- Songhai-Reich
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Vom frühen 15. bis zum späten 16. Jahrhundert war das Songhaireich eines der größten afrikanischen Reiche der Geschichte. Die zentrale Macht des Reiches, die auf der Lage am Niger beruhte, ging von der Stadt Gao aus, die seit dem frühen Mittelalter Zentrum des Gaoreiches war. Das Songhaireich dehnte sich von dort im Osten bis zu den Hausastädten Kano und Katsina aus und im Westen bis an die heutige Grenze Senegals. Der Name des Reiches stammt von seiner dominierenden ethnischen Gruppe, den Songhai.
Inhaltsverzeichnis
Maliherrschaft über den Nigerbogen
Mali und die Vasallendynastie der Za (1300–1430)
Bevor die Songhai ihre Vormachtstellung innehatten, wurde das Gebiet von dem Malireich beherrscht, dessen Zentrum in Niani am oberen Lauf des Niger lag. Mali erreichte damals seine größte Ausdehnung, da es den westafrikanischen Goldhandel kontrollierte. Sein König Mansa Musa unternahm 1324 die Pilgerfahrt nach Mekka und durchquerte dabei auch den Westen des späteren Songhaireiches. In Gao, der Hauptstadt des Teilreiches, herrschte die Dynastie der Za. Sie hatte die Unterstützung der Keitadynastie Malis erbeten, um sich ihrer inneren Widersacher, der Sonni, zu erwehren. Aus Protest gegen diese Hinwendung zu den Keita zogen sich die Sonni nach Kukiya 150 Km stromabwärts von Gao zurück. Im frühen 15. Jahrhundert lag das Malireich im Zerfall. Innere Streitereien schwächten die Krone und viele verbündete Völker wandten sich ab. Die Songhai waren eines dieser Völker. Ihre beiden dynastischen Gruppen, die Za und die Sonni, gehörten allerdings selbst zu den Mande.
Aufstand der Songhai unter der Führung der Sonni (1400-1465)
Angesichts der Schwäche der Keita organisierten die Sonni zu Beginn des 15. jahrhunderts in Kukiya den Widerstand gegen die Za und die Maliherrschaft. Ihre wichtigsten Verbündeten waren die Songhai, die durch die Machtübernahme der Za/Zaghe am Nigerbogen marginalisiert und nach Osten abgedrängt worden waren. In dieser turbulenten Umbruchsphase zogen die Sonni mit ihren Reiterkriegern der Songhai nach Gao, vertrieben dort die Za aus ihrer Machtposition und erreichten schließlich Timbuktu. Die Za ihrerseits mussten sich aus Gao völlig zurückziehen. Sie überlebten in den fruchtbareren Gebieten Niger-abwärts in Form der Reiteraristokratie der Zarma.
Das Songhaireich
Gründung des Songhaireiches durch Sonni Ali (1465–1492)
Nachdem bereits Sulayman Dama bis nach Mema im Westen vorgedrungen war und dort große Zerstörungen angerichtet hatte, wurde Sonni Ali zum eigentlichen Gründer des Songhaireiches. Im Westen gliederte er die Handelsstadt Djenné in des Reich ein und im Osten das Königreich Kebbi. Obgleich die Chronisten von Timbuktu ihn als Halbheiden brandmarken, war er fest im Islam verwurzelt. Er verzichtete allerdings darauf, den Islam als verbindliche Reichsreligion zu proklamieren, um so seinen nur oberflächlich islamisierten Songhai-Bundesgenossen entgegenzukommen. Auch die Grausamkeit, die ihm die Chronisten vorwerfen, ist wohl angesichts der enormen militärischen Anstrengungen in erster Linie als Maßnahme zur Disziplinierung der Truppen und nicht als Drangsalierung der Zivilbevölkerung zu betrachten. Nach dem Ende seiner Regierungszeit waren die Songhaitruppen jedoch so sehr erschöpft, dass sie seinen Sohn und Nachfolger Sonni Baru (1492–93) nur halbherzig unterstützten.
