Silsilah

Silsilah

Silsila (arabischسلسلة‎ „Kette“) ist im Sufismus die spirituelle Kette eines Sheikhs, die ihn über frühere Generationen von Glaubenslehrern oder Mystikern mit dem Propheten Mohammed verbindet.

Silsila ist eine geistige („goldene“) Kette der Kraftübertragung, die in allen Sufi-Orden (Tariqa) eine zentrale Rolle spielt. Durch sie gewinnen die Ordensgründer – durch eine rückwärts gebildete Rekonstruktion – ihre Autorität und damit die Fähigkeit, Anhänger um sich zu scharen. Nur sehr wenige Ordensgründer erklärten, unter Verzicht auf eine Silsila, ihre Segenskraft Baraka direkt durch eine Vision vom Propheten erhalten zu haben. Entscheidend für das Ansehen und die Verehrung, die einem Sufi-Sheikh entgegengebracht wird, ist die Zahl und die Bedeutung der früheren Meister in seiner Kette. In der Regel steigt das Ansehen der Sheikhs nach ihrem Tod durch Legenden, die sich um bestimmte übernatürliche Fähigkeiten ranken.

In der Handschrift eines Sufi-Asketen des 10. Jahrhunderts in Bagdad werden in einer Reihe Namen von Islamgelehrten erwähnt, die ihre Einweisung vom jeweiligen Vorgänger erhalten haben. Dieses Meister-Schüler-Verhältnis kann als frühes Beispiel einer Silsila verstanden werden.[1]

Als erster Sufi-Meister, der nicht nur eine eigene philosophisch-theologische Lehre entwickelte und an Schüler weitergab, sondern seinen Unterricht an eine Einweihung knüpfte, gilt der andalusische Gelehrte Ibn Masarra (um 883–931). Er verlangte von seinen Schülern eine bestimmte asketische Lebensweise, daraus wurde das Prinzip Tariqa, der „Weg“. Sein Einweihungsritual war streng geheim und ist deshalb nicht bekannt. Üblicherweise erfolgt die Aufnahme des Novizen (Murid) nach einer Prüfung durch Handauflegen oder entsprechend dem Vorbild Mohammeds durch Handschlag, womit die Baraka des Meisters übertragen wird. Bis heute kommt, vor allem in Marokko, auch das Anspucken durch den Meister vor.

Zur Ausbildung im häufig abgelegenen Wohnplatz (Zawiya) eines Sheikhs gehörten persönliche Dienstleistungen für den Meister; in einer zur Verteidigung und Verbreitung des Islam befestigten Siedlung (Ribāṭ ), wie sie für die Marabout typisch waren, gehörten Arbeitseinsätze auf den umliegenden Feldern zu den Verhaltensregeln. Die Regeln eines größeren Derwisch-Klosters (Khānqāh, türkisch: Tekke) verlangten wie bei den Mevlevi zunächst Arbeiten in der Küche. In jedem Fall musste und muss der Schüler die Silsila seines Lehrers auswendig lernen. Zum richtigen Verständnis der Glaubenstradition ist auch die Kenntnis aller Silsila-Verzweigungen erforderlich. Nur so kann die Baraka des Ordensgründers auch nach vielfacher Aufspaltung in kleinen Unterorden wirksam sein und kann die Besonderheit genau dieser Lehre hervorgehoben werden. Die Rezitation der Silsila erfolgt nach Mekka gerichtet und auf Gott konzentriert.

In den meisten Fällen führt die Silsila der sunnitischen und schiitischen Sufi-Orden über den persischen Mystiker Dschunaid (um 825–910) und über den vierten Kalifen und Schwiegersohn Mohammeds Ali ibn Abi Talib. Eine Ausnahme bildet der zentralasiatische Naqschbandi-Orden, der seine Silsila über den ersten rechtgeleiteten Kalifen Abu Bakr herleitet.[2]

Die Berechtigung, die Lehre an andere weiterzugeben, also als Sheikh des jeweiligen Ordens aufzutreten, erhielten nur ein oder wenige Schüler zugesprochen. Der Unterricht wurde durch eine abschließende Initiation beendet, die Kette der Kraftübertragung konnte durch den Nachfolger weitergeführt und das Überleben der Lehre des Meisters gewährleistet werden. Diese Initiation erfolgt gewöhnlich durch das Ritual des Mantel-Umhängens, einer schützenden und besitzergreifenden Geste, wie sie vom Propheten überliefert ist: Ka'b ibn Zuhair war ein Zeitgenosse Mohammeds, zu dessen Lob er ein Gedicht verfasste. Es gefiel Mohammed so gut, dass er dem Vortragenden zur Belohnung seinen kostbaren Mantel umhängte.

