Slawische Landnahme

Slawische Landnahme
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Die Ansiedlung der Slawen ab dem frühen 7. Jahrhundert (häufig fälschlicherweise im ausgehenden 6. Jahrhundert angesetzt) auf dem Balkan erweiterte die ethnische Vielfalt auf dem Balkan um ein prägendes Element, legte aber auch den Grundstein für die sogenannte Balkanisierung. Während bis dahin die Balkanhalbinsel fast vollständig romanisiert bzw. hellenisiert war (siehe hierzu Jireček-Linie), trat mit dem slawischen Element eine Vielzahl verschiedenartiger Stämme hinzu, aus der die heutigen Nationen Bulgarien, Serbien, Montenegro, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenien hervorgingen.

Die Ansiedlung der Slawen auf dem Balkan war überdies mitursächlich für das kulturelle Fortwirken von Byzanz. Die Slawen sollten in viel stärkerem Maße die Erben des zweiten Rom als die Germanen im Westen die des ersten werden,[1] wenngleich dies zum damaligen Zeitpunkt noch keineswegs erkennbar war.

Der Balkan 582-612

Inhaltsverzeichnis

Slaweneinfälle bis 591

In der ausgehenden Spätantike, im 6. Jahrhundert, rückten die Slawen über die untere (im 5. Jahrhundert von den Westgoten verlassene) Donau vor und unternahmen Plünderungszüge in die oströmischen Provinzen Illyrien, Moesien, Thrakien, Makedonien und in Griechenland bis zur Peloponnes (wichtige Informationen hierzu liefert auch die Chronik von Monemvasia). Hierbei operierten in der Regel kleinere Gruppen, die das unwegsame Gelände der Gebirge und die dichten Wälder ausnutzen. Da die damals noch relativ reichen römischen Balkanprovinzen genug Beute hergaben, erfolgte eine Ansiedlung auf dem Balkan zunächst nur in den nicht mehr unter römischer Herrschaft stehenden und von den Langobarden 568 geräumten Gebieten des heutigen Sloweniens und Slawoniens.

Da zu diesem Zeitpunkt eine ernst zu nehmende römische Balkanpolitik nicht stattfand, konnten die Slawen ungehindert auf der gesamten Balkanhalbinsel umherziehen und fast jährlich Teile des Balkans plündern. Nicht einmal der Hexamilion bei Korinth konnte die Slawen aufhalten.

Justinian I. hatte mit der Rückeroberung der von den Germanen überrannten westlichen Reichshälfte andere Prioritäten als die Abwehr der Slawen. Er suchte zwar durch Festungsbauten von Singidunum bis zur Donaumündung die Grenze zu sichern, doch fehlten vor allem infolge seiner Feldzüge gegen die Ostgoten die Truppen, die von den Festungen heraus gegen die Slawen hätten operieren können. In seiner Amtszeit konnten die Slawen 559 mit den Hunnen sogar Konstantinopel belagern.

Die Unterwerfung und Ausbeutung der Slawen durch die Awaren unter Baian ab 567 schuf zusätzlich einen Migrationsdruck. Unterdessen begann Justin II. einen neuen Krieg gegen Persien, der für zwei Jahrzehnte die oströmischen Truppen im Osten band (siehe Römisch-Persische Kriege). Unter seinem Nachfolger Tiberios I. konnten die Awaren 582 das strategisch bedeutsame Sirmium einnehmen und die von Justinian I. errichteten, beziehungsweise wiederhergestellten Festungen aufrollen. Dies wiederum erleichterte auch die slawischen Einfälle. Der Kirchenhistoriker Johannes von Ephesos berichtet von einer großen slawischen Invasion bereits seit 581, die erstmals eine dauerhafte Niederlassung zum Ziel gehabt habe. Unklar ist hierbei aber, ob es sich um Plünderer gehandelt hat, die sich über mehrere Jahre bis zum Tod des Johannes auf dem Balkan aufgehalten haben, oder ob tatsächlich eine Ansiedlung erfolgte. Tatsache ist, dass bereits in den 580er Jahren die oströmischen Balkanprovinzen so verwüstet waren, dass sie keine Beute mehr hergaben. Ein Wendepunkt war hier die gescheiterte Belagerung von Thessalonike 586. Hauptursache des Fehlschlages war der Mangel an Verpflegung bei den Belagerern, die sich aus dem verwüsteten Umland nicht mehr ernähren konnten. Diese Umstände müssen die Slawen zu der Erkenntnis bewogen haben, dass nur eigene Landwirtschaft ihnen auf dem Balkan eine dauerhafte Lebensgrundlage ermöglichen konnte.[2]

