- Serrabona
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Serrabone ist eine kleine Klosterkirche (Serra bona, katalanisch guter Berg) in den französischen Pyrenäen (Region Roussillon) in 600 Metern Höhe, 40 Kilometer südwestlich von Perpignan.
Inhaltsverzeichnis
Historischer Hintergrund
Kurz nach dem Jahr 1000 setzte im Roussillon eine rege Bautätigkeit ein. Zahlreiche Klöster wurden gegründet (Saint-Michel-de-Cuxa, Saint-Martin-du-Canigou, Sainte-Eulalie-et-Sainte-Julie in Elne, Sainte-Marie in Arles-sur-Tech u.a.), da eine neue religiöse Begeisterung nicht nur den Süden Frankreichs, sondern weite Teile Europas erfasst hatte.
Zuvor - im 9. und 10. Jahrhundert - war das von Karl dem Großen begründete, mächtige Frankenreich unter seinen Nachfolgern in mehrere Teilreiche zerfallen, die nicht in der Lage waren, die Bevölkerung vor den Angriffen der Wikinger aus dem Norden, der Sarazenen aus dem Süden und der Reitervölker aus dem Osten zu schützen. Großes Leid war die Folge.
Zu diesen politischen Wirren kamen klimatisch bedingte Missernten hinzu. Die Sorge um das tägliche Brot bestimmte den Alltag der Menschen mehr als in anderen Jahrhunderten. Schlechte medizinische Versorgung, hohe Kindersterblichkeit und Epidemien rundeten das Bild einer düsteren Epoche ab.
Die gläubigen Menschen der damaligen Zeit bewerteten ihr Schicksal vor dem Hintergrund der Offenbarung des Johannes (Apokalypse), dem letzten Buch der Bibel. In dieser Schrift wird in dunklen Farben das Ende der Welt und das Gericht Gottes beschrieben. Angesichts der symbolhaften Jahreszahl 1000 deuteten die Menschen die schrecklichen Ereignisse ihrer Zeit als Erfüllung dieser Prophezeiung. Man erwartete das Ende der Welt (Minne-Sève, S. 11). Deshalb hielten die Menschen es nicht mehr für sinnvoll, Kirchen zu bauen. Dies änderte sich schlagartig, als der erwartete Weltuntergang nicht eintrat.
Die Bedeutung der Klöster
Die neue Perspektive über das Jahr 1000 hinaus setzte große Energien frei. Die neue Motivation war in vielen Bereichen spürbar, nicht nur im Kirchenbau. Die Verbreitung des Wortes Gottes rückte neu in den Blickpunkt. Dies war noch nicht in alle abgelegenen Gebiete vorgedrungen, so auch in den Pyrenäen. Hierbei kam den Klöstern eine gewichtige Rolle zu. Die bäuerliche Bevölkerung bewunderte den Mut, die Ausdauer und den Einfallsreichtum der Mönche, wenn sie einer unzugänglichen und unwirtlichen Gegend - wie in Serrabone - ihren Lebensunterhalt abtrotzten. Es waren gerade die Mönche, die in großem Umfang zu den tiefgreifenden Veränderungen auf dem Lande zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert beitrugen. Sie führten die Erschließung von Neuland durch, die Abholzung von Wäldern oder das Trockenlegen von Sümpfen und schufen so die Voraussetzung für den Ackerbau. Die Ausstrahlung der Klöster war groß.
Die geistliche Autorität der Klöster hatte aber auch territoriale Konsequenzen. In Katalonien, zu dem die Region gehört, wurde es Sitte, kurz vor dem Tod einer Kirche oder einem Kloster ein Drittel der zukünftigen Ernte zu vermachen, selbst wenn dies den Lebensunterhalt der Familie gefährdete. Man verstand diese Gabe als Almosen zur Rettung seiner Seele. Die Mönche nutzten solche Spenden vor allem für die Restaurierung oder die Errichtung von religiösen Gebäuden. Viele Kirchen des Mittelalters wurden auf diese Weise finanziert (Minne-Sève, S. 12).
Das Klostergebäude
Die heutige Kirche Sainte-Marie de Serrabona, so der vollständige Name, ist in wesentlichen Teilen ursprünglich erhalten. Von der gesamten Klosteranlage steht jedoch nur noch die Kirche.
Die erste Erwähnung einer Marienkirche an diesem Ort stammt aus dem Jahre 1069. Auf Initiative der Grafen von Cerdagne wurde 1082 damit begonnen, ein Kloster zu errichten. 1130-40 wurde die Kirche erheblich erweitert, und zwar um den Chor, das Querschiff und ein Seitenschiff. Nach der Errichtung des Glockenturms wurde die heutige Kirche 1151 geweiht. Das Kloster wird - statt eines Kreuzgangs - nur durch eine kleine Galerie begrenzt, da das Gelände nichts anderes zulässt.
