Seyran Ates

Seyran Ates

Seyran Ateş (* 20. April 1963 in Istanbul, Türkei) ist eine türkisch-kurdische Frauenrechtlerin und Autorin, [1] die in der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsanwältin arbeitet, sich hauptsächlich mit dem bundesdeutschen Strafrecht und Familienrecht befasst und sich außerdem in der deutschen Ausländerpolitik engagiert.

Wegen ständiger Gewalterfahrungen und Bedrohungen durch ihre landsmännischen Prozess-Verfahrensgegner sowie wegen Anfeindungen von türkisch-kurdischer verbandspolitischer Seite gab sie im August 2006 vorübergehend ihre Anwaltszulassung zurück.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jugend

In ihrem autobiografischen Buch „Große Reise ins Feuer. Die Geschichte einer deutschen Türkin“ hat Seyran Ateş 2003 die beengten Verhältnisse beschrieben, aus denen sie sich persönlich befreit hat. Der Titel ihres Buches spielt auf ihren Namen an, Seyran heißt "Ausflug, Vergnügungsfahrt" und Ateş heißt "Feuer, Fieber". Im Alter von sechs Jahren zog sie zu ihren Eltern nach Berlin-Wedding. Diese waren schon Jahre vorher dorthin gezogen, ohne dass ihre kleine Tochter wusste, wohin sie verschwunden waren. In der sehr kleinen Berliner Wohnung hatte sie die herkömmliche Frauenrolle zu erfüllen. Sie musste ihren Bruder und die Eltern bedienen und durfte nicht alleine das Haus verlassen. Für Ungehorsam wurde sie geschlagen und beschimpft. In der weiterführenden Schule blieb sie als Türkin mangels hinreichender deutscher Sprachkenntnis zunächst sozial isoliert. Dennoch nutzte sie die Chance zu einem sehr guten Bildungsabschluss. Ihre Mitschüler wählten sie zur Schulsprecherin. Die Entfremdung zwischen repressiver Erziehung und schulischer Anerkennung ertrug sie nicht mehr auf Dauer. Bei Erreichen der Volljährigkeit mit dem 18. Geburtstag verließ sie heimlich das Elternhaus und lebte bis zum Abitur in einer Wohngemeinschaft und bei einer befreundeten Rechtsanwältin.

Attentat

Zur Finanzierung ihres Jurastudiums an der Freien Universität Berlin arbeitete sie in dem Kreuzberger TIO (Treff- und Informationsort für Frauen aus der Türkei) für türkische und kurdische Migrantinnen, die sich vor der häuslichen Gewalt in ihren Familien schützen wollten. 1984 erschoss während der Beratungszeit ein Mann eine Klientin und verletzte Seyran Ateş lebensgefährlich.[2] Der Tatverdächtige wurde von ihr und sechs anderen Zeugen identifiziert und später konnte seine Mitgliedschaft in der faschistischen türkischen Gruppe „Graue Wölfe” nachgewiesen werden, für die er als Auftragskiller gearbeitet haben soll. Wegen Ermittlungsfehlern wurde der Tatverdächtige freigesprochen und lebt bis heute unbehelligt in Berlin-Kreuzberg.[2] Die Genesung und Heilung von den Folgen des Attentats zog sich über sechs Jahre hin. 1997 legte sie ihr zweites Staatsexamen am Kammergericht Berlin ab und beendete damit erfolgreich ihr Rechtsreferendariat.

Integrations- und Sozialpolitisches Engagement

Die kurdische Türkin Seyran Ateş wendet sich in der deutschen Integrationsdebatte gegen das in ihren Augen gescheiterte Konzept der Multikulturalität und vertrat statt dessen die Idee der Transkulturalität. Sie kämpfte in ihrer Wahlheimat Deutschland mit Vorträgen und Veröffentlichungen gegen das Kopftuch, ungeachtet ihrer kopftuchtragenden Mutter, gegen Zwangsheirat und Ehrenmorde. Sie setzt sich für mehr Sozialarbeit in türkischen und kurdischen Familien in Deutschland ein und forderte ein Gewaltschutzgesetz, das ausländische Frauen besser vor gewalttätigen Ehemännern schützt. Sie gehörte zu den Organisatoren und Unterstützerinnen der Mahnwache für das "Ehrenmord"-Opfer Hatun Sürücü.

Wegen ihres Engagements für Integration und Gleichberechtigung wurde sie am 21. Juni 2007 in Deutschland von Bundespräsident Köhler mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Vorübergehende Aufgabe ihrer Anwaltstätigkeit

Nach einem Scheidungstermin wurden sie und ihre Mandantin am 7. Juni 2006 von dem geschiedenen Ehemann bei dem Kreuzberger U-Bahnhof Möckernbrücke in übelster Weise beleidigt, bedroht und zusammengeschlagen, ohne dass einer der Passanten eingegriffen hätte.[3] Danach folgten weitere Bedrohungen von anderen Verfahrensgegnern. Im August 2006 gab Seyran Ateş ihre Anwaltszulassung zurück. Sie begründete diesen Schritt mit häufigen Bedrohungen und tätlichen Angriffen durch Verfahrensgegner ihrer Mandantschaft. Sie warf türkischen Verbänden wie etwa der Türkischen Gemeinde zu Berlin eine Mitschuld an der "gewalttätigen Stimmung" vor,[4] obwohl diese Verständnis und Mitgefühl äußerten.[5]

Nur indirekt wies sie auch auf einen Mangel an Personenschutz durch die Polizei hin, den sie jedoch nicht explizit angefordert hatte, wie sie erst später klar stellte. Zugleich gab Ateş bekannt, weiterhin politisch in Deutschland tätig bleiben zu wollen mit Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Interviews. Hier wäre der Personenschutz gewährleistet. Sie erfuhr Zuspruch von Politikern aller Berliner Landtagsfraktionen, auch im Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen am 17. September 2006. Auch von Berliner Anwälten und dem Deutschen Juristinnenbund [6] erhielt Ateş Unterstützung. In ihrem ersten Interview nach ihrer Rückgabe der Anwaltszulassung begründete sie diesen Schritt damit, dass sie nicht so wie Ayaan Hirsi Ali enden wollte. Diese kämpfte in ihrem Land gegen eine Übermacht an und sah sich schließlich zur Emigration gezwungen.[7] Trotz der Hilfsangebote [8] aus Politik (Anwendung des Zeugenschutzprogramms, wie von Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) vorgeschlagen) und Justiz (Mitarbeit in Kanzleien) blieb sie zunächst bei ihrem Entschluss.