Vorläufiges Ende der Slawenzüge

Eine Zäsur erfuhren die slawischen Züge und auch eine mögliche Ansiedlung jedoch ab 591 infolge der Balkanfeldzüge des Maurikios, die weitere slawische Raubzüge auf dem Balkan bis auf eine Ausnahme im Winter 593/594 unterbanden. Die Slawen wurden ebenso wie ihre awarischen Herrscher in die Defensive gedrängt und in ihrem eigenen Land nördlich der Donau wiederholt besiegt.

Maurikios hatte damit als erster Kaiser seit Anastasios I. die Lage auf dem Balkan bereinigt und den Plünderungszügen der Awaren und Slawen ein Ende gemacht. Damit standen die römischen Balkanprovinzen an der Schwelle einer möglichen Erholung. Armenier sollten als Wehrbauern auf dem Balkan angesiedelt und die bereits eingewanderten Slawen romanisiert werden. Dies hätte die Anwesenheit der Slawen auf dem Balkan zu einer Episode werden lassen, vergleichbar etwa mit der Anwesenheit der Goten. Mit seinem Sturz 602 wurde dies jedoch ebenso zur Makulatur wie die Fortsetzung der Feldzüge. Der neue Kaiser Phokas (602-610) musste nämlich erneut gegen die Perser kämpfen, die bereits in der ersten Phase des Krieges Armenien besetzen konnten. Außerdem hatte eine Meuterei gegen die Auswüchse der Feldzüge ihn gerade an die Macht gebracht. Aus genannten Gründen war Phokas gezwungen, die aggressive Verteidigung und ebenso die Ansiedlung armenischer Wehrbauern aufzugeben.

Die Annahme, dass die römische Herrschaft unmittelbar im Anschluss an seine Machtergreifung zusammenbrach,[3] dürfte falsch sein. Phokas mag auf dem Balkan untätig gewesen sein und dürfte wohl Truppen von dem Balkan an die persische Front verlegt haben, doch spricht gegen eine völlige Entblößung des Balkans vielleicht seine thrakische Herkunft. Ein Zusammenbruch während seiner Herrschaft infolge slawischer Einfälle ist auch nicht durch archäologische Funde wie etwa Münzhortungen belegt. Demgegenüber erscheint sogar eine weitere Erholung der Balkanprovinzen unter der Herrschaft des Phokas denkbar. Im Ergebnis verzögerte sich die slawische Landnahme um über zwei Jahrzehnte.

