Sophia-Jacoba

Sophia-Jacoba
Fördergerüst von Schacht 3 (Industriedenkmal)

Die Zeche Sophia-Jacoba in Hückelhoven-Ratheim gehörte zum Aachener Steinkohlenrevier und förderte von 1914 bis zu ihrer Stilllegung im Jahre 1997 Anthrazit-Steinkohle. Sie galt ab 1960 und bis zur Aufgabe des Betriebes als modernste Steinkohlenzeche Europas.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Entstehung

Friedrich Honigmann

Das Rurtal stellt geologisch einen Grabenbruch dar (siehe Geologie der Niederrheinischen Bucht). Die Gesteinsschichten entlang seiner östlichen und westlichen Verwerfungslinien sind allerdings z.T. um mehrere hundert Meter vertikal gegeneinander verschoben. Das Aachener Bergamt vertrat daher im 19. Jahrhundert die Ansicht, dass es nicht möglich sei, die kohleführenden Schichten, die im Aachener Revier abgebaut wurden, östlich der Rur wieder zu finden.

Der Dürener Bergwerksunternehmer Friedrich Honigmann mochte dies nicht glauben und begann 1885 mit Probebohrungen im Gebiet Hückelhoven, Millich und Schaufenberg, wo er bis 1899 29 Felder konzessionieren ließ. Wirtschaftlich konnte ein Abbau der Kohle aber erst in Betracht gezogen werden, als 1908 eine Eisenbahnlinie zwischen Baal und Roermond geplant wurde, die auch Hückelhoven berührte (siehe Bahnstrecke Jülich–Dalheim). Mit der Eröffnung dieser Bahnstrecke 1911 wurde auch mit dem Abteufen der Schächte 1 und 2 in Hückelhoven begonnen, die 1914 bzw. 1919 fertiggestellt wurden. Ab 1914 wurde - zunächst mit nur 8 Bergleuten - die erste Anthrazitkohle gefördert.

Zwischen 1916 und 1920 übernahm die NEMOS (Nederlandsche Maatschappij tot Ontginning van de Steenkolenvelden) alle Anteile der Erben Honigmanns. Die Zeche wurde 1917 nach den Frauen des NEMOS-Gründers Dr. Fenter van Vlissingen und des Grubenvorstandsvorsitzenden Pieter de Vooys benannt.

Aufbau

Schacht 1-3 der Zeche Sophia-Jacoba (ca. 1950)

1926 war die Belegschaft auf 2161 Mitarbeiter angewachsen, 1933 gar auf 3395. Um dem gestiegenen Bedarf an Wohnraum gerecht zu werden, wurde in den Jahren 1921-1926 die Siedlung Schaufenberg erbaut. 1929 wurde eine Bergberufsschule eröffnet.

1927 begann man mit der Abteufung des Schachts 3, über dem bis 1934 ein weithin sichtbares Fördergerüst errichtet wurde. Ebenfalls 1934 wurde mit einem Fördergerüst der Schacht 4 bei Ratheim in Betrieb genommen; er diente zunächst nur als Wetter- und Materialschacht. 1936 zählte die Belegschaft der Zeche etwa 4500 Mann. Große Kohlemengen wurden auch exportiert. Die niedrigen Löhne der 1930er Jahre förderten in der Belegschaft Unmut gegenüber der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik. [1] die 1937 wurden neben Ponys die ersten Dieselloks untertage eingesetzt. Der Einsatz der Grubenpferde endete aber erst 1951.

Im Herbst 1944 geriet die Zeche mit dem Heranrücken der Front unter heftigen Artilleriebeschuss, durch den große Teile der Anlagen über Tage und drei Viertel der werkseigenen Wohnungen zerstört wurden. Die Belegschaft wurde evakuiert; eine Notbesatzung sicherte zunächst noch den Fortbestand der Zeche, musste aber im Januar 1945 ebenfalls die Region verlassen. Unterhalb der 360m-Sohle sammelten sich über eine Million Kubikmeter Wasser, die nach dem Kriege erst wieder abgepumpt werden mussten.

