Software-Ergonom

Software-Ergonom

Software-Ergonomie (Abk. SE, v. griech.: ergon = "Werk", (Mühe, Arbeit) + nomos = Lehre, Gesetz, Regel / engl.: Usability Engineering) ist die Arbeit hin zu leicht verständlicher und schnell benutzbarer Software unter den gebotenen technischen Möglichkeiten und unter der Einhaltung definierter bzw. empirisch entstandener Standards und Styleguides. Sie ist ein Teilgebiet der Mensch-Computer-Interaktion. Das Ergebnis der Software-Ergonomie ist die Gebrauchstauglichkeit, also die Benutzerfreundlichkeit von Computer-Programmen.

Gegenstandsbereich der Software-Ergonomie im eigentlichen Sinne ist der arbeitende Mensch (Softwarenutzung an Arbeitsplätzen). Allgemein wird heute die Benutzung von, beziehungsweise die Interaktion mit Computern (Arbeitssoftware, WWW, Spiele ...) betrachtet. Dies bedeutet die Berücksichtigung (neuro-)psychologischer Aspekte – wie dies auch die Ingenieurpsychologie methodisch anstrebt – beim Software-Entwurf, um eine optimale Mensch-Maschine-Schnittstelle zur Verfügung zu stellen.

Im Bereich der Software-Ergonomie existieren formale Richtlinien für die Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen, für die Darstellung von Informationen am Bildschirm sowie deren Manipulation durch Eingabegeräte. Diese Richtlinien sind in der Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) sowie im Standard ISO 9241 der Internationalen Organisation für Normung festgehalten und sollten damit bei der Erstellung von Anwendungssoftware berücksichtigt werden.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung

In den 1980er Jahren standen, unter Vernachlässigung ergonomischer Aspekte, die funktionalen Anforderungen bei der Entwicklung eines Software-Systems im Vordergrund. Dies lässt sich mit der geringen Verbreitung von Software sowie dem Mangel an gesicherten Erkenntnissen erklären. Mit der starken Verbreitung grafischer Bedienoberflächen (GUI) rückte der Benutzer mit seinen Bedürfnissen in den Vordergrund. Die EG-Richtlinie 90/270/EWG (Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten) schreibt für neu eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze die Verwendung von Software vor, die nach ergonomischen Prinzipien entwickelt wurde. Diese Verbindlichkeit ließ die Bedeutung der Ergonomie für die Software-Entwicklung in den vergangenen Jahren weiter wachsen.

In Deutschland ist seit 1. Januar 2000 die Bildschirmarbeitsverordnung vom Dezember 1996 für alle, auch für ältere Bildschirmarbeitsplätze in Kraft getreten. Verstößt ein Unternehmen dagegen, droht ein Bußgeld bis 25.000 Euro.

Anwendungsbereiche

Der wichtigste Gegenstandsbereich der Software-Ergonomie im engeren Sinne ist die zu optimierende Softwarenutzung an Arbeitsplätzen. Allgemein befasst sie sich mit Grundregeln und Methoden zum Entwurf und Bewertung von interaktiver Software (Arbeitssoftware, WWW, Spiele ...), die möglichst optimal an die Bedürfnisse der Benutzer (Benutzerorientierung) und die Erfordernisse der Arbeitsaufgabe (Aufgabenorientierung) anzupassen ist. Die Belastungsminderung und Handlungsunterstützung durch das System stehen im Vordergrund.

Nicht ergonomisch gestaltete Programme können zu psychischen Belastungen (z. B. Stress, Frustration) bei Benutzern führen. Während Hardware-Ergonomie-Fehler, zum Beispiel flackernde Bildschirme oder zu kleine Tastaturen, mit physikalischen Methoden erkannt werden können, so setzt die Software-Ergonomie mit interdiszipliären Methoden als Querschnittswissenschaft aus Arbeitswissenschaften, Informatik, Ingenieurwissenschaften, Industrieanthropologie, Arbeitsmedizin und Psychologie an.

Im Einzelnen sind zum Beispiel die folgenden Disziplinen beteiligt:

Kriterien

Als Grundlage für die Definition ergonomischer Prinzipien eignet sich das ABC-Modell, das den Nutzungskontext der Ergonomie als Beziehungen zwischen Aufgabe, Benutzer und Computer beschreibt. Ein System ist angemessen, wenn es die zur Lösung der Arbeitsaufgabe erforderlichen Funktionen bereitstellt. Ein System ist handhabbar, wenn es dem Benutzer eine leichte Erlernbarkeit, Bedienbarkeit und Verständlichkeit ermöglicht. Ein System ist persönlichkeitsförderlich, wenn es den Fähigkeiten und Kenntnissen des Benutzers (Benutzermodell) angepasst ist und den Prinzipien der Arbeitsgestaltung entspricht. Einen Maßstab für die softwareergonomische Gestaltung bilden die Normen Teil 11 bis 17 sowie 110 der Normenreihe ISO 9241 „Ergonomie der Mensch-System-Interaktion“, die in den Jahren 1996 bis 1999 verabschiedet und anschließend sowohl als Europäische als auch als DIN-Normen übernommen worden sind. In Teil 110 Grundsätze der Dialoggestaltung werden folgende Qualitätskriterien definiert, die sich durch Verfeinerung der Kriterien des ABC-Modells ergeben:

  1. Aufgabenangemessenheit – geeignete Funktionalität, Minimierung unnötiger Interaktionen
  2. Selbstbeschreibungsfähigkeit – Verständlichkeit durch Hilfen / Rückmeldungen
  3. Steuerbarkeit (Dialog) – Steuerung des Dialogs durch den Benutzer
  4. Erwartungskonformität – Konsistenz, Anpassung an das Benutzermodell
  5. Fehlertoleranz – erkannte Fehler verhindern nicht das Benutzerziel, unerkannte Fehler: leichte Korrektur
  6. Individualisierbarkeit – Anpassbarkeit an Benutzer und Arbeitskontext
  7. Lernförderlichkeit – Anleitung des Benutzers, Erlernzeit minimal, Metaphern