Die flächendeckende Ansiedlung ab 612

Die Ruhe nach dem Sturz von Maurikios war für die Slawen jedoch Zeichen zum Aufbruch. Als Herakleios (610-641) alle Truppen im Osten gegen die Perser einsetzte, erneuerten die Slawen zusammen mit den Awaren wahrscheinlich ab 612 ihre Einfälle auf dem Balkan. Die Balkanprovinzen waren trotz einer möglichen Erholung deutlich schwächer als Ende der 570er. Anders als damals gab es auch keine noch so schwache oströmische Armee, die den Angriffen hätte Einhalt gebieten können. Daher überrollten die Awaren und Slawen ungehindert den gesamten Balkan. Wann welche Gegend überrannt wurde, lässt sich nach der gegenwärtigen Quellenlage nicht rekonstruieren. Lediglich einzelne Ereignisse ragen heraus;[4] die Zerstörung von Novae nach 613, die Eroberung von Naissus und Serdika sowie die Zerstörung von Justiniana Prima 615, die dreimalige Belagerung von Thessalonike (610?, 615 und 617), die Schlacht bei Herakleia am Marmarameer 619, Plünderungszüge auf Kreta 623[5] und die Belagerung von Konstantinopel (626). Mögliche Beute wurde binnen kurzer Zeit gemacht und Teile der römischen Bevölkerung von den Awaren nach Pannonien verschleppt, so dass die Slawen sich ungehindert in den entvölkerten Landstrichen niederließen und zur Landwirtschaft übergehen mussten. Ab 620 belegen archäologische Funde die Ansiedlung der Slawen in den entvölkerten Regionen des Balkans.[6] Dies betraf bis auf Südthrakien und dem Westen des Peloponnes die gesamte Balkanhalbinsel. Nachdem die Awaren von den Mauern Konstantinopels abgezogen waren, erhoben sich die slawischen Stämme auf dem Balkan und akzeptierten die oströmisch-byzantinische Oberhoheit. Des Weiteren siedelte Herakleios gezielt die Serben in Illyrien und die Kroaten in Dalmatien und Unterpannonien als Föderaten gegen die Awaren an. Im Ergebnis konnten sich die Slawen hierdurch der awarischen Herrschaft entziehen. Die Ansiedlung der Slawen auf dem Lande ging jedoch nicht nur mit dem Schwinden der awarischen Vormachtstellung einher, sondern auch mit einer geänderten Beziehung zu den Resten der römischen Provinzialbevölkerung und der byzantinischen Regierung. Die Phase der großen Kriegszüge war trotz kleinerer Kämpfe zu Ende.

Gemengelage zwischen Slawen und Nichtslawen bis zum 10. Jahrhundert

Südslawische Völkerschaften und Stämme (orange) auf dem Balkan im 7. Jahrhundert, Grenze des nominellen byzantinischen Herrschaftsgebietes lila

Nachdem die Slawen das Land besiedelt hatten, folgte eine Zeit relativ friedlicher Koexistenz zwischen Slawen und den immer noch vorhandenen Resten der römischen und griechischen Provinzialbevölkerung. Denn selbst an der Nordgrenze der römischen Donauprovinzen hatten einige Städte die Awaren- und Slawenstürme überlebt und sich dank der See- und Flussverbindungen mit Konstantinopel noch lange halten können. So berichten Chroniken um 625 von einem römischen Festungskommandanten Singidunums. Aber auch an schiffbaren Nebenflüssen der Donau hielten sich römische Siedlungen, etwa das heutige Weliko Tarnowo an der Jantra, in dem sich eine im siebten Jahrhundert erbaute Kirche befindet. Auch wenn die Städte eine gewisse Anziehungskraft auf die slawischen Stämme ausübten, war diese allein zu schwach für eine Romanisierung oder Hellenisierung, zumal diese Städte keine Polis im antiken Sinne mehr waren, sondern ein kastron, eine Festung mit wenig Wirtschaftsleben und noch weniger kulturellem Leben. Es hätte einer starken militärischen Präsenz bedurft, um flächendeckend die Verbindungswege zwischen den Städten zu sichern und ihr erneutes Aufblühen zu ermöglichen. Dieses Engagement konnte Byzanz wegen der einsetzenden Islamischen Expansion nicht leisten. Vielmehr konnte Byzanz die Oberhoheit über die Balkanslawen immer nur örtlich und zeitlich begrenzt in eine Herrschaft verwandeln. Dennoch bewahrten einige Städte entlang der Donau und ihrer Nebenflüsse in Moesien ihrem römischen Charakter noch bis zum Einfall der Protobulgaren im Jahr 679 und standen bis zu diesem Zeitpunkt noch unter byzantinischer Herrschaft. Der Umstand, dass die Protobulgaren zunächst als Amts- und Verwaltungssprache eine Art derangiertes Griechisch nutzten, zeigt, dass es auch nach 679 römische Bevölkerung und Verwaltungsstrukturen in Moesien gab. Erst in der Folge verschmolzen die Reste der römischen Bevölkerung mit den Slawen und Protobulgaren, was heute noch unter anderem an Orts- und Gewässernamen (z.B. Nis/Naissus, Jantra/Iatrus, Osam/Asamus, Iskar/Oescus) und an fehlenden Zerstörungsschichten ehemaliger römischer Siedlungen ablesbar ist. Diese Verschmelzung erfolgte unter der Herrschaft der Protobulgaren und war somit dem byzantinischen Zugriff entzogen. Die Konsequenz war eine Slawisierung, weshalb das heutige Bulgarisch den slawischen Sprachen angehört.