Die Kirche ist ein Beispiel für einen eigenständigen romanischen Bautyp des Roussillon : den Langhaussaal (in seinen Anfängen mit einer flachen Decke anstelle des heutigen Tonnengewölbes), der später im gesamten Süden größte Verbreitung fand.
Große Beachtung verdient im Inneren der Kirche eine freistehende Sängertribüne aus rosafarbenem Marmor. Die Kapitelle zeugen von hoher Kunstfertigkeit - die Bildhauer haben vermutlich zuvor an der benachbarten Abtei Saint-Michel-de-Cuxa gearbeitet.
Über die Geschichte der Klosters Serrabone im Mittelalter ist nur wenig bekannt, da sein Archiv schon seit langer Zeit verschwunden ist. Im 14. Jh. gab es in dieser Gegend einen starken Bevölkerungsrückgang um ein Drittel - und Ende des 16. Jhs. lebte hier fast niemand mehr. Bereits 1593 wurde durch päpstliche Anordnung die Tätigkeit der Augustiner beendet und die Kirche dem Bischof von Solsona in Katalonien (das Roussillon gehörte damals zu dieser nordspanischen Region) unterstellt.
Ab 1789 traten im Gebäude Verwitterungsschäden auf. Um das Gewölbe zu stützen, musste auf der Empore eine Mauer errichtet werden, die das Kirchenschiff in zwei Abschnitte unterteilte. Im Januar oder Februar 1819 stürzte der westliche Bereich der Kirche ein. 1902 und 1922 wurde grundlegend restauriert: alles, was nicht zur ursprünglichen Konzeption gehörte, wurde rigoros abgerissen. Die Westfassade wurde erst 1966/68 originalgetreu wiederaufgebaut.
Heute ist das Kloster umgeben von einem verwilderten botanischen Garten mit den typischen Pflanzen der Pyrenäen.
Die Empore
Die erwähnte Emporenkonstruktion ist einzigartig in der Kunst Kataloniens. Man kennt in ganz Europa höchstens zwei vergleichbare Beispiele. Bei der heutigen Tribüne handelt es sich allerdings um eine Rekonstruktion, was man vor allem im unteren Bereich bemerkt. Runde Kreuzrippen im Gewölbe gab es 1130 nicht.
Die Interpretation der Empore von Serrabonne mit ihren Reliefs und Kapitellen ist immer noch problematisch. Heute erscheint sie als eine von 14 Säulen und Pfeilern gestützte Plattform, von denen 12 aus Marmor gefertigt und mit Kapitellen versehen sind. Die Frage ist u.a., ob sie hier an ihrem ursprünglichen Standort steht, womit auch die Frage ihres Alters berührt ist. Sie wird in der Forschung zwischen 1130 und 1150 datiert, also in der Zeit einer Aufbruchstimmung in der Geschichte der Bildhauerei.
Die Westfassade der Empore ist gänzlich mit Reliefs verziert. Die Kämpfer und die darüber liegenden Steine der linken Arkade sind mit vierblättrigen Rosenblüten verziert, einem der typischen Symbole der Bildhauerkunst im Roussillon des 12. Jahrhunderts. Im linken Bogenzwickel stehen zwei Engel unter Arkaturen, deren Flügel betont über Kreuz gelegt sind. Damit ist ein positives Symbol gegeben, wie es der generellen Bedeutung der Engel entspricht.
Zwischen der linken und der Mittelarkade sind zwei Symbole der Evangelisten zu sehen, allerdings in einer ungewohnten Form: der Markus-Löwe und der Johannes-Adler, beide in derselben dämonisch-übersteigerten Stilisierung wie bei den Kapitellen der Südgalerie. Die Symbole der beiden anderen Evangelisten befinden sich auf den benachbarten Bogenzwickeln. Der Bogenzwickel rechts von der Mittelarkade zeigt in einem Kreis das Lamm Gottes, daneben den Evangelisten Lukas.
Zahlreiche in Serrabonne und Umgebung gefundene Marmorbruchstücke lassen vermuten, dass diese Emporenfassade von einer Reihe kleiner Arkaden überragt wurde, die zusammen eine Balustrade bildeten, die heute nur teilweise rekonstruiert ist.
Im Eingang zur Empore - von der anderen Seite - sind im Türgewände zwei Reliefs angebracht, die die Bildhauerkunst des Emporenmeisters - diesmal in die Fläche projiziert - demonstrieren. Das Löwenthema, das schon an der Südgalerie dominierte, wird im gesamten Emporenbereich bis zum Exzess ausgeschöpft.