Ergänzt wurden die 7 Grundsätze der Dialoggestaltung durch die Multimedianorm vom Mai 2000 DIN EN ISO 14915 Softwareergonomie für Multimedia-Benutzungsschnittstellen Teil 1: Gestaltungsgrundsätze und Rahmenbedingungen um vier weitere Grundprinzipien:

  1. Eignung für das Kommunikationsziel – verwendete Informationen/Medien unterstützen die intendierten Kommunikationsziele.
  2. Eignung für Wahrnehmung und Verständnis – Inhalte sind so aufbereitet, dass sie gut rezipiert werden können und leicht verständlich sind.
  3. Eignung für die Exploration – Informationen sollen gut struktiert sein, so dass die Erkundung der Informationen und das Stöbern in den Informationen leicht ist.
  4. Eignung für die Benutzungsmotivation – Das Programm soll zur Benutzung motivieren und eine hohe Bindung des Nutzers erreichen.

Software-Ergonomie am Beispiel einer Textverarbeitung

  • Konsistenz der Benutzerführung: Die Suchfunktion und die „Suchen und Ersetzen“-Funktion sind gleich aufgebaut. Der Benutzer erkennt die Eingabe wieder und kann sein Wissen aus der jeweils anderen Funktion wieder verwenden.
  • Ständige Verfügbarkeit: Die Rechtschreibprüfung des Programms läuft im Hintergrund ab. Beim Tippen merkt der Benutzer keine Verzögerung. Seine Arbeit wird nicht unterbrochen.
  • Unmittelbare Verständlichkeit der Benutzerführung: Die „Ersetzen“-Funktion wird im gleichen Menü wie die „Suchen“-Funktion untergebracht. Der Benutzer erkennt die Ähnlichkeit der Funktionen und sucht diese in dem gleichen Menü.
  • Automatisierung sich wiederholender Aufgaben: Bei der „Suchen und Ersetzen“-Funktion kann der Benutzer jedes Ersetzen einzeln bestätigen oder er kann automatisiert alle auf einmal ersetzen.
  • Umgehende Rückmeldung an den Benutzer: Der Benutzer speichert und die Speicherung schlug fehl. Der Benutzer wird durch eine Fehlermeldung umgehend darüber benachrichtigt. Ebenso wird er durch einen kurzen Text in der Statuszeile über eine erfolgreiche Speicherung informiert.
  • Selbsterklärungsfähigkeit: Bei der Rechtschreibprüfung werden die falschen Wörter mit einer roten Wellenlinie und am rechten Rand des Dokuments mit einem Strich markiert. Diese Markierungen sind noch aus der Schule bekannt.
  • Anpassbarkeit an individuelle Bedürfnisse: Die zuletzt geöffneten Dateien werden im Menü geordnet angezeigt, damit der Benutzer schnell auf seine zuletzt bearbeiteten Dateien zugreifen kann. Dabei ist die Anzahl der angezeigten Dateien einstellbar.
  • Fehlertoleranz: Der Benutzer hat ein falsches Wort ersetzt. Er kann den ganzen Ersetzungsvorgang durch eine UNDO-Funktion rückgängig machen.
  • Erwartungskonformität: Der Benutzer drückt bei der „Suchen und Ersetzen“-Funktion auf „Alle ersetzen“. Er erwartet, dass nur sein Suchwort ersetzt wird und nicht alle Wörter.
  • Höflichkeit: Der Benutzer möchte ein Wort ersetzen. Dieses Wort kommt aber im gesamten Text nicht vor. Der Benutzer wird höflich auf die Situation aufmerksam gemacht durch „Das zu ersetzende Wort ist im Text nicht vorhanden.“ und nicht unfreundlich durch „Wort falsch.“. Diese Systemeigenschaft erhöht nicht die Effektivität oder Effizienz, sondern die Zufriedenheit der Benutzer.

Siehe auch

Literatur

  • Markus Dahm: Grundlagen der Mensch-Computer-Interaktion, Verlag Pearson Studium, 2005, ISBN 3-8273-7175-9,
  • Edmund Eberleh / Horst Oberquelle u. A.: Einführung in die Software-Ergonomie, Gruyter, 1994, ISBN 311013814X
  • Joachim Englisch: Ergonomie von Softwareprodukten - Methodische Entwicklung von Softwareprodukten, 1993, ISBN 3411160616
  • Michael Herczeg: Software-Ergonomie: Theorien, Modelle und Kriterien für gebrauchstaugliche interaktive Computersysteme, 3. Auflage, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2009, ISBN 3-486-58725-8
  • Andreas Holzinger: Basiswissen Multimedia Band 3 Design: Entwicklungstechnische Grundlagen multimedialer Informationssysteme, Vogel-Verlag, 2001, ISBN 3-8023-1858-7
  • Thomas Kahlisch: Software-ergonomische Aspekte der Studierumgebung blinder Menschen, Verlag Dr. Kovac, 1998, ISBN 3860647970
  • Wolfgang Schneider: Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten, Grundsätze der Dialoggestaltung, Beuth, 1998, ISBN 3-410-13832-3
  • Ben Shneiderman, Cahterine Plaisant: Designing the User Interface: Strategies for Effective Human-Computer Interaction, Allyn & Bacon, 2004, ISBN 0321197860
  • Jens Wandmacher: Software-Ergonomie, de Gruyter, 1993, ISBN 3-11-012971-X

Weblinks


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