Zentralisierung

Schacht 6/HK und Schacht 4 bei Ratheim (ca. 1980)

Nach umfangreichen Erschließungen neuer Abbaufelder entschied sich die Zechenleitung mitte der 1950er Jahre für den Bau einer Zentralschachtanlage. Als Standort hierfür wurde wegen seiner zentralen Lage Ratheim ausgewählt, denn die überwiegende Mehrzahl der Kohlefelder lag innerhalb eines Umkreises von 7,5 km um Schacht 4. Schacht 4 wurde zum Förderschacht ausgebaut und mit einem modernen Förderturm in Stahlbeton-Bauweise versehen, der 1959 in Betrieb genommen werden konnte (Architekt Fritz Schupp). In diesem Jahr erreichte die Belegschaft ihren Höchststand von 5669 Mitarbeitern (1986 arbeiteten noch ca. 5000 Bergleute auf der Zeche).

Im darauf folgenden Jahr wurde Schacht 5 in Wassenberg-Rosenthal in Betrieb genommen und mit dem Abteufen von Schacht 6/HK bei Ratheim begonnen, der, ebenfalls mit einem Stahlbeton-Förderturm versehen, 1964 fertiggestellt wurde. 1979 wurde die Zentralschachtanlage bei Ratheim um eine Vergleichmäßigungsanlage erweitert, 1983 um eine Kohlenwäsche.

Sophia-Jacoba sollte in den 50er Jahren eine untertägige Verbindung mit der geplanten Staatsmijn Beatrix in den benachbarten Niederlanden erhalten. Der Niedergang der europäischen Kohleindustrie verhinderten die Ausführung dieser Pläne; die Staatsmijn Beatrix wurde 1962 geschlossen, ohne jemals Kohle gefördert zu haben.

Niedergang

Sprengung von Schacht IV 1998
Verladebereich „Am Landabsatz“ (im Hintergrund links die Millicher Halde, rechts Förderturm von Schacht 3 und ehem. Verwaltungsgebäude)

1973 hatte die niederländische Gesellschaft Robeco N.V die Zeche übernommen und 1990 an die Ruhrkohle AG veräußert. Obwohl die Zeche 1984 die Rekordmenge von 420.000 Tonnen "Extrazit" produzierte, wurde sie von manchen Politikern (insb. vom BRD-Wirtschaftsminister Möllemann) ökonomisch als international nicht mehr konkurrenzfähig eingeschätzt. Anfang der 1990er Jahre widersetzten sich die Bergleute mit vielfältigen Streik- und Protestaktionen den Stilllegungsplänen. Trotzdem wurde die endgültige Stilllegung der Zeche im November 1991 für das Jahr 1997 festgesetzt. Obwohl nach Schätzungen die noch vorhandenen Kohlevorräte einen weiteren Abbau für mehr als 100 Jahre ermöglicht hätten, wurde am 27. März 1997 die letzte Kohle gefördert und am 30. Juni 1997 die Zeche stillgelegt.

Die unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen Verwaltungsgebäude mussten wegen Bergschäden im Winter 2006/2007 abgerissen werden. Das Fernwärmekraftwerk am alten Zechengelände in Hückelhoven ist der einzige noch in Betrieb befindliche Teile der Zeche und seit 1997 im Besitz des Eschweiler Bergwerksvereins EBV.

Mit der Schließung der letzten deutschen Steinkohlenbrikettfabrik am 31. März 2008 (fast genau 11 Jahre nach Einstellung des Untertagebetriebs) endete im Ratheimer und Hückelhovener Raum die Ära des Steinkohlebergbaus endgültig. Begründet wurde die Stilllegung durch rückläufige Zahlen im Hausbrandmarkt. Das Gebäude der Brikettfabrik wurde im Februar 2009 gesprengt.

