschrift der DGgKV Deutsche Gesellschaft gegen Kindesmisshandlung und -vernachlässigung, Jahrgang 8, 2005, S. 4–17

Weblinks

Projekt "Schütteln ist lebensgefährlich" der Medizinischen Hochschule Hannover


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