Nach einem Gespräch mit Vertretern des Berliner Anwaltsvereins (BAV) und mit dem Deutschen Juristinnenbund (djb) stellte Ateş am 11. September 2006 in Aussicht, vielleicht ihre Anwaltstätigkeit 2007 wieder aufzunehmen. Ihre Berufskollegen boten ihr an, ihren Anwaltsberuf zukünftig in einem gemeinschaftlichen Büro einer Anwaltssozietät besser geschützt vor Übergriffen auszuüben. Dieses Angebot wollte sie erst nach einer längeren Phase der Erholung annehmen. Trotz negativer Stimmen aus dem Berliner Senat zum „Fall Ateş“ [9] wurde dieser erneut von mehreren Politikern zu Schutzmaßnahmen aufgefordert.

Am 6. September 2007 nahm Ateş nach einem Jahr wieder ihre Arbeit als Anwältin auf. Zukünftig wolle sie jedoch ohne eine offizielle Anschrift ihre Mandantinnen betreuen. Zwar wisse sie nicht, wie lange sie noch in Deutschland arbeiten könne, doch werde sie von der öffentlichen Debatte geschützt.[10]


Auszeichnungen

Werke

  • 2003: Große Reise ins Feuer. Die Geschichte einer deutschen Türkin. Rowohlt, Berlin, 249 S., ISBN 3-87134-452-4 [16]
  • 2004: Religionsfreiheit nicht auf Kosten von Frauen und Mädchen - Durchsetzung der Grundrechte auf Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Eingangsstatement zum Forum "Gesetz und Religion" auf dem FJT am 8. Mai 2004 in Frankfurt/Main. In: Streit, Vol. 22, No. 3, 99 - 103. ISSN 0175-4467
  • 2005: Individualität: Ich sein oder Ich haben? Flensburger Hefte Bd. 87, mit einem Beitrag von Ateş. Flensburg: Flensburger Hefte Verlag, 223 S., ISBN 393567922X
  • 2007: Der Multikulti-Irrtum. Wie wir in Deutschland besser zusammenleben können. Ullstein, Berlin, 256 S., Gebunden, ISBN 978-3-550-08694-6 [17]

Mitgliedschaften

  • Vorstandsmitglied im »Bund gegen ethnische Diskriminierung in der Bundesrepublik Deutschland (BDB)« 
  • Ateş war SPD-Mitglied von 2004 bis 2007 und Bundestagskandidatin 2005 für den Ortsverband Berlin-Mitte
  • Teilnehmerin an der Deutschen Islamkonferenz ab 2006

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. www.seyranates.de/biographie
  2. a b Alexandra Rigos: „Die Tyrannei der Liebe“, Greenpeace Magazin, 2003, Nr. 6
  3. Anna Reimann: „Türken und Ehescheidungen: "Ich werde es Dir zeigen" “, Spiegel Online, 9. Juni 2006
  4. „Seyran Ateş kritisiert türkische Verbände“, junge welt, 7. September 2006
  5. Andrea Dernbach, Suzan Gülfirat: Nach dem Rückzug von Seyran Ateş. Die Reaktionen: „Wichtig für die Integration muslimischer Frauen“, Tagesspiegel, 5. September 2006
  6. „Das darf nicht wahr bleiben“, Deutscher Juristinnenbund e.V. (djb), 5. September 2006
  7. Anna Reimann: "Ich wollte nicht enden wie Hirsi Ali", Spiegel Online, 6. September 2006
  8. Regina Köhler und Hans H. Nibbrig: „Justiz: Politiker und Anwälte wollen Seyran Ateş helfen“, Die Welt, 5. September 2006
  9. Ulrike Plewnia: Seyran Ateş: Angst vor „ständiger Bedrohung“, Focus, 8. September 2006
  10. „Frauenrechtlerin Ateş arbeitet wieder als Anwältin“, Tagesspiegel, 6. September 2007
  11. „Bundesverdienstkreuz: Köhler vergibt Orden erstmals nur an Frauen“, dpa / Berliner Morgenpost, 16. Juni 2007
  12. Heinrich Wefing: „Islamismus. Der Fall Ateş“, FAZ, 10. Januar 2007
  13. „Seyran Ateş in Berlin geehrt“, dpa / taz, 23. Oktober 2006
  14. Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband e.V.: „Ehrung unserer Frau des Jahres 2005“ 5. November 2005
  15. Senat von Berlin: „Seyran Ateş erhält Berliner Frauenpreis“, 13. Februar 2004 (pdf-Datei)
  16. Rezension von «Große Reise ins Feuer»: „Sie sprechen aber gut Deutsch!“, Süddeutsche Zeitung, 19. Mai 2003, von Elke Nicolini
  17. „Plädoyer für einen muslimischen Luther“ Rezension zu Der Multikulti-Irrtum auf Spiegel Online, 30. Oktober 2007

Weblinks

Artikel

Reportagen

Interviews


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