Selbstversenkung der Hochseeflotte

Selbstversenkung der Hochseeflotte
Scapa Flow
SMS Derfflinger im Scapa Flow

Die Versenkung der Kaiserlichen Hochseeflotte in Scapa Flow fand im Juni 1919 im britischen Flottenstützpunkt Scapa Flow statt, in der die ehemalige kaiserliche Flotte in Folge des Ersten Weltkriegs interniert war. Aus der berechtigten Furcht heraus, die Kriegsschiffe der deutschen Marine könnten der Entente Preis gegeben werden müssen, erfolgte die organisierte Selbstversenkung.

Inhaltsverzeichnis

Örtlichkeit

Der Scapa Flow ist eine Art Bucht, die sich aus der Lage der im südlichen Teil der schottischen Inselgruppe der Orkneys gelegenen Inseln Mainland, Burray, South Ronaldsay, Flotta und Hoy ergibt.

Da diese Bucht gut geschützt liegt, wurde sie in der Geschichte öfter als Naturhafen benutzt. Schon die Wikinger versammelten hier im 13. Jahrhundert ihre Schiffe und gaben ihr den Namen „Skalpafloi“. Auch zu Napoleons Zeiten spielte dieser Hafen eine wesentliche Rolle. Die Briten versammelten dort, zwecks einer Handelsbeziehung mit dem Baltikum, ihre Schiffe. Die britische Marine richtete sowohl im Ersten Weltkrieg als auch im Zweiten Weltkrieg hier den Hauptstützpunkt ihrer Flotte ein. In beiden Weltkriegen versuchten deutsche U-Boote, in die Bucht einzudringen (vgl. U-Boot-Krieg).

Der Ankerplatz der deutschen Flotte in Scapa Flow befand sich in dem Bring Deeps genannten Teil der Bucht, der etwa zwischen der Insel Hoy und den kleineren Inseln Graemsay und Cara liegt.

Selbstversenkung der Hochseeflotte

Siehe auch Versenkte Schiffe der Hochseeflotte 1919

Nach Ende der Kampfhandlungen wurde die deutsche Hochseeflotte gemäß den Waffenstillstandsbestimmungen im schottischen Scapa Flow interniert. Die Schiffe waren entwaffnet worden und nur mit Notbesatzungen besetzt.

Die Aufsicht über diese 74 Schiffe wurde von alliierter Seite Admiral David Beatty übertragen. Er zwang die deutschen Kommandanten, die britische Flagge über der eigenen zu setzen, was als große Demütigung galt und deutscherseits zudem als unehrenhaftes Verhalten gewertet wurde.

Die Gesamtzahl des Personals zur Sicherung und Instandhaltung der Schiffe betrug 1800 Mann. Alle wertvollen Ausrüstungsteile, wie z. B. nautische Instrumente, waren vor dem Auslaufen in Deutschland entfernt worden. Den Schiffen waren weder Munition noch Waffen zugestanden worden, ferner hatten die Mannschaften sich mit Verpflegung selbst zu versorgen. Zu diesen Zweck waren vier so genannte Drifter (umgebaute Fischereifahrzeuge) eingesetzt, die im Pendelverkehr Schiff-Land für den Proviantnachschub sorgten.

Signalflagge - Z

Konteradmiral Ludwig von Reuter entschied sich, unter dem Eindruck des britischen Verhaltens und beeinflusst vom kritisch scheinenden Verlauf der Verhandlungen in Versailles, zur Selbstversenkung der Flotte. Er vermutete, dass die deutsche Regierung den Friedensvertrag von Versailles nicht annehmen und deshalb in Kürze wieder der Kriegszustand herrschen werde. Die deutsche Flotte sollte den Briten dann nicht unzerstört in die Hände fallen. Er wies seine Offiziere an, auf sein Signal hin, die Selbstversenkung einzuleiten.

