Sergej Witte

Sergej Witte
Sergei Juljewitsch Witte, Portrait von Ilja Repin

Sergei Juljewitsch Witte (russisch Сергей Юльевич Витте, wiss. Transliteration Sergej Jul'evič Vitte; * 17. Junijul./ 29. Juni 1849greg. in Tiflis; † 28. Februarjul./ 13. März 1915greg. in Petrograd) war ein russischer Unternehmer und Staatsmann deutscher Abstammung. Er verfocht liberale Ideen und modernisierte die russische Wirtschaft.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Witte wurde am 29. Juni 1849 in Tiflis geboren. Sein Vater Julius Witte stammte aus dem Baltikum und gehörte zur deutsch - baltischen Ritterschaft von Pleskau/Pskow. Dieser hatte in Preußen Landwirtschaft und Hüttenkunde studiert. Anlässlich einer Heirat trat er vom lutherischen Glauben zum orthodoxen über. Seine Mutter war russischer Herkunft, Tochter einer Fürstin Dolgoruki.

Nach Abschluss der Schule begann er ein Studium der Mathematik an der Neurussischen Universität in Odessa, das er 1870 beendete. Witte fand zunächst eine Beschäftigung bei der russischen Eisenbahn, wo er nacheinander Direktor der Odessa-Eisenbahn und der Südwest-Eisenbahn, die von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer verlief, wurde.

1886 ging er nach Kiew, wurde Mitglied der vom Zar ins Leben gerufenen Baranow-Kommission, die eine neue Eisenbahnpolitik für die Regierung ausarbeitete. Witte schrieb eine Eisenbahn-Charta, die zur Grundlage der ersten Betriebsordnung der russischen Eisenbahnen wurde.

Als erfolgreicher Unternehmer wurde er 1889 in die russische Regierung berufen und zum Leiter der Abteilung für Eisenbahnangelegenheiten ernannt. 1893 wurde Witte zum russischen Finanzminister ernannt.

Er setzte sich für eine Modernisierung Russlands ein, verlangte eine stärkere Industrialisierung der Wirtschaft und forcierte den Bau der Transsibirischen Eisenbahn. Seine Reformbestrebungen führten zum Konflikt mit anderen Ministern, besonders dem konservativen Innenminister Wjatscheslaw Konstantinowitsch von Plehwe, der ihn bei Zar Nikolaus II. denunzierte. Plewe behauptete, Witte sei Teil einer jüdischen Verschwörung. Witte musste deshalb am 29. August 1903 von seinem Posten als Finanzminister zurücktreten.

Nachdem sich im Russisch-Japanischen Krieg eine Niederlage Russlands abzeichnete, erinnerte sich Nikolaus II. an Wittes Verhandlungsgeschick und sandte ihn im Juni 1905 als Chefunterhändler nach Amerika, um mit Japan die Bedingungen für den Friedensvertrag von Portsmouth auszuhandeln. Witte zeigte sich als brillanter und harter Verhandlungspartner, der trotz Russlands vernichtender Niederlage auf dem Schlachtfeld relativ milde Vertragsbedingungen aushandeln konnte. Russland verlor die Halbinsel Liaodong, den Kriegshafen Port Arthur und die Konzessionen für die Eisenbahnen in der Mandschurei. Außerdem verpflichtete sich Russland, Süd-Sachalin an Japan abzutreten. Einen vollständigen Abtritt von Sachalin und hohe Entschädigungszahlungen konnte der japanische Unterhändler Komura Jutaro jedoch nicht durchsetzen. Während der Friedensvertrag in der japanischen Öffentlichkeit mit Unmut aufgenommen wurde und zu den Hibiya-Ausschreitungen führte, war Nikolaus II. mit Witte sehr zufrieden und holte ihn zurück in die Regierung. Im Zuge der Bulyginschen Reform vom August 1905, die eine beratende Duma einführte, wurde Witte als erster Regierungschef Russlands mit der Kabinettsbildung beauftragt - zuvor waren alle Minister unmittelbar dem Zaren verantwortlich.

Am 17. Oktober musste der Zar das von Witte verfasste Oktobermanifest erlassen, das bürgerliche Freiheitsrechte einführte und die Duma in ein gesetzgebendes Organ umwandelte, um einer drohenden Revolution vorzubeugen. Witte selbst hatte eindringlich diesen Schritt gefordert und vor den Folgen einer unnachgiebigen Haltung gewarnt. Nach den Wahlen zur ersten Duma geriet er erneut unter Druck, weil liberale Parteien entscheidende Stimmgewinne erzielen konnten und der Zar an den eingeleiteten Reformen zweifelte. Auf Druck konservativer Regierungskreise wurde Witte im April 1906 erneut zum Rücktritt gezwungen.

Witte zog sich ins Privatleben zurück und schrieb seine Memoiren. Gelegentlich äußerte er öffentlich seine Meinung zum politischen Tagesgeschehen in Russland. Er protestierte entschieden gegen einen Eintritt Russlands in den Ersten Weltkrieg, warnte vor einer Niederlage und schlug stattdessen Friedensverhandlungen mit dem Deutschem Reich und Frankreich vor. Der Zar ließ sich darauf aber nicht ein.

Am 13. März 1915 starb Witte im Alter von 65 Jahren in St. Petersburg und wurde auf dem Alten St. Lazarus Friedhof (Лазаревское кладбище) in Petrograd (heute Sankt Petersburg) beigesetzt.

Veröffentlichungen

  • Erinnerungen. Mit einer Einleitung von Prof. Otto Hoetzsch. Ins Deutsche übertragen von Herbert v. Hoerner; Berlin: Ullstein 1923.
  • Mémoires du comte Witte (1849-1915), Trad. François Rousseau, Paris 1921.
  • The Memoirs of Count Witte, hrsg. v. Sidney Harcave, Verlag M.E. Sharpe, 1990. ISBN 0-87332-571-0

Literatur

  • Sidney Harcave: Count Sergei Witte and the twilight of imperial Russia. A biography. Sharpe, Armonk, N.Y. u.a. 2004. ISBN 0-7656-1422-7
  • Wladimir von Korostowetz: Graf Witte, der Steuermann in der Not. Berlin: Brückenverlag 1929.
  • Theodore H. von Laue: Sergei Witte and the industrialization of Russia. Columbia Univ. Press, New York u.a. 1963.
  • Howard D. Mehlinger u. John M. Thompson: Count Witte and the Tsarist government in the 1905 revolution. Indiana Univ. Press, Bloomington, Ind. u.a. 1972. ISBN 0-253-31470-4
  • Paul Petrowitsch Sibiriaseff: Staatsmann Witte. Ein Blick in die Geheimnisse der russischen Finanzpolitik. Berlin 1904.

Weblinks



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