Sergei Rachmaninoff

Sergei Rachmaninoff
Der junge Rachmaninow

Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow (russisch Сергей Васильевич Рахманинов, wiss. Transliteration Sergej Vasil'evič Rachmaninov; er selbst benutzte als Umschrift seines Namens Rachmaninoff; * 20. Märzjul./ 1. April 1873greg. auf dem Landgut Semjonowo bei Nowgorod; † 28. März 1943 in Beverly Hills) war ein russischer Pianist, Komponist und Dirigent.

Inhaltsverzeichnis

Kindheit

Sergei Rachmaninow war das vierte von insgesamt sechs Kindern aus der Ehe des Wassili Arkadjewitsch Rachmaninow und seiner Frau Ljubow Petrowna Butakowa. Die Ehefrau brachte Vermögen in Form von fünf Landgütern in die Ehe ein. Dem Vater, einem gutmütigen und geselligen Fantasten, fehlte jedoch jedes ökonomische Verständnis für eine Bewirtschaftung. Innerhalb von zehn Jahren führte er die Betriebe in den Ruin. Die finanziellen Sorgen belasteten die Ehe schwer. Als 1882 auch das letzte Gut Oneg aufgegeben werden musste, zog die Familie nach Sankt Petersburg, wo sich die Eltern schließlich endgültig trennten.

Den ersten Klavierunterricht erhielt der junge Rachmaninow mit vier Jahren von seiner Mutter, anschließend von einer Absolventin des Sankt Petersburger Konservatoriums. Sein Vater und sein Großvater waren zwar beide keine ausgebildeten Musiker, konnten aber in geselligen Runden auf Zuruf beliebte Melodien mit einer improvisierten Begleitung zum Besten geben. In Petersburg besuchte Rachmaninow das dortige Konservatorium und erhielt dort neben Klavierunterricht auch Unterricht in Musiktheorie und allgemeinbildenden Fächern. Nachdem Rachmaninows Schwester Sofia an Diphtherie gestorben war und seine Eltern sich getrennt hatten, wurde die Belastung für seine Mutter sehr groß. Zu allem Überfluss scheiterte Rachmaninow bei der Abschlussprüfung in den Allgemeinfächern. Das Stipendium wurde ihm entzogen, und er musste das Konservatorium verlassen. Die ratlose Mutter wandte sich daraufhin an ihren Neffen Alexander Siloti (ein älterer Cousin Rachmaninows), welcher gerade als neuer Stern am russischen Pianistenhimmel gefeiert wurde. Dieser hörte dem jungen Rachmaninow beim Klavierspiel zu und erkannte die große, jedoch völlig unausgebildete Begabung Rachmaninows. Daraufhin schlug Siloti vor, Rachmaninow die Klasse des Klavierpädagogen Nikolai Sergejewitsch Swerew (1832–1897) am Moskauer Konservatorium besuchen zu lassen. Mit gerade einmal 100 Rubel, mehr konnte die Familie nicht aufbringen, wurde Sergei nach Moskau entlassen. Die unbeschwerte Kindheit Rachmaninows nahm ein Ende und wich den nun folgenden Lehrjahren.

Studienzeit

Rachmaninow kam 1885 in Moskau an. Swerew ließ immer drei besonders begabte Schüler bei sich wohnen, und so fand Rachmaninow auf diese Weise eine Unterkunft. Swerew verlangte weder ein Entgelt noch ein Honorar für die Unterrichtsstunden, und er übernahm sogar die Kosten für den Französisch- und einen Deutschlehrer. Im Gegenzug forderte er von seinen Schülern ein äußerst diszipliniertes Studium: Lob gab es intern allenfalls in Form billigender Kenntnisnahme, sobald jedoch Dritte anwesend waren, überschlug er sich in Anerkennung.