In Dalmatien hielten sich romanische Idiome (Dalmatisch) sogar noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, während in Makedonien die Vorfahren der heutigen Aromunen als Wanderhirten überlebten und möglicherweise durch die Sermesianoi, Nachfahren der nach Pannonien verschleppten Römer, verstärkt wurden. In der Dinarischen Gebirgsregion wurden die Maurowalachen erst im 18. Jh. slawisiert, wobei sie als Vorfahren der Istrorumänen in Frage kommen. Umstritten ist bis heute, ob auch die Rumänen von den Resten der römischen Provinzialbevölkerung südlich der Donau abstammen (so die von Robert Roesler entwickelte Migrationstheorie, vgl. aber die Dako-romanische Kontinuitätstheorie). Unklar ist auch die Herkunft der im griechisch-mazedonischen Grenzgebiet siedelnden Meglenorumänen. In Mittelalbanien hielt sich eine weitere, zunächst völlig unbeachtete Bevölkerungsgruppe, die über die vielen Jahrhunderte römischer Herrschaft sogar ihre vorromanische Sprache bewahren konnte und aus der die heutigen Albaner hervorgingen.

In allem war der Niedergang der römischen Macht wohl ein langsamer Vorgang mit einem gewissem Auf und Ab. Soweit Byzanz im Osten Atempausen vergönnt war, nutzte es jede Gelegenheit, um in Sklavinien (Griechenland und Thrakien) Slawen zu unterwerfen und teilweise nach Kleinasien umzusiedeln. Da hier seit jeher größere Städte vorhanden waren, gelang – um zwei Jahrhunderte verzögert durch das weitere Einströmen slawischer Bevölkerung und sogar einer vorübergehenden Slawisierung von Griechen – eine Rehellenisierung. Das Ausmaß der Slawisierung und Rehellenisierung brachte Fallmerayer zu der inzwischen widerlegten These, die modernen Griechen seien ausschließlich hellenisierte Slawen. Tatsache ist, dass es zu einer Integration slawischer Elemente in die byzantinische Gesellschaft kam, die mit dem Gegenkaiser Thomas sogar beinahe einen Slawen auf den byzantinischen Thron gebracht hat.

Literatur

  • Florin Curta: The Making of the Slavs: History and Archaeology of the Lower Danube Region, C. 500–700. Cambridge 2001.
  • Walter Pohl: Die Awaren. 2. Aufl., München 2002.
  • Michael Whitby: The Emperor Maurice and his Historian – Theophylact Simocatta on Persian and Balkan Warfare. Oxford 1988.
  • Franz Georg Maier (Hrsg.): Byzanz. Fischer Weltgeschichte Bd 13. Frankfurt a. M. 1973, S. 139ff.

Anmerkungen

  1. Franz Georg Maier (Hrsg.): Byzanz Fischer Weltgeschichte Bd. 13. Frankfurt a. M. 1973, Seite 139
  2. Walter Pohl, Die Awaren, Seiten 105-107
  3. statt vieler nur Franz Georg Maier (Hrsg.): Byzanz. Fischer Weltgeschichte Bd 13. Frankfurt a. M. 1973, S. 141
  4. Michael Whitby, a.a.O.
  5. Franz Georg Maier (Hrsg.): Byzanz. a.a.O.
  6. Florin Curta, S. 189 m.w.N., vgl. auch Franz Georg Maier (Hrsg.), a.a.O.

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