Simulacra

Simulacra
Dieser Artikel behandelt den philosophischen Begriff. Zum Roman The Simulacra (1964) siehe Philip K. Dick, zum Roman von Daniel F. Galouye siehe Simulacron-3.

Als Simulacrum oder Simulakrum (Plural: Simulacra oder Simulakren) bezeichnet man ein wirkliches oder vorgestelltes Ding, das etwas oder jemand anderem verwandt ist oder ihm ähnlich ist. Der lateinische Ausdruck simulacrum leitet sich über simulo („Bild, Abbild, Spiegelbild, Traumbild, Götzenbild, Trugbild“) von simul („ähnlich, gleich“) ab. Die Bedeutung kann abwertend gemeint sein im Sinne eines trügerischen Scheins, sie kann aber auch positiv verstanden werden im Rahmen eines Konzepts produktiver Phantasie.

Inhaltsverzeichnis

Verwendung bei Lukrez

Die präzise Wortgestalt von Simulacrum geht zurück auf die atomistische Wahrnehmungstheorie des Lukrez. Diesem zufolge erzeugen die Dinge ihre eigene Sichtbarkeit, indem sie ständig feine Schichten ihrer äußeren Hülle in den Raum aussenden, die dann entsprechende Abdrücke auf der Netzhaut hinterlassen. Diese umherfliegenden Schichten bzw. „Häutchen“ sind die Simulacren. (vgl. Lukrez: De rerum natura, 4. Buch, V. 30-53)

Simulacrum als Erkenntnisinstrument

Nach Roland Barthes rekonstruiert ein Simulacrum seinen Gegenstand durch Selektion und Neukombination und konstruiert ihn so neu. Es entsteht eine „Welt, die der ersten ähnelt, sie aber nicht kopieren, sondern einsehbar machen will“. Das Simulacrum ist insofern auch ein Merkmal der strukturalistischen Tätigkeit:

„Das Ziel jeder strukturalistischen Tätigkeit […] besteht darin, ein ‚Objekt‘ derart zu rekonstituieren, daß in dieser Rekonstitution zutage tritt, nach welchen Regeln es funktioniert (welches seine ‚Funktionen‘ sind). Die Struktur ist in Wahrheit also nur ein simulacrum des Objekts, aber ein gezieltes, ‚interessiertes‘ Simulacrum, da das imitierte Objekt etwas zum Vorschein bringt, das im natürlichen Objekt unsichtbar oder, wenn man lieber will, unverständlich blieb.“ (Roland Barthes: Die strukturalistische Tätigkeit. In: Kursbuch. 5. Mai 1966. S. 190-196.)

Simulacrum als Spur

Jacques Derrida sieht das Simulacrum als Merkmal der Spur (und damit als Gegensatz zu Walter Benjamins Begriff der Aura):

„Da die Spur kein Anwesen ist, sondern das Simulacrum eines Anwesens, das sich auflöst, verschiebt, verweist, eigentlich nicht stattfindet, gehört das Erlöschen zu ihrer Struktur.“ (Jacques Derrida: Die différance. In: Peter Engelmann (Hrsg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Reclam, Stuttgart 1990. S. 107.)

Medientheorie

Das Simulacrum ist auch ein zentraler Begriff in zeitgenössischen Theorien der Virtualität bzw. Virtualisierung insbesondere von Gilles Deleuze, Paul Virilio, Pierre Klossowski und vor allem Jean Baudrillard. Baudrillard unterscheidet verschiedene historische Formen von Simulacren (Imitation, Produktion, Simulation) und beschäftigt sich besonders mit dem Simulacrum der Simulation als dem dominanten Simulacrum der durch Massenmedien bestimmten Gegenwartsgesellschaft. Das Kennzeichen dieses modernen Simulacrums besteht nach Baudrillard darin, dass die Unterscheidung zwischen Original und Kopie, Vorbild und Abbild, Realität und Imagination unmöglich geworden und einer allgemeinen „Referenzlosigkeit“ der Zeichen und Bilder gewichen sei.

