Sensenstreitwagen

Sensenstreitwagen
Der ägyptische Pharao Ramses II. im Streitwagen

Der Streitwagen, der von der Bauart her eine Karre (da einachsig) mit Speichenrädern ist, war im Altertum sowohl Statussymbol (4-speichige Darstellungen) der Herrscher, als auch militärisch genutztes Fahrzeug (mind. 6 Speichen der Räder), das in der Regel von zwei, seltener von vier Pferden gezogen wurde. Die in der Antike sehr beliebten Wagenrennen wurden mit vierspännigen Streitwagen ausgetragen.

Inhaltsverzeichnis

Übersicht

Zunehmende Verbreitung von Speichenrädern an Streitwagen zwischen 2000 und 500 v. Chr.

Wurden von den Sumerern im 3. Jahrtausend v. Chr. noch schwere zwei- oder vierrädrige Streitwagen mit Scheibenrädern eingesetzt, wurden im 2. Jahrtausend v. Chr. leichtere zweirädrige Streitwagen mit Speichenrädern genutzt und waren bis etwa zum 5. Jahrhundert v. Chr. allgemein verbreitet. Die Britannier und Perser benutzten ihn mindestens bis Christi Geburt, die Perser verwendeten "Sichelstreitwagen", welche mit Klingen an den Achsen ausgestattet waren. Im Mittelalter wurden schwere Karren, die zur Deckung von Schützen dienten, gelegentlich auch als "Streitwagen" bezeichnet.

Vom Streitwagen aus wurde mit Bögen sowie mit Wurfspeeren gekämpft; zum Nahkampf mit Schwertern und anderen Waffen sprang man hinunter, um den Gegner zu verwirren. Bei Gefahr kehrte der Wagenlenker zurück, so dass der Kämpfer wieder aufspringen konnte. Der Streitwagenkämpfer war meist adlig, da im Altertum Waffen und Gerät vom Kämpfer selbst zu stellen waren – ein Wagen samt Pferden war sehr teuer. In der Ilias werden Streitwagenkämpfer beschrieben. Der Wagenlenker kämpfte meist nicht selber.

Taktik

Anfangs waren Streitwagen Truppentransporter, um Krieger in guter physischer Verfassung zum Kampfplatz zu bringen. Später wurden beweglichere Wagen entwickelt, die mit Speerkämpfern und Bogenschützen aktiv in das Kampfgeschehen eingriffen. Die taktische Rolle von Streitwagen war ab diesem Zeitpunkt ähnlich der von Panzern im modernen Krieg. Streitwagen konnten allerdings nur auf relativ ebenem Gelände eingesetzt werden. Später wurden sie von der flexibleren und billigeren Reiterei abgelöst.

Manche Streitwagen waren für den Fernkampf vorgesehen, aufgesessene Bogenschützen nahmen aus sicherer Entfernung die feindlichen Verbände unter Beschuss, und ehe die gegnerischen Truppen zu nahe kamen, zog sich der Wagen in sichere Entfernung zurück. Neben dieser Zermürbungstaktik gab es auch den Einsatz im Nahkampf, dafür wurden schwerere, von mehreren Pferden gezogene Wagen gebaut, Rahmen und Radnaben waren mit Klingen versehen. Durch die Sicheln an den Achsen und die zwei bis vier Pferde war ein massiver Einschlag in feindliche Linien möglich. Der moralische Nutzen – die Angst der Fußsoldaten vor einem heranpreschenden Streitwagen – war ebenfalls nicht zu unterschätzen. Ähnlich wie die gewöhnliche Kavallerie hatte der Streitwagen also die Fähigkeit, Soldatenformationen einfach zu überrennen. Auch Reiter hatten sich vor Streitwagen zu hüten, denn die Sicheln waren für ungeschützte Pferdebeine ebenfalls eine große Gefahr. Zu dieser Kampfkraft kamen dann auch noch Fernwaffen und Lanzen, die von dem Streitwagen aus benutzt wurden.

Geschichte

Die frühesten Nutzer des Streitwagens waren wahrscheinlich die Mitanni. Die Hyksos brachten den Wagen nach Ägypten. Es folgten Hethiter, Assyrer und Ägypter. Das Alte Testament erwähnt den Einsatz von Streitwagen an mehreren Stellen. Im Buch Josua (17,16 und 18) und im Buch Richter (1,19; 4,3; 4,13) werden sie ausdrücklich als »eiserne Wagen« bezeichnet. Die antiken Perser waren gefürchtet für ihre mit scharfen Klingen an den Rädern versehenen Sensenstreitwagen oder Sichelwagen. Die disziplinierte Infanterie von Alexanders' Armee hatte jedoch wirksame Strategien gegen die Sensenstreitwagen, so dass diese in der Schlacht von Gaugamela wirkungslos waren. Im Heer des pontischen Königs Mithridates VI. kamen vermutlich auch Sensenstreitwagen zum Einsatz. In Europa nutzten die Kelten intensiv und mit als letzte den Streitwagen, den sie essedum nannten, im Kampf.