Der Löwe als Symboltier
Der Löwe ist das Tier, das auf den Serrabonner Kapitellen am häufigsten erscheint. Der Löwe, das Symboltier des Evangelsiten Markus, galt einerseits als sanguinisch. Gleichzeitig war er die Stimme des warnenden Rufers in der Wüste, weil man glaubte, er schlafe mit offenen Augen, ihm entgehe also nichts. Die Symboltiere in der mittelalterlichen Kunst sind häufig doppeldeutig, besonders Schlangen und Löwen. Wichtig für die Deutung ist u.a. der Ort, an der das Symbol erscheint: unten oder oben, links oder rechts, aber auch die Blickrichtung und der Bewegungsgestus. Der Löwe kann bedeuten: Raubtier und König, Christus und Vernichter. Löwen greifen einerseits den Menschen an, werden aber auch als Beschützer gesehen und erinnern so unablässig durch ihre Symbolik an das „Unwirkliche“ einer so extremen Existenz wie der des einsamen Klosterlebens in den Pyrenäen des 11. Jhs.
Die Tiere werden auf den Kapitellen sehr häufig paarweise dargestellt. Das hat symbolische Bedeutung und ist nicht nur ein Gestaltungsprinzip. Generell ist mit einer solchen Gegenüberstellung die durchgehende Zweiteilung des Lebens angesprochen zwischen Sünde und Reinheit, zwischen Glaube und Verrat, zwischen dem richtigen und dem falschen Weg.
Im Süden Frankreichs spielt noch die Ablehnung des Gedankenguts der Sekte der Katharer eine Rolle. Die Katharer hatten die Idee des persischen Manichäertums aufgenommen, in der die Materie und damit die „Welt“ als das böse Prinzip angesehen wurde, von dem sich der Gläubige möglichst auf dem Wege des asketischen Lebens enthalten sollte. Die christliche Kirche des Mittelalters dagegen lehrte die Einheit von Geist und Materie, also die „Einheit in der Zweiheit“. Auch aus diesem Grund ist hier die häufige Verwendung von paarweisen Darstellungen zu sehen (Tetzlaff, S. 100).
Schlange und Löwe
Der Südosten Frankreichs stand bei seinen Klostergründungen im frühen und hohen Mittelalter stark unter dem Einfluss ägyptischer Mönche, der Südwesten dagegen unter dem Einfluss kleinasiatisch-mesopotamischer. In der „ägyptischen“ Zone kommt daher dem Motiv der Schlange große Bedeutung zu, die schon seit Jahrtausenden in der ägyptischen Kultur eine wesentliche Rolle spielt, dagegen in der „mesopotamischen“ Zone, der südwestlichen, dem Löwen. Weder Riesenschlagen noch Löwen hat es im christlich gewordenen Gallien tatsächlich gegeben. Sie haben aber die Fantasie des ersten christlichen Jahrtausends zu unzähligen Darstellungen mit wechselnden Bedeutungen beflügelt.
Auf den Kapitellen vereinen immer zwei der schreitenden Löwen ihre Köpfe, wobei an der gegenüberliegenden Ecke zwischen den Hinterleibern ein zusätzlicher Löwenkopf beigefügt ist. In der oberen Mitte erscheint jeweils ein Menschenkopf. Das Mittelalter fantasierte häufig in sehr drastischen Bildern. Hier werden die kampfgetränkten Zeiten in symbolischer Verdichtung bildhaft.
Literatur
- Allemann, Fritz René und Xenia v. Bahder: Katalonien und Andorra. Köln 1986. (DuMont Kunst-Reiseführer)
- Borst, Arno: Die Katharer. Freiburg-Basel-Wien 1991.
- Carron-Touchard, Jacqueline: Romanische Kreuzgänge in Frankreich. 1986.
- Droste, Thorsten: Die Pyrenäen. München 2001.
- Lambert, Malcolm D.: Häresie im Mittelalter. Von den Katharern bis zu den Hussiten. Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000.
- Lambert, Malcolm D.: Die Katharer. Aufstieg und Fall der großen Ketzerbewegung. Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2001.
- Legler, Rolf: Languedoc / Roussillon. Köln 1993. (DuMont Kunst-Reiseführer)
- Minne-Sève, Viviane: Romanische Kathedralen und Kunstschätze in Frankreich. Eltville 1991
- Oberste, Jörg: Der ‚Kreuzzug’ gegen die Albigenser. Ketzerei und Machtpolitik im Mittelalter. Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003.
- Tetzlaff, Ingeborg: Romanische Kapitelle in Frankreich. Köln [1976] 3. Auflage 1979
- Vaux-de-Cernay, Pierre des: Kreuzzug gegen die Albigenser. Die >Historia Albigensis< (1212-1218). Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996.
Weblinks
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42.6016666666672.595Koordinaten: 42° 36′ 6″ N, 2° 35′ 42″ O
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