"Arbeiter-Kolonien"

Bergmannssiedlung der 20er Jahre in Schaufenberg

Zwischen 1919 und 1925 entstanden unter Leitung des niederländischen Architekten Emil Emanuel Strasser sogenannte Arbeiterkolonien in Hückelhoven und Schaufenberg, um Wohnraum für die angeworbenen Bergarbeiter und ihre Familien zu schaffen.

Abraumhalden

Ratheimer Halde

Durch die Zeche sind im Raum Hückelhoven vier Abraumhalden angelegt worden:

  • Die älteste Halde schmiegt sich an den Kantinenberg zwischen Schaufenberg und Hückelhoven an; sie ist heute noch kenntlich durch den alten Robinien-Bestand.
  • Die zweitälteste Halde war zwischen Schaufenberg und Millich angelegt worden. Sie ist in den 1950er Jahren durch eine Privatfirma abgetragen worden, um den Restgehalt an Kohle wirtschaftlich verwerten zu können. Nur noch Reste entlang der Schaufenberger Straße erinnern an diese Halde.
  • Die 70 Meter hohe Millicher Halde liegt an der L117 zwischen Millich und Hückelhoven und ist heute mit Wanderwegen und Aussichtspunkten erschlossen. Sie wird als Naherholungsgebiet Teil einer grenzüberschreitenden Haldenroute („Route de terrils“) der Euregionale werden. → Hauptartikel: Millicher Halde.
  • Die Ratheimer Halde liegt weithin sichtbar am Rand des Rurgrabens zwischen Ratheim und Altmyhl. Sie wurde bis zur Zechenschließung 1997 mit Abraum bestückt; ihr höchster Punkt liegt bei 140 m ü. NN. Die Bepflanzung der unteren Bereiche datiert aus der Mitte der 1970er Jahre, die der oberen Bereiche aus den 1990er Jahren.

Museum

Seit der Schließung der Zeche sind ehemalige Bergleute bemüht, die Erinnerungen an die Bergbaugeschichte der Region lebendig zu erhalten. Sie haben sich in einem Förderverein Schacht 3 zusammengeschlossen, der auf dem Gelände der ehemaligen Zeche ein Bergbaumuseum unterhält. Neben Gruppen-Führungen und der Präsentation von Filmen finden hier eine Vielzahl von Aktionen statt, z.B. Ausstellungen oder Flohmärkte.

Exakt zehn Jahre nach der letzten Kohleförderung, nämlich am 27. März 2007, wurde in Anwesenheit des damaligen Bundesarbeitsministers Blüm ein Besucherbergwerk offiziell eröffnet. Es ist von den Vereinsmitgliedern in Eigenleistung errichtet worden.

Literatur

  • Michael Farrenkopf, Stefan Przigoda: Schwarzes Silber - Die Geschichte des Steinkohlebergwerks Sophia-Jacoba. Essen 1997.
  • J. Bürger: Die Steinkohlenzeche Sophia-Jacoba und ihre Bedeutung für die Region. − in: Kreis Heinsberg (Hrsg.): Heimatkalender des Kreises Heinsberg 1997, S. 177ff
  • E. Offermanns: Chronik der Gewerkschaft Sophia-Jacoba. Steinkohlenbergwerk in Hückelhoven. - Eigendruck 1964
  • StadtWandel Geschichtswerkstatt Hückelhoven (Hrsg.): Wir konnten keine großen Sprünge machen. − Alltagsgeschichten aus den Bergmannssiedlungen in Doveren, Hilfarth, Hückelhoven, Ratheim und Schaufenberg. Band 1+2, Hückelhoven 2003 / 2005
  1. Deutschlandbericht der Sopade. 3. Jg. 1936. Salzhausen und Frankfurt/M. 1980. S. 1198

Weblinks

51.0577444444446.21459722222227Koordinaten: 51° 3′ 28″ N, 6° 12′ 53″ O


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