Gleich nachdem die Grand Fleet am Morgen des 21. Juni 1919 Scapa Flow zu einem Manöver in der Nordsee verlassen hatte, erschien die Gelegenheit günstig und von Reuter gab den Befehl zur Selbstversenkung mit dem vorher vereinbarten Signal Z. Die Seeventile der deutschen Schiffe wurden geöffnet, die Verschlüsse anschließend unbrauchbar gemacht, die Türen zwischen den wasserdichten Abteilungen geöffnet und im offenen Zustand verkeilt. Als alle deutschen Matrosen ihre Schiffe fast gleichzeitig mit Rettungsbooten verließen, glaubten die britischen Wachmannschaften zuerst an eine Revolte und eröffneten das Feuer auf die Boote.

Durch die Gewaltmaßnahmen von Seiten der Engländer gegen die Deutschen wurden zwei Offiziere und sechs Soldaten getötet sowie fünf verwundet. Nach den Verlustzahlen, die von Reuter angibt, sind vier getötet und acht verwundet worden. Als die Engländer bemerkten, was wirklich geschah, war es für ein wirkungsvolles Eingreifen zu spät. Als erstes Schiff versank um 12:16 Uhr die SMS Friedrich der Große und als letztes die SMS Hindenburg um 17:00 Uhr.

Mit Ausnahme von einem Linienschiff, drei Kleinen Kreuzern und elf Torpedobooten versanken alle deutschen Schiffe (Schiffsfriedhof). Damit war der Kern der Kaiserlichen Marine zerstört. Die Wracks der gesunkenen Schiffe wurden zwischen 1923 und 1939 größtenteils gehoben. Es verblieben jedoch sieben Schiffe am Meeresgrund, die heute als beliebtes Ziel für Tauchausflüge dienen.

Mit der Selbstversenkung hatte die Marine in militärfreundlichen Kreisen zwar einen Teil des im Krieg und insbesondere während der Novemberrevolution verlorenen Ansehens zurückgewonnen, jedoch waren harte Konsequenzen zu tragen. Die Alliierten verlangten nicht nur die Übergabe anderer, zum Teil recht moderner Schiffe, die für die neue Reichsmarine hätten den Grundstock bilden sollen, sondern auch den größten Teil der noch bestehenden deutschen Handelsflotte.

Die Versenkung der Schiffe war ein Bruch der Waffenstillstandsbedingungen, die es verboten, militärische Ausrüstung zu zerstören. Von Reuter wurde deswegen des Vertragsbruches beschuldigt und in Kriegsgefangenschaft genommen, während die Besatzungen als Gefangene in ein Militärlager in der Nähe von Invergordon überführt wurden.

Die durch die Versenkung unbrauchbar gewordenen Schiffe hatten noch einen großen Schrottwert. Außerdem blockierten sie die besten Ankerplätze in der Bucht von Scapa Flow. Deshalb wurden sie bis zum Zweiten Weltkrieg zum größten Teil gehoben und verschrottet. Bis heute wird jedoch gelegentlich hochwertiger Stahl aus den Wracks für Strahlenabschirmungszwecke geborgen. Dieser Stahl ist deswegen wertvoll, weil er in seinem Herstellungsprozess nicht der Beimengung von radioaktivem Staub während der Zeit der oberirdischen Nukleartests ausgesetzt war und sich deshalb besonders zum Bau und zur Abschirmung von höchstempfindlichen Messgeräten, namentlich in der Nuklearmedizin (z. B. Gammacounter, Ganzkörperzähler) eignet.

Die Ölmengen der versenkten Schiffe töteten in den nächsten Jahren alles Leben an der Küste, an die sie antrieben.

Anhang

Geheimschreiben, das im Panzerschrank der SMS Emden gefunden wurde

Brief des Admirals von Trotha, Chef der deutschen Admiralität, der im Panzerschrank des Vizeadmirals von Reuter auf der SMS Emden gefunden wurde. Veröffentlicht in einer Darstellung durch die britische Admiralität.