Rachmaninow notierte später:

„Swerew verwandelte sein Haus, das ein musikalisches Gefängnis hätte werden können, in ein musikalisches Paradies. Sonntags wurde aus dem strengen Lehrer ein völlig anderer. Den Nachmittag und Abend pflegte er ein offenes Haus für die bedeutendsten Figuren der Moskauer Musikwelt. Tschaikowski, Tanejew, Arenski, Safonow und Siloti schauten ebenso bei ihm vorbei wie Professoren der Universität, Juristen, Schauspieler, und die Stunden vergingen mit Gesprächen und Musik. (…) Unsere Stegreif-Auftritte waren Swerews größtes Vergnügen. Egal, was wir spielten, sein Urteil lautete stets: Ausgezeichnet! Gut gemacht! Hervorragend! Er ließ uns das spielen, wozu wir aufgelegt waren, und forderte die Gäste auf, sich seiner Meinung über uns anzuschließen.“

1888 wechselte Rachmaninow in die Fortgeschrittenenklasse seines Cousins Siloti. Zugleich widmete er sich verstärkt dem Fach Komposition. Da Rachmaninow aber im Hause Swerews keine Ruhe zum Komponieren fand – ständig übte einer der anderen Schüler am Klavier – kam es zwischen ihm und seinem Gönner zum Bruch, und in der Folge nahm ihn die Schwester seines Vaters Warwara Satina zu sich. Auch deren mit Rachmaninow gleichaltrige Söhne und Töchter kamen mit dem neuen Gast gut zurecht (Natalja nahm er später zur Frau).

Silotis Entschluss, seine Lehrtätigkeit am Moskauer Konservatorium wegen institutsinterner Konflikte aufzugeben, bestärkte Rachmaninow darin, das Studium unverzüglich abzuschließen. In der Abschlussprüfung im Fach Klavier im Mai 1891 spielte er unter anderem Beethovens Waldstein-Sonate und die Sonate in b-Moll von Frédéric Chopin. Im Fach Komposition war ihm aufgegeben, eine einaktige Oper zu schreiben – so entstand Aleko, eine Geschichte im Zigeunermilieu mit Liebe, Leidenschaft und Tod ganz im Stil der Cavalleria rusticana. Die Prüfungskommission war über das Ergebnis so begeistert, dass sie ihm hierfür die „Große Goldmedaille“ verlieh. Uraufgeführt am 27. April 1893 im Bolschoi-Theater, brachte ihm die Oper nicht nur große Presseresonanz, sondern auch auswärtige Einladungen ein.

Erste Erfolge

Schon vor Aleko hatte Rachmaninow das 1. Klavierkonzert in fis-Moll komponiert, dem er die Opuszahl 1 gab: Im März 1892 hatte er den Kopfsatz im Rahmen eines Konservatoriumskonzerts gespielt und Begeisterungsstürme entfacht. Im Sommer 1893 vollendete er die sinfonische Dichtung Der Felsen und die seinem großen Vorbild Pjotr Tschaikowski gewidmete Suite für zwei Klaviere op. 5. Tschaikowski fühlte sich geehrt, witzelte, er habe in diesem Sommer „nur eine kleine Sinfonie“ zustande gebracht (es war die Pathetique), und sagte den Besuch einer Aufführung im Herbst zu. Wegen Tschaikowskis plötzlichem Tod kam es aber nicht mehr dazu. Erschüttert von dieser Nachricht, komponierte Rachmaninow das Trio élégiaque Nr. 2 – „Dem Andenken eines großen Künstlers gewidmet“.