Askiya Muhammad und die Gründung der Askiya-Dynastie (1493–1591)
Askiya Muhammad war Soninke und der oberste Heerführer der Armee von Songhai unter Sonni Ali. Nach dem Tod des großen Eroberers rebellierte er erfolgreich gegen dessen Sohn und Nachfolger Sonni Baru und besiegte ihn 1493 in der Schlacht von Ankogho bei Gao. Dieser Machtwechsel war keine ethnische Revolution mit großen sozialen Folgen, denn schon vier Jahre später, 1497, unternahm der neue Herrscher die weite und entbehrungsreiche Pilgerfahrt nach Mekka. Während der Zeit seiner Abwesenheit ersetzte ihn sein Bruder, der Kurmina-Fari Umar Komdiagha. Mit seiner Pilgerfahrt setzte Askiya Muhammad nicht nur ein klares Zeichen zugunsten des Islam, sondern auch der politischen Stabilität. Im Gegensatz zu den Sonni stützte er sich auf die Za und die Zarma. Allerdings fielen ihm seine Bundesgenossen schon bald so sehr zur Last, dass er sie 1505 als Kanonenfutter in die Schlacht von Borgu schickte. Seither tat er es den Sonni gleich, indem er seine Macht auf der Unterstützung der Songhai gründete.
Das Songhaireich unter der Askiya-Dynastie (1493–1591)
Alle neun Nachfolger Askiya Muhammads (1493–1528) stammten mit einer Ausnahme vom Dynastiegründer ab. Diese familiären Bande waren der Einheit des Staates allerdings nicht förderlich. Im Gegenteil, die Hälfte aller Askiyas wurde gewaltsam entthront und Bruderkriege waren gang und gäbe. Nur zwei Regierungszeiten glänzten durch ihre Stabilität, Dauer und Prosperität: die des Askiya Muhammad und die seines Sohnes Askiya Dawud (1549–1582). Daneben garantierten die großen Palastbeamten – wie der Hi-Koy, der Hugu-Koray-Koy und der Fari-Mondyo – die Kontinuität und Effizienz der Verwaltung. Auch die großen Provinzgouverneure, wie der Dendi-Fari, der Dirma-Koy und der Kurmina-Farma, trugen aufgrund ihrer häufigen Präsenz in der Hauptstadt zum Erhalt des ausgedehnten Reiches bei. Allerdings war der Staat ohne eine durchsetzungsfähige politische Führung, die auch militärische Reformen in die Wege leiten konnte, auf Dauer nur schlecht gegen äußere Bedrohungen gewappnet.
Die marokkanische Invasion und der Untergang des Songhaireiches (1591)
Seitdem ein marokkanisches Expeditionskorps 1584 bis nach Waddan (1.100 km westlich von Timbuktu) vorgedrungen war, wusste man in Gao von der Gefahr, die von Marokko ausging. Ein wichtiger Streitpunkt zwischen den beiden Ländern waren die Salinen von Teghaza, die die Saadier Marokkos 1556 unter ihre Herrschaft gebracht hatten. Die Askiyas waren allerdings zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um ernsthafte Maßnahmen zur Rückgewinnung der weit im Norden gelegenen Salinen zu treffen. Noch wichtiger war in den Augen der Saadier das Gold des Sudan, von dem sie sich die Anfüllung ihrer Staatskasse versprachen.
Deshalb organisierte Ahmad al-Mansur (1578–1603) ein Expeditionskorps von 5000 Soldaten und stellte es 1590 unter das Kommando des spanischen Renegaten Judar Pascha. Die meisten Soldaten des Korps waren mit Feuerwaffen bewaffnete Europäer, ehemalige Kriegsgefangene, die in marokkanische Dienste getreten waren. Die kleine aber schlagkräftige Armee traf 50 Km nördlich von Gao bei Tondibi auf das Songhai-Heer von 50 000 Mann. Trotz des ermattenden Fußmarsches durch die Wüste, gelang es Judar Pascha dank seiner Feuerwaffen, das Songhai-Heer nach kurzem Widerstand zu besiegen und in die Flucht zu schlagen. Die königstreuen Songhai zogen sich hinter den Niger zurück und leisteten den Marokkanern von Dendi aus einen Jahrzehnte langen erbittertem Widerstand. Doch vergeblich, gegen die Feuerkraft der Marokkaner war mit den lokalen Waffen nicht anzukommen.