Eine formale Ausbildungseinrichtung für Sufi-Schüler gab es nicht, daher reisten manche Lernwillige als bereits ausgebildete Derwische zum Zentrum einer anderen Bruderschaft und dienten eine Zeit lang dem neuen Meister. Berühmte Sheikhs ließen sich in mehrere Sufi-Orden initiieren, bevor sie in späteren Jahren nach dem Bau einer eigenen Zawiya zum Gründer eines neuen Ordens wurden, der seither ihren Namen trägt. Von den vielen verehrten Heiligen, die keine Schriften hinterlassen haben, ist über die eigentliche Person nichts bekannt außer der Kette ihrer Nachfahren. Diese Nachfahren pflegen das Grab ihres Meisters.

Siehe auch: Liste islamischer Begriffe auf Arabisch

Einzelnachweise

  1. Yajima Yoichi: The Tariqa’s Cohesional Power and the Shaykhhood Succession Question. The Origins of Tariqas. Asian and African Area Studies, 7, 1, 2007, S. 5–17
  2. Charmaine Seitz: The Distracted Sufi. The Naqshabandi tariqa in Jerusalem. Jerusalem Quaterly 20, Januar 2004, S. 57–61

Literatur

  • Uwe Topper: Sufis und Heilige im Maghreb. Eugen Diederichs Verlag, Köln 1991, S. 19–22, 125
  • Annemarie Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam. Die Geschichte des Sufismus. Insel Verlag, Franfurt/Main 1995, S. 328–331

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Silsilah — Silsila redirects here. For the Hindi film, see Silsila (film). For the wasp genus, see Silsila (wasp) Silsilah (Arabic: سلسلة) is an Arabic word meaning chain . Historic importance Historic Arabia did not have schools for formal education.… …   Wikipedia

  • Naqshbandi — This article is part of the series …   Wikipedia

  • Tarombo — is a term for genealogy in Bataknese culture/language.Bataknese believe that they all come from the same ancestor: Siraja Batak. They keep the genealogy line traced back to this ancestor. Its origins have been clouded by legend.For detail… …   Wikipedia

  • Tariqah — ( ar. طريقه ArTranslit|Ṭarīqah; pl.: طرق; Ṭuruq or Persian: Tarighat, Turkish: Tarikat) means way , path or method. A tariqa is an Islamic religious order; in Sufism, it is conceptually related to Haqīqah, truth, the ineffable ideal that is the… …   Wikipedia

  • Chishti Order — This article is part of the series …   Wikipedia

  • Balti people — ethnic group group=Balti poptime=300,000 popplace=Baltistan (Pakistan) (Kargil, Jammu Kashmir) rels=Shi a Islam, langs=Balti related=Burig, Dards, Ladakhis, TibetansThe Balti are a people of Tibetan descent with some Dardic admixture whose… …   Wikipedia

  • Qadiriyyah — (Arabic: القادريه, Turkish: Kadirilik) (also transliterated Kadri , Elkadry , Kadray , Qadiri or Qadri ), is one of the oldest Sufi tariqas. It derives its name from Abdul Qadir Jilani (also transliterated as Jil lani or Jailani and Jilali in the …   Wikipedia

  • Mid-Sha'ban — Part of a series on Islamic culture Architecture …   Wikipedia

  • Marilou Diaz-Abaya — is a multi awarded film director in the Philippines. She is the founder and current president of the Marilou Diaz Abaya Film Institute and Arts Center, a film school based in Antipolo City, Philippines. She is the director of José Rizal, a… …   Wikipedia

  • Egypt, ancient — Introduction  civilization in northeastern Africa dating from the 3rd millennium BC. Its many achievements, preserved in its art and monuments, hold a fascination that continues to grow as archaeological finds expose its secrets. This article… …   Universalium

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”