Sixtus-Affaire

Sixtus-Affaire
Kaiser Karl I.

Die Sixtus-Affäre bezeichnet das Bekanntwerden der geheimen Verhandlungen, die Österreich-Ungarn vor allem mit Frankreich während des Ersten Weltkriegs im Jahr 1917 geführt hatte.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Prinz Sixtus Ferdinand von Bourbon-Parma, um 1930

Seit seinem Regierungsantritt am 21. November 1916 bemühte sich Kaiser Karl I. um einen Friedensschluss mit der Entente. Das gemeinsame Friedensangebot der Mittelmächte vom 12. Dezember scheiterte vor allem an der Weigerung des Deutschen Reiches, konkrete Friedensziele zu nennen.

Kaiser Karl versuchte neue Friedensgespräche durch Vermittlung der belgischen Offiziere und Prinzen Sixtus Ferdinand von Bourbon-Parma und Franz Xavier von Bourbon-Parma, die beide Brüder seiner Frau Zita waren.

Im März 1917 hatte der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg in Geheimgesprächen die Bereitschaft angedeutet, auf Elsaß-Lothringen, das seit 1871 Teil des Deutschen Reiches war, zu verzichten. Kaiser Karl schrieb in einem Brief vom 24. März wörtlich, dass er

„unter Anwendung meines ganz persönlichen Einflusses bei meinen Verbündeten die gerechten Rückforderungsansprüche Frankreichs mit Bezug auf Elsaß-Lothringen unterstützen werde.“

Friedensverhandlungen

Ottokar Graf Czernin

Sixtus und Xaver überbrachten den Brief dem französischen Präsidenten, der davon auch den englischen König Georg V. unterrichtete. Ein zweiter Brief folgte am 9. Mai. Der österreichische Außenminister Graf Ottokar Czernin war von diesen Friedensbemühungen unterrichtet, kannte aber nicht den Inhalt der Briefe.

Bei den folgenden Verhandlungen war Kaiser Karl bereit, in die Wiederherstellung des von Österreich-Ungarn im Krieg besetzten Serbiens und, auf Kosten Deutschlands, von Belgien sowie in die Rückgabe Elsaß-Lothringens an Frankreich einzuwilligen. Indessen weigerte er sich, Gebietsverluste auch für die Donaumonarchie zu erwägen wie zum Beispiel das von Italien geforderte Südtirol oder auch nur das Trentino. Da überdies in Frankreich Regierungschef Aristide Briand durch Alexandre Ribot ersetzt wurde, scheiterten die Gespräche.

Von Juni bis August 1917 gab es weitere Friedensgespräche zwischen Graf Nikolaus Revertera-Salandra und Comte Abel Armand, in denen Frankreich bemüht war, Österreich-Ungarn zu einem Sonderfrieden zu bewegen, der von Kaiser Karl auf Anraten Czernins abgelehnt wurde.

Die Friedensbemühungen Kaiser Karls wurden in den folgenden Monaten vom Außenminister Graf Czernin, der mittelweile an einen militärischen Sieg glaubte, immer mehr gebremst. Falls der Kaiser einen Separatfrieden einleiten würde, befürchtete er, dass die damit einhergehende innere Umgestaltung und Föderalisierung der Monarchie auf Kosten der österreichischen und ungarischen Machthaber gehen würde. Ein Österreich-Ungarn ohne Dominanz dieser Gruppen war für ihn ausgeschlossen. Es durfte also nur einen Frieden an der Seite Deutschlands geben, um auch im Falle einer Zerstückelung des Reichs die deutsch besiedelten Gebiete der Monarchie nicht den Tschechen und anderen Ethnien zu überlassen.[1]

Die Affäre

Georges Clemenceau

Am 2. April 1918 hielt Graf Czernin eine Rede vor dem Wiener Gemeinderat, in der er sagte:

Clemenceau hat einige Zeit vor Beginn der Westoffensive bei mir angefragt, ob ich zu Verhandlungen bereit und auf welcher Basis. Ich habe sofort im Einvernehmen mit Berlin geantwortet, dass ich hierzu bereit sei und gegenüber Frankreich kein Friedenshindernis erblicken könne als den Wunsch Frankreichs nach Elsaß-Lothringen. Aus Paris wurde erwidert, auf dieser Basis sei nicht zu verhandeln. Darauf gab es keine Wahl mehr.“

Diese Rede erschien am nächsten Tag auf der Titelseite der Zeitung Fremden-Blatt.

Da diese Darstellung Czernins nicht der Wahrheit entsprach, und er nicht als Bittsteller erscheinen wollte, veröffentlichte der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau am 12. April 1918 den ersten Brief Karls. Kaiser Karl dementierte auf Druck Czernins in der Öffentlichkeit die an Frankreich gemachten Zugeständnisse.