Selbstzweifel

Der Erfolg verleitete Rachmaninow zu einem aufwendigen Lebensstil, der seine Reserven rasch aufzehrte. Er hatte in Gutheil zwar einen treuen Verleger in Moskau, der alles veröffentlichte, was Rachmaninow niederschrieb, trotzdem verschärften sich seine finanziellen Probleme. Er versuchte, nebenbei Klavierstunden zu geben, war aber pädagogisch unbegabt. Weil ihm das Reisen verhasst war, brach er eine Konzerttournee durch mehrere Städte Russlands ab, obwohl diese einträglich hätte sein können. Zur gleichen Zeit fiel auch seine 1. Sinfonie in d-Moll bei Kritikern und Publikum durch: Uraufgeführt am 15. März 1897 in Sankt Petersburg unter der Leitung von Alexander Glasunow, stieß das Werk beim Publikum auf Ablehnung, der Kritiker César Cui fühlte sich beim Hören gar an die „Zehn ägyptischen Plagen“ erinnert. Glasunow, der weder Rachmaninow noch seine 1. Sinfonie mochte, gab später im privaten Kreis zu, das Werk bei der Uraufführung im betrunkenen Zustand dirigiert zu haben. Rachmaninow, der von sich aus nicht gerade eine Frohnatur war, sondern eher eine Tendenz zur Schwermütigkeit aufwies, geriet durch die vernichtende Kritik in eine tiefe Schaffenskrise, die ihn in Depressionen führte. Er komponierte nicht mehr, sondern arbeitete stattdessen zeitweilig als Dirigent an der Moskauer Russischen Privatoper. Der Familie Satin gelang es schließlich, ihn dazu zu überreden, sich in ärztliche Behandlung zu begeben.

Hilfe fand Rachmaninow bei einem der russischen Pioniere auf dem Gebiet der Psychiatrie, Dr. Nikolai Dahl, dem es gelang, ihm sein Selbstvertrauen zurückzugeben. Dahl behandelte seinen berühmten Patienten mittels Hypnose. Rachmaninow schrieb hierüber später:

„Ich hörte die gleichen hypnotischen Formeln Tag für Tag wiederholt, während ich schlafend in Dahls Behandlungszimmer lag. „Du wirst dein Konzert schreiben… du wirst mit großer Leichtigkeit arbeiten… Das Konzert wird von exzellenter Qualität sein…“ Es waren immer dieselben Worte, ohne Unterbrechung. Auch wenn es unglaublich erscheint, diese Therapie half mir wirklich. Im Sommer begann ich zu komponieren. Das Material wuchs, und neue musikalische Ideen begannen sich in mir zu regen.“

Rachmaninow begann mit der Arbeit an seinem 2. Klavierkonzert op. 18 in c-Moll, das heute zu den bekanntesten Konzerten der Romantik zählt, und widmete es aus Dankbarkeit seinem Arzt. Fertiggestellt waren zunächst der 2. und der 3. Satz, Rachmaninow spielte sie im Herbst 1900 vor Publikum. Den Kopfsatz komponierte er anschließend zügig. Am 27. Oktober 1901 wurde das gesamte Werk unter der Leitung von Alexander Siloti und mit Rachmaninow am Klavier uraufgeführt.

Neue Wege

Am 29. April 1902 heiratete Rachmaninow seine Cousine Natalja Alexandrowna Satina. Sie selbst war Klavierschülerin am Moskauer Konservatorium gewesen, hatte Verständnis für seinen Wunsch nach Entfaltung als Komponist und unterstützte ihn nach Kräften. Aus der Ehe gingen die Töchter Irina und Tatjana hervor.

Im Jahre 1904 nahm Rachmaninow eine neue Herausforderung an: Er wurde Dirigent am Bolschoi-Theater. Zwei Jahre sollte diese Tätigkeit dauern. Unter seiner Ägide wurden gleich neue Regeln eingeführt: Das Dirigentenpult, das seine Vorgänger – aus welchen Gründen auch immer – neben den Souffleurkasten platziert hatten, verfrachtete er zurück in den Orchestergraben. Außerdem verfügte er, dass Instrumentengruppen während einer Aufführung nicht einfach „abtauchten“, wenn sie über längere Passagen nichts zu tun hatten – das traf vor allen Dingen die Blechbläser, die gern den Orchestergraben während der Zeit ihrer Nichtbeanspruchung verließen. Mit seinem harten Durchgreifen war Rachmaninow erfolgreich, und die Besprechungen seiner Aufführungen waren in der Presse sehr positiv:

„Man kann sagen, dass mit der Leitung des Bolschoi-Orchesters durch Rachmaninow sofort ein neuer Geist wehte, und das, wovon wir in unseren Kritiken nur zu träumen wagten, der Verwirklichung entgegensieht. (…) Wir werden natürlich alle neuen Schritte Rachmaninows in der Laufbahn des Opernkapellmeisters mit größtem Interesse verfolgen, denn seine Tätigkeit verspricht unserer Bühne viel Gutes.“

Dresden

Ab 1906 und in den zwei Folgejahren verbrachte die Familie Rachmaninow die Wintermonate in Dresden. Rachmaninow würdigte das musikalische Kapital der Stadt wie der Region überhaupt, die Arbeit an neuen Kompositionen verband er mit Besuchen der Semperoper und des Leipziger Gewandhauses. Am Trachenberger Platz erwarb er ein großes Mehrfamilienhaus, zu dem er bis in die 1990er Jahre als Eigentümer, Wohnsitz: New York, eingetragen war. In Dresden entstanden die 2. Sinfonie op. 27, die 1. Klaviersonate op. 28 und die sinfonische Dichtung Die Toteninsel op. 29. Das gleichnamige Gemälde von Arnold Böcklin hatte er als Schwarz-Weiß-Druck gesehen; als er es später im Original zu Gesicht bekam, notierte er:

„Ich war von der Farbe des Gemäldes nicht besonders bewegt. Hätte ich das Original zuerst gesehen, hätte ich Die Toteninsel womöglich nicht geschrieben.“

Auch der Klaviersonate lag gedanklich ein „Programm“ zugrunde, aber Rachmaninow wollte diese ausdrücklich nicht als Programmmusik verstanden wissen. Die Inspiration entstammt Goethes Faust, Rachmaninow hatte bei den einzelnen Themen der Sonatensätze Faust, Gretchen und Mephistopheles vor Augen. 1909 kehrte Rachmaninow dauerhaft nach Russland zurück, er folgte einem Ruf als Vizepräsident und Dirigent der Russischen Musikgesellschaft.

Der „letzte Romantiker“

1909 bereitete sich Rachmaninow intensiv auf eine Tournee durch die Vereinigten Staaten vor. Zu diesem Zweck komponierte er sein 3. Klavierkonzert in d-Moll, ein Konzert, das ähnlich große Popularität wie das zweite erlangt hat. Seine exorbitante Virtuosität war selbst Rachmaninow nicht geheuer; noch auf der Überfahrt nach Amerika übte er daran mit Hilfe einer stummen Klaviatur. Die Auftritte in den USA konnte er als Erfolg verbuchen, auch wenn er persönlich vom amerikanischen Publikum enttäuscht war und nicht verstehen konnte, dass sie ihn nur auf den Komponisten des berühmten cis-moll-Präludiums reduzierten (eines Klavierstücks übrigens, von dem Rachmaninow finanziell nichts hatte, da er sich die Urheberrechte daran nicht hatte sichern lassen.)

1910 begann sich die russische Musikszene zu spalten. Eine Gruppe um den Komponisten Alexander Skrjabin propagierte neue Wege in der Tonalität. Rachmaninow konnte dem nichts abgewinnen. Auch unter den Musikkritikern verhärteten sich die Fronten. Über Rachmaninow schrieb Wjatscheslaw Karatygin:

„Das Publikum vergöttert Rachmaninow, weil er den durchschnittlichen Spießergeschmack trifft.“