Hethitische Streitwagen

Hethitischer Streitwagen

Die hethitischen Streitwagen – zu ihrer Zeit vielleicht die stärkste Waffe der Welt – wurden zuerst mit zwei, später mit drei Mann besetzt: Anfangs gab es einen Bogenschützen und einen Wagenlenker, der beide mit einem Schild beschützte, später kam ein dritter Krieger hinzu, der den Schild übernahm und für den Nahkampf ausgerüstet war.

Ein großer Vorteil der hethitischen und ägyptischen Streitwagen, die von zwei Hengsten gezogen wurden, war ihre leichte Bauweise: Der Aufbau bestand aus einem mit Leder und Gurten bespanntem Holzrahmen, an der Achse drehten sich zwei Räder mit sechs Speichen; nur die stark beanspruchten Radkränze waren massiver. Dies sorgte dafür, dass ein einziger Mann ein solches Gefährt tragen konnte: Ein erhaltener ägyptischer Wagen, den man in Florenz besichtigen kann, wiegt nur 24 Kilogramm (zum Vergleich: ein moderner Leichtmetall-Sulky darf 30 Kilogramm nicht überschreiten).

Anders als etwa die Perser nutzten die Hethiter Streitwagen vorwiegend als Fernkampfwaffen, von denen aus man den Gegner beschießen und sich dann schnell zurückziehen konnte. Ihre Besatzung stellte auch keine elitäre Kaste dar wie bei vielen Nachbarvölkern (etwa in Mitanni). Es kam sogar vor, dass eroberte Gespanne samt Fahrern in die eigene Armee eingegliedert wurden. Die Hethiter waren äußerst abhängig von ihrer stärksten Waffe: Ein König weigerte sich gar, Gegner in unwegsames Gebiet zu verfolgen und hungerte sie lieber aus – was beträchtlich länger dauerte – , denn seine Krieger könnten schließlich nicht die Wagen auf den Rücken tragen – ein Kampf ohne Streitwagen schien ihm gar nicht möglich zu sein.

Eine hethitische Inschrift ist es auch, die Streitwagen erstmals erwähnt: Großkönig Anitta zog mit 40 von diesen in die Schlacht. In der Schlacht von Kadesch kommen nach ägyptischen Quellen ganze 3500 zum Einsatz – 7000 Pferde und 10500 Mann Besatzung.

Assyrien

Auf akkadisch hieß der Wagen narkabtu oder mugerru, der Wagenfahrer rākib narkabti. Gewöhnlich wird angenommen, dass zweirädrige Streitwagen in größerem Umfang ab ca. 1600 v. Chr. eingesetzt wurden. Im Jahr 839 konnte Assyrien 2002 Streitwagen aufstellen (Kelle 2002, 642).

Ägäis

In der Ägäis ist der Streitwagen ebenfalls ab ca. 1600 nachzuweisen (Schachtgräber). Nach Drews ist die mit dem Streitwagen verbundene Terminologie indoeuropäisch.

In der Ilias werden Streitwagen vielerorts erwähnt; nach neuesten Forschungen stellt die im Epos dargestellte Gefechtstechnik der Streitwagen das Endstadium des Streitwageneinsatzes im Kampf dar. Er kann nicht mehr im Angriff in geschlossenen Verbänden eingesetzt werden, findet aber in Phasen hochbeweglicher Kampfführung noch ein eingeschränktes Einsatzspektrum, das auffallende Parallelen zur Gefechtstechnik und Taktik heutiger Kampffahrzeuge aufweist. Im Lelantinischen Krieg wurde der Streitwagen bereits durch die Kavallerie im Kampfeinsatz verdrängt. Der Streitwagen wurde also in der Ägäis von der mykenischen Epoche bis in die Mitte des 8. Jahrhundert v. Chr. als Kampffahrzeug eingesetzt.

Mythologie

In der Mythologie verschiedener Völker spielen Streitwagen indirekt eine Rolle. So werden in Indien die alten vedischen Götter wie der Sonnengott Surya oder der Windgott Vayu ebenso wie Krishna auf Rathas (sanskrit für "Wagen") dargestellt. In der griechischen Mythologie fährt der Sonnengott Helios auf einem Streitwagen über das Himmelsgewölbe.

Siehe auch

Literatur

  • Thomas Richter: Der Streitwagen im Alten Orient im 2. Jahrtausend v. Chr. – eine Betrachtung anhand der keilschriftlichen Quellen. In: Mamoun Fansa, Stefan Burmeister (Hrsg.): Rad und Wagen, der Ursprung einer Innovation. Wagen im Vorderen Orient und Europa. Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland. Beiheft 40. Isensee, Oldenburg 2004, 507ff. ISBN 3-89995-085-2
  • Brad E. Kelle: What's in a Name? Neo-Assyrian designations for the Northern Kingdom and their implications for Israelite history and Biblical interpretation. in: Journal of Biblical Literature. Atlanta 121.2002,4, 639-666. ISSN 0021-9231
  • Robert Drews: The coming of the Greeks, Indo-European conquests in the Aegean and the Near East. Princeton University Press, Princeton NJ 1988. ISBN 0691029512
  • Rupert Wenger: Strategie, Taktik und Gefechtstechnik in der Ilias. Analyse der Kampfbeschreibungen der Ilias. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2008. ISBN 3-8300-3586-1 (Inhalt)

Weblinks


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