Czernin nahm nicht, was taktisch klug gewesen wäre, die Schuld auf sich, leugnete den Brief zu kennen und stellte damit seinen Herrscher vor dem Bündnispartner bloß. Er versuchte daraufhin den Kaiser zu einem vorübergehenden Rücktritt von den Regierungsgeschäften zu überreden, was dieser entschieden ablehnte. Schließlich entließ ihn Karl am 16. April 1918 aus seinem Amt,[2] was in der Presse, die Czernin noch kurz zuvor als Friedensminister gefeiert hatte, mit Unverständnis aufgenommen wurde. Czernin hatte damit den Kaiser sowohl außen- als auch innenpolitisch kompromittiert.

Folgen und Bewertung

Der amerikanische Außenminister Robert Lansing beschrieb Clémenceaus Handlungsweise als einen Akt himmelschreiender Dummheit: Wenn Clémenceau beweisen wollte, dass Czernin ein Lügner ist, so ist es ihm vielleicht geglückt, aber um welchen Preis! Seine Enthüllung hat Österreich Deutschland in die Arme getrieben, so dass nur ein militärischer Sieg an der Westfront die Türen öffnen könnte, welche Clémenceau zugeschlagen hat. Der französische Ministerpräsident hatte die schwankende Habsburgermonarchie endgültig in die Arme des erdrückenden deutschen Verbündeten zurückgetrieben.[3]

Und tatsächlich führte Czernins Pressefehde mit Clémenceau (vorübergehend) zum Verlust der außenpolitischen Handlungsfreiheit der Monarchie. Zu einem Machtausgleich in der Frage der Kriegsziele sah sich, angesichts der zerrütteten innenpolitischen und wirtschaftlichen Situation der Monarchie, der Verbündete nach der Sixtusaffäre nicht mehr verpflichtet.[4]

Die Sixtusaffäre hat, nach Brest-Litowsk und Bukarest, die ohnehin nur noch geringen Aussichten, dass die Westmächte die Erhaltung der Monarchie, der Unterstützung der Auslandsemigration vorziehen könnte, endgültig zerstört. Denn sie zerstörte nicht nur die Möglichkeit weiterer Verhandlungen mit den Westmächten, sondern sie führte auch binnen Wochen zu deren Entschluss, das Prinzip der Selbstbestimmung im vollsten und radikalsten Umfang anzuerkennen und damit das Todesurteil des Vielvölkerstaates auszusprechen.[5]

Die Aufdeckung dieser Geheimverhandlungen bedeutete das Ende von Österreich-Ungarn als gleichberechtigtem Partner des Deutschen Reiches. Die deutschnationale österreichische Propaganda nannte Kaiser Karl nun einen den hohen Frauen welscher Abkunft ausgelieferten Pantoffelhelden und Kaiserin Zita eine italienische Verräterin.

Literatur

  • Alexander Demblin (Hrsg.): August Demblin: Minister gegen Kaiser. Aufzeichnungen eines österreichisch-ungarischen Diplomaten über Außenminister Czernin und Kaiser Karl. Verlag Böhlau, Wien 1997. ISBN 3-205-98762-4.
  • Tamara Griesser-Pecar: Die Mission Sixtus, Amalthea Verlag, Wien 1988, ISBN 3-85002-245-5.
  • Jan Mikrut (Hrsg.): Kaiser Karl I. (IV.) als Christ, Staatsmann, Ehemann und Familienvater. Dom Verlag, Wien 2004, ISBN 3-85351-188-0.

Einzelnachweise

  1. Peter Feldl: Das verspielte Reich. Die letzten Tage Österreich-Ungarns. Verlag Zsolnay, Wien 1968, S. 120ff.
  2. Robert A. Kann: Die Sixtusaffäre und die geheimen Friedensverhandlungen Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg. Wien 1966, S. 11 und 46; und Erich Feigl: „Gott erhalte!...“ – Kaiser Karl – Persönliche Aufzeichnungen und Dokumente. Amalthea Signum Verlag, Wien 2006, ISBN 978-3-85002-520-1, S. 173ff.
  3. François Fejtö: Requiem für eine Monarchie. Die Zerschlagung Österreich-Ungarns. Österr. Bundesverlag, Wien 1991, ISBN 3-215-07526-1, S. 284.
  4. Ingeborg Meckling: Die Außenpolitik des Grafen Czernin. Wien 1969, S. 5 und 219.
  5. Robert A. Kann: Die Sixtusaffäre und die geheimen Friedensverhandlungen Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg. Wien 1966. S. 54

Weblinks


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