Dass Rachmaninow zeitlebens an der Tradition eines tonalen Kompositionsstils festgehalten hat, ist ihm oft vorgehalten worden. Viele bezeichneten ihn als den „letzten Romantiker“. Anhänger und Verteidiger der Schönberg-Schule, vor allem Theodor W. Adorno, haben die Werke Rachmaninows einer oft vernichtenden Kritik unterzogen. So betrachtet Adorno das cis-moll-Prélude als ein plakatives Schaustück, mit dem Dilettanten Kraft und Virtuosität vortäuschen könnten. „Diesen Kindertriumph hält das Präludium für infantile Erwachsene fest“ (Musikalische Warenanalysen). Andere Komponisten, die nicht der Schönberg-Schule angehörten, wie Strawinski und Richard Strauss, äußerten sich ebenfalls abfällig.

Alexander Skrjabin

Rachmaninow, mit einer Aufnahme, 1921

Rachmaninow und Alexander Skrjabin, beide fast gleich alt, kannten sich schon aus der Konservatoriumszeit. Sie waren zwar keine guten Freunde, aber auch nicht miteinander verfeindet. Mit den Neuerungen in Sachen Tonalität wurden sie allerdings zunehmend zu Konkurrenten. Gegenseitige Provokationen blieben nicht aus. So soll sich Skrjabin vor einer gemeinsamen Aufführung seines eigenen Klavierkonzertes mutwillig betrunken haben, um zu überprüfen, wie es um Rachmaninows Dirigierfähigkeiten bestellt sei, wenn Skrjabin nicht mehr korrekt Klavier spielen konnte und sogar Passagen vergaß. Umgekehrt machte Rachmaninow sich über Skrjabins moderne Musikauffassung lustig. Während einer Verlagsbesprechung stieß er auf die noch unveröffentlichte Partitur des Prometheus (in dem Orchesterwerk ist u. a. ein von Skrjabin erfundenes „Farbenklavier“ vorgesehen), setzte sich mit den Noten sogleich an den Flügel und begann zu spielen, hielt unvermittelt inne und fragte den anwesenden Skrjabin spitz, was das denn jetzt für eine Farbe an dieser Stelle sei. Skrjabin fühlte sich nicht verstanden und reagierte äußerst gereizt.

Gleichwohl zeigte sich Rachmaninow über Skrjabins frühen Tod 1915 tief betroffen und spielte eine ganze Tournee mit Skrjabins Werken. Bei seiner Interpretation von Skrjabins Klavierstücken kamen aber sogar Nicht-Anhänger des Skrjabin-Lagers ins Grübeln. Der Komponist Anatoli Alexandrow erinnerte sich später:

„Das einzige Mal, dass mich Rachmaninows Spiel nicht befriedigte, war das Konzert mit Werken Skrjabins (…). Zwar gab es in dem Konzert glückliche Momente, wie etwa die glänzende Interpretation des fis-Moll-Präludiums op. 11 (…). Jedoch schien mir die Wiedergabe der größeren Werke, die das Programm enthielt (…) fremd und in keiner Weise den Geist Skrjabins wiederzugeben.“

Exil

Portrait von Rachmaninow, von Konstantin Somow

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Russland von Europa abgeschnitten. Rachmaninows Tourneen durch Europa waren schlagartig beendet, er konzertierte nur noch in Russland. Die Inflation beherrschte das Leben. Als Rachmaninow mit seiner Familie auf das Landgut Iwanowka bei Uwarowo im damaligen Gouvernement Tambow (der Besitz kam mit seiner Frau in die Ehe; heute Rachmaninow-Museum) flüchtete, gab es bereits ernstzunehmende Gerüchte über Gewalttaten an Gutsbesitzern. Die Wirren der Oktoberrevolution verbrachten die Rachmaninows völlig verängstigt in Moskau. Als Rachmaninow eine Einladung zu einem Konzertauftritt in Schweden bekam, zögerte er keine Sekunde. Er verließ mit seiner Familie Russland. Dass es für immer sein sollte, wusste er damals nicht.