Judar Pascha machte Timbuktu zu seinem Amtssitz und etablierte hier auch einen Schattenkönig der Askiya. Im Anschluss an seinen militärischen Erfolg und das viele erbeutete Gold, das Karawanen nach Marrakesch brachten, erhielt Ahmad al-Mansur den Ehrentitel al-dhahabi, der „Goldene“. Die direkte Herrschaft Marokkos über den Nigerbogen dauerte jedoch nur bis 1612. Letztlich erwiesen sich die Entfernung und die Beschwerden der Wüstendurchquerung doch als unüberwindbare Hindernisse für eine dauerhafte Herrschaft. Zwar nannten die Besatzer den Namen des marokkanischen Sultan noch bis 1660 im Freitagsgebet in Anerkennung seiner formalen Oberherrschaft, aber de facto waren sie auf sich allein gestellt und mussten bald ohne Unterstützung ihres Heimatlandes zu recht kommen. Ihre militärische Überlegenheit garantierte ihnen das Überleben als fremde Besatzer, aber ihre Isolation von der Bevölkerung konterkarierte alle Bemühungen einer stabilen und weiträumigen Herrschaftsbildung. Im Gegenteil, letztlich beschränkte sich die Herrschaft des marokkanischen Pascha lediglich auf die Städte Timbuktu und Djenné und deren unmittelbare Umgebung.
Nachleben des Songhaireiches
Auch der Rest des Songhaireiches in Dendi zerfiel in der Folgezeit vollkommen. Nachkommen der Askiya sind unter dem Namen "Maamar Haama" bekannt, fungieren aber nur noch als Dorfchefs in Westniger und Nordbenin. Die Nachkommen der Sonni sind in den Magierchefs der Sohantiye wieder zu finden. Auch die Nachkommen der vormaligen Besatzer überleben bis heute. Sie bilden die Gruppe der Arma und sind hauptsächlich in dem Gebiet von Gao anzutreffen. Neben vagen mündlichen Überlieferungen wird die Erinnerung an das große Songhaireich hauptsächlich durch die zwei Songhaichroniken wach gehalten, den Tarikh al-Sudan von al-Saadi aus dem Jahr 1655 und den Tarikh al-Fattash von Mahmud al-Kaati/Ibn al-Mukhtar von 1665. Die ersten wissenschaftlich zuverlässigen Informationen seit den Tagen von Leo Africanus (frühes 16. Jahrhundert) lieferte der deutsche Afrikaforscher Heinrich Barth, der im Winter 1853-54 Timbuktu besuchte und die Möglichkeit hatte, die Chroniken auszuwerten.
Herrscher des Songhaireiches
- Sonni Ali: 1464-1492
- Mohommed Ture der Große: 1493-1528
- Musa: 1528-1531
- Askia Mohammad Benkan: 1531-1537
- Isma'il: 1537-1539
- Ishaq I.: 1539-1549
- Dawud: 1549-1582
- Al-Hajj: 1582-1586
- Askia Mohommed Bana: 1586-1588
- Ishaq II.: 1588-1591
- Vasall von Marokko: 1591
Bibliographie
Schriftquellen:
- al-Saadi: T. al-Sudan, hgg. und übers. von O. Houdas, Paris 1898, 1900 (engl. Übers. J. O. Hunwick: Timbuktu and the Songhay Empire, 2003)
- Mahmud al-Kaati/Ibn al-Mukhtar: T. al-Fattash, hgg. und übers. von O. Houdas und M. Delafosse, Paris 1913.
- Paolo Moraes Farias: Arabic Medieval Inscriptions from the Republik of Mali, Oxford 2003.
Archäologie
- Timothy Insoll: Islam, Archaeology and History: Gao Region (Mali) ca. AD 900 - 1250, Oxford 1996.
Ethnographie:
- Jean Rouch: Religion et magie songhay, Paris 1960.
- Olivier de Sardan: Concepts et conceptions songhay-zarma, Paris 1982.
Darstellungen:
- Sékéné M. Cissoko: Tombouctou et l'empire songhay, Dakar 1975.
- John O. Hunwick: Timbuktu and the Songhay Empire, Leiden 2003.
- Dierk Lange: Ancient Kingdoms of West Africa, Dettelbach 2004 (hier S. 495-544).
- Jean Rouch: Contribution à l'histoire songhay, Dakar 1953.
Weblink:
- Dierk Lange: "Not yet Songhay - Review of J. O. Hunwick, 'Timbuktu and the Songhay Empire'", Orientalistische Literaturzeitschrift, 99 (2004), S. 145-6.
- -- "Staatengründungen südlich der Sahara", in: H. Hogen (Hg.), Welt- und Kulturgeschichte, Bd. 9, Mannheim 2006, S. 114-138 (hier S. 126-133).
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