Auch in konstruktivistisch orientierten Medientheorien wird eine faktische Auflösung der klassischen Unterscheidungen und Differenzen konstatiert und unter den Schlagworten der Virtualisierung, Metamedialisierung, Autopoietisierung, Autologisierung, Kybernetisierung und Fiktionalisierung untersucht.

Literarische Rezeption des Begriffs

Simulacra (Originaltitel: The Simulacra) ist der Titel eines Romans des US-amerikanischen Schriftstellers Philip K. Dick aus dem Jahre 1964. Dick verwendete ferner diesen Begriff häufig als Synonym zu „Android“, womit ein menschlich aussehender und agierender Roboter bezeichnet wird.

Simulacron-3 ist der Titel eines Science-Fiction-Romans des US-amerikanischen Autors Daniel F. Galouye von 1964, in dem es um die Idee einer vollständig innerhalb eines Computerprogramms simulierten Scheinwelt geht. Der Stoff wurde zweimal verfilmt: Einmal als Welt am Draht (1973) von Rainer Werner Fassbinder, ein weiteres mal als The 13th Floor – Bist du was du denkst? (1999). Auch der Film The Matrix (1999) greift die Idee der Welt als Simulacrum auf.

Siehe auch

Literatur

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Simulacra — Simulacrum Sim u*la crum, n.; pl. {Simulacra}. [L. See {Simulate}.] A likeness; a semblance; a mock appearance; a sham; now usually in a derogatory sense. [1913 Webster] Beneath it nothing but a great simulacrum. Thackeray. [1913 Webster] …   The Collaborative International Dictionary of English

  • Simulacra and Simulation — infobox Book | name = Simulacra and Simulation title orig = Simulacres et Simulation translator = Sheila Glaser image caption = Cover of English translation author = Jean Baudrillard illustrator = cover artist = country = France language = French …   Wikipedia

  • simulacra + simulacrum —    by William Pawlett   The notion of the simulacrum meaning image, semblance or appearance is explored throughout Baudrillard s oeuvre, from his work on the sign form (CPS) and the orders of simulacra (SED), to his theorisations of seduction (S) …   The Baudrillard dictionary

  • simulacra — sim·u·la·crum || ‚sɪmjÉ™ leɪkrÉ™m / mjÊŠ l n. likeness, image, representation; semblance, something that somewhat resembles something else …   English contemporary dictionary

  • The Simulacra — infobox Book | name = The Simulacra title orig = translator = image caption = Cover of first edition (paperback) author = Philip K. Dick illustrator = Emsh cover artist = Emsh country = United States language = English series = genre = Science… …   Wikipedia

  • Second-order simulacra — Second order simulacra, a term coined by Jean Baudrillard, are symbols without referents, that is, symbols with no real object to represent. Simply put, a symbol is itself taken for reality and further layer of symbolism is added. This occurs… …   Wikipedia

  • Wax Simulacra — Infobox Single Name = Wax Simulacra Artist = The Mars Volta from Album = The Bedlam in Goliath B side = Pulled to Bits Released = November 18, 2007 Format = Digital download, CD single, 7 vinyl Recorded = 2007 Genre = Progressive rock Length =… …   Wikipedia

  • Wax Simulacra — «Wax Simulacra» Sencillo de The Mars Volta del álbum The Bedlam In Goliath Lado B Pulled to Bits Formato Descarga digital, CD, Vinilo Grabación 28 de noviembre de 2007 Género(s) …   Wikipedia Español

  • ENTYPA Simulacra — Graece ἔντυπα, quae intus depressa sunt et incisa, sicut contra ἔκτυπα, quae prominent exstantque: quorum haec ad Sculpturam, illa ad Scalpturam pertinent. Scalpturae enim proprie Entypae sunt, quae impressas et refugientes in cavo praeferunt… …   Hofmann J. Lexicon universale

  • Simulacrum — (plural: cra, also crumsdubious), from the Latin simulacrum which means likeness, similarity , [ Word of the Day Archive: Thursday May 1, 2003 dictionary.com http://dictionary.reference.com/wordoftheday/archive/2003/05/01.html retrieved May 2,… …   Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”