Nach Auftritten in Schweden und Dänemark erhielt Rachmaninow mehrere Angebote als Dirigent in den USA. Doch entschied er sich gegen eine verpflichtende Angestelltenposition und für die freie Arbeit als Pianist. Er wurde zu einem der begehrtesten und bestbezahlten Klaviervirtuosen seiner Zeit. Andere Russen wie z.B. Siloti hatten vergeblich versucht, in Amerika Fuß zu fassen, Rachmaninow wurde als Star gefeiert. Akklimatisiert hat er sich nicht. Wie viele Exilanten lebte er mit seiner Familie zurückgezogen, sein Englisch blieb miserabel. Seine Vermögensverhältnisse gestatteten ihm einen luxuriösen Lebensstil, alle Hausangestellten waren Russen. In seinem Todesjahr erst erwarb Rachmaninow die amerikanische Staatsbürgerschaft, aber das war getragen von dem Wunsch, seiner Familie Probleme in Erbschaftsangelegenheiten zu ersparen.

Weil ihnen der Abschied von der ländlichen Idylle auf „Iwanowka“, der Abschied von europäischen Gepflogenheiten so schwergefallen war, sehnten sich die Rachmaninows nach dem alten Europa zurück. Schließlich erwarb Rachmaninow 1930 in der Schweiz ein Ufergrundstück in Hertenstein LU am Vierwaldstättersee. Die Villa, die er dort errichten ließ, nannte er Senar (= Sergej + Natalja Rachmaninow). Dort verbrachte Rachmaninow viele Sommermonate und fand endlich zum Komponieren zurück. Dennoch entstanden in den gesamten 26 Jahren des Exils lediglich die opp. 40-45, gegenüber opp. 1-39 in den ca. 16 Jahren zuvor in Russland. Schließlich verlor er auch diese neue Heimat mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.

Letzte Station

1942 erwarb Rachmaninow ein Grundstück in Beverly Hills, 610 Elm Drive. Die Konzertreisen in den 30er Jahren hatten ihre Spuren bei ihm hinterlassen, mehr noch aber sein Kaffee- und Zigarettenkonsum. Das Ende kam schnell, Rachmaninow verstarb kurz vor seinem 70. Geburtstag an Krebs. Sein Wunsch, in Moskau auf dem Nowodwitschij-Friedhof beerdigt zu werden – dort liegen auch Alexander Skrjabin, Sergei Tanejew und Anton Tschechow – ging nicht in Erfüllung. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Kensico-Friedhof bei New York City.

Der Medienhasser

Zu Rachmaninows Lebzeiten gab es bereits viele technische Möglichkeiten, sein Wirken als Musiker durch Aufzeichnungen zu konservieren. Rachmaninow stand dem indessen misstrauisch gegenüber:

„Meiner Meinung nach hat der Rundfunk einen schlechten Einfluss auf die Kunst: Er ist dazu angetan, ihr alles Leben und aufrichtigen Sinn auszutreiben.“

Bei Schallplattenaufnahmen wiederum fürchtete er, der Perfektionist, dass möglicherweise Unvollkommenes festgehalten würde. Er notierte:

„Ich werde sehr nervös bei Einspielungen. (…) Wenn die Probeaufnahmen fertig sind, weiß ich, dass ich sie zurückgehen lassen kann, und dann ist alles in Ordnung. Aber wenn die Schlussaufnahme ansteht und mir bewusst wird, dass dieses Ergebnis jetzt genügen und von Dauer sein soll, werde ich nervös, und meine Hände beginnen, sich anzuspannen.“