Chef der Admiralität, Berlin, 9. Mai 1919

Euer Hochwohlgeboren haben dem Korvettenkapitän Stapenhorst gegenüber erneut den Wunsch des Internierungsverbandes zum Ausdruck gebracht, über das Schicksal desselben und die vermutliche Beendigung der Internierung unterrichtet zu werden. Das Schicksal dieses unseres bedeutendsten Flottenteiles wird sich voraussichtlich durch die gegenwärtigen Verhandlungen zum Präliminarfrieden endgültig entscheiden. Aus Pressenachrichten und Erörterungen im englischen Oberhaus ergibt sich, daß unsere Gegner mit dem Gedanken umgehen, den Internierungsverband uns durch den Friedensvertrag vorzuenthalten. Sie schwanken zwischen einer Vernichtung oder Aufteilung untereinander. Gegen letztere werden Bedenken laut. Diesen feindlichen Absichten steht das bisher unwidersprochene deutsche Eigentumsrecht an dem Verbande gegenüber, in dessen Internierung wir bei Abschluß des Waffenstillstandes nur willigten, weil wir dem Gegner für die Dauer des Waffenstillstandes eine wesentliche Schwächung der Gefechtskraft der deutschen Flotte zugestehen mußten. Dieser ausgesprochenen Auffassung haben die Gegner weder bei Abschluß des Waffenstillstandes noch bei seiner Verlängerung widersprochen. Dagegen haben wir ihr erneut Ausdruck gegeben, als wir im Februar 1919 gegen die unbegründete Internierung in einem feindlichen Hafen protestierten, dieses Vorgehen als einen Bruch des Waffenstillstandes bezeichneten und die nachträgliche Überführung in einen neutralen Hafen forderten; allerdings blieb dieser Protest unbeantwortet. E. H. mögen überzeugt sein, daß es die selbstverständliche Pflicht unserer Marineunterhändler in Versailles sein wird, das Schicksal des Internierungsverbandes mit allen Mitteln zu verteidigen und eine unseren Traditionen und dem unzweideutigen deutschen Recht entsprechende Lösung herbeizuführen. Hierbei wird an erster Stelle die Bedingung stehen, daß der Verband deutsch bleiben soll, daß sein Schicksal, wer auch immer es unter dem Druck der politischen Lage gestalten möge, nicht ohne unsere Mitwirkung bestimmt und von uns selbst vollzogen wird, und daß eine Auslieferung an den Feind ausgeschlossen bleibt. Wir müssen hoffen, daß diese gerechten Forderungen sich im Rahmen unserer gesamtpolitischen Stellung zur Friedensfrage erfolgreich behaupten lassen. Ich bitte E.H., den Offizieren und Besatzungen der internierten Schiffe im Rahmen des Möglichen meine Befriedigung darüber auszudrücken, daß sie zu ihrem Teile so nachdrücklich zur Erfüllung unserer ehrlichen Hoffnung beitragen, daß der Internierungsverband unter deutscher Flagge verbleiben wird, und ihnen unseren festen Wunsch mitzuteilen, daß ihre gerecht Sache obsiegen wird. Es steht zu erwarten, daß diese Haltung die deutsche Delegation bei der Friedenskonferenz in ihren Bestrebungen unterstützen wird. Das Schicksal der gesamten Marine wird von dem Erfolg dieser Bestrebungen abhängen. Es ist zu hoffen, daß sie zu einer Beendigung der Internierung, die durch den Wortbruch unserer Feinde so unmenschlich geworden ist, führen wird. Ihre Leiden und die daraus folgenden Belastungen werden von der ganzen Marine beklagt. Sie werden für immer unvergessen bleiben und den internierten Besatzungen zu Ehren gereichen.

An den
Befehlshaber des Internierungsverbandes,
Herrn Konteradmiral von Reuter, Scapa Flow

Quellen:

  • Major Gibbon, The Triumph of the Royal Navy Offizieller Bericht über die Auslieferung der deutschen Flotte, 1919
  • Ludwig von Reuter, Scapa Flow- Das Grab der deutschen Flotte, Koehler, Leipzig 1921
  • Andreas Krause, Scapa Flow - Die Selbstversenkung der wilhelminischen Flotte, Ullstein, Berlin 1999 (Online-Version)

Siehe auch:

Weblinks


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