Rachmaninow war der letzte Vertreter einer Jahrhunderte alten Tradition. Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein waren die (meisten) Komponisten gleichermaßen bedeutende Virtuosen ihrer Zeit. Rachmaninow war der letzte, der diese Doppelfunktion (eigentlich war es sogar eine Tripelfunktion: Komponist, Pianist, Dirigent) ausübte. Er war der erste und letzte seiner Zunft, der ein relativ umfangreiches Zeugnis seines pianistischen Könnens auf Tonträgern hinterlassen hat. Die ersten Aufnahmen (für Edison Records) entstammen dem Jahr 1919, die letzten (für RCA Victor) entstanden 1942. Die Anzahl der von ihm eingespielten Aufnahmen ist beträchtlich, so sind es immerhin 10 CDs, auf denen heute seine glänzenden Fähigkeiten als Musiker der Nachwelt überliefert sind. Außerdem spielte er zwischen 1919 und 1929 auch ca. 35 kürzere (eigene und fremde) Werke für Musikrollen der Firma Ampico ein. Diese wurden u.a. Ende der 1990er Jahre veröffentlicht, gespielt auf einem Bösendorfer SE290 Computerflügel, so daß Rachmaninows Spiel in heutigem Klang und ohne die typischen Nebengeräusche herkömmlich mechanischer Reproduktionsklaviere überliefert ist.[1]

Rachmaninow war in seiner Zeit ein nach heutigen Maßstäben erstaunlich moderner Interpret. Wo andere seiner Zeitgenossen immer noch dem romantisch-manierierten Idiom der musikalischen Auffassung verhaftet waren, interpretierte Rachmaninow eigene Werke genauso wie die anderer mit einer nüchternen Sachlichkeit, die jedem Interpreten der Jetztzeit zur Ehre gereichen würde. Seine Sparsamkeit des Pedalgebrauchs sowie seine Zucht des Ausdrucks, die sich immer am Idiom der Entstehungszeit des jeweiligen Stückes orientiert, weisen ihn als den vielleicht ersten großen Pianisten, wenn nicht als einen der größten Pianisten des 20. Jahrhunderts aus.

Werke

Siehe auch: Werkliste Rachmaninows nach Opuszahlen

Sinfonische Werke

Tondichtungen

  • Prinz Rostislaw, ohne op., nach der gleichnamigen Ballade von A. K. Tolstoj
  • Der Fels, op. 7
  • Capriccio über Zigeunerweisen, op. 12
  • Die Toteninsel, op. 29 (nach Arnold Böcklin)

Klavierkonzerte

Kammermusik

  • Klaviertrio Nr. 1 g-Moll „Trio élégiaque“
  • Zwei Stücke für Violoncello und Klavier op. 2
  • Zwei Salon-Stücke für Violine und Klavier op. 6
  • Klaviertrio Nr. 2 d-Moll op. 9 „Trio élégiaque“
  • Sonate f. Violoncello und Klavier, op. 19
  • Vocalise für Violoncello und Klavier nach op. 34 Nr. 14
  • Zwei Streichquartette (o. op. ) g-Moll
  • Melodie für Violoncello und Klavier D-Dur
  • Lied für Violoncello und Klavier f-Moll
  • Romanze für Violoncello und Klavier fis-Moll

Klaviermusik

- für Klavier solo

  • 2 Sonaten, opp. 28 & 36
  • 5 Morceaux de Fantaisie op. 3 (darin Nr. 2: Prélude cis-moll)
  • 7 Morceaux de Salon Op. 10
  • 6 Moments Musicaux Op. 16
  • 10 Préludes, op. 23 (Nr. 1 fis-Moll Largo / Nr. 2 B-Dur Maestoso / Nr. 3 d-Moll Tempo di minuetto / Nr. 4 D-Dur Andante cantabile / Nr. 5 g-Moll Alla marcia / Nr. 6 Es-Dur Andante / Nr. 7 c-Moll Allegro / Nr. 8 As-Dur Allegro vivace / Nr. 9 es-moll Presto / Nr. 10 Ges-Dur Largo)
  • 13 Préludes op. 32 (Nr. 1 C-Dur Allegro vivace / Nr. 2 b-Moll Allegretto / Nr. 3 E-Dur Allegro vivace / Nr. 4 e-Moll Allegro con brio / Nr. 5 G-Dur Moderato / Nr. 6 f-Moll Allegro appassionato / Nr. 7 F-Dur Moderato / Nr. 8 a-Moll Vivo / Nr. 9 A-Dur Allegro moderato / Nr. 10 h-Moll Lento / Nr. 11 H-Dur Allegretto / Nr. 12 gis-Moll Allegro / Nr. 13 Des-Dur Grave)
  • 8 Etudes-tableaux op 33 & 9 Etudes-tableaux op 39
  • Variationszyklen über ein Thema von Chopin, op. 22 und über ein Thema von Corelli, op. 42
  • Transkriptionen für Klavier nach eigenen Liedern (Flieder, op 21/5; Gänseblümchen op 38/3) sowie Werken von Smith (Star-Spangled Banner), Bizet (Menuet aus L'Arlesienne), Kreisler (Liebesfreud; Liebesleid), Rimski-Korsakow (Hummelflug aus Zar Saltan), Mendelssohn (Scherzo aus Ein Sommernachtstraum), Behr (Polka de W.R.), Mussorgski (Hopak), Johann Sebastian Bach (Preludio, Gavotte, Gigue aus Violinpartita Nr. 3), Franz Schubert (Wohin?), Pjotr Tschaikowski (Wiegenlied op 16/1)
  • Werke ohne Opus: Klavierstück d-Moll (1884); 3 Nocturnes (1887/1888); Prelude F-Dur (1891); 4 Klavierstücke: Romanze fis-Moll, Prelude es-Moll, Melodie E-Dur, Gavotte D-Dur; Morceau de fantaisie g-Moll (1899), Fughette (1899); Orientalische Skizze (1917); Klavierstück d-Moll (1917); Fragmente (1917); Kadenz zu Franz Liszts ungarischer Rhapsodie Nr. 2

- für Klavier vierhändig

  • 6 Stücke für Klavier zu vier Händen op. 11
  • Werke ohne Opus: Romanze G-Dur o.op. (1893); Polka italienne (1906)

- für 2 Klaviere

  • 2 Suiten für zwei Klaviere opp. 5 & 17
  • Werke ohne Opus: Russische Rhapsodie (1891); 2 Stücke f. 2 Klaviere zu 6 Händen: Walzer, Romanze

Opern

weltl. und geistl. Chorwerke mit und ohne Orchester

  • Frühling, Kantate für Bariton, Chor und Orchester, op. 20
  • Liturgie des hl. Chrysostomus, op. 31
  • Die Glocken (nach Edgar Allan Poe in einer Umdichtung durch Konstantin Balmont) für Solostimmen, Chor und Orchester, op. 35
  • Das große Abend- und Morgenlob, op. 37 (Vespermesse)
  • Drei russische Volkslieder für Chor und Orchester, op. 41

Lieder

Rachmaninows umfangreiche Liedkompositionen sind (mit Ausnahme der Vocalise aus op.34) wenig populär.

  • Lieder op.4, op.8, op.14, op.21, op.26, op.34, op.38.

Literatur

  • Ewald Reder: Sergej Rachmaninow, Leben und Werk (1873 - 1943). Biografie, 3. überarbeitete Auflage 2007, ISBN 3-89774-486-4.
  • Andreas Wehrmeyer: Sergej Rachmaninow. rororo-Monographie Rowohlt-Verlag Reinbek 2000, ISBN 3-499-50416-2.
  • Marie Biesold: Sergej Rachmaninoff 1873 - 1943. Zwischen Moskau und New York. Eine Künstlerbiographie. Berlin 1999, ISBN 3-88679-215-3
  • Fritz Butzbach: Studien zum Klavierkonzert No. 1. Köln 1979.

Sonstiges

  • Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow wurde auf einer modernen russischen Münze (aus Gold) verewigt.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. "A Window in Time", 2 Einzel-CDs; Telarc Records.


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